Die Goldene Stimme von Prag ist verstummt. Meine Erinnerungen an den Sänger Karel Gott

Als ich meinen Blog 2015 eingerichtet habe, musste ich nicht lange überlegen, welches meiner Interviewfotos am besten für mein Anliegen steht, über Künstler und Schauspieler zu schreiben, die von Millionen Menschen im Osten geliebt und verehrt werden. Das war und bleibt die „Goldene Stimme von Prag“, Karel Gott. Er schlief in der Nacht zum 1. Oktober 2019 für immer ein. Karel Gott, der am 14. Juli 80 Jahre alt geworden war, starb an einer akuten Leukämie. Nach einem  2011 überstandenen Lymphdrüsenkrebs hatte er in vergangenen Jahren immer wieder mit Erkrankungen zu kämpfen. Millionen Menschen werden Karel Gott mit seinen Liedern im Herzen behalten, die auf mehr als 150 Alben verewigt sind. Bei uns machten ihn vor allem „Fang das Licht“, Babička“, „Einmal um die ganze Welt“, „Lady Carneval“ und natürlich „Die kleine Biene Maja“ populär, in Tschechien sind es unendlich mehr. In seiner Heimat trägt er den Ehrentitel „Mistr“ (Meister), der vor ihm nur an den Reformator Jan Hus (1370-1405) vergeben wurde.

Karel Gott
Während meines Besuches bei Karel Gott machten wir einen Spaziergang an der Modau @ Handyfoto Bärbel Beuchler

Für mich ist es der Mensch Karel Gott, den ich kennen und schätzen gelernt habe, an den ich mich immer erinnern werde.  Meine erste Begegnung hatte ich mit ihm im November 2006, als er in Berlin sein erstes Album mit Wiegenliedern vorstellte. Animiert dazu hatte ihn seine fünf Monate zuvor geborene Tochter Charlotte Ella. In dem kurzen Interview, das ich damals mit ihm führte, erzählte er voller Wärme: „Es ist interessant zu beobachten, wie sie reagiert. Ihre Augen werden ganz weit, wenn ich singe und Tränen versiegen sofort.“

Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich ihn für ein langes Gespräch in seinem Haus im Prager Stadtteil Smíchov treffen würde. Es sollte um seine Rolle in dem Märchenfilm „Teuflisches Glück“ gehen, den „SUPERillu“ 2014 in ihrer DVD-Kultkino-Edition veröffentlichte. Aus dem Anlass wurde eine Reflektion seines damals 75-jährigen Lebens, seiner Karriere, die ihn durch zwei Welten trieb, und die Suche nach dem Glück. Ein Star – nahbar, ehrlich im Denken.

Müßig, einem Prager Taxifahrer die Adresse zu nennen. Jeder Einheimische kennt sie: Nad Bertramkou 18, im Pager Stadtteil Smíchov. Die Straße endet in einem Rondell vor einem Hügel, gesäumt von Villen aus den 30er Jahren. In diesen Tagen, seit dem Tod von Karel Gott, zieht sich ein nicht enden wollender Strom aus Blumen, Kerzen und Abschiedsbriefen die Straße hinunter. Von überall her kamen die Menschen, um seiner Frau Ivana und seinen Töchtern Charlotte Ella und Nelly Sophie ihr Beileid zu bekunden. Die Beisetzung war am 12. Oktober, zuvor hatten Tausende Menschen an seinem Sarg Abschied genommen.

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Tausende Menschen waren am 11. und 12. Oktober 2019 über die Karlsbrücke zum Prager Sophienpalast gezogen, um Karel Gott die letzte Ehre zu erweisen. Sein Sarg, der im großen Saal stand, war mit weißen Rosen bedeckt © Bärbel Beuchler

Es war ein heißer Tag damals, der 7. Juli 2014, als wir unseren Interviewtermin mit  Karel Gott hatten. Er hatte uns zu sich nach Hause eingeladen. Ich war aufgeregt wie selten vor einem Interview. Dem Fotografen Boris Trenkel ging es ähnlich. Und dann standen wir auch noch 20 Minuten zu früh vor dem Gartentor zu seinem Grundstück. Dicht gewachsene Lärchen und Tannen schirmen das Haus ab. Das Tor war nicht verschlossen, eine Klingel gab es nicht. Wir hätten hineingehen müssen, um zu klingeln. Nein, das hätte seine Familie vielleicht in Verlegenheit gebracht. Wir warteten also im Schatten einer riesigen Konifere, die sich hinter dem Zaun in den Himmel reckt. Und wir hatten gut daran getan. Denn kurz vor unserem Termin um elf Uhr öffnete sich die Haustür und seine Frau Ivana kam mit ihren Töchtern Charlotte Ella und der zwei Jahre jüngeren Nelly Sophie heraus. Ein freundliches „Dobrý den“ und „Na shledanou!“, und schon waren die Drei weg. „Sie geht mit den Mädchen auf den Spielplatz“, erklärte Karel Gott, der in dieser Minute in der Tür stand und uns hereinbat. Die Kinder haben nichts in seiner Medienöffentlichkeit zu suchen.

In der kleinen Diele standen Schuhe und hingen Kindermäntel und Jacken. Man spürte, dass in diesem Haus gelebt wird. Karel Gott führte uns ins Wohnzimmer. Mein Blick schweift über die Einrichtung. Sie zeigt Geschmack und Stil des Hausherrn und dass in diesem Haus gelebt wird. Es sei, so wie es gebaut ist, erklärte er später auf dem Weg an die Moldau, wo er gern spazieren ging, mit dem großen Wohnraum unten, einer Küche und drei kleineren Zimmern in der oberen Etage, nicht für eine Familie mit zwei Kindern geeignet. Deshalb hat er sein Arbeitszimmer oben für die Mädchen geräumt und ist mit Schreibtisch und Computer nach unten gezogen. „Ich habe jetzt hier eine kleine Ecke“, sagte er und lächelte. Die Kinder dürfen überall spielen, nur sein Arbeitsplatz ist für sie tabu.

