Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil V

Die Fusion – eine kurzzeitige Rettung

1919 schloss sich Erich Pommer mit dem Filmproduzenten Rudolf Meinert zusammen, und sie entwickelten Decla-Film zu einer der führenden deutschen Filmgesellschaften der frühen Weimarer Zeit. Ihre Produktionen sind ehrgeizig auf Qualitätsfilme ausgerichtet.

Abenteurer und Weltenbummler Kay Hoog (Carl de Vogt) jagt dem sagenhaften Goldschatz der Inkas hinterher. Er verliebt sich in die Inka-Sonnenpriesterin Naëla (Lil Dagover). Doch sie wird von der Anführerin der Verbrecherorganisation „Die Spinnen“ ermordet. Hoog schwört Rache… c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Auch, um sich gegen die UfaKonkurrenz mit ihrem umfangreichen Produktionsprogramm aller Genres behaupten zu können. Es erscheinen Superlative wie Decla-Abenteuerklasse“ und „Decla-Weltklasse“. Im Sommer 1919 dreht Regisseur Fritz Lang in Hamburg und Berlin den zweiteiligen Abenteuerfilm „Die Spinnen“. Aufgrund des kommerziellen Erfolgs des ersten Teil musste er den zweiten Teil eher als vorgesehen beenden und die ihm zugedachte Regie für das mystisch-düstere Werk Das Cabinet des Dr. Caligari“ an Robert Wiene abgeben. Ich habe den Film irgendwann während meiner Studienzeit Anfang der 70er Jahre im Leipziger Filmkunsttheater Casino gesehen, das heut nicht mehr existiert.

Szene mit Conrad Veidt als der „Somnambule“ Cesare und Lil Dagover als das Mädchen Jane c/o filmportal/Murnau-Stiftung/DIF

Hier wurden Filme gezeigt, die im üblichen Programm der DDR-Kinos nicht aufgeführt wurden. Eben auch Filmklassiker wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, den man als Journalistik-Student „unbedingt gesehen haben sollte“. Meine Kommilitonen von der „Kulturjournalisten“-Fraktion redeten sich heiß. Es ging weniger um die grauenerregende Geschichte des zwielichtigen Dr. Caligari, der einen Schlafwandler als Jahrmarktsattraktion herumzeigt und ihn nachts Morde begehen lässt. Vielmehr wurde über die 1919 neuartige Umsetzung, den künstlerischen Stil des Films, diskutiert.

Szene mit Hans Heinrich von Twardowski und Friedrich Fehér (v.l.n.r.) Der ungewöhnliche, damals neuartige Stil bei Gestaltung der Szenen machte „Das Cabinet des Dr. Caligari“ weltberühmt Screenshot/©Willy Hameister

Ich konnte mir – dank Internet – jetzt noch einmal eine Fassung ansehen. Mit seinen grotesk verzerrten Kulissen in kontrastreicher Beleuchtung, gemaltem Licht und Schatten, hatte er schon etwas Erschauerndes. Zartbesaiteten konnte er das Fürchten lehren. Und kann es heute noch. Wer ihn nicht kennt, sollte sich diesen außergewöhnliche Stummfilmklassiker bei Youtube zu Gemüte führen. „Das Cabinett des Dr. Caligari“ gilt aus filmgeschichtlicher Sicht als der künstlerische Höhepunkt der expressionistischen Filmkunst in den 1919er und 20er Jahren. Die Bauten mit den verwinkelten und verzerrten Räumen wurden von den drei Filmarchitekten und Szenenbildnern Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann entworfen und gestaltet. Er war nicht nur ein Meilenstein für die kommende Generation der phantastischen Horrorfilme. Er führte auch zu einer wichtigen Entscheidung, was die Zukunft der Babelsberger Filmproduktion betraf.

Conradt Veidt als Schlafwandler und Werner Krauß als Dr. Caligari 1919/1920 c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF, SDK

Die Dreharbeiten für „Das Cabinett des Dr. Caligari“ fanden laut filmportal.de von Dezember 1919 bis Januar 1920 noch im Lixie-Atelier der Filmstadt Weißensee statt. Wikipedia meint, die Kulissen hätten in Babelsberg gestanden. Was ich bezweifle.
Der internationale Erfolg des Films bestärkte Erich Pommer in seinem Ansinnen, dass nur künstlerische Großproduktionen die intellektuelle Oberschicht und zugleich den einfachen Zuschauer anziehen und die Kassen füllen. Wenngleich ein filmisches Meisterwerk, war Das Cabinet des Dr. Caligari“ wirtschaftlich kein großer Wurf war. Erich Pommer erkannte: Für seine ehrgeizigen Ziele brauchte er größere Produktionskapazitäten als sie die Weißenseer Ateliers boten. Im Frühjahr 1920 fusionierte die Decla-Film A.G. mit der Deutschen Bisocop zur Decla-Bioscop A.G., nunmehr zweitgrößte deutsche Filmgesellschaft nach der Ufa. Als Gründungstermin steht der 29. April 1920. Erich Pommer verfügte damit über eine großzügige, von Guido Seeber nach Kriegsende sanierte und mit neuer Technik ausgestatteten Atelieranlage auf einem ausdehnbaren Freigelände, die in ihrem Potenzial noch viel Luft nach oben hatte.

Ganz verschwand die Produktionsfirma „Deutsche Bioscop“ jedoch nicht. Sie arbeitete – wie ich der Filmographie entnahm – bis zur Übernahme der Decla-Bioscop durch die Ufa als eigene Abteilung für Natur- und Kurz-Dokumentarfilme. Da wird Aus dem Mäusereich“ berichtet, von den Verborgenen Wundern unserer Gewässer“ erzählt oder die schöne Insel „Rügen“ vorgestellt. Aber auch einige jugendfreie Kurz-Spielfilme wie „Madame Flederwisch“ und Ritter Hans Brausewind“ kommen als Deutsche Bioscop-Produktion ins Kino.

Szene aus „Genuine“ mit Fern Andra als Vampyr und Hans Heinrich von Twardowski als ekstatischer Friseurlehrling Florian c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Die noch unter den Folgen des Krieges leidende Bevölkerung sehnte sich nach Filmen, die sie für eine Weile dem Alltag entrissen, der für die meisten ein Kampf ums Überleben war. Das Geld verlor immer mehr Wert (seit 1914 nahm die Inflation zu), Arbeitslosigkeit und Hunger herrschten. Es klingt paradox, aber die Kultur boomte mit Beginn der 20er Jahre. Sensationsfilme und exotische Abenteuer erfüllten die Sehnsüchte der Menschen. Als eine der ersten Babelsberger Produktionen der Decla-Bioscop drehte Regisseur Robert Wiene das expressionistische Schauermärchen „Genuine. Die Tragödie eines seltsamen Hauses“, für das wiederum Carl Mayer das Drehbuch verfasste. Doch die Geschichte der grausamen Priesterin einer esotherischen Sekte, mit blutrünstigen Ritualen, erreichte nicht die

Genuine fordert von dem in ekstatischer Liebe entbrannten Florian das Blutopfer c/o filmportal, Murnau-Stiftung, DIF

erwartete Qualität. Die allzu bizarren Arabesken der Kulissen des Malers César Klein schufen zuviel Unruhe und übertönten die schauspielerische Leistung. Auch wurde nicht wie erhofft intellektuelles Publikum angesprochen. Dennoch bleiben für Erich Pommer Autorenfilme und literarische Verfilmungen das Wichtigste in seinem Spielfilmprogramm. Nach der Novelle von Heinrich Zschokke ließ er im Barockschloss Glatz und in den Babelsberger Studios den „Roman der Christine von Herre“ drehen. Die Dreharbeiten dauerten von Mai bis August 1921. Am 29. September fand die Uraufführung statt.

Nach dem Märchen „Gevatter Tod“ produzierte Decla-Bioscop 1921 in Babelsberg „Der müde Tod“ mit Lil Dagover als Braut, die ihren Geliebten retten will. Karl Platen mimt den Tod. c/o Stiftung Deutsche Kinemathek

Zu einer der erfolgreichsten Produktionen, die Erich Pommer in der Decla-Bioscop-Zeit verantwortet, wurde „Der müde Tod“. Die expressionistisch-romantische Adaption des Grimmschen Märchens „Gevatter Tod“ realisierte Regisseur Fritz Lang nach einem Drehbuch seiner Frau, der erfolgreichen Autorin Thea Harbour. Ein Volkslied in sechs Versen nannte Lang seinen Film. Zusammen mit den Architekten Walter Röhrig (deutscher Teil), Hermann Warm (orientalischer und venezianischer Teil) und Robert Herlth (chinesischer Teil) schuf er auf dem Babelsberger Ateliergelände eine Szenerie, die den poetisch-romantischen Charakter der Handlung voll zur Geltung bringt, egal, ob sie in einer verträumten deutschen Kleinstadt oder in der orientalischen Pracht eines Kalifenpalastes stattfindet.

Lil Dagover in der Kulisse einer deutschen Kleinstadt, wie sie von Architekt Walter Röhrig auf dem Freigelände des Neubabelsberger Studios aufgebaut wurde c/o filmportal/SDK

Zauberhafte Bilder erschienen auf der Leinwand. Wahre Begeisterung riefen die Filmtricks hervor. Lang verwendete in der „chinesischen Episode“ einen für die damalige Zeit sehr aufwendigen Trick mit einem Riesenmodell der Stiefel des Zauberers, durch die eine Armee winziger Menschen aufmarschiert. Langs Kinotricks nahm Hollywood-Regisseur Raoul Welsh 1924 als Vorbild für seinen Film „Der Dieb von Bagdad“.

