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Schauspieler Wolfgang Winkler ist tot. „Wir Schauspieler spielen bis zum Umfallen.“

Es ist doch erst ein Dreivierteljahr her, dass ich ihm zu seinem 76. Geburtstag gratuliert habe. Er sprach von neuen Folgen für die ARD-Serie „Die Rentnercops“, die im April wieder gedreht werden sollten. Sein Herz schlug 2014 Purzelbaum, als er das Casting gewann und neben Tilo Prückner die zweite Hauptrolle spielen durfte. Was für den 2012 in Pension geschickten „Polizeiruf 110“-Kommissar Herbert Schneider „ein Geschenk und wirklich ein Glück war. Auch für das Selbstwertgefühl“, wie er mir damals verriet. Er hätte in den Ruhestand gehen können. Aber mit 71 fühlte er sich noch nicht reif für die Ofenbank. „Wir Schauspieler sind ja verrückt, wir wollen spielen bis zum Umfallen. Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin.“

Wolfgang Winkler
Kurz vor seinem 75. Geburtstag am 2. März 2018 besuchte ich Wolfgang Winkler zu Hause am Rande von Berlin @ Nikola

Dieser Beruf hatte sich ihm ins Herz gebrannt. Seit er fünfzehn war. Und nun hat eine Krankheit seinen Lebensplan vorzeitig beendet: Ein Hirntumor. Nach der OP kehrte er nicht mehr zu den „Rentnercops“ zurück. „Ich kann mir doch keine Texte mehr merken“, sagte er bei einem fröhlichen Beisammensein im August mit Freunden. Ich hatte ihn  einmal gefragt, wie es für ihn sein würde, wenn er nicht mehr auf der Bühne oder vor der Kamera stehen könne. „Das würde mir schon schwer fallen. Ich wüsste nicht, ob ich die Charakterstärke hätte, das so ohne weiteres zu akzeptieren. Es sei denn, eines Tages ist die Einsicht da, dass ich mir den Stress nicht mehr antun muss, Rollen auswendig zu lernen und Angst zu haben, Texte nicht mehr abrufen zu können.“ Mit seiner Frau Marina hat er sich voller Mut und Optimismus andere Ziele gesucht, die er nie mehr erreichen kann. Sein Humor, seine Frozzeleien, seine Freundlichkeit wird fehlen, auf dem Bildschirm und denjenigen, die ihn liebten und mochten.

Seit 2003 sind wir immer wieder zu Interviews zusammengekommen, ich erfuhr von einem Leben, das ziemliche Tiefen hatte. Geschuldet der Zeit, in die er hineingeboren wurde, den Umständen, unter denen er aufwuchs, die seinen Weg ins Erwachsenenleben prägten, und die ihn schließlich zu seinem Beruf führten, der ihn glücklich gemacht hat. Vieles habe ich hier schon geschrieben, vieles noch nicht.

 

Nachlese aus meinem Interview mit
Wolfgang Winkler vom 21. Februar 2018

Ihr Weg zur Filmhochschule in Babelsberg führte über eine Lokführer-Lehre im Braunkohlenwerk „John Scheer“ bei Hoyerswerda. Was war falsch an dem Beruf, dass Sie zur Schauspielerei umgeschwenkt sind?
In der damaligen Zeit war Lokführer ein Traumberuf. Aber die Schauspielerei hat ganz andere Reize. Da kann der Lokführer nicht mithalten, wenn man in sich die Lust verspürt, zu spielen, sich zu verstellen. Da kann der Lokführer nicht mithalten. Im Wohnheim habe ich ein Kabarett gegründet. Das war nicht unbedingt die Lust, sich politisch zu äußern, sondern in Rollen.

Wolfgang Winkler
„Heute ist Existenzangst unserem Beruf immanent. Man kann nicht voraussehen, ob man sein Lebensniveau halten und seine Familie versorgen kann.“ © Nikola

Und Sie hatten diese Lust schon als Schüler. Wenn auch ein Mädchen aus der Parallelklasse der Anlass war, dass Sie in der Theatergruppe mitmachten. Sie hieß Friederike Aust, auch eine bekannte DDR-Schauspielerin.
Stimmt. Sie war der Anlass, aber es war eben auch die Lust, sich zu äußern.

Sie waren sehr überzeugt von sich und haben ein Vorsprechen an der Filmhochschule Babelsberg abgelehnt, als man Sie dazu eingeladen hatte.
Ja, das war ziemlich blöd. Ich habe stattdessen unfreiwillig freiwillig Armeedienst gemacht. Ich hatte den Werbern der NVA sehr überzeugend vorgespielt, dass ich unbedingt zur Armee wollte, aber mit 17 leider noch zu jung sei. Eines Tages kamen sie mit einer Sondergenehmigung, dass ich schon mit 17 zur Armee könnte. Da hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als für die Eignungsprüfung zu bimsen.

Mit welchen Vorstellungen sind Sie in den Schauspielerberuf gegangen?
Da war am Anfang viel Naivität. Da wollte man einfach spielen, egal was. Aber es stellte sich schon ziemlich früh raus, dass ich wohl in der Komik behaftet bin. Und da waren das die Rollen, die mir am meisten gelegen haben. So die ganz großen jugendlichen Helden wie Ferdinand oder Romeo sind an mir auch vorbeigegangen.

Hat Sie das gekränkt?
Nee. Ich habe andere schöne Rollen gespielt. Die Diener waren oft interessanter als die schmalzenden Liebhaber. Und man mit einer kleinen Rolle, die Substanz hat, mehr Aufmerksamkeit als mit einer Hauptrolle, die man in den Sand gesetzt hat. Ich habe nie darunter gelitten.

Diener waren die Minderzahl in Ihrer Rollenvita.
Ja, wir hatten ein breites Spektrum am Theater, von der Shakespeare-Komödie bis zu Gegenwartsdramen. Gleich nach der Filmhochschule habe ich 1965 in Görlitz, wo ich debütiert habe, bevor ich 1980 nach Halle ging, den Handwerker Zettel in Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ gespielt.  In Zittau habe ich in Kants „Die Aula“ die diffizile Figur des Karl-Heinz Riek gespielt und in Rossows „Unterwegs“ den Wolodja.

Welche Rolle hat für Sie immer noch besonderen Wert?
Das ist der Waskow in dem Kriegsdrama „Im Morgengrauen ist es noch still“, der mit sechs jungen Rotarmistinnen in die Sümpfe zieht, um deutsche Fallschirmspringer gefangen zu nehmen. Eine nach der anderen fällt im Kampf, er überlebt schwerverletzt. Das war die emotionalste Rolle, die ich je gespielt habe und ist bis heute eins der besten Antikriegsstücke. Wir haben das 1975 nach der Erzählung von Boris Wassiljew inszeniert, es wurde dann in allen Theatern der DDR nachgespielt.

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Wolfgang Winkler 1965  DEFA-Film „Das Kaninchen bin ich“ mit Annemarie Espers (v.l.) und Angelika Waller (h.) © DEFA-Stiftung/Jörg Erkens

Ihre Laufbahn als Filmschauspieler begann 1965 mit einer Rolle in Kurt Maetzigs Gegenwartsfilm „Das Kaninchen bin ich“. Regisseur Kurt Maetzig setzt sich darin kritisch mit dem Problem des Karrierismus auseinander, den es auch in der DDR gab. Der Film wurde verboten, hatte seine Premiere erst 1990. Wie sind Sie als junger Schauspieler mit diesem Thema umgegangen?
Die 60er waren eine hochgradige Zeit, in der wir viel diskutiert haben. Wir dachten damals, wir bauen schon die bessere Gesellschaft mit auf und haben an solchen Punkten einen Knacks gekriegt. Wieso war eine Auseinandersetzung mit der Abhängigkeit der Justiz von der Politik auf einmal öffentlich nicht diskutabel? Darüber haben wir geredet.

Hat das Ihr Verhältnis zur Politik in der DDR verändert?
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer noch, auf der richtigen Seite zu stehen. Ich war von Hause aus so geprägt. Großvater war im KZ, Großmutter in der Partei. Da gab es für mich keine Zweifel. Erst als die Überzeugung schwand, kamen opportunistische Gedanken auf. Man ist kritisch gewesen, aber nicht offensiv.

Wann hat das angefangen?
Ende der siebziger Jahre gab es vieles, womit ich nicht mehr einverstanden war. 1961 habe ich ja verstanden, dass man das ökonomische Ausbluten des Landes verhindern muss, deshalb eine Mauer zieht. Aber später konnte ich trotz aller Erklärungen nicht mehr einsehen, dass Menschen mehr eingesperrt sind als behütet werden. Es wurde immer klarer, dass mit dem ökonomischen und politischen Gefüge etwas nicht stimmen kann. 1970 hatten wir mit der „Aula“ ein Gastspiel im Westen. Da gab es schon Überlegungen, drüben zu bleiben. Aber ich hatte eine Familie, die ich nicht nachholen konnte.

Wolfgang Winkler
Zitat 2008: „Popularität ist was ganz Furchtbares, aber noch furchtbarer ist es ohne. Als Schauspieler trittst du ja auch ein bisschen an, um erkannt zu werden.“ © Nikola 2018

Wie schätzen Sie die Zeit seit der Wende für sich persönlich ein?
Ich hatte irgendwie Schwein. Für mich gab es kein schwarzes Loch. Ich durfte gleich eine Serie drehen, hätte im Theater weiter spielen können. Aber an Freunden, die nichts mit der Schauspielerei zu tun haben, sehe ich: Viele sind auf der Strecke geblieben, die nichts dafür können, weil die gesellschaftlichen Umstände so sind. Dass diese Gesellschaft Solidarität vermissen lässt, belastet mich schon – und ärgert mich auch.

Welche Phasen Ihres Lebens würden Sie gern noch einmal erleben?
Ich bin so ein alter Nostalgiker und fahre dann auch da hin, wo ich schöne Zeiten erlebt habe. Aber es funktioniert nicht mit dem Zurückholen der Zeit, weil sich der Ort verändert hat, die Menschen nicht mehr da sind. Aber das ist der Lauf der Welt, weil sich alles weiterentwickelt.

Es gibt ein Kapitel in Ihrem Leben, das auf der Schattenseite liegt. Ihre Frau Renate, die Mutter Ihrer beiden Kinder, war Alkoholikerin. Sie starb 1999. Inwieweit fühlten Sie sich verantwortlich für Ihre Krankheit?
Man fühlt sich immer schuldig oder glaubt, Schuld daran zu tragen. Aber es liegt in der Chemie des menschlichen Körpers begründet, ob einer Alkoholiker wird oder nicht. Ich habe alles versucht, sie von dieser Sucht abzubringen. Doch das funktioniert nur, wenn es der  Betreffende auch selbst will. Das hat sie leider nicht geschafft.

Sie sind bei den Großeltern aufgewachsen. Ihre Mutter konnte sich nicht um sie kümmern, Ihren Vater kennen Sie nicht. Hat Sie das in Ihrem Verhältnis zu Ihren Kindern beeinflusst?
Das weiß ich gar nicht. Meine Frau und ich haben den Kindern vorgelebt, und da das zwei prächtige Menschen geworden sind, haben wir wohl keine Fehler gemacht. Ich glaube auch, dass ich gar nicht so ein toller Vater gewesen bin. Als junger Schauspieler ist man sehr egoistisch, was den eigenen Beruf betrifft. Obwohl ich beide sehr geliebt habe, war der Egoismus zum Beruf stärker als die Lust Vater zu sein.

Haben sie Ihnen jemals Vorhaltungen gemacht?
Sie haben kritisch angemerkt, dass etwas mehr Kümmern hätte sein können. Was ich verstehe. Für unser gutes familiäres Verhältnis blieb das ohne negative Konsequenzen.

Ihre Großeltern haben Ihnen die Eltern ersetzt. Was haben Sie Ihnen an Gutem mitgegeben?
Zu haben mich zu Ehrlichkeit erzogen, zu einer gewissen Aufrichtigkeit. Das haben sie mir auch vorgelebt und das habe ich verinnerlicht. Ohne in größere Sphären vorzudringen bin ich ein ganz normaler Mensch geworden, nicht zu Höherem geboren.

2005 trafen Sie die Tanzpädagogin Marina Groth wieder, mit der Sie 1973 eine Affäre hatten. Für die es aber damals keine Zukunft gab. 32 jahre später schon.  2008 haben sie geheiratet. Ihre Frau ist 12 Jahre jünger. Kommen Sie sich alt vor?
Manchmal, wenn ich die Treppe runtergehe und nicht mehr drei Stufen auf einmal nehmen kann, merke ich, dass ich älter geworden bin. Ansonsten nicht. Weil ich es ablehne, alt zu werden. Ich kann mich nicht darauf einlassen, zu sagen, jedes Alter hat seine Schönheiten. Man muss mit den Gegebenheiten des Alters leben, aber schön ist es meistens nicht.

Also hat es Sie richtig geärgert, dass Sie am 2. März wieder ein Jahr älter geworden sind?
Ja. Man fängt an zu sagen: Ich bin ja bald 80. Früher hat man sich gern älter gemacht, um ins Kino zu kommen. Jetzt macht man sich älter, um zu hören: Ach, das sieht man Ihnen gar nicht an. Den Satz hört man ja gern. Aber eigentlich ist er auch Mist.