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Mein Gespräch mit Karel Gott am 7. Juli 2014 in seinem Haus. Im Hintergrund seine Arbeitsecke. An der Wand Bilder, die er selbst gemalt hat. Er wollte eigentlich Malerei studieren, bestand aber sie Aufnahmeprüfung an der Prager Kunstschule nicht. © Bärbel Beuchler

„Möchten Sie Kaffee, Tee, Wasser?“ Karel Gott war ein perfekter Gastgeber, freundlich, zugewandt, charmant, obwohl ihn seit Tagen Journalisten mit Interviews anlässlich seines damals bevorstehenden 75. Geburtstages und seiner ersten Autobiografie „Zwischen zwei Welten“ nervten. Karel Gott war sich des Vorzugs bewusst gewesen, ein „Doppelleben“ führen zu können. Er sagte mir damals: „Viele haben mir nach der Wende vorgeworfen, dass ich Privilegien hatte. Das ist so eine oberflächliche, dumme Sicht. Jeder, der im System gearbeitet hat, wurde vom System bezahlt. Die Staatsmacht hat mich reisen lassen, weil ich dem Land Devisen brachte.“ Es hätte nur die Möglichkeit für ihn gegeben, zu emigrieren. Aber das wollte er nicht. Er wollte bleiben, arbeiten und für sein Publikum singen. „Ich verstand mich als musikalischer Botschafter für mein Land. Das haben die meisten meiner Landsleute auch so verstanden.“ Dafür nahm er in Kauf, vor jedem Auslandsgastspiel im Westen zu bangen, dass ihm die Gastspielagentur Prago-Konzert trotz oder gerade wegen seiner Popularität den Pass verweigerte. „Man ließ mich spüren: Wir zeigen mit dem Daumen rauf oder runter.“ Zeit seines Lebens vertrat Karel Gott die Ansicht, dass Politik und Kunst besser zu trennen sind. „Gesang ist keine Kanone“, fügte er mit Nachdruck hinzu.

Karel Gott , besuch in Prag
Karel Gott hatte für seine Töchter Charlotte und Nelly sein Arbeitszimmer geräumt. Komponiert und geprobt hat am Klavier im Wohnzimmer © Boris Trenkel

Unser Gespräch begann in der Küche, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Dann führte uns Karel Gott auf die Terrasse und zeigte uns den malerischen Blick auf Prag, den er sehr geliebt hat. Wie auf einem Silbertablett breitete sich die Stadt hinter dem Fluss vor uns aus. Auf der Wiese, die hinten leicht abfällt, eine Schaukel für die Mädchen. Karel Gott hatte das Haus Ende der 60er Jahre für sich und seine Eltern gekauft.

Karel und Marie Gott waren 1945 mit ihm von Pilsen nach Prag gezogen. Da war er sechs Jahre alt. Er habe bis zu dem Zeitpunkt, als sich der zweite Weltkrieg dem Ende neigte, eine schöne, behütete Kindheit – den Umständen entsprechend gesehen, hatte er im Rückblick noch hinzugefügt. „Wir fühlten uns relativ sicher, die Schrecken des Krieges schienen an uns vorüber zu gehen.“ Als Ende 1944, Anfang 1945 die Bomben der englischen und amerikanischen Alliierten auf die Stadt und die Škoda-Werke fielen, wurde auch das Haus in der Slovanská-Straße, in dem die Familie Gott wohnte, getroffen. „Wir hatten Glück, dass wir alle am Leben geblieben sind.“ Verstanden hatte der Fünjährige den Angriff auf die Wohnhäuser nicht. In seiner Erinnerung ist die Frage an seinen Vater hängengeblieben: „Die sind doch unsere  Freunde, die Alliierten, oder? Warum werfen die dann Bomben auf uns?“, als wieder einmal Tiefflieger über Pilsen kreisten. „Auf die Schnelle wusste mein Vater darauf keine Antwort.“

Der Krieg war vorbei, doch die Familie Gott war ohne Dach über dem Kopf. „Ich blieb bei meiner Oma auf dem Land, während meine Eltern in Prag eine neue Bleibe suchten. Mein Vater fand eine neue Anstellung und wir zogen in die Hauptstadt.” Zuerst lebten sie im Stadtteil Kobylisy, später dann in Smíchov.  Bis zur Wende ein Arbeiter- und Industrieviertel mit Textilfabriken, Brauereien und einem Eisenbahnwagonwerk, in dem die berühmten Tatra-Bahnen gebaut wurden. Das Werk wurde abgerissen. Auf dem Platz steht heute die Prager O2-Arena, in der Karel Gott Konzerte gegeben hat. „So bin ich nach der Wende zu meinen Wurzeln zurückgekehrt“, erzählte er.

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Hinter Karel Gott und mir der Blick von seiner Terrasse auf Prag.  „Lassen Sie uns reingehen, es wird auf der Terrasse um Mittag herum sehr heiß“, meinte er wissend. Ich hätte den Blick noch ewig genießen können. Es entspann sich ein sehr offenes Gespräch. © Boris Trenkel

Die Musik war nicht die erste Wahl des jungen Karel. Seine künstlerischen Ambitionen gehörten seit seiner Schulzeit der Malerei. Die Mutter schenkte ihm Bücher mit Bildern der großen Meister, Rubens, Botticelli…, die er versuchte nachzumalen. Sein Klassenlehrer half ihm, sich auf ein Studium an der Kunstschule UMPRUM vorzubereiten. „Ich bestand die Aufnahmeprüfung aber nicht und machte eine Lehre zum Starkstrom-Elektromonteur im Straßenbahnwerk ČKD, wo mein Vater gearbeitet hat. Als ich 1957 meinen Facharbeiterbrief in der Hand hielt, war er stolzer als ich“ erinnerte sich der Sänger. Die Lehre hatte ihm nicht gerade eine Freude bereitet.