Das Mädchen (Lil Dagover) sucht auch im Land des Kalifen (Eduard von Winterstein) nach einem Menschen, der sein Leben für das ihres Geliebten gibt. Doch jeder, auch wenn er alt und gebrechlich ist, hängt an seinem Leben c/o filmportal, SDK

Fritz Langs 1921 gedrehte volksliedhafte, thematisch einfache Parabel von der Liebe, die stärker ist als der Tod, in außergewöhnlich ausdrucksstarken Bildern von großer Schönheit sollten alle Filmfreunde gesehen haben“, schrieb der Evangelische Filmbeobachter in seiner Kritik 280/1969. Die Uraufführung wurde am 6. Oktober 1921 mit einem großem Aufwand im Berliner Mozartsaal gefeiert.

Ein neues Filmimperium wird geboren

Nur ein paar Tage später, am 11. Oktober 1921, beschloss die Decla-Bioscop A.G. ihre Fusion mit der Ufa, die damit nicht nur ihren größten Konkurrenten ausschaltete. Mit der Übernahme der Neubabelsberger Ateliers und Produktionsanlagen sowie des Decla-Gründers und ambitionierten Filmproduzenten Erich Pommer verschaffte sich die Ufa ein kreatives Potenzial, das in den kommenden Jahren ihr Gesicht entscheidend prägen würde. Das Studio entwickelte sich unter der Ägide von Erich Pommer zum lebendigsten und innovativsten in Deutschland.

Lyda Salmonova und Paul Wegener bei Dreharbeiten zu „Das Weib des Pharao“ 1921 c/o filmportal, DIF

Regisseure wie Ernst Lubitsch („Das Weib des Pharao“, 1922) Friedrich Wilhelm Murnau („Der letzte Mann“, 1924), vor allem aber Fritz Lang („Die Nibelungen“, 1922/24), schufen mit ihren Filmen in den kommenden Jahren die Grundsteine für den Mythos Babelsberg. Filmschaffende aus Hollywood und europäischen Ländern pilgerten hierher, um sich über Szenenbild, Filmtechnik und Filmarchitektur auf den neusten Stand bringen zu lassen. Fast täglich berichtete die Presse über Dreharbeiten und Starauftritte, spektakuläre Filmtricks und atemberaubende Kulissenbauten. In diese Zeit von 1921 führen die nächsten Teile meiner Exkursion in Babelsbergs Geheimnisse des Films.

Guido Seebers Abschied von Babelsberg

Was wäre Babelsberg ohne seinen Gründungsvater, den Chefkameramann und Technische Leiter der Bioscop. Gudio Seeber hatte bereits am 31. März 1920, im Vorfeld der Übereignung der Bioscop an Erich Pommer, schweren Herzens den Betrieb verlassen, in den er sich mit viel Liebe und Hingabe, seinem Wissen und Können eingebracht hatte, um den deutschen Film voranzubringen. Als freier Kameramann wirkte er für verschiedene Filmproduktionen, ehe er 1935 nach Babelsberg zurückkehrte.

Dreharbeiten 1920 für „Das wandernde Bild“, Regisseur Fritz Lang in der Mitte, Guido Seeber hinter der Kamera c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Guido Seeber „kurbelte“ für bedeutende Regisseure und Filme wie Fritz Langs Das wandernde Bild“, (1920), Georg Wilhelm Pabsts Die freudlose Gasse“ (1925) und „Geheimnisse einer Seele“ (1926). Seine größte Aufgabe war der vierteilige Monumentalfilm Friedericus Rex unter der Regie des Ungarn Arzén von Cserépy. Die Dreharbeiten an historischen Stätten in Potsdam und Berlin-Charlottenburg sowie im Cserépy-Atelier und im Jofa-Filmstudio erstreckten sich von 1920 bis 1921 an historischen Orten in Potsdam. Sie zählten zu den erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Filmen der 1920er Jahre.

Wissend um die Begabung Seebers im Umgang mit der Kamera – er entwickelte mehrere Tricktechniken, wusste die Perspektive des Raums zu nutzen und arbeitete mit Hell-dunkel-Kontrasten – setzte ihn der österreichische Regisseur Lupu Pick für die Außenaufnahmen seines Kammerspielfilms „Sylvester“ ein. Zur Erklärung: Der Kammerspielfilm ist ein Subgenre des Stummfilms und hatte seine Blütezeit zwischen 1921 und 1925. Er steht durch psychologische Ausformung von Figuren und Situationen in realistischer und naturalistischer Weise im Gegensatz zum Expressionistischen Film.

Szene aus dem Stummfilmdrama „Sylvester“ mit Edith Proscva, Eugen Klöpfer und Frida Richard c/o filmportal/DIF

Für diesen Film drehte Guido Seeber November 1923 auf Helgoland vielbeachtete Mondaufnahmen mit einem Teleobjektiv. Das Drehbuch hatte der Schriftsteller und Drehbuchautor Carl Mayer geschrieben. Das ist insofern erwähnenswert, weil Mayer eine Form des Drehbuchschreibens entwickelte, wie sie heute noch gebräuchlich ist. Er gab am linken Rand neben dem Text Hinweise für Kamerabewegungen wie Fahrten, Schwenks bzw. die Größe der jeweiligen Einstellung. Filmische Stilmittel, wie sie Guido Seeber schon angedeutet 1913 in „Der Student von Prag“ einsetzte.

Neben seiner Filmarbeit widmete sich der inzwischen über 40Jährige technischen Experimenten und der Herstellung ungewöhnlicher Trickfilme. 1923 beteiligte er sich an den Tonfilm-Experimenten der Tri-Ergon-Film. 1925 stellte er einen Trick-Werbefilm für die Kino- und Photo-Ausstellung (Kipho) her und schrieb ein Kompendium der optischen Tricktechniken. Große Aufgaben als Kameramnn hatte er in der Tonfilmzeit nicht mehr. Er filmte leichte Unterhaltungsfilme wie Rudolf Walther-Feins Wochenendzauber“, der „prachtvolle Aufnahmen des Thalersees enthält“, oder „Das Heiratsnest“. Beide entstanden 1927.

Kameramann und Trickspezialist Guido Seeber um 1935 c/o filmportal/DIF

Nach einem Schlaganfall 1932 beendete Guido Seeber seine aktive Kameraarbeit, ohne jedoch dem Film ganz den Rücken zu kehren. Er veröffentlichte mehrere Bücher für Amateurfilmer sowie zwei Bände über Kamera- und Tricktechnik, die bis heute auf ihrem Gebiet als Standardwerke gelten. 1935 übernahm Guido Seeber die Leitung der Abteilung Filmtrick der Ufa , wo er u. a. eine Rückpro-Anlage aufbauen ließ. Trotz meiner Hochachtung vor den Leistungen dieses Filmpioniers, will ich nicht verschweigen, dass sich Guido Seeber darauf einließ, nach der Machübernahme der Nazis für einige „Blut- und Boden“-Filme wie „Zwei gute Kameraden“ (1932/33), „Die Saat geht auf“ (1934/35), und „Ein Mädchen mit Porkura“ (1934) sowie den antisemistische Streifen „Nicht weich werden, Susanne!“ (1935) Kamera zu bedienen. Guido Seeber starb 1940 mit 61 Jahren in Berlin.

Lucie Höflich (1.v.l.), Helga Thomas (2.v.l.), Hans Brausewetter (3.v.l.), Mady Christians (rechts) in dem Stummfilm „Ein Glas Wasser“ c/o Filmportal/Murnau-Stiftung. DIF

Über das Filmimperium Ufa und Babelsbergs Wachsen zum größten deutschen Filmstudio in der Zeit von 1922-1933 werde ich im neuen Jahr hier etwas veröffentlichen.

Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Film Teil IV

Zwischen Propaganda und Kunst

Nach kurzem Stillstand nahm die Bioscop mit unzureichenden Kräften und unzureichenden Mitteln im August 1914 die Filmproduktion wieder auf. Ohne ihre Visonäre Rye, Wegener, Seeber und ihren Starautoren Hans Heinz Ewers blieb sie filmkünstlerisch unbedeutend. Ewers befand sich bei Ausbruch des Krieges in New York, wo er bis 1920 blieb. Kurz zuvor hatte er noch mit Regisseur Max Obal das Liebesdrama „Die Launen einer Weltdame“ mit Tilla Durieux in der Hauptrolle verfilmt. Es kam im Juni 1914 ins Kino. Die „Kinematographische Rundschau“ urteilte seinerzeit: Ewers „schildert alles so unmenschlich schön, seinen modernsten Menschenschöpfungen haften stets die mythischesten Bocksfüße an, daß es den Zuschauer im Behagen gruselig überläuft. (…) Der Film ist von der Bioskop mit der ganzen Liebe gemacht, die sie für die Werke Hans Heinz Ewers aufbringt. Durchwegs schöne stimmungsvolle Bilder in einwandfreier Darstellung.“

Tilla Durieux 1914 in Hans Heinz Ewers Drehbuchverfilmung „Die Launen einer Weltdame“ c/o filmportal/DIF

Die künstlerische Blütezeit der Babelsberger Filmproduktion war damit vorerst beendet. Was in den vier Kriegsjahren aus dem Studio kam, war wenig rühmlich. Wenngleich der Importstop für ausländische Filme bewirkte, dass die Filmfirmen in und um Berlin ihre Produktion verzehnfachten. Pro Jahr kamen statt 25 nun 250 Filme auf die Leinwände. Die Erwartungen des Publikums an das Kino waren nach Kriegsausbruch hoch. Eine allgemeine Unruhe hatte sich seiner bemächtigt. Die Bevölkerung hatte ein großes Bedürfnis nach Informationen des Geschehens. Die Leinwand war gewissermaßen das Fenster zur Front. Man glaubte dem, was man sehen konnte mehr als der Presse. Dass hier manipuliert, geschönt und gelogen wurde, holte die Menschen damals nicht durch. Das ist auch heute noch zum großen Teil so, obwohl fast jeder weiß, dass Filmnachrichten nicht zwangsläufig wahr sind. Damals jedenfalls stieg die Zahl der Kinobesuche, das Filmgeschäft florierte.