 

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Wolfgang Winkler, Marie Gruber und Jaecki Schwarz ermittelten bis 2013 im MDR-„Polizieruf 110“ © mdr/Steffen Junghans

Am 8. Februar  erlag Ihre langjährige befreundete Kollegin Marie Gruber ihrer Krebserkrankung. Sie war erst 62 Jahre. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie es erfuhren?
Man überlegt, wie das sein kann. Aber man ist gut beraten, die Angst nicht an sich ran zu lassen, dass es einem selbst passieren könnte. Man will ja weiterleben.

 

Wolfgang Winkler kam am 2. März im Kriegsjahr 1943 in Görlitz zur Welt. Er starb am 7. Dezember 2019 in Berlin.

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Wally Schmitt und Wolfgang Winkler zum 76.: „Was jetzt kommt, sind lauter schöne Zugaben“

Per Zufall stieß ich in meinem Archiv auf mein Doppel-Interview, das ich vor sechs Jahren mit Walfriede Schmitt und Wolfgang Winkler gemacht habe, und erinnerte mich, wieviel Spaß wir dabei hatten über Alter und Sex, Enkelkinder und ein Rentnerdasein zu reden, das beide nicht wollen. Der Anlass war damals der 70. Geburtstag der Schauspieler. Beide Märzkinder des Jahres 1943 – sie wurde am 9. März 76, er feierte sieben Tage zuvor, am 2. März.  Freunde, Vertraute sind sie seit ihren ersten Schritten auf dem beruflichen Weg.

Szene aus „Kalendergirls“ mit Renate Blume, Uta Schorn, Angelika Mann Wally Schmitt und Ursula Karusseit
Die „Kalender Girls“ in der Dresdner Comödie –  Renate Blume, Uta Schorn, Angelika Mann, Walfriede Schmitt und Ursula Karusseit († 1.2.2019) © Robert Jentzsch

Seit einigen Jahren findet Walfriede Schmitt nicht mehr so häufig auf dem Bildschirm statt. Das findet sie nicht so schklimm. Zuletzt sahen wir sie 2017 in der Episode „Schmerzhafte Einsichten“ der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ und 2018 in „SOKO Leipzig – Missing in Action“. Davor begeisterte sie 2013 in der Dresdner Comödie in „Kalendergirls“ und drei Jahre später in der Komödie „(K)ein guter Tausch“. Mit dem österreichischen Regisseur und Filmproduzenten Christian Frosch hatte sie bereits für sein Kinodrama „Von jetzt an kein Zurück“ zusammengearbeitet. Seine autobiografisch gefärbte Geschichte ist im katholisch geprägten Milieu einer westdeutschen Kleinstadt 1967 angesiedelt und Walfriede Schmitt spielt die gewalttätige Klosterschwester Agathe. „Mit der Aufarbeitung von Gewalt und Missbrauch in ihren Mauern und den Folgen für die Betroffenen tut sich die katholische Kirche ja bis heute schwer“, nimmt Wally Schmitt Stellung. Dem Puls der Zeit spürt die Schauspielerin auch in ihren literarisch-musikalischen Programmen nach. Aktuell mit ihrem Tucholsky-Abend  „Affenkäfig Berlin“, bei dem sie von dem bekanntn Jazz-Posaunisten Conny Bauer begleitet wird.  22 Jahre gehörte die Berlinerin zum Ensemble der Berliner Volksbühne, arbeitete mit namhaften Theaterregisseuren wie Benno Besson, Heiner Müller, Matthias Langhoff, Frank Castorf, Christoph Schlingensief und Johann Kresnik zusammen. Inzwischen hat sie sich selbst aufs Schreiben verlegt. Nach ihrem Erstling „Gott ist zu langsam“ (Thurneysser Verlag) arbeitet sie nun an einem zweiten Buch.

André Kowalski
Wolfgang Winkler beim Interview 2013  © André Kowalski

Für Wolfgang Winkler hat sich sein Wunsch, nach dem Abschied vom „Polizeiruf 110“ noch mal mit einer schönen Altersrolle beschenkt zu werden, erfüllt. Seit 2015 bringt er mit seinem kongenialen Partner Tilo Prückner in der ARD-Vorabendserie „Rentnercops“ die Zuschauer zum Schmunzeln. Zwei reaktivierte Kommissare a. D., Konkurrenten und Freunde in einem, lösen im Zeitalter der digitalen Technik auf analoge Weise kleine und größere Kriminalfälle.  Humorige Dialoge, die wie ein Nadelstich in die Alltagsrealität pieken, sind die Würze in den Geschichten.

Wolfgang erhebt sein Glas: „Lasst uns auf den Jahrgang 1943 anstoßen.“

Wie  geht es euch, wenn ihr daran denkt, jetzt das siebte Lebensjahrzehnt  angebrochen zu haben?
Wally: Ich weiß nicht, wie es dir geht Wolfgang, aber je älter ich werde, desto erstaunter gucke ich in den Topf, der diese Welt ist. Und bei der Vorstellung, dass ich am 9. März aufwache und mir sage, ich bin jetzt 70 Jahre auf der Welt, muss ich lachen. Das bringe ich mit mir nicht zusammen. Deshalb sage ich ganz oft: Kinder, lasst mich in Ruhe, ich bin schon alt. Damit ich das verinnerliche. Das Alter hat ja auch eindeutig Vorteile, man wird mit sich einig, hat mehr Freude an seinem Ich, weiß mehr! Gut, man hat’s auch in den Gelenken, wird ein bisschen vergesslich…
Wolfgang: Die Vergesslichkeit macht mir manchmal Sorge. Hatte ich früher was vergessen, habe ich das nicht so ernst genommen. Aber jetzt denke ich: Ist das der Beginn von Demenz?
Wally: Ach, Quatsch! Du musst dich nur daran erinnern, wo du das gedacht hast, und genau an den Platz zurückgehen. Da hängt der Gedanke noch an der Decke. Wenn er dich sieht, plumpst er runter. Aber wahrscheinlich erinnerst du dich nicht an den Platz…
Wolfgang: Manchmal funktioniert’s ja. Das tröstet mich dann auch.

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In der DDR waren sie beide A-Promis © André  Kowalski

Macht euch das Alter in irgendeiner Weise Angst?
Wolfgang: Es gibt ja nur die zwei Möglichkeiten: früher Tod oder alt werden. Da wähle ich lieber die zweite.
Wally: Neulich hat eine Freundin zu mir gesagt: „Jetzt haben wir schon zwei Drittel hinter uns…“ Ich fragte, von welchen zwei Dritteln redest du? Es ist getan. Es ist getan! Was jetzt kommt, sind lauter schöne Zugaben.
Wolfgang: Du hast vollkommen recht, Wally.
Wally: Das sind Geschenke. Da kann man sich drüber freuen, jeden Tag, jeden Moment!

Drängt es euch nicht mehr zur Arbeit?
Wolfgang: Doch, ja, der Ehrgeiz ist noch da. Ich würde gern noch richtig viel spielen, weil ich in mir noch Kraft und Saft spüre.  Da ich nicht zu den A-, sondern zu den B-Promis gehöre, kommt leider nicht mehr soviel. Was im Augenblick noch nicht ins Gewicht auffällt, weil Jaecki und ich mit unserem Buch unterwegs sind. Gäbe es das nicht, wäre es wahrscheinlich komplizierter. Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, ist nicht so angenehm.

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Walfriede Schmitt mit Bürger Lars Dietrich in „(K)ein guter Tausch 2015 in der Dresdner Comödie  © Robert Jentzsch

Wally: Ich schreie nicht mehr nach Arbeit. Als die Serie „Für alle Fälle Stefanie“ 2004 beendet war, hatte ich natürlich damit gerechnet, dass man sich nach mir „sehnt“. Aber ich bin weder gekränkt noch unglücklich, dass sich die Angebote in Grenzen halten.  Ich schreibe – 2009 erschien mein Roman „Gott ist zu langsam – Also denn um sechse bei Werner“ – bin mit meinen literarisch-musikalischen Programmen unterwegs. Habe zweimal an der Komödie am  Ku’dammspielen dürfen. Jetzt spiele ich an der Comödie Dresden „Kalender Girls“. Und ich habe vor vier Jahren eine  künstlerische Heimat in Thomas Rühmanns „Theater am Rand“ in Zollbrücke gefunden. Da wird mein Buch als szenische Lesung aufgeführt. Also ich werde mich auch in Zukunft nicht langweilen…
Wolfgang: Und dann hat sie in Mecklenburg ein wunderschönes Häuschen mit Garten. Da durften Jaecki und ich schon zu Gast sein …
Wally: Und ihr habt meine Nachbarin „verhaftet“. Daraus ist sie noch heute stolz.

Walfriede Schmitt und Kollege Wolfgang Winkler mit Bärbel BeuchlerDas Geburtstagsinterview 2013 ©André Kowalski

War das Schreiben für dich eine Flucht in neue Beschäftigung?
Wally: Nein, ich hatte mal für mich eine Figur erfunden, so eine Miss Marple, und habe das einem befreundeten Autor gezeigt. Der hat mich dann ermutigt, weiterzuschreiben. Das war kein Ausreißen, sondern eine völlig getrennte Geschichte, die mir zum Glück geworden ist. Wenn ich in meinem Häuschen sitze, und ich merke, was ich für ein Leben in mir habe, wie das in meinem Gehirn wirbelt, was da für Ideen sind. Da brauche ich keine Anrufe.
Wolfgang: Dieses Talent hätte ich auch gern.

Euch zu beobachten ist herrlich. Wie lange kennt ihr euch eigentlich?
Wolfgang: Ewigkeiten. In Halle standen wir in Schillers „Räuber“ zusammen auf der Bühne. Sie war Amalia, auf die alle scharf waren, der Franz, der Karl und der Grimm – also ich.
Wally: Ein ganz starkes Erlebnis ist für mich die Fernsehproduktion „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“, die wir 1973 in Halle fürs Fernsehen aufgezeichnet haben. Eine herrliche  satirische Komödie von Bulgakow.
Wolfgang:  Es ist eine sehr schöne Arbeit geworden!  Das Fernsehspiel wurde dann aber wegen vermeintlicher politischer Spitzen nicht gesendet. Ein halbes Jahr später kam der sowjetische Film mit einem Riesenerfolg in die Kinos.

Ändert man mit dem Älterwerden seine Essgewohnheiten?
Wally: Essen ist der Sex des Alters. Ich versuche, Trennkost zu essen, so lange ich das durchhalte.
Wolfgang: Ich esse kaum noch was… (lacht)

Und wie ist das mit dem echten Sex?
Wally: Bärbel, die Liebe höret nimmer auf…
Wolfgang: Ich bin doch noch jung verheiratet, was glaubst du denn!

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Ohne Frage, Sex im Alter muss sein © André Kowalski

Guckt ihr sexy Typen hinterher?
Wally: Aber immer! Ob Mann oder Weib, ein schöner Körper ist inspirierend.
Wolfgang: Ich kann nicht sagen, dass ich weggucke, wenn ich eine  schöne Frau sehe!
Wally Bei Männern ist das ja immer noch was anderes als bei einer alten Frau. Alte Männer können immer noch eine Chance haben. Die Welt ist ja noch von männlichem Denken dominiert. Das kannst du an fast jeder Plakatsäule sehen. Die Frau ist noch lange nicht gleichberechtigt, obwohl es im letzten Jahrhundert viel schöner und freier geworden ist.
Wolfgang: Du hättest Wally mal als Amalia sehen sollen! So eine Wespentaille! Wir Räuber waren hin und weg.
Wally: Siehste Wolfgang, und das habe ich gar nicht richtig wahrgenommen. So ist das mit den Selbstzweifeln.

Was haltet ihr von der Sexismus-Diskussion?
Wally:
Das ist lächerlich.
Wolfgang: Ich mache meine Späße drüber … Diese Diskussion ist ungesund.
Wally: Und sie ist spießig.

Denkt man mit 70 schon über den Tod nach?
Wally:  Man sollte sich schon darauf vorbereiten, weil der Tod das Einzige im Leben ist, was todsicher ist. Nur schade, dass man hinterher nicht davon erzählen und sagen kann: So schlimm war’s gar nicht. Ich bin einverstanden. (lacht): Ich kann mir eine Welt ohne Wally so schwer vorstellen.
Wolfgang: Mir ist schon lange  klar: Wenn du weg bist, geht das Leben einfach normal weiter, wie immer.
Wally: Ja, das ist ja das Dumme! Man ist nicht mehr dabei.

Von welchen Eitelkeiten habt ihr euch verabschiedet?
Wolfgang: Früher hatte ich mit Eitelkeiten nichts am Hut. Jetzt plötzlich komme ich eben darauf, abzunehmen. Um meine Knochen weniger zu belasten. Und man sieht natürlich auch besser aus! Das gefällt mir schon.
Wally: Meine Eitelkeiten sind im Laufe der Jahre auf ein Minimum geschrumpft. Und ich  würde auch nicht sagen, dass ich nicht mehr kämpfe! Doch ich wäge ab, ob sich der Einsatz lohnt.

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Vertraut, befreundet für immer © André Kowalski

Was erhofft Ihr euch noch für die letzten Lebensjahre?
Wolfgang: Noch denke ich, es muss doch noch was kommen. Ich will ja spielen.
Wally: Du darfst auch nicht aufhören, noch etwas zu wollen. Das Alter wird erst gefährlich, wenn du darauf hörst. Und du hast Recht, Schauspielen ist eine Sucht. Du kannst für dich beschließen, dich in dein Dorf zurückzuziehen. Da genügt ein Anruf: „Wir machen jetzt „Kalender Girls“ und würden Sie gern dabei haben, Frau Schmitt“, und schon erwacht der Spieler!