Seit der Kindheit gehörte seine Leidenschaft neben der Malerei dem Film und der Musik. Während seiner Lehrzeit trieb es ihn in die Prager Nachtklubs, wo handgemachte Musik gespielt wurde. Seinen Freundinnen gaukelte er vor, er sei Film- und Theaterschauspieler. Das war zeitlebens seine stille Sehnsucht. Hin und wieder durfte er in Filmen mitspielen, aber meistens als er selbst. „In dem Märchenfilm Teuflisches Glück trat ich zum ersten Mal als jemand auf, der nichts mit mir zu tun hatte.“ Er spielte sowohl den Teufel Luzifer und als auch Gott. „Ich war ein Teufel mit menschlichem Antlitz, streng, aber nicht böse, sondern sympathisch.“ 2018 erfüllte sich für Karel Gott ein unerwartetes Glück. Er spielte zusammen mit seinen Töchtern und seinem Enkelsohn Aleš die Hauptrollen in dem zauberhaften tschechisch-slowakischen Märchenfilm „Das Geheimnis des zweiköpfigen Drachen“.

Seine ersten Platten Anfang der Fünfziger schickte ihm seine Tante, die in Hessen wohnte. „Das war Westmusik. Rock’n’Roll. Diese Art von Musik gab es bei uns in der Zeit nicht, die geprägt war vom Stalinismus. In den 60ern wurde die politische Lage offener gegenüber Westmusik. Ich steckte mein ganzes Geld in Platten. Es waren Schätze, die wir zusammengetragen haben. Das hatte etwas von Rebellion. Wir empfanden uns als Botschafter, die diese Musik hierhergebracht haben“, erinnerte er sich. Es war für ihn Freude und gleichzeitig Investition. „Ohne diese Stadt, ohne die Platten wäre ich nie Musiker geworden.“ Sein Deutsch lernte er übrigens auch in dieser Zeit, mit Hilfe von Zeitschriften, die die Tante mit in ihre Pakete legte.

Die Musik ließ Karel Gott nicht mehr los. Er lernte Gitarre und begann die Titel auf den Platten mit- und a cappella nachzusingen. In der Badewanne, auf der Straße, in der Fabrik vor den Kollegen. 1957 hatte er auf einer Country-Musikveranstaltung in der Nähe von Prag seinen ersten Auftritt vor unbekanntem Publikum. Zwei Jahre später hörte ihn die tschechische Jazzlegende Karel Krautgartner bei einem Wettbewerb und holte ihn als Sänger in sein Orchester. „Obwohl ich damals bei einem Talentwettbewerb durchgefallen war. Krautgartner sagte mir damals: ,Mach dir nichts draus, Junge. Wichtig ist, dass es dem Publikum gefallen hat. Das ist das Entscheidende. Wenn du mit uns singen willst, komm zu unserer Jamsession.‘ Seine Worte waren Musik in meinen Ohren. Es war für mich unglaublich aufregend, mit diesen berühmten Profis zu arbeiten.“

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Es machte Spaß, dem Sänger beim Erzählen zuzuhören. Er sprach im Interview Deutsch. Gelernt hatte er aus bunten Zeitschriften, die ihm seine Tante aus dem Westen schickte. © Bärbel Beuchler

Schnell entwickelte sich der gutaussehende junge Amateursänger zum Geheimtipp in der Prager Musikszene. Bald holten ihn auch andere Bands als Frontmann und Musik und Arbeit in der Fabrik ließen sich nicht mehr vereinbaren. Der Anfang 20-Jährige musste sich entscheiden, in welche Zukunft ihn sein Weg führen sollte. Und die hieß für ihn erst einmal Studium am Konservatorium. „Eine zusätzliche Motivation, die mit der Musik und den bescheidenen Gagen nicht viel zu tun hatte: Ich hatte als Sänger meine ersten weiblichen Fans! Für einen jungen Mann war es der Traum schlechthin, von schönen Frauen verliebt angeguckt zu werden. Es hat meine Seele gestreichelt. Ich hatte viele Freundinnen, oft mehrere gleichzeitig. Als Fabrikarbeiter lagen einem die Mädchen nicht wirklich zu Füßen“, verriet er mit schelmischem Blick. „Deshalb habe ich bei meinen Dates als Lehrling auch immer geflunkert und mich als Schauspieler ausgegeben.“

Man muss kein Schlagerfan sein, um von dem Sänger und seinen Liedern berührt zu werden. Was im Übrigen ohnehin zu eng betrachtet wäre. Karel Gott bediente weit mehr Genres. Er sang Rock’n’Roll, Jazz, Blues, Country , Opern- und Operetten. Karel Gott hat in seiner Stimme Klarheit und Seele vereint. Woher er die „Goldene Stimme” habe, wollte ich von ihm wissen. Die Antwort kleidete er in eine Episode.
Einer seiner Lehrer war der russische Tenor Konstantin Karenin. „Karenin brachte mir nicht nur die Kunst des Belcanto bei, sondern tolerierte auch meine Pop-Ambitionen. Er war ein alter Charmeur. Man hat gespürt, dass er in seiner Zeit ein Gentleman war. Mit 70 hat er bei seiner Schülerin, als sie mit dem Studium fertig war, um ihre Hand angehalten. Er starb auf einer Bank im Park mit einem Buch in der Hand und einem Lächeln um den Mund. So glücklich war er“, erzählt sein Meisterschüler Gott.

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Fotograf Boris Trenkel filmte unser Gespräch mit meinen Handy. Ich habe Screenshots davon gemacht. © Bärbel Beuchler

1963 erschien seine erste Single, die tschechische Version von „Moon River“. Noch nicht 30 Jahre alt avancierte Karel Gott in seiner Heimat zum Superstar. 1966 hörte ihn der Chef der Plattenfirma Polydor auf einem Festival in Bratislava und war sofort überzeugt, dass dieser junge Mann auch in Deutschland die Schlagerfreunde begeistern würde. Er hatte sich nicht geirrt. Karel Gotts erste Single in Deutschland wurde mit dem Titel „Weißt du wohin“ sofort ein Riesenerfolg. Seinen wirklichen Durchbruch feierte er 1970 mit dem Schlager „Einmal um die ganze Welt“, den er in der DDR nicht singen durfte. Der sich darin spiegelnde Traum des aus einfachen Verhältnissen kommenden Sängers wurde aus politischer Engstirnigkeit verboten. Es war die Angst, die DDR-Bürger könnten es zur Hymne gegen das Reiseverbot in den Westen erheben. Als Hit wurde es hier trotzdem gefeiert. Man hörte schließlich Westradio!