„Der Weg des Todes“ mit Maria Carmi und Carl de Vogt ist ein Stummfilmelodram von Robert Reinert c/o filmportal/Murnau-Stiftung/DIF


Das deutsche Kriegsministerium begann bereits 1916 damit, das Filmwesen für die psychologische Kriegsführung zu nutzen. Aus diesem und keinem anderen Grunde erfolgte am 18. Dezember 1917 mit 25 Millionen Reichsmark Startkapital unter geheimer Beteiligung der deutschen Regierung, des Kriegsministeriums und der Deutschen Bank die Gründung der „Universum-Film-Aktiengesellschaft“ als Zusammenschluss der deutschen Tochtergesellschaften der dänischen Nordisk, der Projektions-AG-Union (PAGU), der May-Film GmbH und der Messter-Unternehmen. Vorrangige Aufgabe der UFA sollte es sein, Spielfilme, Dokumentarfilme, Kulturfilme und Wochenschaubeiträge zu produzieren, die im Ausland Propaganda für Deutschland machen sollten. So brachte der Erste Weltkrieg ein neues Genre hervor – den Propagandafilm. Die Deutsche Bank, die eher geschäftliche Interessen hatte, setzte aber durch, dass statt dessen bald aufwendige Unterhaltungsfilme hergestellt wurden.

Szene aus dem 1915/16 gedrehten Fantasiemelodram „Das Wunder der Madonna“ mit Theodor Loos und Maria Carmi von Walter Schmidt-Hässler und Robert Reinert c/o filmportal/Murnau-Stiftung/DIF

Die wirtschaftlich angeschlagene Bioscop versuchte, mit einem hohen „Ausstoß“ an Liebesfilmen, Komödien, vor allem auch „patriotischen“ Kurz- und Dokumentarfilmen mitzuhalten. Mehr als 200 Filme kamen in den vier Kriegsjahren aus den Neubabelsberger Ateliers. Fast ein Viertel davon hat der Schauspieler und Regisseur Emil Albes gedreht. Er engagierte sich seit Aufkommen des Films sehr für das neue Medium und arbeitete mehr oder weniger regelmäßig seit 1911 für die „Deutsche Bioscop“. Wie Rye, Ewers und Wegener sah auch er im Gegensatz zu vielen anderen Theaterschauspielern und -regisseuren im Film neue Möglichkeiten, sich auszudrücken. Mit 52 Jahren war er für den Kriegsdienst möglicherweise zu alt, um eingezogen zu werden. Aber es brauchte ja auch Regisseure, Schauspieler, Drehbuchautoren, um das Filmwesen für kriegsdienliche Manipulationen nutzen zu können. Albes drehte 1914 die ersten schrecklichen Babelsberger-Kriegsfilme „Die Grenzwacht im Osten. Nun wollen wir sie dreschen“ und „Flecken auf der Ehre“. In Babelsberg begann damit eine langanhaltende Traditionlinie dieses, durch den Krieg neuaufgekommene Genre des Propagandafilms.
Mit Paul Wegener in einer Doppelrolle brachte Emil Albes im September 1915 den Kurzfilm „Die Rache des Blutes“ ins Kino. Zur Besetzung gehörten Lyda Salmonva, der Schauspieler und Dramaturg Rudolf Blümner sowie die damals bekannte Theaterschauspielerin Martha Angerstein. Es war mir nicht möglich, Näheres über den Inhalt in Erfahrung zu bringen. Dennoch wollte ich ihn anführen, da er eine doch hochkarätige Besetzung hat. In der Filmographie der Bioscop finden sich eine Unmenge Filme, von denen man offenbar nicht mehr weiß als den Titel, wann er in Babelsberg produziert wurde, und eventuell steht noch der Regisseur dabei.

Olaf Fønss als Humunculus in „Liebeskomödie“ c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Es kam 1915/16 eine Reihe neuer Regisseure und Drehbuchschreiber wie Regisseur Walter Schmidthässler, die Österreicher Robert Reinert und Emil Justitz nach Babelsberg oder der Schwede Nils Chrisander. Zu den wenigen wichtigen und erfolgreichen Bioscop-Produktionen dieser Zeit gehört der Spielfilm „Homunculus“ von Otto Rippert aus dem Jahr 1916. Der bis heute utopische Traum, einen künstlichen Menschen erschaffen zu können, wird hier zum ersten Mal filmische Realität. Das Drehbuch verfasste Robert Reinert nach einer eigenen Romanvorlage. Im Mai 1916 begannen in Babelsberg die Dreharbeiten für den ersten Film der sechs Teile. Die sensationelle, schauerromantische Fortsetzungsserie wird innerhalb von fünf Monaten fertiggestellt. Die Titelrolle spielt der dänische Filmstar Olaf Fønss, dem die Bioscop die höchste Gage gezahlt haben soll, die jemals ein Schauspieler im deutschen Film bekam. Bemerkenswert sind die von Kameramann Carl Hoffmann bewerkstelligten stilisierten Bildlösungen und Hell-Dunkel-Wirkungen, die heutigen Filmhistorikern zufolge „einen der fraglos künstlerischen Triumphe des Films“ darstellen.

Als der Homunculus (Olaf Foenss) das Geheimnis seiner Entstehung entdeckt, wird er gepackt von Hass gegen seinen Erzeuger Dr. Hansen und dessen Tochter (Lore Rückert), die ihn liebt. Obgleich er sich instinktiv nach diesem Gefühl sehnt, wird er niemals lieben können. Er treibt er die junge Frau in den Tod und schwört,Schrecken über die Menschheit zu bringen c/o filmportal/DIF

Es war nach langem wieder ein Autorenfilm, künstlerisch hochwertig und aufwendig produziert. Die Auswirkungen des Krieges blieben auch hier nicht spurlos. In einem Zwischentitel des 4. Teils „Die Rache des Homunculus“ heißt es: Der Erdball soll unter dem Wüten der Völker erzittern…“. Der Originalfilm wurde 1920 gekürzt und als Dreiteiler wiederaufgeführt. Die drei Teile, die die Filmzensur Anfang September 1920 passiert hatten, trugen die Titel „Der künstliche Mensch“, „Die Vernichtung der Menschheit“ und „Ein Titanenkampf“.

Carl de Vogt als Ahashver der „ewige Jude“ c/o filmportag/DIF

Dem Autor Robert Reinert hatten die „Homunculus“- Drehbücher nach seinen Debüts 1915 als Drehbuchautor der PAGU-Produktion „Der geheimnisvolle Wanderer“ und als Regisseur des Bioscop-Films Küsse,die töten“ den Durchbruch im Filmgeschäft gebracht. Das in den USA bekannte Format des Serienfilms hatte auch in Deutschland Erfolg. Im Jahr 1917 inszenierte er ein zweites gewaltiges Filmwerk, den dreiteiligen phantastisch-mystischen Stummfilm „Ahashver“. Ein Meisterwerk, für feines Publikum, für die große Masse aber schwer verständlich, ist in der österreichischen Wochenzeitschrift für Lichtbild Kritik „Paimann’s Filmlisten“ zu lesen. 1920 wurde von „Ahashver“ eine einteilige Fassung hergestellt und 1912 erneut in die Kinos gebracht.
In Babelsberg begann damit die Produktion von Monumental- und Ausstattungsfilmen, die in den 20er Jahren aufblühte.

„Karlchen, der glücklich Erbe“ mit Karl Victor Plagge (M), von ‚Robert Leffler, Bioscop,1919,c/o filmportal/ DIF

Der Zustand der Neubabelsberger Filmfirma war am Ende des zweiten Weltkrieges erbärmlich. Weil sich die wirtschaftliche Lage nicht verbesserte, versuchte die Geschäftsführung 1917 die Atelieranlage an die gerade neugegründete Ufa zu verkaufen. Ohne Erfolg. Als Guido Seeber 1918 an seine Babelsberger Arbeitsstätte zurückkehrte, fand er den Betrieb „in einem durchaus unerfreulichen Zustand“ wieder. Erneut kam ihm die Aufgabe zu, aufzubauen, zu sanieren, die neue Technik berücksichtigend, für die keine Mittel vorhanden waren. In der Nachkriegszeit sanken die Eigenproduktionen bis 1919 auf wenige Filme und eine Serie – die „Karlchen“-Reihe von Emil Albes mit dem Komiker Karl Victor Plagge in der Titelrolle. Vermietungen an andere Filmfirmen wurden zur Regel.