Wie feiert Ihr euren Geburtstag?
Wolfgang: Meine Kinder haben etwas in Görlitz organisiert – vielleicht ein Essen mit Nicolas Cage.
Wally: Ich war noch nie in Görlitz.
Wolfgang: Da musst du aber noch mal hin – vor dem Tod.
Wally: Hetz mich nicht.
Wolfgang: Ich habe ja nicht gesagt, dass du in den nächsten zehn Jahren fahren sollst…

 

Morten Grunwald – der ewige Benny. Die Olsenbande wird 50!

Dieser Tagen im Juli 1968 gingen im Kopenhagener Vorort Valby die Dreharbeiten für den ersten Coup der „Olsenbande“ zu Ende. Wer erinnert sich nicht: Nach einem missglückten Einbruch in ein Zigarrengeschäft wandert Egon Olsen ins Kittchen und kommt nach zwei Jahren mit einem „genialen“ Plan wieder raus. Mit Werkzeugen wie Wollknäuel, Stricknadel und Kaugummi will er mit seinen Kumpels Kjeld Jensen und Benny Frandsen das Nationalmuseum um einen kostbaren Schatz „erleichtern“ . Alle drei träumen vom großen Geld. Sie haben die Nase voll von ihrem eintönigen Alltagsleben, dem Malochen, wenn sie gerade mal einen Job haben. Ab in den Süden und es sich gut gehen lassen – das ist ihr Ziel. Egon Olsen, Gentlemanverbrecher, erfindungsreich und Perfektionist, ist Chef und Namensgeber der Olsenbande. Seine Spezialität ist das Knacken von Tresoren, wozu er nicht mehr braucht als ein Stethoskop und Fingerspitzengefühl am Zahlenschloss. Sie tricksen den tollpatschigen Polizei-Assistenten Mortensen und den schießwütigen Provinz-Sheriff aus. Trotzdem landet Egon am Ende wieder hinter Gittern und kann neue Pläne schmieden.

Morten Grunwald
Morten Grunwald (Benny Frandsen in Filmreihe „Die Olsenbande“ am 5. April 2018 zu Besuch in der dänischen Botschaft in Berlin © Uwe Toelle/SUPERillu

In Dänemark klingelten die Kinokassen nur so, denn das Gauner-Trio hatte die Herzen des Volkes erobert. Ein Millionen-Coup für die Produktionsfirma Nordisk Film und Start für dreizehn weitere, von Drehbuchautor und Spezialeffekte-Mann Henning Bahs und Regisseur Erik Balling ausgetüftelte Kriminalkomödien, wie es sie seit Chaplins Zeiten nicht mehr gab. Ove Sprogøe (Egon Olsen), Morten Grunwald (Benny) und Poul Bundgaard (Kjeld) erlangten als Protagonisten der „Olsenbande“ weit über die Grenzen ihres Heimatlandes hinaus Kultstatus. Sprüche wie Egons „Ich habe einen Plan“ oder Bennys „Mächtig gewaltig, Egon“ sind geflügelte Worte geworden. Insbesondere in der ehemaligen DDR.

Morten Grunwald
Ein kariertes Sakko trägt Morten Grunwald immer noch. Die gelben Socken sind passé ©Uwes Tölle/SUPERillu

Ich traf Morten Grunwald bei einer Talkshow in der dänischen Botschaft. Für Millionen Fans wird der Schauspieler und Theaterleiter immer Benny sein, der lange Kerl mit dem braunkarierten Sakko und den gelben Socken unter Hochwasserhosen, der als unbekümmerter Bruder Lustig linkisch hinter seinem Chef Egon herhüpft.

Herr Grunwald, 50 Jahre Olsenbande, mit welchen Gedanken blicken Sie zurück?
Damals hat keiner von uns geahnt, dass unsere Arbeit eine solche Erfolgsgeschichte werden würde, denn der zweite Film, „Die Olsenbande in der Klemme“, brachte nicht den gleichen Erfolg. Für einen neuen Versuch fehlte Geld. 1971 ging es weiter. Mit der genialen Filmkulisse und der Geschichte „Die Olsenbande fährt nach Jütland“ haben sich Bahs und Balling selbst übertroffen. Von da an wartete das Publikum sehnsüchtig auf eine Fortsetzung im nächsten Herbst. Es stimmt mich wehmütig, dass fast alle, die an den Filmen mitgewirkt haben, nicht mehr unter uns weilen.

Morten Grunwald
Morten Grunwald gibt in der dänischen Botschaft in Berlin Autogramme ©Uwe Tölle/SUPERillu

Eine Zäsur gab es 1974. Mit dem sechsten Streich sollte die Reihe enden.
Sechs Filme lang war die Olsenbanden-Saga bis ins Kleinste erzählt. Wir Drei – Ove, Poul und ich – waren darauf gefasst, dass Schluss ist. Dann brachte Balling das Manuskript für „Die Olsenbande stellt die Weichen“. Ein programmatischer Titel. Es gab fortan Schauplätze, die den Autoren Platz für Parodien und Satire boten.

Wie ist die „Olsenbande“ überhaupt entstanden?
Die Idee hatte Hennig Bahs schon im Kopf, als wir 1967 in Piräus die Filmkomödie „Martha“ drehten. Bei Nachtaufnahmen skizzierte er die Geschichte von drei Gaunern, die in Valby leben. Kleine Leute, die, komme, was wolle, reich werden wollten. Balling und Bahs hatten für die Rollen von Anfang an Ove, Poul und mich im Auge, weil wir gut harmonierten, und schnitten die Charaktere auf uns zu. So war es für uns nicht schwierig, in die Figuren zu schlüpfen.

Morten Grunwald
 Morten Grunwald ließ uns hinter die Kulissen blicken ©Uwe Toelle/SUPERillu

Wie war das Arbeiten?
Völlig unkompliziert. Wenn wir morgens nach Valby kamen, brachte Ove auf seinem Fahrrad eine Karton mit Pfannkuchen vom Bäcker mit. Manchmal gab es in Ballings Büro einen Schnaps. Ove war sehr humorvoll. Es schmerzte ihn, dass Balling ihm als Egon nicht ein bisschen davon gönnte. Poul hingegen war wie Kjeld, der gute Freund, der Wogen glättete, aber auch losschimpfen konnte.

Was verbindet einen Theatermann wie Sie mit dem fröhlich hüpfenden, tänzelnden Benny?
Ich fühlte mich in der Rolle wie ein Fisch im Wasser. Es war ein unbeschwertes und anregendes Arbeiten. Das ganze Gegenteil meines Theaterlebens. Als Schauspieler, Regisseur und Intendant musste ich immer auf mehreren Hochzeiten tanzen, hatte Hindernisse zu überwinden. Benny hat eine Gabe glücklich zu sein, um die man ihn beneiden kann. Ich habe ihn geliebt, aber manche Szenen kosteten mich Überwindung. Zum Beispiel als er in der Spielzeugfabrik an Bälle klopft, die dann komische Laute von sich geben. Oder als er Lachdosen verkaufen sollte. Da hatte ich ziemlich zu schlucken. Doch wer zu Balling kam, musste in Topform sein. Also habe ich meine gute Laune mobilisiert und mich hineingestürzt.

Morten Grunwald
©Uwe Tölle/SUPERillu

Die Olsenbande hatte Millionen Fans in der DDR. Waren Sie eigentlich mal da?
Ja, DDR-Fernseh-Intendant Heinz Adameck hatte uns für den 26. Dezember 1982 persönlich zur „Nacht der Prominenten“ eingeladen, uns Kaviar und Krim-Sekt geschickt, damit wir auch wirklich kommen. Wir kamen alle drei in unseren Kostümen, liefen das Manegenrund im Zirkus ab und gingen dann auf eine Bühne, wo ein riesiger Tresor stand – natürlich ein Modell Franz Jäger. Egon hat ihn geknackt, und da sprangen unsere Synchronsprecher heraus. Damals lernte ich meine Synchronstimme, den Schauspieler und Kabarettisten Karl-Heinz Oppel, kennen. Wir waren uns sympathisch. Ich finde bis heute, dass die Filme durch die hervorragende DEFA-Synchronisierung sehr gewonnen haben. Ich sagte damals: „Die Dialoge sind besser als im Original.“

Morten Grunwald
Morten Grunwald signiert ein Portät seines zweiten Ichs ©Uwe Tölle/SUPERillu

Wie war die Begegnung mit ihren Fans in der DDR?
Das war unglaublich. Wo wir gingen und standen, überall kamen die Menschen auf uns zu. Und im Café durften wir nicht mal unseren Kaffee selber bezahlen. Wir sind dann natürlich auch über den Checkpoint Charlie nach Westberlin gegangen, und da hat sich niemand für uns interessiert. Das brachte uns wieder auf den Boden der Tatsachen.

Was haben die Filme für Ihre Karriere bedeutet?
Ich habe nicht den Eindruck, dass „Die Olsenbande“ etwas Spezielles in meinem Leben bewirkt hat. Es war, wie Poul Bundgaard (Kjeld) sagte: „Wir haben auch anderes gemacht. Natürlich waren es insgesamt 14 Olsenbanden-Filme, die wir gedreht haben, und sie haben einen Teil meines Arbeitslebens ausgemacht. Aber es gibt noch so vieles mehr. Ich habe in 73 anderen Filmen mitgewirkt. Ich habe Theater gespielt, inszeniert. Ich war oft zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. Manchmal war es so ein Glücksumstand als würde man in die Nationalmannschaft gewählt.

Als die Kirsten Walther, die Darstellerin der Yvonne, 1987 starb, war die Filmreihe beendet. Trotzdem haben Sie 1998 noch einmal einen Film gedreht. Wie kam das?
Als wir 1996 in unseren Kostümen in Kjelds Wohnzimmer saßen, weil wir mit unserem alten Regisseur Erik Balling einen Werbefilm für einen dänischen Energieversorger gedreht hatten, „Der Energiesparplan der Olsenbande“, fühlten wir uns so, als hätten wir uns erst am Tag zuvor verabschiedet. Nach zwei Tagen waren wir fertig, guckten uns fragend an: Und was wir morgen?  – Am besten einen Film, kam es wie aus einem Munde. Wir brauchen ja nur eine Packung Kaugummi, eine Rolle Garn – und drei Rollstühle (lacht). Das inspirierte Balling zu einer neuen Geschichte: Egon ist senil geworden und in psychiatrischem Gewahrsam gelandet. Er denkt sich immer groteskere Pläne aus, die sorgfältig protokolliert und in einem „Institut für theoretische Kriminalität“ , das Bahs erfand, aufbewahrt werden. Wir sind zwar alle alt geworden, aber die Gesellschaftssatire steckt uns noch immer im Blut. Am 18. Dezember 1998 hatte der Film in Dänemark Premiere.

Morten Grunwald
 ©Uwe Tölle/SUPERillu

Was war Ove Sprogoe für ein Mensch?
Ove war ein sehr besonderer Freund, ein großer Teil meines Arbeitslebens. Wir kannten uns über 40 Jahre und haben mehr als 40 Filme und Theaterproduktionen zusammen gemacht. So wie Ove arbeitete war, er selbst. Was ihn auszeichnet, Temperament, Liebe zu seinen Mitmenschen, er war sehr sozial, ein großer Humanist, und er hatte einen sehr warmen Humor. Diese warme gute Laune war die Grundlage seines Charakters.

Heute kommuniziert man viel übers Internet, Facebook, twittert. Haben Sie da Berührungsängste?
Nein, ich nutze das Internet. Vor allem dann, wenn ich etwas über Menschen wissen will, die mich interessieren. Auf der Leipziger Buchmesse 2012 habe den Autor Uwe Tellkamp kennengelernt, ein großer Olsenbanden-Fan. Neulich war ich Harold-Pinter-Filmseminar und habe erlebt, wie er in seinen eigenen Filmen gespielt hat. Ich war ganz begeistert. Im Internet findet man sehr lange Filmsequenzen mit ihm. Harold Pinter war ein britischer Theaterautor und Regisseur, Literaturnobelpreisträger. Er starb 2008.

Sie tragen ein Metallarmband am rechten Handgelenk. Was bedeutet das?
Das ist ein Silberarmband mit der Gefangenen-Nummer 6 66 4 von Nelson Mandela. Diese Armbänder werden weltweit verkauft und der Erlös geht in die Nelson-Mandela-Foundation zur Bekämpfung von Aids. Die Foundation hat weltweit Botschafter. In den USA ist das Morgan Freeman, in Dänemark gehöre ich mit drei anderen Prominenten dazu. Mandela ist für mich eine der wenigen großen Persönlichkeiten, die die Welt zu einen besseren Ort gemacht haben. Deshalb unterstütze ich seine Stiftung.

Morten Grunwald
©Uwe Tölle/SUPERillu

Sind Sie ein eher ernster oder frohgemuter Charakter?
Sowohl als auch. Allerdings hüpfe ich nicht wie Benny vor Freude. Das ist nicht unbedingt charakteristisch für mich. Balling beobachtete meine Theaterarbeit, und mit den Jahren fügte er Bennys Bewunderung für Egons Ideen kritische Nuancen hinzu. Ich durfte skeptisch sein.