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Zum Abschluss meines Besuches signierte mir Karel Gott sein Buch

Die Anfangs holprig beginnende Karriere der „Goldenen Stimme aus Prag“, ein Label, das die Polydor erfand, nahm von da an einen steilen Verlauf. 1967/68 folgte der Einstieg in Amerika. Ein halbes Jahr Las Vegas. Ein No-Name aus dem Ostblock sollte und wollte das amerikanische Publikum gewinnen, dass so ganz andere Vorstellungen von einem Entertainer auf der Bühne hat. Man präsentierte ihn als den ersten Künstler „from behind the Iron Curtain“, als ersten Kommunisten auf einer Bühne in Las Vegas. „Ja, so wurde ich verkauft“, erinnerte er sich. „Man hatte alles schon mal in Las Vegas, aber jemanden aus dem ,Reich des Bösen‘, als lebendes, singendes Ausstellungsobjekt noch nie.“ Sein Protest, dass er nie Kommunist gewesen ist, wurde weggewischt. Das sei Showbusiness. „Es war eine so harte Schule, dass ich alles locker fand, als ich zurückkam. Normalerweise hätte mir die Konkurrenz, die es in der damaligen BRD für mich gab, schweres Lampenfieber vor jedem Auftritt und Magengeschwüre verursacht. Aber mein Manager in Las Vegas hat mir eingetrichtert: Du musst hier mit der Überzeugung auf die Bühne gehen, dass sich die Leute glücklich schätzen können, dich sehen und hören dürfen. Die Leute wollen einen a priori Sieger sehen. Das waren die Gebote, und die klangen nach teurem Zirkus. Ich kehrte sehr selbstbewusst und ein bisschen frecher zurück.“

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Seine erste Autobiografie war kurz vor meinem Besuch 2014 erschienen. © Bärbel Beuchler

Nur eins hatte er sich nicht angenommen. Die Arroganz der amerikanischen Künstler. Man hatte ihm gesagt: Nur nicht bedanken. Und das lag nicht im Charakter von Karel Gott. Menschen, die ihm seinen Erfolg brachten, verdienten seinen Dank, seine Achtung. Trotz seines Erfolges war er einer, der bescheiden geblieben ist. „Ich bin keiner, der sich hinter Bodygards versteckt, der sein Publikum stehen lässt oder gar beschimpft, wie ich es bei Judy Garland erlebt habe. Ich gehe allein durch Hamburg, durch Paris. Ich brauche diese Schau nicht. Ich bin ein Romantiker. Am Ufer entlanggehen, in die Sterne gucken, sich inspirieren lassen von schönen Frauen, die vorbeigehen und denken: Wie soll mein nächstes Lied klingen. Das ist meine Vorstellung.

Und wieder waren wir beim Thema Frauen. Karel Gott bezeichnete sich selbst immer als ewigen Junggesellen. „Das hat mit meinem Lebensgefühl zu tun. Ich denke immer, das Beste kommt noch. Ich brauchte die ständige Verliebtheit, um etwas zu kreieren. Ich hatte Angst, wenn ich heirate kommt die Romantik abhanden. Manch eine hat bei mir gefrühstückt, aber nie bekam eine den Haustürschlüssel.“ Das änderte sich, als er die 37 Jahre jüngere Fernsehmoderatorin Ivana Macháčková kennenlernte. Sie war die Erste, der er einen Schlüssel zu seinem Haus und zu seinem Herzen gab. „Ich musste mir ihr Vertrauen erarbeiten. Sie ließ sich nicht sofort auf mich ein. Wir haben uns aber auch sieben Jahre Zeit gelassen, bis ich ihr in Las Vegas einen Heiratsantrag gemacht habe. Die Trauzeugen haben wir uns im Hotel gesucht. Zwei Kellner im Anzug.“ Er lacht. Sie heirateten am 7. Januar 2008 in der Graceland Hochzeitskapelle des Hotels „New Frontier““. Keine Blitzhochzeit, weil die zweite Tochter Nelly Sofie war unterwegs. Dass es sein Leben miteinander verbringen will, wusste das Paar spätestens seit der Geburt ihrer Tochter Charlotte Ella 2006.

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Ein glücklich strahlender Ehemann und Vater. Karel Gott hatte am 7. Januar 2008 die Mutter seiner Tochter Charlotte Ella (*20.4. 2006) in Las Vegas geheiratet. © Karel Gott Privatarchiv

Woher nehmen Sie nun als Vater und Ehemann Ihre Inspiration, wollte ich wissen. Er lächelte, seine Augen sprachen von einem großen Glück in ihm. „Ich bin kreativ durch die Freude der Kinder, die morgens am Bett stehen, fröhlich sind und sagen: ‚Vati, Schlafmütze, aufstehen!‘ Oder mir ihre Errungenschaften zeigen. Zeichnungen, ein neues Kleid … Das ist eine Herausforderung, die mich glücklich macht. Ich habe die Stimulation durch eine Famile verkannt“, gestand er.“ Seine beiden erwachsenen Töchter Dominika (*1973) und Lucie (*1987) wuchsen bei ihren Müttern auf. Er war 23, als Dominka geboren wurde, und gerade auf dem Weg, sich die Musik zu erobern. Vater und Töchter lernten sich erst kennen, als sie junge Mädchen waren. „So war das mit den Müttern so abgemacht, aber ich habe immer für sie gesorgt, denn ich liebe alle meine Töchter“, versicherte er.

Immer wieder wurde Karel Gott für seine künstlerischen Leistungen im In- und Ausland geehrt. In seiner Heimat Tschechien hat man ihn mehr als 40 Mal zum Sänger des Jahres gekürt. 41 Mal gewann er den tschechoslowakischen Musikwettbewerb „Goldene Nachtigall”, kurz nachdem er einen Lymphdrüsenkrebs überstanden hatte. Nach einer mühsamen Therapie ging es ihm eine Zeit lang besser, und er stürzte er sich wieder in die Arbeit. Die Fotos zeigten einen jünger wirkenden Mann, der Lebensfreude ausstrahlte.