Szene aus Nils Chrisanders phantastischem Stummfilmdrama „Cagliostros Totenhand“ mit Martha Novelly, das 1919 in der zensurlosen Zeit von der Bioscop produziert worden ist und im September in Österreich-Ungarn anlief c/o filmportal/DIF

Die Konkurrenz auf dem deutschen Filmmarkt, der weitgehend von der in dieser Zeit staatlich finanzierten Ufa beherrscht wird, ist enorm. Nicht nur die Bioscop hat da trotz guter Filme das Nachsehen. Auch der Filmproduzent Erich Pommer sieht sich gezwungen, etwas zu unternehmen, um sein kleines Unternehmen, die Decla-Film-Gesellschaft Holz & Co, vor dem Untergang zu bewahren. Ich mache hier einen kleinen Abstecher zur Vorgeschichte der Fusionierung der Deutschen Bioscop mit der Decla zur Decla-Bioscop A.G, die am 29. April 1920 erfolgte.

Ursprünglich war Decla-Film eine Tochtergesellschaft der französischen Eclair. Gegründet 1911, ging sie als politische Folge des Krieges 1915 in deutsches Eigentum über. Als ehemaliger Generalvertreter der Eclair für Europa und Skandinavien kam er in den Genuss des gewonnenen französischen Kapitals und gründete mit dem Berliner Filmverleiher Fritz Holz am 2. Februar 1915 die Decla-Film-Gesellschaft Holz & Co. und die Decla-Kinokette. Pommer produzierte Genrefilme aller Art, setzte dabei auf künstlerische Qualität. Seine Abenteuer- und Detektivfilme, Melodramen, Liebeskolportagen, Gesellschaftsstücke und Kurzfilm-Serien füllten die Kinos.

Der Weg, der zur Verdammnnis führt“ mit Charlotte Böcklin (vorn) erzählt die Geschichte eines Mädchens vom Lande, das in der Großstadt das angeblich wahre Leben zu suchen, verschleppt wird und in den Sumpf der Prostution gerät c/o filmportal/DIF

In den letzten Wochen des Ersten Weltkrieges inszeniert Regisseur Otto Rippert für die Decla das Stummfilmdrama Der Weg, der zur Verdammnis führt: Das Schicksal der Änne Wolter“. Es schildert das Schicksal eines jungen Mädchens vom Lande, das in der Großstadt „unter die Räder“ gerät. Der Film, der im November 1918 in den Kinos anlief, wurde von der Kritik hoch gelobt. „Der Mädchenhandel mit all seinen Schrecknissen ist in einer Weise geschildert, wie es interessanter, spannender, ungeschminkter noch nie in Wort, Schrift oder Bild geschildert wurde“, war in der „Salzburger Wacht“ zu lesen. Das trifft ebenso auf die Fortsetzung „Hyänen der Lust“ zu. Der Film gilt als einer der wichtigsten und bekanntesten Produktionen der Aufklärungs- und Sittenfilme, die vor allem in der zensurlosen politischen Umbruchszeit vom Kaiserreich zur Weimarer Republik 1918/1919 entstanden sind. Otto Rippert war neben Richard Oswald der bekannteste und wichtigste Vertreter dieses Genres.

„Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit Friedrich Fehér, Rudolf Lettinger, Lil Dagover (v.l.n.r.) (1919/1920)

Teil V folgt am 27. Dezember. Es ist die Zeit von 1920 bis zu Übernahme der Decla-Bioscop mit der Ufa. Im Oktober 1921 beschloss Produzent Erich Pommer sein Unternehmen mit dem größten deutschen Filmkonzern zu vereinen. Bis dahin produzierte er Filmklassiker wie „Das Cabinet des Dr. Calgari“ und seinen bis dahin größten Erfolg „Der müde Tod“.

Babelsberg –Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil III

„Der Golem“ – Mystik, Magie und Horror

Ewers und Rye verfilmten 1913 /14 mehr als zehn gemeinsame oder eigene Stoffe, oft mit Guido Seeber an der Kamera, aber auch mit Karl Hasselmann („Die Eisbraut“, „Gendarm Möbius“, Flug in die Sonne“) der eine eigene künstlerische Ausdrucksfähigkeit entwickelte. Paul Wegener, der als Charakterdarsteller große Schauspielkunst zeigte, frönte mit seinem Erstlingswerk „Der Golem“ als Autor und Regisseur seinem Faible für das Wundersame in Märchen und Sagen. Eine jüdische Legende erzählt von der sagenhaften Gestalt des Golems, von dem man sagt, er gehe alle dreiunddreißig Jahre in Prag um. Rabbi Löw soll ihn 1580 am Ufer der Moldau nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala aus Lehm geschaffen haben, weil er sich einen Gehilfen wünschte, der die Juden beschützen sollte. Gemeinsam mit dem österreichischen Drehbuchtor und Regisseur Henrik Galeen inszenierte Wegener Ende Dezember 1913 die Geschichte. Beide übernahmen die Hauptrollen. Galeen spielte den Trödler, Wegener agierte als Golem.

Henrik Galeen (l.) als Trödler, Paul Wegener in der Figur des Golem. Die Kamera führte Guido Seeber c/o filmportal/DIF/Nachlass Paul Wegener-Sammlung

Die Filmhandlung: Beim Ausheben eines Brunnens entdecken Arbeiter eine aus Lehm geformte Statue. Ein jüdischer Trödler erkennt in ihr den Golem, und mittels eines magischen Amuletts gelingt es ihm, der Statue Leben einzuhauchen. Der Golem verliebt sich in die Tochter des Trödlers, doch diese fühlt sich zu einem Grafen hingezogen. Der hühnenhafte Golem jagt ihr Angst ein. Bei einem Sommerfest, zu dem der Golem seiner Angebeteten folgt, kommt es zum Kampf auf Leben und Tod.

Die Dreharbeiten fanden an Originalschauplätzen in Prag statt. Das Studierzimmer stand auf dem Freigelände der Bioscop in Babelsberg. Einige Außenaufnahmen wurden in Hildesheim gedreht. Die bemerkenswerten Filmbauten und das Gros der Kostüme stammen von Bühnenbildner Rochus Gliese. Die Magie des Films aber geht von der Golem-Figur aus, deren Erschaffung dem expressionistischen Bildhauer Rudolf Belling oblag. Er verlieh Paul Wegener mit der starren, helmartigen Prinz-Eisenherz-Perücke, der breitschultrigen wie aus Lehm gemachten Tunika etwas Monsterhaftes, Schrecken Verbreitendes. Mich erinnert die Figur an die steinernen Rolandstatuen, wie sie im Mittelalter als Zeichen bürgerlicher Freiheit in vielen Städten, so auch in meiner Heimatstadt Quedlinburg, aufgestellt wurden.

Die Golem-Figuren von Bildhauer Rudolf Belling erscheinen identisch. Doch es gibt einen kaum bemerkbaren Unterschied. Links ist die „Puppe“ ohne, rechts Paul Wegener mit Amulett c/o filmportal/DIF

Bei der Suche nach Fotos für meinen Beitrag stieß ich auf dieses Zwillingsbild rechts. Ich konnte es zuerst nicht deuten. Dann las ich, dass Rudolf Belling noch ein Double hergestellt hat, das den Schauspieler in gefährlichen Szenen ersetzte. Beide scheinen bei flüchtigem Hinblicken identisch. Doch während Paul Wegener als lebender Golem das magische Amulett, einen Davidstern, um den Hals trägt, fehlt es bei der „Puppe“. Was dahinter steckt, vermag ich nicht zu sagen. Ein Scherz, ein Suchspiel für die Zuschauer?

Der Golem stellt der Tochter des Trödlers nach. Wie in fast allen Stummfilmen mit Paul Wegener hatte Lyda Salmonva auch hier die weibliche Hauptrolle inne. Sie wurde 1917 Wegeners dritte Ehefrau. 1923 zog sich Salmonova vom Kino zurück, 1925 ging die Ehe auseinander. c/o filmportal/DIF

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 28. Juli 1914 fertiggestellt, kam „Der Golem“ am 14. Januar 1915 ins Kino. Reclams Filmführer schreibt: „Der Film lebt vor allem von der Schauspielkunst Wegeners und von der düsteren Atmosphäre enger Gassen und verwinkelter Häuser, eines alptraumhaften Milieus, in dem das Unheimliche einleuchtend Gestalt gewann.“ Filmhistorisch wird „Der Golem“ als Geburtsstunde des Horrorfilms gesehen.