Die Olsenbande wollte reich werden. War das auch Ihr Traum?
Naja, ich bin der glücklichen Lage, dass ich solche Träume nicht zu haben brauchte. Ich war unglaublich privilegiert. Vom Abschluss der Schauspielschule an hatte ich keinen freien Moment. Ich hatte immer eine wunderbare Arbeit, immer zu tun. Ich habe meine große Liebe, die Schauspielerin Lily Weiding, geheiratet, habe Kinder, Enkel, ein Haus, Bilder, Bücher… dafür bin ich dankbar. Und ich teile dieses Glück, in dem ich den Menschen mit meiner Arbeit Freude mache.

Morten Grunwald
Morten Grunwald wurde am 9. Dezember 1934 im dänischen Odense geboren ©Uwe Tölle/SUPERillu

Ihre Frau hat Ihnen vor fast 20 Jahren das Leben gerettet.
Ich wog 40 Kilo mehr als heute und litt an Diabetes II. Hätte meine Frau nicht darauf gedrungen, dass ich meinen Le­­bens­­stil ändere, gäbe es mich nicht mehr. Wir haben das in den Griff bekommen, doch die Krankheit lauert wie eine Kobra im Körper. Sie kann jederzeit zuschlagen, wenn ich nicht aufpasse.

War das ein Grund, sich 2017 vom Theater zu verabschieden?
Wenn man alt wird, ich bin 83, gibt es Einschränkungen. Ich kann die physischen Anforderungen, die die Bühne verlangt, nicht mehr bedienen. Aber eine angemessene Filmrolle würde ich gern annehmen.

Kulturtipp:

Vom 4. Juli 2018 bis 17. Februar 2019 zeigt das Filmmuseum Potsdam die Sonderausstellung „Mächtig gewaltig. Die Olsenbande im Museum“ . Zu bestaunen sind originale Exponate aus den Filmen, die Akteure  Egon, Kjeld, Benny und Yvonne werden vorgestellt, ebenso die Menschen hinter der Kamera.

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Die Olsenbande eruiert im Filmmuseum Potsdam die Lage: Egon (Ove Sprogøe), Kjeld (Poul Bundgaard) und Benny (Morten Grunwald)  ©Michael Lüder/FMP

Das kleine, feste Team um Drehbuchautor und Spezialeffekte-Erfinder Henning Bahs und Regisseur Erik Balling spielte eine wichtige Rolle im dänischen Kino und Fernsehen. Sie produzierten weit mehr, als nur die „Olsenbanden“-Filme. Ein hauptsächlicher Fokus der Ausstellung widmet sich der Frage, wie die dänischen Filme ein Teil der ostdeutschen Identität werden konnten. An ihre ungeheure Medienpräsenz in der DDR, weit über die Olsenbanden-Filme hinaus, wird die Ausstellung ebenso erinnern.

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Vom 4. Juli 2018 – 17. Februar 2019 ist „Die Olsenbande“ im Filmmuseum Potsdam ©Michael Lüder/FMP

An allererster Stelle steht jedoch der familienfreundliche, große Spaß, den die Filme auch heute immer noch bereiten. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Kunsthalle Rostock und unendlich vielen Leihgebern aus Dänemark und Deutschland. Ein umfassendes Begleitprogramm mit einer Retrospektive aller Teile in Kooperation mit dem rbb Fernsehen und ein Konzert mit Jes Holtsø, dem ehemals kleinen Børge sind geplant, auch einige Macher werden zu Gast im Filmmuseum sein.

De Olsenbande kommt nach Potsdam

Wolfgang Winkler: „Ich bin ein Zweckpessimist

Er hat am 2. März seinen 75. Geburtstag gefeiert. Ohne großes Brimborium, nur mit seiner Familie. Jetzt sitzt er wieder über seinen Texten für neue Folgen der ARD-Vorabendserie „Rentnercops“, legt das Drehbuch aber zur Seite, als ich ihn für ein Interview in Berlin-Karow besuche. Vor vier Jahren hat er mit dem Sohn seiner Frau Marina hier ein Zweifamilienhaus gekauft. „Mehrere Generationen unter einem Dach, so wie es früher üblich war, finde ich ganz gut. Man büßt zwar etwas von seiner Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit ein, dafür hat es den Vorteil, dass wir mit jungen Menschen zusammenleben“ , sagt er und lässt mich über die Terassentür ein. Die Sonne durchflutet den großzügigen, gemütlichen Wohnraum mit einem langen Esstisch vor der offenen Küche, an den wir uns setzen.  Der Schauspieler wirft die Kaffeemaschine an. „Latte Macchiato oder Espresso?“ fragt er. Ich nehme Milchkaffee, er einen doppelten Espresso.  Wann gehen die Dreharbeiten für „Rentnercops“ wieder los, will ich wissen, mit Blick auf das Drehbuch auf dem Tisch. „Im April“, antwortet er. „Ich lerne aber schon weit davor meinen Text.“

Wolfgang Winkler
Schauspieler Wolfgang Winkler mit der Autorin Bärbel Beuchler  Foto © Nikola

Du bist jetzt 75 geworden. Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es sein würde, wenn du nicht mehr auf der Bühne oder vor der Kamera stehst?
Das würde mir schon schwer fallen. Ich wüsste nicht, ob ich die Charakterstärke hätte, das so ohne weiteres zu akzeptieren. Es sei denn, eines Tages ist die Einsicht da, dass ich mir den Stress nicht mehr antun muss, Rollen auswendig zu lernen und Angst zu haben, Texte nicht mehr abrufen zu können. Aber am Firmament sehe ich diesen Tag noch nicht. Schauspieler sind eben bekloppt – zumindest ich.

2012 wurdest du mit Jaecki Schwarz nach 17 Jahren „Polizeiruf 110“ in Rente geschickt. Bis zum Beginn der „Rentnercops“ 2015 sah man dich kaum auf dem Bildschirm.
Also ein reichliches Jahr war echt Drehruhe. Ich war zwar schon Rentner, aber als Schauspieler willst du immer weiter spielen. Ich hatte kleine Rollen in „SOKO Leipzig“, „Familie Dr. Kleist“ und bei „In aller Freundschaft“. Dann habe ich Theater gespielt, „Warten auf Godot“ 2013 in Koserow und 2014 mit Jaecki Schwarz in Halle. Da hatten wir im April 2015 unsere letzte Vorstellung. Aber man wünscht sich auch im Alter noch mal eine große Rolle. Und wenn man so einen Figur bekommt, wie in „Rentnercops“, die auch noch dem Alter entspricht, ist das ein großer Glücksumstand.

Wolfgang Winkler
     Der Schauspieler wurde am 2. März 1943 in Görlitz geboren ©Nikola

Serie drehen ist anstrengend. Wie packst du das?
Man stößt schon mal an die Grenzen seiner Kraft. Geistig wie körperlich. Denn es ist ein hoher Aufwand zu bewältigen. Aber wenn du mit einem Kollegen wie Tilo Prückner spielst, mit dem du auf der gleichen Wellenlänge schwimmst, ist das die halbe Miete. Wir haben die gleiche politische Haltung, haben fast den gleichen Humor und können uns über vieles gleichermaßen amüsieren. Man bereitet sich mit 75 natürlich intensiver vor als mit 40 oder 50. Weit vorm Drehen lerne ich meinen Text, deshalb das Drehbuch auf dem Tisch. Ab April geht es mit acht neuen Folgen weiter.

Wie ähnlich ist dir die Figur?
Es gibt Parallelen. Der Ex-Polizist Günter Hoffmann lebt genau wie ich privat in einem Haus mit drei Generationen. Aber seine Pendanterie habe ich nicht. Zum Glück!

Wie hälst du dich für den Kraftaufwand fit?
Ich weiß nicht, wie ich Kraft speichere. Ich lebe verhältnismäßig faul, ohne Sport. Sicher wäre es besser, sich mehr zu bewegen. Aber durch meine Beinbrüche 2008 bin ich gezwungen, physiotherapeutischen Übungen zu machen. Das wirkt sich vielleicht ganz günstig aus. Ansonsten ist Sport mehr vorm Fernseher.

Dreharbeiten für die neue Vorabendserie haben in Köln und Umgebung begonnen
Wolfgang Winkler und Tilo Prückner in „Rentnercops“ @ARD/Kai Schulz

Wenn du dein inneres Spiegelbild betrachtest, wie alt ist der Wolfgang, der dich da ansieht?
Die Sicht auf das Alter hat sich ganz schwer geändert. In meiner Jugend waren 75-Jährige hornalt. Jetzt habe ich den Eindruck, mittendrin zu sein, dass noch einiges vor mir liegt. Ich bin zwar Rentner, habe aber noch gar keine Lust mich aufs Altenteil zu setzen. Dazu habe ich noch viel zu viel Spaß am Beruf.

Dein Weg zur Filmhochschule in Babelsberg führte über eine Lehre als Lokführer im Braunkohlenwerk „John Scheer“ bei Hoyerswerda. Was war falsch an dem Beruf, dass du umgeschwenkt bist zur Schauspielerei?
Nichts. In der damaligen Zeit war Lokführer ein Traumberuf. Meiner Großmutter zuliebe habe ich die Lehre gemacht. Sie hatte Angst, dass ich in dem „Milieu“ auf die schiefe Bahn gerate. Aber die Schauspielerei hat ganz andere Reize. Da kann der Lokführer nicht mithalten, wenn man in sich die Lust verspürt, zu spielen, sich zu verstellen. Im Wohnheim habe ich ein Kabarett gegründet. Da war nicht unbedingt die Lust, sich politisch zu äußern, sondern in Rollen auf der Bühnen zu stehen.

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Wolfgang Winkler 2013  ©André Kowalski

Du warst von dir sehr überzeugt und auch die FDJ-Leitung im  Werk. Sie haben an die Filmhochschule Bablesberg geschrieben. Du aber hast ein Vorsprechen abgelehnt, als man dich dazu eingeladen hatte.
Ja, das war ziemlich blöd. Ich dachte: Entweder die nehmen dich ohne oder gar nicht. Diese Einstellung habe ich umgehend aufgegeben, als die Werber für die NVA – damals gab es noch keine Wehrpflicht – mit einer Sondergenehmigung kamen, dass ich als 17-Jähriger auch zum Wehrdienst könne. Ich hatte denen nämlich bei ihren Besuchen in unserem Wohnheim sehr überzeugend vorgespielt, dass ich unbedingt zur Armee wollte, aber mit 17 leider noch zu jung sei.  In Uniform hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als für die Eignungsprüfung zu bimsen.

Deinen Traumberuf hast du 1978 in dem Kinderfilm „Des kleinen Lokführers große Fahrt“ ausüben dürfen.
Ja, da bin ich mit Lust und Laune die Diesellok gefahren. Im selben Jahr spielte ich einen Lokführer in „Spuk unterm Riesenrad“ und 2003 dann noch einmal in dem Fernsehfilm „Tage des Sturms“. Da haben wir in Polen gedreht und bekamen eine Dampflok aus dem Museum. Der Regisseur wollte immer, dass ich schön mit Dampf fahre und die vom Museum hatten Angst, dass die Maschine auseinanderfällt.

Mit welchen Vorstellungen bist du in den Schauspielerberuf gegangen?
Da war am Anfang viel Naivität. Ich wollte spielen, egal was. Aber es stellte sich schon ziemlich früh heraus, dass ich wohl in der Komik behaftet bin. Das sind bis heute die Rollen, die mir am meisten liegen. Die klassischen jugendlichen Helden wie Ferdinand oder Romeo sind an mir auch vorbeigegangen.

Hat dich das gekränkt?
Nee. Ich habe andere schöne Rollen gespielt. Die Diener sind meist interessanter als die schmalzenden Liebhaber. Und eine kleine substanzielle Rolle erlangt oft mehr Aufmerksamkeit als eine Hauptrolle, die man in den Sand gesetzt hat. Ich habe nie darunter gelitten.

Diener waren die Minderheit deiner Rollen, guckt man auf deine Vita.
Es ist tatsächlich ein breites Spektrum, das ich am Theater gespielt habe, von der klassischen Komödie bis hin zu Gegenwartsdramen. Gleich nach der Filmhochschule debütierte ich 1965 in Görlitz als Handwerker Zettel in Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“. In Zittau habe ich in Kants „Die Aula“ die diffizile Figur des Karl-Heinz Riek gespielt und in Rossows „Unterwegs“ den Wolodja. Um die Weihnachtszeit standen Märchen auf dem Programm.

Wolfgang Winkler
Schauspieler Wolfgang Winkler feierte seinen 75. Geburtstag ©Nikola

Welche Rolle hat für dich immer noch besonderen Wert?
Das ist der Sergeant Waskow in dem Kriegsdrama „Im Morgengrauen ist es noch still“. Mit sechs jungen, kampfunerfahrenen Rotarmistinnen zieht er in die karelischen Sümpfe, um zwei deutsche Fallschirmspringer gefangen zu nehmen. Sie stoßen auf eine Überzahl deutscher Soldaten. Die Mädchen fallen. Er überlebt als Einziger schwerverletzt. Das war die emotionalste Rolle, die ich je gespielt habe und es ist eins der besten Antikriegsstücke. Wir haben das Stück 1975 nach der Erzählung von Boris Wassiljew am Landestheater Halle inszeniert. Es wurde dann in allen Theatern der DDR nachgespielt.