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Kurz vor seinem Geburtstag im Juli hat Karel Gott das Duett „Srdce nehasnou” mit seiner Tochter Charlotte Ella aufgenommen. Er sprach danach mit großer Bewunderung von der Professionalität der 13-Jährigen. Begleitet wurden sie von Richard Krajčo und seiner Popgruppe „Kryštof“. Anders als gewohnt, wurde das Lied nicht zuerst auf CD, sondern auf dem Youtube-Kanal von Supraphon veröffentlicht. Mehr als 1,4 Mio. Menschen haben es bisher gehört  Foto: Screenshot

Im Mai entstand der Titel „Srdce nehasnou“ – Herzen erlöschen nicht – auf. Ein bewegendes Duett, das der bekannte tschechische Schauspieler und  Songschreiber Richard Krajčo  für ihn und seine 13jährige Tochter Charlotte geschrieben hat. Nach diesem Lied habe er sich schon lange gesehnt, sagte Karel Gott. Es trage die emotionale Tiefe und Energie eines Dialogs zwischen einem Vater und seiner heranwachsenden Tochter in sich, sagte der Sänger, – und die Nachdenklichkeit über die Endlichkeit des Lebens.

Herzen erlöschen nicht

Manchmal weiß man, was der liebe Gott vorhat
Und dass man nicht alle Orte mehr erreichen wird
Aber er ist ein Guter, ein Altruist
Denn er hat mir dich gegeben, ein Zuhause, einen Hafen.
Und in ihm bist du
Meine ganze Welt
Deine gütige Umarmung
Ein wilder Flug
Und um uns herum die Musik
Eine der Schönheiten
Wenn uns der Frost
Über den Rücken läuft.

Du weißt, dass die Herzen nicht erlöschen
Aber es kann passieren
Sehr oft sogar
Dass ich Angst bekomme
Dann darfst du nicht aufgeben
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir, mein einziger Stern,
Weiterhin leuchten
Und was, wenn mich der Strom hinunterzieht
Dann musst du auf ihm segeln
Auf einem Floß aus Lorbeeren
Und nicht auf ihm einschlafen
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir, mein einziger Stern
Weiterhin leuchten

Ich fühle jetzt, wie die Zeit sprintet
Bevor ich einschlafe, möchte ich deine Stimme hören
Damit auch diese paar Augenblicke unendlich bleiben
Als du mit voller Kraft gesungen hast
Ich weiß, deine Wurzel ist zäh wie ein Stamm
Und Bäume wachsen weiter, vergiss das nicht
Auf deren Wipfel führen tausende Wege
Am Ende eines jeden werden wir uns wiedersehen.

Du weißt, dass die Herzen nicht erlöschen
Aber es kann passieren Sehr oft sogar
Dass ich Angst bekomme
Dann darfst du nicht aufgeben
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir, mein einziger Stern
Weiterhin leuchten
Und was, wenn mich der Strom hinunterzieht
Dann mußt du auf ihm segeln
Auf einem Floß aus Lorbeeren
Und nicht auf ihm einschlafen
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir, mein einziger Stern
Weiterhin leuchten
Du weißt, daß die Herzen nicht erlöschen
Aber es kann passieren Sehr oft sogar
Dass ich Angst bekomme
Dann darfst du nicht aufgeben
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir, mein einziger Stern
Weiterhin leuchten

Und was, wenn mich der Strom hinunterzieht
Dann musst du auf ihm segeln
Auf einem Floß aus Lorbeeren
Und nicht auf ihm einschlafen
Auf allen deinen Wegen
Werde ich dir weiterhin leuchten
Manchmal weiß man, was der liebe Gott vorhat

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Claudia Wenzel über ihr geteiltes Leben, Freiheit, Karriere gestern und heute

Freundschaft heißt nicht, tagtäglich miteinander zu reden. Aber wenn es wichtig ist. Und da ist es egal, wer wen anruft. Zwischen einer Journalistin und einer Schauspielerin sind das Momente, wo letztere etwas zu erzählen hat oder auch, wenn ein runder Geburtstag ins Haus steht. Also bekam ich, die Journalistin, von Claudia Wenzel, der befreundeten Schauspielerin, ein paar Tage von ihrem 60. Geburtstag eine SMS: „Liebe Bärbel, ich werde 60… Hurra! Wollen wir was machen?“

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Claudia Wenzel bei den Dreharbeiten im August 2019 für den Bergdoktor. Selfi  mit Hans Sigl

Ich kenne Claudia seit über 20 Jahren als jemanden, der auch anklopft, wenn es ihm wichtig ist. Und das finde ich in Ordnung. Ihr Zeitplan wird derzeit von den Dreharbeiten für die ZDF-Serie „Der Bergdoktor“, Proben für die Weihnachtskomödie „Alle unter eine Tanne“ am Kölner Theater am Dom – Premiere ist am 7. November – bestimmt. Nachdem sie im vorigen Jahr mit dem Stück „Wunschkinder“ ohne ihren Mann, den Schauspieler Rüdiger Joswig, durch 63 Städte getourt war, spielen beide hier nun wieder zusammen. Mit einer speziell für sie geschriebenen Geschichte wird Claudia Wenzel als Vera Bader ab 26. November wieder intensiv in der Serie „In aller Freundschaft“  dabeisein. Um den Zuschauern die Spannung nicht zu nehmen, verrät die Schauspielerin nur, dass die bisher intrigant und skrupellos angelegte Figur Veränderungen durchmacht. Und dann natürlich ist ihr Geburtstagsjubiläum, das am 21. September war, ein Grund, um in der Schatulle ihres Lebens zu kramen. Was war, was ist, und wohin sie noch möchte.