Filme im Sog des Ersten Weltkrieges

Die Bioscop erlebte mit den Autorenfilmen eine Blütezeit. Doch ihre aufwendigen Produktionen waren auch mit hohen Kosten verbunden. Im Sommer 1914 stand die Bioscop und damit die Produktionsstätte Nowawes kurz vor der Pleite. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges noch problematischer. Fast jeder dort beschäftigte Mann wurde zum Kriegsdienst verpflichet oder meldete sich freiwillig. So gut es ging hielten die Frauen bis 1918 den Betrieb aufrecht. Als Filmproduzent war die Bioscop praktisch stillgelegt, wie sich Guido Seeber später in seinen Veröffentlichungen erinnert. Er wurde im August 1914 eingezogen und diente zunächst an der Westfront. 1915 wurde er nach Warnemünde versetzt. Dort baute er die Bildabteilung des Segelflugzeug-Versuchskommandos auf und untersuchte mit Film- und Röntgen-Aufnahmen die Absturzursache von Flugzeugen. Der in Dänemark militärisch ausgebildete Stellan Rye kämpfte freiwillig auf deutscher Seite. In der ersten Flandernschlacht bei Ypern schwer verwundet, starb er am 14. November 1914 in einem französischen Lazarett. Ryes letzter Film, das Pychodrama „Haus ohne Tür“ nach einem Manuskript von Henrik Galeen, blieb unvollendet. Bis heute wurde keine Kopie gefunden.

Paul Wegener in einem Schützengraben in Flandern im Januar 1915 c/o filmportal/DIF Nachlass Wegener
Paul Wegener in einer erneuten Doppelrolle als Erfinder Rasmus und Forscher Yogi, ein fanatischer Anhänger des Gottes Shiva. Unter Yoghis Bann steht die junge Inderin Mira, mit deren unfreiwilliger Hilfe er einen unsichtbar machenden Zaubertrank herstellt. Rasmus will ihm das Handwerk legen und trinkt den Sud c/o filmportal/DIF

Auch Paul Wegener hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet, wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen 1915 nach Berlin zurückgeschickt. Er inszenierte von da an nicht mehr in Babelsberg für die Bioscop, sondern für deren Berliner Konkurrenz, die „Projektions-AG Union“, kurz PAGU, des Filmproduzenten Paul Davidson. Wegener folgt seiner Ambition für künstlerisch hochwertige Filme sowie seiner Leidenschaft für Märchen und den Fernen Osten. Inspiriert vom Erfolg seiner Doppelrolle als Der Student von Prag“ wandte er sich 1916 erneut in einer Doppelrolle mit der mystischen Geschichte „Der Yogi“ dem Publikum des phastastischen Kinos zu. 1917 griff er sein Golem-Motiv mit dem Film Der Golem und die Tänzerin“ auf. Er persifliert darin seinen ersten Film. In den Kritiken heißt es: „Es gibt viel zu lachen in der reizenden, vieraktigen Capriccio“ (Breslauer Zeitung) . Die „Hamburger Nachrichten“ konstatieren: „Auch in diesem Film feiert das bedeutende Wegenersche Geschick, das die Möglichkeiten der Filmtechnik bis aufs äußerste erschöpft, einen wahren Triumph. Ob in Ernst und Grauen, ob in Scherz und Ulk – Paul Wegener bleibt sich immer treu.

Ernst Deutsch (r.) und Paul Wegener 1920 in Der Golem, wie er in die Welt kam“ c/o filmportal, Murnau-Stiftung, DIF

1920 folgt „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Wegener schuf damit einen der „künstlerisch wie geschäftlich größten Erfolge der deutschen Stummfilmproduktion, dessen außergewöhnliche, von Jugendstil und Expressionismus bestimmte Bild- und Dekorgestaltung bis heute nichts von ihrer suggestiven Wirkung eingebüßt hat“, schreibt das Lexikon des internationalen Films. Die Kamera führte Karl Freund, der stilbildend für die Kinokunst der 20er Jahren werden sollte. Er ist der Erfinder der „entfesselten Kamera“ und prägte den Stummfilm-Expressionismus. Ich gehe darauf ein, wenn ich über die Zeit ab 1922 schreibe. Die Golem- Filme von 1917 und 1920 jetzt hier auszusparen, weil sie nicht in Babelsberg entstanden sind, würde heißen, Stummfilmklassiker von hohem künstlerischen Rang zu unterschlagen. Zumal sie ihren Anfang in Babelsberg nahmen. Ich habe auf Youtube Filmfassungen gefunden und zum Anschauen verlinkt.

„Lebende Buddhas“ – ein missglücktes Experiment

Es bietet sich an dieser Stelle an, der Zeit etwas vorzugreifen und einen Abstecher in den weiteren Lebensweg von Paul Wegener zu machen. Der Erfolg der Golem-Filme, insbesondere des ersten und dritten, versetzte Wegener in die wirtschaftliche Lage, 1923 eine eigene Filmfirma zu gründen, die „Paul Wegener Film AG“. Mit ihr produzierte er allerdings nur einen einzigen Film – das mystische Orient-Abenteuer „Lebende Buddhas“. Für das kostspielige Mammutprojekt engagierte er Guido Seeber als verantwortlichen Kameramann und Trickspezialisten, Asta Nielsen als weibliche Hauptdarstellerin, die damit nach zehn Jahren erstmals wieder vor Guido Seebers Kamera stand. Wegener selbst übernahm die Titelrolle, einen tibetanischen Groß Lama, der sich als Inkarnation Buddhas sieht. Unter riesigem Aufwand fanden die mehrmonatigen Dreharbeiten 1923/1924 in der Zeppelinhalle Staaken statt. Die phantasievollen Filmbauten entwarf der berühmte Berliner Architekt Hans Poelzig, der Szenenbildner Botho Höfer führte sie aus. Trickkameramann Walter Ruttmann animierte die Spezialsequenzen.

Um eine perfekte optische Täuschung zu erzielen, ließ Guido Seeber das Bild mit Hilfe eines Gazerahmens in einer mehr als 40 Meter langen Dekoration aufbauen Skizze aus „Wie haben sie’s gemacht“ von Uwe Fleischer und Helge Trimpert

Für diese technisch überaus aufwendige Produktion wandte der Gudio Seeber einmal mehr verblüffende Tricks an wie diesen: In einer Tempelszene treten mehrere Personen in ein Bild hinein, das zuvor von der Wand fällt, und verschwinden darin. Die optische Umsetzung war ein mühevolles Verfahren, das ich hier nicht in Einzelheiten schildern kann. Vielleicht vermittelt die obige Skizze über die Arbeitsschritte zur filmischen Umsetzung dieser Szenen einen Eindruck.

Faszinierend und erschreckend für die Kinobesucher, als ein riesiger Buddhakopf hinter dem Expeditionsschiff des Forschers Prof. Campbel und seinem Landsmann Dr. Smith auftaucht, und das Schiff auf geheimnisvolle Weise mit den Augen dirigiert Screenshot,c/o Youtube, ©Guido Seeber

Nicht weniger beeindruckend sind die Bilder, in denen sich der riesenhafte Kopf eines Buddhas hinter dem Horizont über dem Meer erhebt und den Hochseedampfer der Forschungsreisenden mit den Augen dirigiert. Seeber benutzte hierfür ein Verfahren, das bereits 1912 in der französischen Literatur beschrieben wurde. Ich habe die Erklärung in dem schon oben erwähnten Buch „Wie habens sie’s gemacht“ von dem ehemaligen DEFA-Trickchef Uwe Fleischer und Filmregisseur Helge Trimpert gefunden, verzichte aber hier auf die umfangreiche technische Beschreibung. Der Film galt als verschollen, erst jetzt wurden Fragmente gefunden, die auf Youtube eingestellt worden sind. Ich habe einen Link gesetzt, denn das Anschauen gibt einen Eindruck des mystischen Geschehens.

Paul Wegener hatte sein ganzes Vermögen in die Herstellung des Films gesteckt. Sein innersten Anliegen, wieder ein phantastisches Kunstwerk zu schaffen, vermochte er nicht umzusetzen. „Den Künstler Wegener reizte es, die Geheimnisse der Religionen Indiens in einem Märchen zu gestalten, und es wäre ihm vielleicht restlos gelungen, wenn nicht der Ethnologe Wegener ihm das Konzept verdorben hätte“, resümierte der Film-Kurier nach der Premiere 1925.

Paul Wegener als Großer Lama, der sich als Inkarnation Buddhas sieht. Er ist bereit, den Fremdlingen aus dem fernen Europa Zugang zum Heiligtum zu gewähren, wenn die beiden Wissenschaftler versprechen, ihr Quartier nicht zu verlassen und den Ablauf des grausamen Rituals nicht zu stören. Screenshot/Youtube,© Guido Seeber

Der Kritik in der „Lichtbild-Bühne“ nach hinterließ der Film „Lebende Buddhas“ einen zwiespältigen Eindruck, wurde aber als „literarisch und filmisch hochinteressantes Experiment“ anerkannt. Es war seine letzte Arbeit als Regisseur, denn die enormen Kosten und die schwache Resonanz des Publikums führten für die Paul-Wegener-Film AG in ein finanzielles Desaster. Er beschränkte sich nunmehr auf die Schauspielerei. Erst in den 30er Jahren begann er wieder zu inszenieren. Paul Wegener, Asta Nielsen und insbesondere Guido Seeber als Gründungsvater der Filmstadt ihre Spuren in der Babelsberger Studiogeschichte hinterlassen haben.

Olaf Fønss (rechts) in „Die Liebeskomödie des Homunculus“,c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Teil IV wird am 25. Dezember 2021 veröffentlicht. Der Erste Weltkrieg hat die Babelsberger Filmproduktion nahezu zum Erliegen gebracht. Die angschlagene Bioscop versuchte, mit einem hohen „Ausstoß“ an Liebesfilmen, Komödien, vor allem auch Propagandfilmen mit der eben gegründeten Ufa mitzuhalten.

Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil II

Eine Filmstadt wächst heran

Mit Guido Seeber an der Seite, seinem handwerklichen Können und kreativen Vermögen als Kameramann, nahmen es Ewers, Rye und Wegener als Herausforderung, die Filmproduktion vom Theater loszulösen, den einengenden (Bild)Rahmen zu verlassen und auf eine neue Art Filme zu machen. Sujets zu suchen, die dem Publikumsgeschmack nahekommen, und sie mit künstlerisch hohem Anspruch so umzusetzen, dass sie Zuschauer ins Kino locken.

Das kreative Trio Stellan Rye, Paul Wegener (v. r. n.l.) mit der Schauspielerin Lyda Salmonova 1913 in Prag, wo der legendäre Stummfilm „Der Student von Prag“ entstand. Oben sitzend Autor Hanns Heinz Ewers. Ganz links im Bild ein Polizist, der unbedingt mitfotografiert werden wollte c/o filmportal.de/DIF,SDK

Mit dem Sozialdrama „Der Verführte“ starteten Hanns Heinz Ewers, Guido Seeber und Paul Wegener in der Titelrolle (unter der Regie von Max Obal) im Frühjahr 1913 ihren ersten Versuch, Filmkunst zu machen, die intellektuelle wie durchschnittliche Kinogänger anspricht. Der Zweiakter spielt im Proletariermilieu und erzählt die Misere des Stuckateurs Max, der dem Alkohol verfällt, seine Familie verliert und im Säuferwahn endet. Eine lebensnahe Geschichte, die ihr Publikum fand. Wenngleich die österreichische Zeitschrift „Kinematographische Rundschau“ nach der Aufführung in Österreich-Ungarn Anfang 1914 lobte: „Die Handlung ist konsequent und straff durchgeführt und hat in Grete Berger und Lyda Salmonova zwei routinierte Filmspielerinnen“, erfüllte der Streifen künstlerisch nicht die Erwartungen von Hanns Heinz Ewers und Paul Wegener.

In Deutschland ging der Film am 30. Juli 1913 durch die Zensur, die selbstredend ein Jugendverbot aussprach. Damit war man immer schnell bei der Hand, wie ich beim Recherchieren bemerkte. Seit es Filme gibt, werden sie zensiert. Man begründete es seinerzeit damit, dass sie den Bruch mit sittlich-moralischen Konventionen offen zeigen und eine „Überreizung der Seele“ beim Proletariat zum Aufstand gegen Staat und Autoritäten führen könne. Das deutsche Kino – muss ich hier zur Erklärung einfügen – war in seiner Frühzeit ein Unterschichtenvergnügen. Das Bildungsbürgertum stand ihm feindselig gegenüber, weil es tradierte Kunstvorstellungen, wie sie das Theater lebte, in Frage stellte. Die Argumentation, warum zensiert werden muss, lebte in der deutschen Kinoreformbewegung lange fort und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Medienpädagogik leicht verändert wieder aufgenommen. Zensur hat also eine lange Tradition.

„Der Student von Prag“ – ein Aufbruch

Hier hat sich Kameramann Guido Seeber in seinen Versuchen zur Mehrfachbelichtung versechsfacht c/o Filmmuseum Potsdam

Zu dieser Zeit war Guido Seeber das filmtechnische Novum gelungen, durch phasenweise Mehrfachbelichtung eines Bildfeldes ein und dieselbe Person in einer Filmszene gleichzeitig mehrfach in verschiedenen Positionen auftreten zu lassen.

Szene aus dem 1913 gedrehten Filmklassiker „Der Student von Prag“, in dem Kameramann Guido Seeber erstmals die perfekte Illusion eines Doppelgängers realisierte. Hier steht der Schauspieler Paul Wegener sich selbst als seinem lebendig gewordenen Spiegelbild gegenüber c/o Filmmuseum Potsdam

Ich weiß nicht, ob er in einem Gespräch mit Paul Wegener und Hanns Heinz Ewers den Vorschlag machte, diesen Trick für ihren nächsten gemeinsamen Film zu nutzen. Gelesen habe ich aber, dass Paul Wegener geradezu erpicht darauf war, als Doppelgänger auf der Leinwand zu erscheinen. Diese Idee inspirierte Ewers zu der Geschichte vom armen Studenten Balduin, der sein Spiegelbild für 100 000 Gulden an den geheimnisvollen Wucherer Scapinelli verkauft. Nicht ahnend, worauf er sich einlässt. Denn sein Abbild tritt aus dem Spiegel heraus und treibt ihn am Ende in den Tod. Balduin schießt seinem imaginären Doppelgänger ins Herz und trifft dabei sich selbst.

Szene im Prager Alchimistengäßchen mit Lyda Salmonova als Zigeunermädchen Lyduschka und Paul Wegener als Student Balduin in „Der Student von Prag“ c/o Filmmuseum Potsdam

Gemeinsam mit Kameramann Gudio Seeber erarbeiteten Regisseur Stellan Rye und Schauspieler Paul Wegener nach Ewers Exposé das Drehbuch und produzierten im Juni 1913 das romantische Stummfilmdrama „Der Student von Prag“. Gedreht wurde der 85 Minuten lange Spielfilm in den Neubabelsberger Studios, in der Prager Altstadt, vor und im Hradschin, im Wiener Schloss Belvedere und den Palais‘ Fürstenberg . Für Ausstattung, Kostüm und Szenenbild waren Kostümforscher und Illustrator Max Tilke und Bühnenbildner Rochus Gliese herangeholt worden. Filmarchitekt Robert A. Dietrich gestaltete die Bauten nach Entwürfen des Malers Klaus Richter. Was sonst nicht üblich war – für diesen Film wurde von Pianist Josef Weiss eine eigene Filmmusik geschrieben.

Paul Wegener als Student Balduin (l.) mit Grete Berger als Comtesse Margit Schwarzenberg und Fritz Weidemann als Baron Waldis c/o Filmmuseum Potsdam

Es war die bis dahin aufwendigste Filmproduktion der Bioscop. Sie sorgte für internationales Aufsehen. Kinokritiker sprachen von einem „künstlerischen Film“, wie es ihn bislang noch nicht gab. Regisseur Stellan Rye und Kameramann Gudio Seeber hatten bei der filmischen Umsetzung nichts dem Zufall überlassen. Bildgestaltung, Auswahl der Drehorte und Kulissen waren im Drehbuch beschrieben und festgelegt. Sogar die Straßenszenen wurden ausgeleuchtet.

Szene in der Studentenstube. Balduin bekommt von Scapinelli (John Gottowt, r.) 100.000 Gulden und erlaubt ihm dafür aus dem Zimmer mitzunehmen, was er will. Scapinelli wählt Balduins Spiegelbild. „Nehmen Sie es“, sagt Baldiun leichthin. Kaum gesagt, tritt der imaginäre Balduin aus dem Spiegel heraus (Paul Wegener, M.) und verschwindet wie ein Geist durch die geschlossene Tür. Auch Scapinelli löst sich quasi in Luft auf. Der wirkliche Balduin (Paul Wegener, l) nimmt es erschrocken wahr… Foto: c/o Filmmuseum Potsdam

Bei Youtube habe ich eine 1992 von „Prima Imagine“ editierte Fassung gefunden und mir angesehen. Ich muss gestehen, dass es ein Erlebnis war. Beeindruckt hat mich die filmische Umsetzung des Plots. Ich nahm kleine Kamerafahrten wahr, Schwenks, Perspektivwechsel, was den Film lebendig macht. Zu den verblüffendsten Kameratricks gehörte neben den sensationellen Doppelgängerszenen für das damalige Publikum wohl das geisterhafte Auftauchen und Verschwinden des imaginären Balduin in den realen Aufnahmen oder Scapinellis Eintreten durch die geschlossene Tür. Seeber benutzte dafür seinen Kameratrick der „Überblendung“. Dieser Trick hat etwas von Zauberei. In vielen DEFA-Märchenfilmen bringt er heute noch die Kinder zum Staunen.

Filmgeschichtlich gilt „Der Student von Prag“ weltweit als Meilenstein auf dem Weg des jungen Mediums, sich vom Theater zu lösen und zu eigenen spezifischen Ausdruckmitteln finden. Nicht zuletzt hat Kameramann Guido Seeber einen großen Anteil daran, dass der Film künstlerische Bedeutung erlangte. Paul Wegener kam im Nachhinein zu der Erkenntnis: „Der eigentliche Dichter des Films muß die Kamera sein.“
Mit englischsprachigen Zwischentiteln versehen, lief „Der Student von Prag“ nach seiner Premiere in den Berliner Mozart-Lichtspielen am 22. August 1913 in vielen Ländern und verschaffte dem deutschen Stummfilm die Aufmerksamkeit internationaler Filmproduzenten. 1926 kam unter Mitwirkung von Ewers eine verstümmelte und umgeschnittene Fassung ins Kino. Der im Juni 1913 gedrehte Originalfilm wurde 1987/88 rekonstruiert und 2012/13 im Auftrag von ZDF/arte noch einmal restauriert, nachdem in Japan 1990 und in den USA 2010 original getönte Nitrokopien entdeckt worden waren. Die Wiederaufführung des Films fand am 15. Februar 2013 innerhalb der Retrospektive der Berlinale statt.