Deine Karriere in Halle begann 1966. Warum bist du nach 20 Jahren weggegangen?
Ich habe Veränderung gesucht. Und unter Peter Sodann zu arbeiten ist nicht jedermanns Sache. Weil ich immer schon neben der Theaterarbeit sehr viele Fernsehrollen gespielt habe, konzentrierte ich mich darauf. Die Bühne blieb mir am Fernsehtheater Moritzburg, das wunderbare Lustspiele und Schwänke bis zum Abwickeln des DFF inszeniert hat.  Zur Wende 1990 war ich allerdings froh, dass mich Peter Sodann wieder genommen hat. Er hätte auch „tschüss“ sagen können.

Es gab für dich also nicht das „schwarze Loch“, in das so viele DDR-Bürger nach der Wende gefallen sind?
Ich hatte irgendwie Schwein. Nachdem ich 1993 bei Peter Sodann ein zweites Mal, nun endgültig, ausgestiegen bin, besetzte mich TV-Produzent Otto Meißnermit einer Hauptrolle in der Serie „Immer wieder Sonntag“. Es sind viele auf der Strecke geblieben sind, die nichts dafür können, weil die gesellschaftlichen Umstände so sind. Dass diese Gesellschaft Solidarität vermissen lässt, belastet mich schon. Und ärgert mich auch.

Erinnerst du dich noch an das Stück „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“, das 1973 in Halle fürs Fernsehen aufgezeichnet wurde?
Ja, eine herrliche ironische Komödie von Bulgakow, in der ich mit Wally Schmitt zusammen gespielt habe. In der Moritzburg war ein Essen aufgebaut, ein Riesenhecht, Truthähne… alles echt, weil das Kaschieren teurer gewesen wäre als die frischen Speisen. Frag nicht, wie das am Ende gerochen hat. Das Fernsehspiel wurde dann wegen vermeintlicher politischer Spitzen nicht gesendet. Ein halbes Jahr spä­­ter kam der sowjetische Film mit einem Riesenerfolg in die Kinos.

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Wolfgang Winkler in „Das Kaninchen bin ich“, DEFA 1965, mit Annemarie Esper (l.) und Angelika Waller (r.) Quelle http://www.spondo.de

Dein Filmdebüt hast du 1965 in Kurt Maetzigs Film „Das Kaninchen bin ich“ gegeben. Mit Alfred Müller und Angelika Waller in den Hauptrollen. Du hast ihren 19-jährigen Bruder gespielt, der wegen „staatsgefährdender Hetze“  zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Der DEFA-Film setzt sich mit dem Problem des Karrierismus auseinander, den es auch in der DDR gab. Der Film wurde verboten. Was ging damals in dir vor?
Die 60er Jahre waren eine hochgradige Zeit. Wir waren dachten, wir bauen schon die bessere Gesellschaft mit auf und haben an solchen Punkten einen Knacks gekriegt. Wir haben darüber diskutiert, wieso eine Auseinandersetzung mit der Abhängigkeit der Justiz von der Politik, um die es in dem Film ging, nicht öffentlich geführt werden durfte.

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„Das Kaninchen bin ich“ ein Verbotsfilm von Kurt Maetzig. DVD bei spondo.de

Hat das deine Haltung zur DDR verändert?
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer noch, auf der richtigen Seite zu stehen. Ich war von Hause aus so geprägt. Großvater war im KZ, Mutter in der Partei. Da gab es für mich keine Zweifel. Erst als die Überzeugung schwand, kamen opportunistische Gedanken auf. Man ist kritisch gewesen, aber nicht offensiv.

Wann hat das angefangen?
Ende der siebziger Jahre gab es vieles, womit ich nicht mehr einverstanden war. Es wurde immer klarer, dass mit dem ökonomischen und politischen Gefüge etwas nicht stimmen kann. Als wir 1970 mit der „Aula“ ein Gastspiel im Westen hatten, gab es schon Überlegungen, drüben zu bleiben. Aber ich hatte eine Familie, die ich nicht nachholen konnte.

 

Deine Großeltern haben dir die Eltern ersetzt. Was haben sie dir an Gutem mitgegeben?
Zu haben mich zu Ehrlichkeit erzogen und zu einer gewissen Aufrichtigkeit. Das haben sie mir auch vorgelebt und das habe ich verinnerlicht. Ohne in größere Sphären vorzudringen, bin ich ein ganz normaler Mensch geworden.

Dir ist eine angenehme Bodenständigkeit eigen.
Ja, ich bin nicht zu Höherem geboren.

Das klingt so nach Wunsch. Wärst du gern zu Höherem geboren?
Nee. Ich bin mit dem, was ich so gemacht habe, ganz zufrieden.

Du hattest auch einiges Pech mit Filmrollen. 1970 hast du die Titelrolle des DEFA-Films „Dr. med. Sommer II“ ausgeschlagen, weil du lieber bei Gerhard Klein, er war der angesagteste Regisseur damals,  in „Leichsache Zernick“ spielen wolltest. Kurz nach Beginn der Dreharbeiten starb Klein, der Film wurde von einem anderen Regisseur mit neuer Besetzung gedreht. Hat dich sehr geärgert?
Es war nicht schön, es hat mich belastet, aber ich bin nicht verzweifelt. Damals hatte ich noch die Arroganz zu denken: Dann kommt eben etwas anderes.

Wolfgang Winkler
              Foto ©Nikola

Und heute?
Heute bin ich ein Zweckpessimist. Ich gehe lieber davon aus, dass etwas nicht klappt, dann ist man nicht so enttäuscht. Innerlich aber ist die Hoffnung da, dass das Gegenteil eintritt. Also zweckpessimistisch. Ich hatte mir auch eingeredet, dass ich die Rolle in „Rentnercops“ nicht bekomme.

Was ist für dich heute Heimat?
Als Görlitzer habe ich, was meine Heimatstadt betrifft, einen besonderen Knall. Ich liebe diese Stadt, halte sie hoch und fahre oft hin. Sie ist wieder wunderschön geworden, aber es gibt keine Arbeit. Die jungen Leute ziehen weg. Das ist die Tragik in dieser Gesellschaft. Es geht doch aber nicht nur darum, Geld zu haben. Du brauchst die Arbeit, um dich zu verwirklichen und Spaß am Leben zu haben. Wenn dir das genommen wird, bist du ein Krüppel.

Noch ein aktuelles Thema. Wie geht es dir mit der Diskussion um #MeToo?
Ich finde, diese Diskussion hat Züge, die nicht mehr normal sind, indem dieser Wettbewerb der Geschlechter in eine Form gepresst wird, der nur Ungesundes hervorbringt. Wäre ich heute ein junger Mensch, wüsste ich gar nicht, wie ich mich einem Mädchen nähern soll. Mache ich mich ran, bin ich gleich sexistisch. Dabei war es ja nur mein Ansinnen, mit ihr vielleicht ein Leben zu beginnen.

Wolfgang Winkler
Schauspieler Wolfgang Winkler sieht optimistisch in die Zukunft. Foto © Nikola

Mit 75 hat man den größten Teils seines Lebens vollbracht. Wie weit guckst du noch nach vorn?
Ich möchte mich da nicht festlegen. Es soll schon noch eine Weile gehen. Vor fünf, sechs Jahren hatte ich noch den Ehrgeiz, alles zu spielen. Heute sage ich mir: Jetzt machst du das hier, das füllt dich aus, das füllt sich sehr schön aus. Und wenn jemand anders eine große Altersrolle bekommt, gönne ich sie ihm von Herzen und bin ich nicht mehr zu Tode betrübt, dass nicht ich sie spiele. Diese ist Haltung ist sehr angenehm.

 

 

 

 

Herzlichen Glückwunsch, Rolf Hoppe! Mit 87 wohl auf

Am Nikolaustag das Licht  der Welt zu erblicken, ist ein Glück. Als Kind bekommt man etwas in die feingeputzten Schuhe gesteckt und einen Gabentisch mit Geburtstagsgeschenken darf man auch noch erwarten. Ein solcher Glückspilz ist Rolf Hoppe. Er begeht heute seinen 87. Geburtstag. Um meine Gratulation an den alten Freund zu bringen,  brauchte es Geduld. Ich musste mich quasi in der Warteschleife anstellen. „Ja, ich habe viele Anrufe bekommen“, erklärt er mit seiner warmen Stimme, als ich ihn endlich erreichte. Der Bäckerssohn aus dem Harzstädtchen Ellrich hat es auf der Bühne und vor der Kamera mit seiner Lust am Spielen und dem unbändigen Wunsch, Freude, Abwechslung und Nachdenken zu erzeugen, zu einem der bedeutendsten deutschen Schauspieler gebracht. Er erfuhr internationale Anerkennung in seiner Rolle als General in István Szabós Film „Mephisto“ ( wurde 1982 als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet). In jüngerer Zeit wurde er mit dem deutschen Schauspielerpreis für sein Lebenswerk geehrt und erhielt den PAULA-Ehrenpreis für besondere künstlerische Verdienste um den deutschen Film. Der Bundesverdienstorden 1. Klasse liegt neben dem Nationalpreis der DDR 1. Klasse für Kunst und Literatur. „Ich bin stolz auf beide Auszeichnungen“, sagte er mir mal. Den DDR-Preis zurückzugeben, wie es andere Kollegen getan haben, käme ihm nie in den Sinn. Der Wahl-Dresdner gehört nicht zu denen, die sich von ihrem Leben vor 1990 distanzieren. „Dieses kleine Land DDR hat mir Großes ermöglicht. Die Jahre gehören zu meinem Leben“, betonte er auf derlei Fragen immer.

Zärtlich drückt Rolf Hoppe seien Frau an sich. Seit 55 Jahren sind sie zusammen
Rolf Hoppe und seine Frau Friederike c/o York Maecke

An diesem Tag heute ist die ganze Familie im Hoppeschen Blockhaus in Dresden-Weißig versammelt. Er genießt die Zeit mit ihr. Selbst durch Telefon spüre ich sein Strahlen, als er erzählt, dass auch sein Enkel Oscar da ist. „Dass er meinetwegen aus Berlin hergekommen ist, das ist eine große Freude“. Der 21-Jährige tritt in die Fußstapfen seines berühmten Großvaters. Er studiert an der Hochschule „Ernst Busch“ Schauspiel und Regie. „Natürlich bin ich stolz. Auf alle meine Kinder und Enkel bin ich stolz“, sagt der zweifache Vater und dreifache Großvater. Meinem Wunsch für ihn, noch viele Jahre gesund zu erleben, begegnet er mit dem ihm eigenen Realitätssinn: „Also 87 ist schon ein schönes Alter, muss man schon sagen. Und so lange es so geht, wie es geht, ist es gut. Da arbeite ich auch noch ein bisschen. Die Zeit der großen, langen Rollen ist vorbei“, meint er nun, da er 87 geworden ist. Am 13. November sah man ihn in einer kleinen stillen Szene im Spreewald-Krimi „Zwischen Leben und Tod“. Hoffen wir, es gibt noch viele solche Momente auf dem Bildschirm.

 

Zwei großartige Schauspieler feiern Geburtstag – Christel Bodenstein und Dieter Wien

Es ist mir wichtig, nach persönlichen Glückwünschen hier noch einmal zwei Schauspielern zu gratulieren, die ich seit vielen Jahren kenne. Christel Bodenstein, die stolze Prinzessin Tausendschön aus dem DEFA-Märchenklassiker „Das singende, klingende Bäumchen“, feierte am 13. Oktober ihren 79. Geburtstag. Als der Märchenklassiker von 1957 für die ARD im vorigen Jahr neuverfilmt wurde, hat man extra für sie eine Rolle hineingeschrieben: „Ich spiele eine Kräuterfrau, die ursprünglich nicht vorkommt. Das fand ich sehr schön und hat mir viel Freude gemacht“, erzählte sie mir. Der Clou an der Geschichte ist, dass im Thronsaal ein Gemälde von Tausendschön hängt, das die Mutter der (neuen) Prinzessin zeigen soll.  „Zweimal ich, nur liegen 60 Jahre dazwischen“, sagt die einstige DEFA-Märchenprinzessin.  Fragt sie nach ihrem Lieblingsfilm, hört man: „Ich habe über 30 Spielfilme gedreht und alle Rollen gern gespielt, aber ich war sehr, sehr gern die Prinzessin. Ein sehr wichtiger Film für mich war Beschreibung eines Sommers mit Manfred Krug.“
Aber am Herzen liegt ihr die Verfilmung von Saint-Exupérys Geschichte „Der kleine Prinz“, die einzige Arbeit mit ihrem damaligen Mann, Konrad Wolf. Sie spielt die Titelfigur, den kleinen Prinzen.
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Christel Bodenstein mit ihrem Mann Hasso von Lenski und der neuen DVD „Der kleine Prinz“ (kommt am 27. Oktober in den Handel) c/o privat

In diesem Jahr ging ihr größter Wunsch in Erfüllung. Der 1966 für eine Millionen DDR-Mark produzierte Film durfte endlich gezeigt werden. „Er war nicht unter die kulturpolitischen Räder gekommen“, erzählt Christel Bodenstein, „sondern das DDR-Fernsehen hatte schlichtweg versäumt, einen Lizenzvertrag mit Exépurys Buchverlag Editions Gallimard abzuschließen.“ Konrad Wolfs Verfilmung des Romans „Der kleine Prinz“ sollte zur Premiere des DDR-Farbfernsehens laufen. Der Zeitpunkt war zu Beginn der Planungen für den Film 1965 noch unklar. So kam es, dass die aufwendige Produktion einmalig und ohne Vorankündigung am 21. Mai 1972 um 20 Uhr im Zweiten Programm des DDR-Fernsehens „versendet wurde. Die Ausstrahlung blieb zwar ohne rechtliche Folgen, doch das Risiko, juristisch belangt zu werden, wurde vom DDR-Fernsehen nie wieder eingegangen. Seit dem 1. Januar 2015 ist die 70-jährige Schutzfrist des Urheberrechts für das Werk von Antoine de Saint-Exupéry abgelaufen, denn er starb im Jahr 1944. Der Film konnte vom Deutschen Rundfunkarchiv zur Nutzung frei gegeben werden.