Claudia Wenzel und Ruediger Joswig
Gespräch mit Rüdiger Joswig und Claudia Wenzel (r.) in der Ausstellung „Mauerbilder” ihres Vaters Manfred Wenzel  am 3. Novmeber 2014 in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin Foto: Michael Handelmann

Es mag Zufall sein, dass unser letztes Interview genau (schon) fünf Jahre zurückliegt. Zusammen mit ihrem Mann, Schauspieler Rüdiger Joswig, saßen wir am 3. November 2014 in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in einer Ausstellung mit Bildern ihres Vaters Manfred Wenzel. Der Wittenberger Maler war 1990/93 mit dem Fahrrad entlang des Mauerstreifens in und um Berlin gefahren und hat in seinem Gemäldezyklus „Mauerbilder“ festgehalten, was er erlebte und entdeckte. Claudia hatte die Ausstellung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls initiiert und kuratiert. Wir haben damals über ihre Hoffnungen und Erwartungen gesprochen, die sie mit dem Ende der Teilung Deutschlands verbanden, wie ihr Rückblick auf das verlorene Land ist, die Zeit des Umbruchs.

Daran kommen wir auch in unserem jetzigen Gespräch nicht vorbei. Die Wendezeit war für sie auch eine Lebenswende. Sie spielte damals am Schauspiel Leipzig. „Wir wollten eigentlich seit Tagen Goldonis Stück Das Lügenmaul probieren. Aber wir haben nur gesessen und diskutiert. Es gab ja bei aller Freude auch Verunsicherung. Wie würde es weitergehen mit dem Land, mit dem Theater. Ich war auf einmal politisch aktiv, wie ich es bis dahin nie war“, erinnert sie sich. „Niemand hat damit gerechnet, dass mit dem Vereinigungsprozess nicht nur der Staat DDR verschwand, sondern auch alles, was unser Leben, unsere Biografien ausgemacht hat. Ich weiß, dass ich zu den Glücklichen gehöre, denen es gut geht, weil sie Arbeit haben.“ Dennoch entgeht ihr nicht, was sich in der Gesellschaft heute abspielt.

Zeitenwende
Einladung zur Lesung „Zeitenwende – Lebenswende“ von Claudia Wenzel und Rüdiger Joswig zeigt das Bild „Mauerspechte“ von Manfred Wenzel

Haltung zeigen, sich positionieren lässt die Schauspielerin nicht nehmen. Seit 30 Jahren sind die Grenzen offen, doch immer noch trifft die Schauspielerin in den westlichen Bundesländern auf Menschen, die nichts über den Osten wissen. „Ich bin erschrocken, wie viele negative, falsche und verquaste Ansichten es gibt. Dass der Osten immer in die rechte Ecke geschoben wird, ist nicht zu akzeptieren. Die AfD entstand nicht aus dem Nichts, und dass sie von so vielen – Ost wie West – gewählt wurde, dass sie im Bundestag sitzt, muss als Warnzeichen ernst genommen werden. Man sollte jemanden, der sich in Diskursen auf Themen bezieht, die die AfD für ihre Zwecke okkupiert hat, nicht einfach platt als rechts oder Nazi diffamieren.”

Mit ihrem Mann hat sie das Projekt „Zeitenwende – Lebenswende“ entwickelt. Sich einzubringen, aufzuklären aus den eigenen Lebenserfahrungen mit der deutsch-deutschen Geschichte heraus ist beiden Schauspielern wichtig. „Rüdiger und ich haben die DDR ja sehr verschieden erlebt. Er hat das Land verlassen, weil er die politische Diktatur nicht mehr aushielt. Ich bin geblieben, weil ich dachte, es können doch nicht alle gehen, denen es nicht mehr passt oder die vom Staat in die Enge getrieben wurden. Es müssen doch welche bleiben, die etwas verändern.“

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Claudia Wenzel als Hexe Hella in „Meister und Margerita“ 1985 am Schauspielhaus Leipzig Foto: Heinrich Pawlick/Privatarchiv C. Wenzel

Von jedem ihrer Gastspiele im Westen kehrte sie wieder zurück, wenngleich es ihr zunehmend schwerer fiel. „Ich habe dort ein großes Gefühl von Freiheit erlebt, das mir in der DDR fehlte. Mit dem Abstand von der anderen Seite hat man gemerkt, dass da ein ganzes Volk wirklich eingesperrt wird, wie sehr wir doch in einer Diktatur leben.“ Aber sie hat auch gesehen, dass der Teil des Landes, in dem sie geboren wurde, mehr für das büßen muss, was Deutschland mit dem zweiten Weltkrieg an Verbrechen von 1939 bis 1945 begangen hatte. Das war für mich damals so ein krasser Widerspruch. Von da an habe ich die DDR mit anderen Augen gesehen.“

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Die Schauspielstudentin Claudia Wenzel 1981/82 als Gretchen in „Faust I“ am Schauspielhaus Leipzig Foto: Helga Wallmüller/Privatarchiv C. Wenzel

Claudia Wenzel hätte schon bei ihrem ersten Gastspiel mit dem Leipziger Schauspielhaus 1982 in Mannheim bleiben können. Sie gab das Gretchen im „Faust I“ so mitreißend, dass man ihr ein Engagement mit verlockender Gage anbot. Sie zog jedoch nicht einmal in Erwägung, es anzunehmen. Zuviel stand für ihre Familie in Wittenberg auf dem Spiel. „Ich konnte mir ausrechnen, welche Schikanen auf meine Eltern und Geschwister zugekommen wären. Ihre Biografien zu zerstören, nur weil ich ein anderes Leben führen wollte, hätte ich mir nie verzeihen können. Das saß mir schon im Nacken“, reflektiert sie die Zeit.

Prägungen.