In seiner Doppelrolle schrieb Paul Wegener Filmgeschichte c/o DIF

Die Troika Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye und Gudio Seeber, die mit „Der Student von Prag“ das Genre des Fantasy-Films aus der Taufe gehoben hatte, realisierte anschließend weitere phantastische Stoffe. Das Märchen „Ein Sommernachstraum in unserer Zeit“, angelehnt an William Shakespeares‘ Märchentraum, wartete mit erstaunlichen Bildern und Tricks auf. Das Drehteam hatte kameratechnisch und gestalterisch alles ausgelotet, was an spezifischen Ausdrucksmitteln und Gestaltungselementen vorhanden war. Sogar die Natur, Wind und Wetter wurden als korrespondierende Mitspieler einbezogen. „Ich habe die spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten des Kinos nach jeder Richtung hin erprobt und gezeigt, wie im Filmdrama die tollsten Verwandlungsszenen und Märchenstimmungen zur Wirklichkeit werden“, so Hanns Heinz Ewers in der Zeitschrift „Das Lichtbild-Theater“ vom 25. September 1913. Ungewöhnlich erscheint, dass sich die Schauspieler ungeschminkt, oft in Großaufnahmen vor der Kamera bewegten, und dass hauptsächlich zur Mittagszeit gedreht wurde.

Autogrammfoto der Schauspielerin Grete Berger, aufgenommen etwas 1907

Der vom Regisseur Stellan Rye beabsichtigte Effekt war eine expressionistisch anmutende Licht-und-Schatten-Wirkung. Ich hätte mir diesen Filmtraum gern angesehen. Leider ist er verschollen, und ich konnte auch keines der Standbilder finden, die die beiden Weltkriege überstanden haben sollen. In der Hauptrolle des Puck ist Grete Berger (Comtesse Margit in „Der Student von Prag“) zu sehen. Stellan Rye besetzte die damalige Lebensgefährtin von Hanns Heinz Ewers oft in anderen Inszenierungen nach dessen Drehbüchern. So spielte Grete Berger auch in der gruseligen Geschichte „Die Augen des Ole Brandis“ mit Alexander Moissi in der Titelrolle, „eine der schwierigsten Rollen, die jemals ein Kinostück einem Künstler auferlegt hat. Moissi… macht das Phantastische glaubhaft, er weiß zu ergreifen und zu erheitern“, hieß es in der Wiener „Neuen Presse“ vom 14. Dezember 1913.

Lucie Höflich als „Gendarm Möbius“ Tochter Stina. Sie wird aus Zorn über die Treuelosigkeit ihres Geliebten zur Brandstifterin. Ihr Vater begeht Selbstmord, um die Famlienehre wieder herzustellen. c/o TMDB/mcarvalho

Im Spätsommer 1913 wagte Stellan Rye mit der Verfilmung „Gendarm Möbius“ nach einer Novelle von Victor Blüthgen einen Ausflug in das Sozialmelodram. Die Bauten auf dem Babelsberger Filmgelände schuf wiederum der Filmarchitekt Robert A. Dietrich. Der Film lief 1913 bereits erfolgreich in Österreich-Ungarn und Japan, ehe er 1914 in deutsche Kinos kam. „Die Geschichte echt deutschen Pflichtbewußtseins wurde von der Bioscop sehr geschickt verfilmt… Die Bilder des Dorfbrandes und die Szenen, die den Seelenkampf des Mädchens ausmachen, aber auch die Hauptmomente des Vater Möbius‘ haben eine gewaltige Wirkung“, las man in der „Kinematographischen Rundschau“ vom 28. September 1913. „Gendarm Möbius“ ist neben „Der Student von Prag“ Ryes einzige Inszenierung, die nicht als verschollen gilt. Im Frühherbst 1913 drehte Stella Rye „Die Eisbraut“, eine Science-Fiction-Inszenierung mit Horrorelementen nach Ewers Novelle „John Llewellyn Hamiltons Ende“, die er 1905 veröffentlich hatte. In einem atemberaubenden Zeitraffer – eine Pionierleistung des Kameramanns Karl Hasselmann – bringt der Film das Publikum zum Gruseln:

Der Schauspieler Theodor Loos spielte den exzentrischen Maler John Hamilton Llewelly. Dieses Foto stammt aus dem Film „Metropolis“ c/o filmportal/DIF

Die 2.000 Jahre alte Schöne zerfließt in den Armen des Malers zu einer gallertartigen Masse, als er sie aus ihrem konservierenden Eispanzer holt und küssen will. Nun ja, das würde uns heute vielleicht ein bisschen ekeln, aber nicht vom Hocker hauen. Oder vielleicht doch? Damals erteilte die Filmzensur ein Aufführungsverbot. Wann der Film das erste Mal gezeigt wurde, ist nicht feststellbar.

Im Winter 1913/14 drehte Stellan Rye auf dem Atelier-Gelände sein Drama „Flug in die Sonne“. Erwähnenswert für mich, weil er die Flugszenen am Himmel von dem Flugpionier Hans Grade doubeln ließ. Es war das erste Mal, dass ein deutscher Pilot in einem Spielfilm flog. Zum anderen, weil die große Theaterschauspielerin Tilla Durieux hier ihr Filmdebüt gab und in der Rolle der raffinierten Verführerin durch Gebärden und temperamentvolles Spiel zu fesseln vermochte. Sie wird der Star der Bioscop. Nach der Pressevorführung am 4. März 1914 schrieb „Der Tag“: „Die Inszenierung hält sich fern von Sentimentalität und bringt ein psychologisch vertieftes Spiel.“ Tilla Durieux wird der neue Star der Bioscop in Babelsberg. Leider gibt es keine Fotos von diesem Film. Aber ich habe eine Aufnahme des ersten Fluges von Hans Grade 1909 gefunden, sodass man eine Vorstellung von den Szenen bekommt.

Flugpionier Hans Grade in seinem Eindecker „Libelle“ I bei seinem Flug im August 1909 auf dem Marsfeld bei Berlin c/o Bundesarchiv, Bild 183-R36065 / CC-BY-SA 3.0

Je länger ich mich mit der Stummfilmzeit in Babelsberg beschäftigte, desto interessanter wurde es für mich. Jeder Film offenbarte mir filmtechnisch Neues, das das Kino einen Schritt vorwärtsgebracht hat. Eine Filmsprache und Filmdramaturgie begann sich zu prägen. Sehr schade ist, dass die meisten dieser frühen Stummfilmproduktionen für mich nicht greifbar sind, weil verschollen, nicht mehr vorhanden oder, weil sie irgendwo auf der Welt in einem Archiv schlummern. Wenn sie denn jemand aufbewahrt hat. Viele Jahrzehnte befand sich auf dem Babelsberger Filmgelände ein „Filmbunker“, den Guido Seeber um 1913/14 zur Lagerung der Negative und teilweise auf Lagerung gelegte Positive errichten ließ. Das Gebäude befand sich halb in und halb über der Erde. In den 20er Jahren kam unter ufa-Ägide ein Neubau hinzu, da die alten Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten. Wenn ich mich recht erinnere, wurde dieser Filmbunker auch noch von der DEFA genutzt. Was sich dort nach dem Zweiten Weltkrieg noch an Stummfilmen befand, entzieht sich meiner Kenntnis.

Im Teil III erzähle ich von den ersten Babelsberger Horror- und Mystik-Filmen wie „Der Golem“ und „Lebende Buddhas

Szene aus „Der Golem, wie er in die Welt kam“ 1920 mit Paul Wegener als Golem und Regisseur c/o fiimportal/Murnau-Stiftung, DIF

Teil III am 22. Dezember 2021

Teil IV am 25. Dezember 2021

Teil V am 27. Dezember 2921

Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil I

Kleine Einleitung

Es fällt nicht schwer, zu erraten, wovon ich hier erzählen will. Natürlich, von den Filmstudios Babelsberg, ihrem Ursprung vor 110 Jahren, ihrem Werden und Wachsen zum Mekka der europäischen Filmkunst. Ich habe in den Annalen der Traumfabrik gestöbert. Dabei stieß ich auf viele Geschichten über Filme und Menschen aus den Anfängen des deutschen Films, seiner Blütezeit in den „Goldenen Zwanzigern“ bis 1933, aus den dunklen Jahren der Naziherrschaft bis 1945, in dessen Folge das Land geteilt wurde und im Osten für die Babelsberger Filmstudios als DEFA ein zweites Leben begann. Es war eng verbunden mit dem Land DDR und ihrem ambitionierten, leider verfehlten Ziel, eine Gesellschaft zu schaffen, in der nicht der Profit das Prä hat. Nach 45 Jahren war das Land am Ende. Rolle rückwärts. Aus dem anderen Teil Deutschlands kehrte der Kapitalismus zurück. Der volkseigene Spielfilmproduzent DEFA wurde „abgewickelt“, von der Treuhand verkauft und marktwirtschaftlich ausgerichtet. Damit endete das traditionsreiche Leben der Babelsberger Studios als eigenständiger Filmproduzent, wie es von der Deutschen Bioscop 1912 begonnen, von Ufa und DEFA weitergeführt worden war. Babelsberg entwickelte sich in seinem dritten Leben zu einer Medienstadt, die mit ihren Studios und Gewerken vielgefragter Produktionspartner und Dienstleister für in- und ausländische Filmproduktionen ist. Inzwischen ein rentabeles Geschäft.