„Die DEFA-Stiftung hat sehr viel Geld in die Digitalisierung des Films gesteckt, der ja eine Koproduktion zwischen dem Fernsehen und der DEFA war, und hat uns das wunderbar aufgearbeitete Master zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt“, sagt Brigitte Miesen, Produktmanagerin der Studio Hamburg Enterprises GmbH. Gerade habe ich eine WhatsApp-Nachricht von Christel Bodenstein erhalten: „Ich bin sooo glücklich. Am 27. Oktober kommt er ans Licht und alle können ihn sehen!!!!“

Abgesehen von der Freude, die ihr ins Gesicht geschrieben steht, was macht sie noch glücklich? „Nach wie vor gestalte ich meine Bilder und Figuren – das ist Ausgleichsgymnastik für meine Seele. Und ich bin mit einer bebilderten Lesung meiner Buches Einmal Prinzessin – immer Prinzessin unterwegs. Ich kann es eben doch nicht lassen und dem Publikum macht es Spaß und mir auch!“
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Schauspieler Dieter Wien wurde am selben Tag 83 Jahre. Als ich ihn fragte, wie es ihm geht, lachte er und meinte: „Über meinem Schreibtisch hängt ein Plakat auf dem steht: Es ist wie es ist“. 1934 in Gdansk geboren, hat er miterlebt, was Krieg bedeutet. Im Winter 1945 flohen seine Eltern mit ihm vor den Bombenangriffen. „Mit dem Schiff ging es nach Rostock, von dort mit einem Güterzug nach Halle. Mein Vater hatte eine Cousine dort. Hier kam ich zum Schauspiel“, erzählt er.  „Die Frau des Klempners im Vorderhaus hatte ein Puppentheater, da spielte ich mit, war dann in der Kinderkomparserie am Theater Halle. Es machte Spaß.“  Während seiner Buchdrucker-Lehre war er im Laienspiel des Betriebes. „Der Leiter fragte mich, ob ich Schauspiel studieren möchte. Es war in Leipzig an der Schauspielschule des Theaters gerade ein Platz frei geworden. Aber ich hatte nur ein paar Stunden Unterricht bei dem großen Martin Flörchinger, weil die Schule aufgelöst und daraus die Hochschule für Theater und Musik wurde.“
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Dieter Wien als Kohlweis in dem Kinderfilm „Käuzchenkuhle“ 1969 c/o DEFA-Stiftung

In dem DEFA-Kinderfilm „Käuzchenkuhle“ stand er 1969 seinem großen Vorbild Martin Flörchinger als Widersacher gegenüber. „Ich spielte einen ehemaligen SS-Mann, der kurz vor Ende des 2. Weltkrieges den Fischer eines mecklenburgischen Dorfes gezwungen hatte, ein Fass mit Raubkunst in der Käuzchenkuhle zu versenken. Er hatte sich in den Westen gerettet und kam nun in die DDR, um seine Beute zu holen.“ Durch Flörchinger hatte der Film für Wien eine besondere Bedeutung.  Dass er sein großes Vorbild schlagen musste, kostete ihn nur kurz Überwindung. „Wir waren ja beide Profis, und es gehörte zur Rolle.“ 1976 ging der mittlerweile 67-jährige Flörchinger zurück in seine Heimat nach Bayern. Er starb 2004.

Dieter Wien hat sich sein schauspielerisches Können dann als Autodidakt erarbeitet Ein erstes Engagement erhielt er im August 1952 am Theater der jungen Garde in Halle. Danach folgten Zeitz, Gera, Plauen und Erfurt. Von 1964 bis 2001 war er festes Ensembles-Mitglied am Maxim-Gorki-Theater Berlin, ab 2003 einer der Hauptdarsteller des Tournee-Theaters Theater des Ostens unter der Intendantin Vera Oelschlegel. „2012 habe ich den Vorhang für immer fallen lassen“, erzählt er. „Ich habe an meine beiden Söhne übergeben Matti und Fabian übergeben.“ Seine Kreativität lebt er in seinem Garten aus. „Dass er oft allein zu Hause ist, weil seine Frau Madeleine Lierck-Wien in Lüneburg seit vielen Jahren in der Serie „Rote Rosen“ spielt, stört ihn nicht. „Ich bin glücklich, dass sie es ist.“

 

Rolf Hoppe erhält den „fabulix“-Preis des 1. Internationalen Märchenfilmfestivals

Zum ersten Mal fand vom 23. bis 25 August in Annaberg-Buchholz das Internationale Märchenfilmfestival „fabulix“ statt.  Eine Idee des tschechisch-deutschen Textdichters und Musikproduzenten Filip Albrecht, der auch als Festivaldirektor fungierte.  Es waren fünf märchenhafte Tage voller Workshops, Filme und Lesungen. Natürlich wurden auch Preise vergeben. Den Publikumspreis gewann der Märchenfilm „7 Raben“ . Er wurde anschließend nochmals auf dem Marktplatz gezeigt.

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Rolf Hoppe im DEFA-Märchenfilm „Hans Röckle und der Teufel“ ©Icestorm/Uwe Fleischer

Eine große Überraschung wurde dem beliebten Schauspieler Rolf Hoppe bereitet. Er erhielt als erster überhaupt den „fabulix“-Preise für sein Lebenswerk, in dem nicht nur der Film Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ eine wichtigen Platz einnimmt. Figuren in Kinder- und Märchenfilmen spielte er mit am liebsten. Über seine Rolle als Hans Röckle in dem DEFA-Märchenfilm Hans Röckle und der Teufel“ sagte er mir: „Der Röckle war schon etwas Besonderes. Er erfindet Dinge, die den Menschen nützen sollen. Auch ein Fernrohr, mit dem man in Zukunft schauen kann. Er hat den Traum vom guten Leben, vom freundlichen Leben. Ich wollte die Menschen immer zur Lust auf das Leben verführen. Und in diesem Anspruch war der Röckle eine wichtige Figur in der Reihe der Menschen, die ich gespielt habe. Man wollte mir die Rolle gar nicht geben, weil ich zu der Zeit in der Schublade für die Bösen steckte. Ich spielte Faschisten und hatte mir durch meine Rolle als Feind des geliebten Indianerhäuptlings Gojko den Unwillen des Publikum zugezogen. Von Regisseur Hans Kratzert war es eine echte Tat, dass er mich für die Rolle des Hans Röckle genommen hat. Und für mich war es ein große Freude.“

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1996 spielte er den guten und den schlechten König  Quelle: cinema.de

Er hatte viel Spaß beim Drehen als Doppelter-König in dem Märchen „Lorenz im Land er Lügner“ (1996). Sein Reitkünste und sein komisches Talent durfte er in Rolf Losanskys Märchenfilm von „Hans im Glück“ (1999) ausleben. Viele Jahre hat der Dresdner Mime Weihnachten Märchen und Geistergeschichten in Schloss Weesenstein gelesen. Der heute 86-Jährige wollte eigentlich mit seiner Tochter Josephine nach Annaberg-Buchholz kommen, aber es wäre für ihn zu anstrengend geworden. Und so hat Josephine für ihn den Preis entgegengenommen.

Mehr zu Rolf Hoppe in meinem Archiv unter Porträt

 

Lutz Jahoda: „Die schnellen Jahre haben begonnen.“

Mit Wiener Charme und Schwejkschem Humor erklomm er die Höhen, durchmaß die Tiefen und überwand die Klippen des Lebens, in das er im Brünner Krankenhaus mit einer „sanften Garotte“ geholt wurde. Nun feiert Lutz Jahoda seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlass traf ich ihn zum Interview für die SUPERillu (Heft 27/17) in seinem Domizil am Wolziger See. Fesch sah er aus in seinem hellen Anzug. Das Gesicht leicht gebräunt, ja, jugendlich frisch. Die 90 erscheint absurd. Beim Laufen nimmt er einen Stock, schwarz mit silbernem Griff. „Ich bin altersschwach.“ Er meint das ernst, sodass ich es glauben muss, was mir schwerfällt. Unter dem schattigen Dach zweier mächtiger Erlen nehmen wir im Garten Platz. Ein halbes Jahrhundert ist er hier am Wolziger See schon zu Hause. Seine Heimatstadt ist Brünn, heute Brno, in Tschechien. Dort wurde er geboren, erlebte als Elfjähriger den Einmarsch der deutschen Wehrmacht, mit 16 die erste Liebe und wie aufregend Theater sein kann. Bevor er im Februar 1945 in den Zug von Brünn nach Wien stieg, um als freiwilliger Offiziersanwärter der deutschen Luftwaffe – die es zu dem Zeitpunkt nicht mehr gab! – an der Donau im Schützengraben zu landen.

Lutz J. als Kind auf Fahrrad
August 1930 in Brünn. Der dreijährige Lutz mit seiner Mutter Elisabeth (35), der elfjährigen Schwester Elsi und seinem 13-jährigen Cousin Leo aus Wien ©privat

„Der 18. Juni war ein Samstag, der Monat  kühl und feucht. Opernsänger und Grabredner trugen einen Schal. Ich hatte mir mit meiner Wurstelakrobatik zum Ausgang die Nabelschnur zweimal um den Hals geschlungen. Keine gute Ausgangsposition, um ins Leben zu rutschen“, beschreibt Lutz Jahoda seinen Eintritt in die Welt und kommentiert: „Ungerufen kommt Schnitter Tod am liebsten; doch manchmal kommt er auch vergebens.“ Als Schauspieler, Sänger, Moderator und perfekter Entertainer zählte er zu den beliebtesten Künstlern in der DDR. Ihm verdanken die Freunde der heiteren Muse Hits wie den „Kartäuser Knickebein-Shake“,  „Die Blasmusik von Kickritzpotschen“ oder auch „Das Lied vom alten Plattenschrank“. Von 1972 bis 1982 gehörte seine musikalische Revue-Reihe „Mit Lutz und Liebe“, für die er auch die Texte schrieb, zu den besten Unterhaltungssendungen des DDR-Fernsehens.

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Lutz Jahoda und seine Mutter Anfang der 60er Jahre ©privat

Seine Wurzeln mütterlicherseits liegen in Wien, die seines Vaters im Böhmisch-Mährischen. Brünn war ein bedeutendes industrielles und kulturelles Zentrum der Habsburger Monarchie, danach der ersten Tschechoslowakischen Republik, die 1938/39 von Hitlerdeutschland annektiert wurde. Lutz Jahoda hat das Zeitgeschehen, in das er hineingeboren wurde, stets mit wachem Blick beobachtet, in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten und die Irrationalität der deutschen Politik auf seine Art mit Wiener Schmäh und tschechischem Witz kommentiert.

Das Interview in voller Länge:

So gut drauf wie Sie, möchte ich meinen 90. Geburtstag auch erleben. Haben Sie sich für Ihr Lebensalter irgendwann einmal ein Ziel gesetzt?
Ich hatte mir selten Gedanken darüber gemacht, wie lange meine Lebensuhr ticken wird. Alter spielte für mich eine untergeordnete Rolle. Aber jetzt, da ich neunzig werde, erlaube ich mir den Übermut und sage: START 90 – ZIEL 100. Ob mir das gelingen wird, bezweifle ich.

Warum das denn?
Ein Arzt wollte mich, als ich erst vierzig war, mit folgendem Satz trösten: „Gemach, gemach, der Mensch fällt stufenweise ins Grab.“ Kein Wunder, dass so ein Satz sofort wieder aktuell wird, wenn man das Gefühl hat, täglich gleich einen ganzen Treppenabsatz hinter sich gebracht zu haben. Die Zeit der schnellen Jahre hat begonnen. Und fest steht schon heute, wer gewinnen wird.

Lutz Jahoda
Am 26. Mai 2017 im Interview mit der Autorin. Lutz Jahoda erzählt schmunzelnd von seinem „Wettrennen“ mit Täve Schur 1960 beim Empfang der Olympiateilnehmer im vollbesetzten „Stadion der Hunderttausend“ in Leipzig ©Michael Handelmann

Was haben Sie sich für die Zeit der schnellen Jahre vorgenommen?
Mich endlich auszuruhen und zu beobachten, ob und wie meine neueste Arbeit fruchten wird. Wenn alles gut geht, wird mein Buch „Lustig ist anders“ bereits im Hochsommer im Handel sein. Die farbige Illustration besorgte der Karikaturist Reiner Schwalme, bekannt als Zeichner der Satire-Zeitschrift „Eulenspiegel “ und inzwischen auch des Berliner „Tagesspiegel“.