Claudia Wenzel wuchs mit vier Geschwistern in einem Akademikerhaushalt auf. Beide Eltern waren Lehrer. Ihr Vater Manfred Wenzel lehrte Kunsterziehung und malte. „Wir Kinder waren ziemlich zeitig auf uns selbst gestellt, weil keiner von uns unbedingt in den Hort gehen wollte“, erzählt Claudia. Sie verbrachte viel Zeit im Atelier ihres Vaters. Bildbände über Picasso und Beckmann waren ihre Bilderbücher. Das Familienleben der Wenzels war gut organisiert. „Jedes von uns Kindern wurde in seinen Neigungen gefördert. Meine Schwestern gingen zum Schwimmen, lernten Klavierspielen, mein Bruder nahm Gitarrenunterricht, und ich bin mit 12 Jahren auf die Kinder- und Jugendsportschule gekommen.“ Am Ende des Tages saß man zusammen am Abendbrottisch, die Kinder erzählten, was sie gemacht haben. Auch wenn das Lehrergehalt gut war, kam es vor, dass das Geld in der Familie Wenzel zum Monatsende sehr knapp wurde bei den fünf Kindern. „Dann gab es die letzten drei Tage nur Brot mit Butter. Das fanden wir nicht schlimm.“

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Claudia Wenzel mit ihrem Vater und ihren Schwestern Sylvia (r.) und den Zwillingen Monika und Cornelia (l.) vor einer Porträtwand in der Ausstellung zum 85. Geburtstag des Malers Foto: Privatarchiv C. Wenzel

Höhepunkte waren die Pakete ihrer Oma aus Bayern. Die Familie ihres Vaters stammte aus Schönlinde, bis Kriegsende Sudentengebiet, von wo sie 1946 vertrieben wurde und nach Wittenberg übersiedelte. 1949 zog Oma in den Westen, ihre beiden Söhne blieben in der DDR. „Es war für sie sehr schwer, ihre Familie so weit entfernt zu haben“, erzählt Claudia. „Sie besuchte uns jeden Sommer und agitierte meine Eltern, doch in den Westen zu kommen. Meine Eltern wollten das nicht. Obwohl sie nicht in der Partei waren, standen sie zu dem Land. Wir Kinder verstanden nicht, warum wir aus Wittenberg weggehen sollten. Uns ging es gut- Hier waren wir zu Hause, das war unsere Heimat.”

Bei den Wenzels wurde sehr offen gesprochen, politisch diskutiert. Ihr Zuhause hat Claudia und ihre Geschwister geprägt, kritisch zu sein, aber gleichzeitig wertzuschätzen, was ihnen der sozialistische Staat gab. „Das war angefangen vom kostenfreien Bildungssystem über kulturelle Teilhabe für alle und die Unterstützung für kinderreiche Familien nicht wenig“, erzählt die heute 60jährige Schauspielerin. Was alle bedrückte, war die fehlende Freiheit, so offen auch außerhalb der vier Wände Probleme zu benennen. „Ab einem bestimmten Alter wussten wir, was nicht nach außen getragen werden durfte, weil es schaden könnte. Immer aufpassen zu müssen, was man wo und wie sagt. Diese Doppelmoral oder Zweizüngigkeit leben zu müssen, war belastend.”
Ein Anliegen ihres Projektes „Zeitenwende – Lebenswende“ ist es deshalb auch, in Diskussionen mit jungen Leuten zu kommen und ihnen die Augen dafür zu öffnen, dass Freiheit kein Selbstläufer ist, nicht selbstverständlich. In der DDR eckte sie als rebellische Künstlerin am Theater oft an. „Heute“, sagt sie, „haben wir eine Demokratie, die Meinungsfreiheit ist Verfassungsrecht.”

„Schwierig sich zu verloben“ 1982 DEFA:W. Bangemann:K. Goldmann
1982 spielte sie – hier mit Ulrike Krumbiegel – ihre erste Filmrolle in der DEFA-Gegenwartsgeschichte „Schwierig, sich zu verloben“ Foto: Goldmann & Bangemann/DEFA-Stiftung

Die Schauspielerin.

Olympiasiegerin wollte sie werden, gehörte an der KJS in Leipzig zu den Besten. Ein Achillessehnenriss beendete diese Karriere ehe sie begonnen hatte. Trotz schrecklicher Schmerzen war sie dankbar, wie sie heute sagt. Ihr Kindertraum rückte in den Fokus. „Ich habe noch einen Aufsatz aus der 2. Klasse, in dem steht, dass ich Schauspielerin werden möchte.“ Ihre Großmutter Ida, die aus Bayern, hat Saatkorn in ihre Kinderseele gelegt. Sie erzählte ihrer Enkelin, von dem Tanzsaal im Gasthof ihrer Eltern in Krásná Lípa, wie Schönlinde heute heißt, in dem sie mit selbstgeschriebenen kleinen Stück aufgetreten ist.

In einer Hauruck-Aktion verließ Claudia die KJS, kehrte zurück nach Wittenberg, machte ihr Abitur und suchte nach Möglichkeiten, Schauspielerin zu werden. Rolf Colditz, ein bekannter Bühnenschauspieler aus Halle, beriet sie. Mit ihrem fünf Jahre älteren Bruder Eckhardt, bekannt als Musiker Wenzel, studierte sie zum Vorsprechen Bertolt Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ein. Im September 1978 Jahren begann sie als eine der Jüngsten ihr Studium an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig, bekam nach dem Diplom 1982 ein Engagement am Schauspiel Leipzig. Sie reüssierte in Rollen wie der Mascha in „Drei Schwestern“ oder der Hexe Hella in „Meister und Margerita“. Da machte sie Furore, weil sie nackt auf der Bühne stand. „Für die Zuschauer war das erst einmal ein Schock“, erinnert sie sich amüsiert. „In einer Talkshow hat mir Sebastian Krumbiegel von den Prinzen erzählt, dass er wegen mir dreimal in der Vorstellung gewesen ist.“ Neben ihrer Theaterarbeit machte sie in DEFA- und Fernsehproduktionen auf sich aufmerksam. Mit Wucht und wehenden Locken wirbelte sie als umtriebige Tochter des Zahnarztes Dr. Wittkugel durch die beliebte DDR-Serie „ Zahn um Zahn“.