Alles andere als lustig war wohl jene Zeit, als Sie mit siebzehn in den letzten Kriegswochen an die Front mussten?
Wohl wahr. Da sollte ich südöstlich von Wien die Dritte Ukrainische Front aufhalten. Seither weiß ich Vogelgezwitscher zu schätzen und zu hassen, was Atemluft bleihaltig macht. Um nicht eingekesselt zu werden, kam bald der Befehl, die Stellungen zu verlassen. Da hatte das Maschinengewehrfeuer zum Glück aufgehört. Noch heute frage ich mich, wieso ich plötzlich allein unterwegs war. Die einzigen Begleiter waren links und rechts die Einschläge explodierender Granaten. Später reimte ich: Wie tarnt man beim Verdrücken als Vormarsch seinen Lauf? Das Koppelschloss am Rücken, den Helm verkehrt rum auf! Das einzig gute Gefühl aus jener Zeit: Ich brauchte niemanden zu erschießen.

Lutz Jahoda
Sein Buch „Lutz im Glück und was sonst noch schieflief“ erschien 2001 im Verlag Das Neue Berlin ©Michael Handelmann

Schon in Ihren Memoiren „Lutz im Glück und was sonst noch schieflief“ haben Sie das politische Zeitgeschehen mit Ironie und Spott kräftig gegen den Strich gebürstet als könnten Sie nicht anders.
Das einzig Ererbte, wovon ich heute noch zehre. Dabei war mein Erscheinen auf dieser Welt alles andere als humorig. Ich würde es eher als suizidverdächtig bezeichnen: Ich hatte die Nabelschnur um den Hals. Der Arzt sprach von einer „petitesse“, doch sein Gesichtsausdruck soll nicht nach Geringfügigkeit ausgesehen haben. Die Hebamme bemühte sich um die „Kleinigkeit“, die der Doktor eine „sanfte Garotte“ nannte. Meine Mutter hatte „Karotte“ verstanden und sich gefragt, was an einer Mohrrübe hätte sanft sein sollen, wo doch mein Gesicht eher nach Blaukraut aussah. Doktor Spaßvogel hatte Würgeeisen gemeint, und so muss es mir auch vorgekommen sein.

Sie sind im tschechischen Brünn geboren. Ihre Eltern gehörten zur deutschsprachigen Minderheit in der Tschechoslowakei. Wenn Sie an Ihre Jugend denken, was ist Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben?
Meine Jugendliebe. Sie war fünfzehn, ein Jahr jünger als ich, und saß im Englischunterricht an der Handelsschule in Brünn hinter mir. Für mich war Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt in die Zeitspanne eines Wimpernschlags gefallen. Gern denke ich auch an die „Berliner Illustrirte Zeitung“, die mein Vater für mich binden ließ.

Nur zur Erklärung: Das war die erste Berliner Wochenzeitung. Sie erschien am 4. Januar 1892 zum ersten Mal. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Verleger-Familie Leopold Ullstein vertrieben und das Blatt bis zum Kriegsende ein Organ der NS-Propagandisten.
Mein Vater hatte die Zeitschrift abonniert und den Jahrgang 1927 für mich binden lassen. So wusste ich schon als Knabe, was in der Welt zur Zeit meiner Geburt vorgegangen war bis hin zu den unheilvollen Tagen, als Deutschland dem Hakenkreuz hinterherzulaufen begann. Und so denke ich gern an die erste Tschechoslowakische Republik zurück, die Flüchtlingen aus Deutschland Schutz gewährte. Heinrich und Thomas Mann zum Beispiel erhielten einen tschechischen Pass. Aus dieser Jugendzeit stammt auch meine Sehnsucht, nach Art des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch ein Mann der Zeitung zu werden.

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Der 17-jährige Lutz bringt seiner Freundin Puzzl ein Ständchen. Acht Monate später fährt er an die Front bei Wien ©privat

Dennoch wurden Sie ein Mann des Theaters.
Ein Bursche vorerst. Ich meldete mich zur Freiwilligen Feuerwehr, um der vormilitärischen Ausbildung bei der Hitlerjugend zu entgehen. Brünn stand nach der Annexion der ČSR ab 1939 unter deutschem Protektorat. Der Chef der Feuerwehr war gleichzeitig Inspizient am Brünner Stadttheater, sodass ich entweder in Uniform hinter der Bühne stand oder im Dritten Rang Dienst hatte, allerdings gelegentlich auch als Kleindarsteller in einer stummen Rolle über die Bühne laufen oder sogar etwas tragen durfte.

Ernsthaft beschritten haben Sie Ihren künstlerischen Weg erst, als Hilde Engel und Erich Elstner, die Eltern von Showmaster Frank Elstner, Sie unter ihre Fittiche nahmen. Mit ihnen gelangten Sie 1946 nach Berlin.
Hilde Engel war Berlinerin. Sie hatte Wohn- und Bleiberecht in der zerstörten Stadt. Und nur so konnte ich als noch nicht Volljähriger, dem Schoß der Familie Elstner zugehörig, mit in Berlin bleiben. Ich erhielt dort privaten Ballettunterricht und von Erich Elstner die Grundausbildung, um in kleinen Rollen bereits bestehen zu können. Elstner brillierte schon in der ersten Inszenierung des Metropoltheaters nach dem Krieg mit Sonja Ziemann, dem späteren Filmstar, singend und tanzend in der Operette „Nächte in Shanghai“ und gründete später das „Theater in der Kaiserallee“.

Wie kam es zu der Bekanntschaft mit dem Schauspielerpaar?
Erich Elstner und Hilde Engel waren in Brünn Theaterstars. Gegen Kriegsende 1945 kam ich in sowjetische Kriegsgefangenschaft und entdeckte Erich Elstner in der slowakischen Hauptstadt Bratislava in einem Lazarett der Roten Armee. Ich erkannte ihn lediglich an der Stimme. Er hatte Gewebswassersucht und ich gerade eine Ruhrerkrankung hinter mir. Russische Ärzte hatten uns kuriert. Wir trafen uns nach der Entlassung im Spätsommer 1945 in Wien wieder. Meine Tante Mary gab Erich Elstner, seiner Frau und ihrem kleinen Sohn Tim – aus dem später Frank wurde – in ihrer Villa Unterkunft. Ich hatte einen Job als Übersetzer in einem amerikanischen Offizierscasino und übermittelte die Wünsche der Amerikaner den Wiener Köchen. Damit gelangte ich in den Genuss, Essen mitnehmen zu dürfen. Was mir augenzwinkernd gestattet wurde, obwohl dies bestimmt gegen die offizielle Order verstieß. Ich versorgte so Onkel, Tante und die Elstners.

Lutz Jahoda
Im Gespräch am 26. Mai 2017 ©Michael Handelmann

Warum sind Sie nicht in Wien geblieben und machten dort eine Schauspielausbildung?
Weil sich dort die vielen Schauspieler der einst zahlreichen deutschen Theater in Böhmen und Mähren gegenseitig auf die Füße traten. Die deutsche Minderheit, die seinerzeit mehrheitlich „Heim ins Reich“ gerufen hatte, wurde im April 1945 aus Böhmen und Mähren ausgewiesen, sämtliche Theater waren wieder tschechisch. Und Österreich hatte nur wenige Städte mit einer maßgeblichen Bühne. Es war ein großes Abenteuer.

In Berlin nahmen Sie auch Ihren Traum in Angriff, Journalist zu werden.
Ich bewarb mich beim Berliner „Nachtexpress“. Die Elstners hätten meinen Journalistenwunsch toleriert. Doch die ersten Theaterangebote kamen schneller als die Zusage der Zeitung für ein Volontariat. Hilde Engel, die viele Theaterleiter kannte, hatte das für mich eingerührt.

Haben Sie noch Kontakt mit Frank Elstner?
Im August 2014 hatte er mich nach Wien eingeladen. Ich zeigte ihm die Villa von Tante Mary, an die er sich, der damals erst vier Jahre alt war, nur noch schwach erinnern konnte. Wir fuhren auch nach Brünn. Das Theater wurde gerade renoviert. Dennoch durften wir auf die Bühne, wo sein Vater Erich Elstner einst ein Star war und ich in dem Reimstück „Die goldene Eva“, gespielt von Hilde Engel, einen Lehrling mimte. Ganze neun Silben hatte meine erste Sprechrolle. Das war 1944, kurz bevor sämtliche deutschen Theater schließen mussten, weil die Künstler an die Front geschickt wurden, nachdem Goebbels den „totalen Krieg“ ausgerufen hatte. Franks Mutter erfuhr übrigens erst in Wien, dass ich jener war, der ihr damals in der Handwerkerkomödie kurz begegnete.

Sie gehören zu den Pionieren des DDR-Fernsehens, zählen zu den populärsten Unterhaltungskünstlern jener Zeit, wurden als Entertainer mit Ihrer Fernsehreihe „Mit Lutz und Liebe“ zum Fernsehliebling gekürt – die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Fühlten Sie sich gut aufgehoben in der DDR?
Es wäre undankbar von mir, dies zu verneinen. Heinz Quermann setzte mich immer wieder in seinen von ihm redaktionell betreuten Sendereihen ein. Unvergesslich, wie er nach einem Auftritt von mir in der Kongresshalle Leipzig das Publikum zu „Zeugen Jahodas“ machte. Natürlich gab es auch für mich als Liedertexter Schwierigkeiten. Dem gesungenen Wort wurde kritische Aufmerksamkeit geschenkt. Da verschwand schnell etwas in der Schublade, und es war ärgerlich, wenn eine ähnliche Textidee eines Tages im Westen auftauchte und großen Erfolg hatte.

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1951 sang er als Buffo im Volkstheater Halberstadt in Ludwig Schmiedseders Operette „Heimkehr nach Mittenwald“ ©Böttcher

Warum sind Sie nicht, wie viele andere Künstler, in den Westen gegangen?
Ich war ja im Westen, hatte meinen Wohnsitz in Berlin-Westend, spielte aber 1947-1951 am Theater der Altmark in Stendal und am Volkstheater in Halberstadt. Im September 1951, zu Beginn der neuen Spielzeit, verließ ich das Theater und ging mit meiner zweiten Frau nach Garmisch-Partenkirchen, weil meine Mutter dort lebte. Da ich weder Bergsteiger noch Skilehrer war und auch beim Almauftrieb und Abtrieb den Kühen nur im Weg gestanden hätte, waren es wieder die Amerikaner, bei denen ich mein Brot verdiente. Ich stand mehr in ihrem Post Exchange, einem Laden für Militärangehörige, als auf der Bühne des Zimmertheaters in Garmisch. Wir spielten auch im Schneefernerhaus unterhalb der Zugspitze. Das höchste Theater Deutschlands mit der niedrigsten Gage.

Was trieb Sie in die DDR? Sie hatten das Kapitel Ostdeutschland doch abgehakt.
Eine veränderte Situation. Nach den Unruhen in Ostberlin im Jahre 1953 erhielt ich gute Nachrichten von Kollegen aus Halberstadt. Gelobt wurde das kulturelle Umfeld. Die DDR sei im Begriff, ein Künstlerparadies zu werden. Ich hatte von meiner ersten Frau meinen Sohn Axel in Magdeburg, mein zweiter Sohn Peter wurde in Garmisch geboren. Und so verließ ich 1954 das Werdenfelser Land, sondierte die Lage in Westberlin, die für Künstler nicht rosig war. Eine Reihe von Kunstschaffenden mit Wohnsitz im Westen der Stadt arbeiteten deshalb im Berliner Osten. Sie erhielten vom Westberliner Senat einen Teil ihrer DDR-Gage 1:1 in Westgeld umgetauscht, um Miete, Strom und Heizung bezahlen zu können. Leider traf dieses Entgegenkommen auf mich nicht zu, weil ich durch meinen mehrjährigen Aufenthalt in Garmisch polizeilich in Westberlin abgemeldet war. Damit war ich Bundesbürger und nicht mehr Westberliner. Als ich 1955 einen Vertrag an den Städtischen Theatern Leipzig bekam, wurde ich DDR-Bürger. Nicht ganz freiwillig. Meine DDR-Monatsgage wäre beim Umtauschkurs 4:1 von Ost- in Westmark vollständig für die Miete meiner Wohnung in Westberlin draufgegangen. Aber bereut habe ich den Staatenwechsel nicht. Es ging mir in der DDR immer gut.

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Der Osten hat ihn wieder. 1955 begann seine Karriere am Operettentheater Leipzig ©privat

Wie sahen Sie den Mauerbau 1961?
Ich liebte Berlin als ungeteilte Stadt, war demnach „not amused“, wie es die Queen ausgedrückt hätte, begriff allerdings schnell, dass die Abschottung aus wirtschaftlichen Gründen notwendig war. Die nicht wegzuleugnende glanzvoll strahlende Wirklichkeit des Westens lockte Zigtausende aus dem Osten weg. Und beängstigend viele Westberliner hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, preiswert Westgeld in Ostgeld umzutauschen und im Osten der Stadt einkaufen. Kaviar, Champagner, die „Wässerchen“ Stolitschnaja, Meißner Porzellan, Kürschnerwaren vom Brühl in Leipzig. Ich erinnere mich, dass der Wiener Schlagersänger Willy Hagara für seine Villa an einem der Rheinhänge Gardinen im Großeinkauf erwarb. Meine dritte Frau, die später mit der morgendlichen Radioreihe „Turnen mit Brigitte“ bekannt wurde, hatte Hagara seinerzeit beratend hilfreich begleitet.