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Claudia und ihr Mann Rüdiger in Sorrento an der Amalifi Küste. Sie feierten hier seinen 70. Geburtstag. Sie leben seit 27 Jahren zusammen, seit 2003 als Ehepaar. Kennengelernt haben sie sie 1984 am Theater in Leipzig Foto: Privatarchiv C. Wenzel

Mit genau solchem Schwung gelang ihr als Fanny Moll in der Serie „Unser Lehrer Doktor Specht“ 1990 der Einstieg ins gesamtdeutsche Fernsehen. „Dass es so kam, verdanke ich dem glücklichen Umstand, dass die französische Besetzung für die Rolle eine Woche vor Drehbeginn absagte und Regisseur Werner Masten in Berlin vor dem Fernseher saß und DDR-Serie „Klein, aber Charlotte” anschaute, in der ich mitspielte. Er ließ mich kommen, beguckte mich von allen Seiten und sagte mir, dass ich in zwei Tage in Celle drehen müsste.” Sie nutzte die Gunst der Stunde, packte in Leipzig ihre Koffer. „Es war einer meiner mutigsten und besten Entscheidungen, aus einem festen Engagement zu gehen und etwas Neues anzufangen”, erzählt Claudia Wenzel. Kein Jahr seitdem, in dem sie nicht auf dem Bildschirm in Serien, Krimis oder Schmonzetten zu sehen war.

Vielleicht liegt es an ihrer Haarpracht, die einem unweigerlich ein „Wow“ entlockt. Vielleicht an ihrem Auftreten, mondän, mit einer Körpersprache, die sie unterkühlt, stolz und zielbewusst wirken lässt, dass Regisseure und Produzenten in ihr Figuren sehen, die eiskalt berechnend, intrigant bis skrupellos ihre Interessen durchsetzen. Ein Rollenbild, das sie bis zur Perfektion trieb. Ihr besonderes Talent dazu deutete sich in der Serie „Dr. Stefan Frank  – der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ an, in der sie sieben Jahre die scheinheilige, heuchlerische Klinikchefin Irene Kadenbach spielte.  Am Ende standen für ihre Figuren immer zerbrochene Beziehungen, nicht selten das Gefängnis. So ihr Schicksal als PR-Agentin der bösartigen und verlogenen Cora Franke in der Serie „Sturm der Liebe“, die den Fürstenhof 2006 mit Lug, Trug und Mord aufmischte. Schauspielerisch brachte die intensive fünfmonatige Drehzeit Claudia Wenzel weiter. „Ich bin durch das hohe Pensum, das in einer Telenovela abgeleistet werden muss, schneller und flexibler geworden.“ Auch Vera Bader kehrte bei ihrem ersten Comeback 2017 aus dem Gefängnis in die Sachsenklinik zurück.

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Am 26. November mischt die Schauspielerin als Vera Bader wieder das Leben der Ärzte und Schwestern in der Sachsenklinik auf. Foto: Privatarchiv C. Wenzel

„Als Schauspielerin möchte ich natürlich viele Facetten zeigen, unterschiedliche Charaktere spielen“, sagt sie. Dass sie das kann, bewies sie überzeugend in dem Rosamunde-Pilcher-Film „Das Gespenst von Cassley“ als feinfühlige, abergläubische Lady Susan. Die Fans der Serie „Verbotene Liebe“ erlebten drei Jahre Claudia Wenzel als Hippie-Mutter Vashanti Schulz in ihrem wohl extremsten Rollenkontrast. „Wenn die Produzenten mich nicht anders als Geschäftsfrau oder Biest sehen wollen, dann nicht. Pech gehabt.“ Nach 40 Jahren einer erfolgreichen Schauspielkarriere leistet sie sich diese Umkehrung. „Ich habe da einen Abstand gewonnen, der mir guttut.“ Am Ton ihrer Stimme höre ich, dass es sie tief innen dennoch verletzt, nur in dem Klischee der Bösen gesehen zu werden.

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Bei den Luisenburg-Festspielen 2015 in Wunsiedel reüssierte das Ehepaar Wenzel/Joswig als Titania und Oberon in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ © Privatarchiv C. Wenzel

Ihr Gleichgewicht als Schauspielerin findet sie schon seit langem wieder auf der Bühne. Oft und gern zusammen mit ihrem Mann Rüdiger Joswig. „Bei uns gibt es keine Hemmschwellen, wir können uns fallen lassen, uns erotisch nähern, ohne die Professionalität zu verlieren.” So wurde ihre Theater-Tournee mit dem Stück „The Blue Room“ für das Publikum ein absoluter Genuss. Auf diesen Mann, ihren Traumprinzen, hat Claudia Wenzel lange gewartet. Und ohne die Wende hätten sie sich nie gefunden. Sie lernten sich 1984 am Theater in Leipzig kennen. Er hatte die Rolle eines erkrankten Kollegen im „Raub der Sabinerinnen“ übernommen. „Wir waren beide noch verheiratet und Rüdiger hatte seit 1982 einen Ausantrag laufen. Das waren die denkbar schlechtesten Bedingungen für eine Beziehung. Also beließen wir es beim Flirten.” 1987 siedelte der Rüdiger Joswig nach Westberlin über. Ende der Geschichte. Mitnichten. 1990, die Grenzen waren offen, sie hatte die Rolle als Fanny Moll in „Doktor Specht“, zog Claudia Wenzel nach Berlin-Charlottenburg. Sie wollte den Westen spüren. Zwei Jahre später begegnete sie Rüdiger wieder. „Ich war inzwischen geschieden, er noch nicht.“ Heimliches Zusammenleben bis auch er 1994 auch frei war. „Wir haben uns als Paar gefunden und genießen unser gemeinsames Leben jeden Tag. Ich habe früher nie gedacht, dass man bis ins Alter auf allen Strecken so gut miteinander kann.”

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In der Broadway-Komödie „Wanja und Sonja und Mascha und Spike“ tourten sie durch Niedersachsen Foto: B.Bischoff

Bleibt noch die Frage offen, was sie in der Zukunft noch erwartet. „Ich habe immer große Erwartungen an meinen Beruf, in dem man nie aufhört zu lernen”, sagt sie. Eine Rolle in einem Kostümfilm hat sie noch nicht gespielt, das wäre schön. Aber mehr noch das: „Es ist mir in den 30 Jahren seit dem Mauerfall nicht gelungen, in einer der vielen Geschichten mitzuspielen, die sich mit der DDR oder unserer jüngeren Vergangenheit beschäftigen. Das bedauere ich sehr. Ich würde mich gern in einem politischen Film beweisen.