Hatten Sie sich bespitzelt gefühlt?
Die Staatssicherheit hatte ein wachsames Auge auf alles und jeden. Wir dürfen nicht vergessen, was im Lauf deutscher Geschichte Kommunisten und Sozialdemokraten auszustehen hatten, sei es in der Weimarer Republik oder später unter der Hitlerdiktatur. Diese Erfahrung bestimmte Denken und Handeln der DDR-Regierung. Und so gesehen kann die gegenwärtig großflächige Überwachung der Welt durch die zahlreichen Geheimdienste der westlichen Allianz unter Führung von NSA und CIA vorwiegend uns Deutsche mit Osterfahrung nicht schrecken. Wir sind stark durch diesen Heimvorteil.

Lutz Jahoda
Der Sänger, Schauspieler, Autor im amüsanten Gespräch mit mir in seinem Garten unter alten Erlen ©Michael Handelmann

Sie haben sechsmal geheiratet, sind fünfmal geschieden. Konnten Sie dem Weiblichen nicht widerstehen?
Diese Frage wurde mir schon vor Jahren in einer „Riverboat“-Gesprächsrunde gestellt. Damals gestand ich mit schuldhafter Miene: „Ich bin offenbar ein OmH – ein Opfer meiner Hormone.“

Darf ich das so sehen: Mann sieht Frau, Frau sieht Mann, Frau schaut weg, Mann bleibt dran?
Sie sehen das richtig, und Sie machen mich nachdenklich. Als Kind habe ich zur Klavierbegleitung meiner Schwester besonders gern die Lieder mit den Textzeilen „Die süßen Mäderln im Trikot“ und „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau‘n, mein Herz ist groß …“  gesungen. Da war ich erst Fünf!

Klingt wie ein vorweggenommenes Credo Ihres Lebensweges. Ihr Vater war Monarchist, kannte die Geschichte der Habsburger wie ein studierter Historiker und hätte Sie gern als Priester gesehen.
Da hätte ich den Herren Gottschalk und Jauch und vielen männlichen Prominenten bundesdeutscher Fernsehunterhaltung einiges vorausgehabt: Die waren alle nur Ministranten.

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1947 im Theater der Altmark in Stendal. Er war der  jüngste Operettenbuffo im deutschsprachigen Raum.  Hier traf er Ehefrau Nr. 1, die Tänzerin Helga ©privat

Wie haben Sie Eva erobert, Ihre sechste Ehefrau? Immerhin besteht zwischen Ihnen ein Altersunterschied von 44 Jahren. Sie waren damals 67, Eva 23 Jahre alt.
Ich betreute 1994 für „Radio 50plus“ eine Musiksendung, die einmal wöchentlich mit zweimal 50 Minuten ausgestrahlt wurde und aus kurzweilig interessanten Wortbeiträgen und musikalischen Neuvorstellungen bestand. Um festzustellen, wie genau die Hörer meinen Textbeiträgen folgen, baute ich einen Fehler ein. Eva hatte die „Falle“ entdeckt und einen Preis gewonnen, den ich, als ich das beigelegte Foto von ihr sah, zu einem Studio-Nachmittag an meiner Seite erweiterte. Eva durfte Titel ansagen, erhielt ein Lob des Tonmeisters, der uns ansah und schließlich sagte: „Und wann werdet ihr heiraten?“

Die Hochzeit war 1999. Und wie ist es diesmal: Treue bis zum Sternenstaub?
Ich merke, dass Sie meine Bücher gelesen haben. Eva schenkte uns einen Sohn, der inzwischen neunzehn ist. Ich war zum ersten Mal bei der Entbindung dabei und erwartete das übliche in Film und Fernsehen vorgeführte Szenario. Doch die Schmerzensschreie blieben aus. Gojko Mitic, als Fernsehindianer am Marterpfahl, hätte Mühe gehabt, diese Selbstbeherrschung meiner Frau derart überzeugend nachzuvollziehen. Ich weiß nicht, ob das im Kreißsaal so üblich ist: Ich jedenfalls applaudierte Eva.

Standing Ovation. Waren Sie allen Söhnen ein guter Vater?
Da treffen Sie einen Schmerzenspunkt in mir. Immer unterwegs, im Kopf immer auf Suche nach neuen Programmideen. Auch in der DDR eine Notwendigkeit, wer freischaffend bestehen wollte. So muss ich eingestehen: Was ich meinen anderen Söhnen aus Tourneegründen nicht sein konnte, durfte ich diesem letzten Sohn schenken. Die Halbbrüder verstehen sich bestens. Schade, dass Peter Jahoda, der in Garmisch geborene zweite Sohn, nicht mehr unter uns weilt. Er war ein begnadeter Schauspieler am Hans-Otto-Theater in Potsdam und dabei, auch das Fernsehen zu erobern. Er wollte immer gern seinen Geburtsort Garmisch kennenlernen. Die DDR-Administration ließ ihn nicht reisen. Als er nach der Wende hätte reisen können, war es Schnitter Tod, der ihm dies verwehrte.

Lassen Sie mich einfügen: Ihr Sohn Peter litt an Epilepsie. Am 31. Januar 1991 ist er an einem besonders heftigen Anfall erstickt.
An dieser Geißel, die ihn eines Tages unvermittelt traf, litt er seit Jahren. Aber niemals behelligte ihn das Leiden abends auf der Bühne. Immer geschah es aus der Ruhe heraus. An jenem letzten Januartag 1991 war er allein in der Wohnung. Seine Frau war an diesem Morgen bereits zur Arbeit unterwegs. Es ist so bitter schade um ihn.

Ich habe noch Fragen.
Bitte.

Wie sieht Ihre Lebensbilanz aus?
Gewiss hätte ich beruflich mehr und vielleicht auch Besseres abliefern können. Dies mit dem Brecht-Satz „Doch die Verhältnisse, die war’n nicht so!“ abzutun, wäre leicht, aber ungerecht. Dass ich die Chance ergriff, meine Zweitbegabung zu nutzen, um diese geschichtlich und auch literarisch geglückte Romantrilogie „Der Irrtum“ zu schreiben, wie auch jetzt das letzte Buch „Lustig ist anders“, war mir sehr wichtig. Danken möchte ich Juri Klugmann in Kanada, für dessen Monatsblatt „Deutsche Rundschau“ ich einige Jahre schreiben durfte.

Lutz Jahoda
Seit Mitte der 60er Jahre lebt der gebürtige Tscheche am Wolziger See ©Michael Handelmann

Welche Tiefpunkte schmerzen?
Als wir bei unserer Friedrichstadtpalast-Revue „Strandkorb Nummer 13“ im sonst immer ausverkauften Haus von vielen unbesetzten Stuhlreihen überrascht wurde. Es war im Hochsommer 1961. Ich gehörte zu den Hauptdarstellern, war tagsüber zu Dreharbeiten für den Kinofilm „Das verhexte Fischerdorf“ auf dem Darß. Die Mauer stand und dem Friedrichstadtpalast fehlte das Westberliner Publikum. Der zweite Tiefpunkt kam zwei Jahre darauf, als die Beatles die Musikszene zu verändern begannen, worunter die Rundfunktanzorchester und die Gesangsinterpreten in West und Ost gleichermaßen litten. Und der dritte Tiefpunkt ereilte mich nach der Wende. Eine Bank ließ mich ins offene Messer laufen, indem sie die Kreditwürdigkeit meines Geschäftspartners nicht überprüfte und mich meine Bürgschaft nun bis zu meinem hundertsten Geburtstag belasten wird. Rechtschaffenheit gehört nun einmal nicht zum Geschäftsmodell des Neoliberalismus wie uns die Gegenwart immer noch an vielen Beispielen lehrt.

Sehnen Sie sich nach einer Lutz-Jahoda-Show?
Mit Helene Fischer ist die Showwelt optimal ausgereizt. Mehr geht nicht. Ich genieße die Humorspender und die Vertreter erstklassiger Politsatire, erfreue mich am Schauspielernachwuchs, den ich neidlos allabendlich im Fernsehen bewundere.

Lutz Jahoda
Kaum zu fassen. Er wird 90! ©Michael Handelmann

Zum Schluss noch eine Frage, die ich nicht aussparen möchte: Haben Sie eine Empfehlung zum Thema „Jugendliche Frische im Alter“?
Keinesfalls mit übertrieben sportlicher Aktivität oder gar mit Unterstützung von Appetitszüglern dem „Dorian-Gray-Symptom“ verfallen. Meinetwegen gern Oscar Wildes Buch zum Wahn ewiger Jugend lesen, aber keinesfalls Körper und Geist spalten lassen, was offenbar zum gegenwärtigen Zeitgeist gehört: im Interesse von Umsatzsteigerung und selten zum gesundheitlichen Nutzen der Verbraucher. Da möchte ich gern auf den bekannten Erkenntnissatz zurückgreifen: „Nichts ist schlimmer im Alter als im Körper eines jungen Menschen gefangen zu sein“.

Vielleicht noch etwas Heiteres im Hinblick auf Ihr Geburtsdatum am Sonntag?
Nun bin ich neunzig, was mich schon sehr wundert.
Nicht immer hab ich meiner Pflicht genügt.
Es könnte sein, dass demnächst nichts mehr zundert,
sagte mein Doktor. Der wird morgen hundert.
Da kann ich nur noch hoffen, dass er lügt.

 

 

 

 

Wolfgang Winkler – Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin

Zwei meiner Lieblingsschauspieler. Walfriede Schmitt und Wolfgang Winkler. Er feiert heute Geburtstag. Sie zieht am 9. März nach. 73 ist der „alte Knabe“ geworden. Und hält sich gut. „Muss ich und will ich auch“, sagt er. Für wen? „Für mich, sonst funktioniert es nicht.“ Dass seine Frau Marina, mit 61 immer noch aktiv als Tanzlehrerin, ihm gewissermaßen ein Ansporn ist, versteht sich von selbst. Und dann mag er auch kein Rentner sein – gleichwohl er es faktisch ja ist.

11180365_10204239465211321_286104416_o Kopie Porträt von André Kowalski

Loslassen vom Job kann und will Wolfgang Winkler einfach noch nicht. „Wir Schauspieler sind ja verrückt, wir wollen spielen bis zum Umfallen. Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin“, sagt er mir am Telefon. Und bis dahin – so Gott will – hat er noch eine Menge Zeit. Vor genau einem Jahr hat der ehemalige Hallenser „Polizeiruf 110“-Kommissar – nach 50 Fällen mussten er und sein Partner…

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Abschied von Hilmar Thate

Berlin. Der Himmel war bedeckt, doch für den letzten Auftritt von Hilmar Thate öffnete er sein Wolkenfeld und ließ die Sonne scheinen. Es ist der 30. September, die Stunde zwischen elf und zwölf, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße. In der lichtdurchfluteten Trauerhalle fällt mein Blick über die Reihen der Angehörigen, engen Freunde, gemochten Kollegen auf das gerahmte Schwarzweiß-Porträt des Schauspielers. Sein Blick schaut nachdenklich, ein bisschen versonnen, in der Hand eine Zigarette. Er ist so nah und doch so fern.

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Der Sarg aus mattiertem Kirschholz mit nur zwei Sonnenblumen darauf, daneben Kränze aus bunten Herbstblumen geflochten, zeugt von der Unwiderruflichkeit des erloschenen Lebens eines Menschen, der ein besonderer war. Als Schauspieler, als Freund, als Gesprächspartner. Charmant, sensibel und zugleich kraftvoll. Unbeugsam in seiner Haltung, seinem Sinn für Gerechtigkeit. Er fehlt nun. Und vor allem seiner Frau, der Schauspielerin Angelica Domröse. Ihre Liebe war ein enges Bündnis voller Emotionen und einer bewegten, ja, oft stürmischen Realität. Hilmar Thate starb am 15. September mit 85 Jahren. Letztlich an den Folgen eines schweren Sturzes, der ihm die Lebenskraft nahm, wie ich heute erfuhr.

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Tapfer nimmt Angelica Domröse die Kondolenzen entgegen. Links neben ihr Hilmar Thates Sohn Hanno

Es wird ein stiller Abschied, so wie er ihn sich gewünscht hat. Keine Trauerrede. „Hilmar wollte keine Rede zum Abschied. Das hat er mir gesagt, das hat er Angelica gesagt. Lasst uns also jetzt und hier im Stillen und jeder mit seiner Erinnerung an einen besonderen Menschen und unvergesslichen Schauspieler denken“, sind die einzigen Worte des Abschieds. Gesprochen von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, einem Freund, in dessen DEFA-Film „Der Fall Gleiwitz“ Hilmar Thate 1960 die Schlüsselrolle spielte.

Für diese Minuten des Innehaltens hatte Angelica Domröse eine bizarre Straßenmusik ausgesucht, die sie vor Jahren auf einer Party gehört hatte und sich von dem Gastgeber überspielen ließ. „Sie hat uns so gefallen“, sagt sie. Als danach „Pablos’s Blues von Miles Davis“ verklungen war, geben wir Hilmar Thate das letzte Geleit. Neben mir läuft Schauspieler Christian Grashof, hinter mir sehe ich Schauspielerin Jutta Hoffmann mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Nikolaus Haenel, und Schauspieler Carl Heinz Choynski.

Mein letzter Gruß ist eine weiße Rose.

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„Ich höre auf zu leben, aber ich habe gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust und scheue den Tod nicht.“ Zitat aus „Egmont“, von Johann Wolfgang von Goethe.