Blick auf den Sammlungsneubau des Filmmuseums Potsdam auf dem Babelsberger Studiogelände. Das Foto zeigt den Bau im Dezember 2020. Die Straßen auf dem Studiokomplex tragen die Namen berühmter Stars wie Emil Jannings und Marlene Dietrich, die das Gesicht der Filmstadt mitgeprägt haben. Jannings und Dietrich spielten zusammen in dem Kultfilm Der blaue Engel“ (1929/30) ©Filmmuseum Potsdam

Rund 4000 Filme entstanden in den vergangenen 110 Jahren in den Babelsberger Studios. Das Publikum bekam Heiteres, Tragisches, Frivoles, Schlechtes und Gutes zu sehen. Hinter den Kulissen spielten sich Klatsch und Tratsch ab. Ich habe versucht, das Interessanteste herauszufinden. Als ich dem Mythos Babelsberg schon einmal vor zehn Jahren für eine fünfteilige Serie in der SUPEillu nachgegangen bin, faszinierte mich besonders, mit welchem Erfindergeist, welcher kreativen Neugier, mit welchem handwerklichen Können Fotografen, Kameramänner, Filmtechniker und Filmarchitekten gesegnet waren. Welcher Forscherdrang sie beseelte, Bilder zum Laufen und zum Sprechen zu bringen. Vor der Zeit der Digitalisierung war alles „handgemacht“. Tricks und optische Täuschungen, Szenenbilder entstanden analog mithilfe technischer Erfindungen, der Ausnutzung optischer und physikalischer Gesetze und oft ganz einfach auch durch Tüfteln und Experimentieren. Die Babelsberger Filmemacher – die Leute hinter den Kulissen – zeigten sich in der 110-jährigen Geschichten von Anfang an als besonders innovativ, wenn es darum ging, die Illusion auf der Kinoleinwand zu perfektionieren, die Zuschauer mitzunehmen in die Welt der Filmhelden. Wer meinen Blog liest, hat mein Faible für Filmtricks sicher in den Beiträgen zu DEFA-Kinderfilmen wie „Das Schulgespenst“ oder den Märchenverfilmungen entdeckt.

Szene aus dem 1986 gedrehten DEFA-Kinderfilm „Das Schulgespenst“, Regie Rolf Losansky. Die Herausforderung für Kamera und Szenenbild war die Kombination zwischen Realfilm und Zeichentrick ©DEFA-Stiftung/Siegfried Skoluda

Erstaunt hat mich, dass alle wichtigen Tricks bereits in den 1920er Jahren erfunden worden waren und seitdem von den Animateuren und Trickspezialisten nur noch modifiziert ausgeführt werden. Heute ist es dank moderner Filmtechnik zum Beispiel ein Leichtes, einen Schauspieler mit sich selbst als Zwilling oder gar Drilling agieren zu lassen. Für uns im Grunde also nichts Ungewöhnliches. Dennoch hat dieser Trick von seiner überraschenden Wirkung auf den Betrachter seit seiner Erfindung 1912/13 durch den Kameramann Guido Seeber nichts eingebüßt. Nach vielen praktischen Versuchen gelang es ihm, mittels Zweifachbelichtung ein und derselben Aufnahme im fertigen Film einen Doppelgänger entstehen zu lassen. Er praktizierte seine „Erfindung“ erstmals 1913 in dem Stummfilm „Der Student von Prag“. Eine Sensation, die Publikum wie Fachleute gleichermaßen in Erstaunen versetzte. Für die Filmtechnik war es ein Meilenstein. So genau man auch hinschaute, es war kein „Bruch“ in den Doppelgängerszenen zu entdecken.

Avantgardisten der Kinematographie

Die Geschichte des weltältesten und bedeutendsten deutschen Filmstandortes ist gleichsam auch ein Stück Geschichte der Kinematographie und des frühen Kinos, in der sich Namen wie Auguste und Louis Lumière, Ottomar Anschütz, Max und Emil Skladanowsky und Charles Francis Jenkins vereinen. 1894 gelang Anschütz die Projektion von bewegten Bildern auf eine 6 × 8 Meter große Leinwand. Weil es an dieser Stelle zu weit führen würde, auf die Leistungen dieser Wegbereiter des Kinos einzugehen, habe ich sie mit auskunftsfähigen Webseiten verlinkt. Näher eingehen muss ich aber auf den Berliner Optiker Oskar Messter und den Chemnitzer Fototechniker und Kameramann Guido Seeber. Genau genommen beginnt die Babelsberger Filmgeschichte mit diesen beiden Männern und ihren Erfindungen.

Oskar Messter mit seinem Malteserkreuz-Projektor-Schaltwerk c/o FMP/Ulrich Illing „Oskar Messters Erbe“, KTSB

1896 tüftelte der Berliner Optik-Fabrikant Oskar Messter an kinematographischen Geräten und entwickelte als eine der größten Pionierleistungen das Malteserkreuz-Getriebe. Eine Technik, die sich noch heute in Filmprojektoren befindet. Auf der Grundlage dieser Technik konstruierte er eigene Kinoprojektoren und Kameras. In Frankreich hatten die Brüder Lumière ein Jahr zuvor den Cinematographen entwickelt, der Aufnahme-, Kopier- und Abspielgerät in einem war. Der Film wurde mittels Perforation über Greifzähne vor dem Objektiv entlanggeführt. Die erste öffentliche Präsentation veranstalteten sie mit zehn ihrer Kurzfilme am 28. Dezember 1895 im Pariser „Grand Café“. Die Lumière-Brüder hatten damit quasi das Kino erfunden.

Messters Filmkamera mit Malteserkreuzschaltwerk c/o FMP/Ulrich Illing „Oskar Messters Erbe“,KTSB

Am 21. September 1896, so lässt sich in Ulrich Illings Aufsatz „100 Jahre Tonfilm aus Babelsberg“ (in „Moderne in Brandenburg: LICHT-SPIEL-HAUS“ , Koehler & Amelang“) nachlesen, eröffnete Oskar Messter „Unter den Linden“ sein Theater für „kinematographisch-phonographische Vorführungen“. Mit seinem „Thaumatographen“, einem selbstgebauten Filmprojektor, führte er kurze Spielszenen vor und ließ dazu von einem Walzenphonographen (1877 von Edison erfunden) passende Musik abspielen.

Oskar Messter um 1941 Foto: Bundesarchiv N 1275 Bild-001/CC BY-SA 3.0 de

Ab Oktober 1896 bietet Messter auch von ihm entworfene Kameras mit Malteserkreuzschaltung an und beginnt, selbst Filme herzustellen, um die Käufer seiner Apparate mit Programmen beliefern zu können. Anfang November 1896 gründete er die Produktionsfirma Oskar Messters Projektions GmbH Berlin und nahm in der Friedrichstraße sein „Filmatelier für Kunstlichtaufnahmen“ in Betrieb. Er drehte mit seiner selbst entwickelten 35mm-Filmkamera „Biophon-Tonbilder“, zunächst vom Berliner Stadtleben. Im Jahre 1900 gliederte Oskar Messter das Filmgeschäft aus der Stammfirma Ed. Messter aus, die als Fachgeschäft für Optik und Fotoartikel weitergeführt wurde und gründete drei separate Gesellschaften. Er beginnt 1906 kurze Spielszenen wie „Meißner Porzellan“ oderApachen“ mit dem späteren Stummfilmstar Henny Porten zu produzieren. 1909 schränkte Messter, der bis dahin bereits 450 Tonbilder hergestellt hatte, diese Produktion drastisch ein und wandte sich dem lohnenderen Geschäft der Herstellung von stummen Spielfilmen zu. Messters avancierte zu einem der einflussreichsten deutschen Filmproduzenten. 1917 verkaufte er sein Unternehmen an die sich damals gerade gründende Ufa.

Guido Seeber 1912 mit einer Handkurbelkamera. Er fand 1911 das Fabrikgelände in Neubabelsberg, auf dem sich die Medienstadt entwickelte c/o Filmmuseum Potsdam

Den Boden für die Traumfabrik bereitete Friedrich Konrad Guido Seeber, eigentlicher Gründungsvater der Filmstadt Babelsberg. Am 22. Juni 1879 in Chemnitz geboren, absolvierte er nach dem Schulabschluss im väterlichen „Photografischen Geschäft“ eine Fotografen-Lehre, die damals wie heute eine fototechnische Ausbildung einschloss. Die erste Berührung mit dem Medium Film machten die Seebers 1896, als sie erstmals die Filme der Gebrüder Lumière sahen. Sie kauften daraufhin in Berlin bei Oskar Messter kinematographische Apparate und Filme und veranstalteten öffentliche Vorführungen von „Seebers lebenden Riesenphotographien“. So bezeichnete man damals die neu entstehende Technik der Kinematographie. Gemeinsam reisten Vater und Sohn von 1897 bis 1905 damit von Stadt zu Stadt. Nach dem Tod von Clemens Seeber verkaufte sein Sohn Guido 1907 die „Photographischen Ateliers“ und verließ seine Heimatstadt Chemnitz. Mit einem Wanderkino zog er über Paris nach Valencia und führte seine Tonbilder auf. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Filmprüfer in der Deutsche Rollfilm Gesellschaft Frankfurt/.M., bis er 1908 das Angebot bekam, als Erster Kameramann zur „Deutsche Bioscop GmbH“ nach Berlin zu gehen.

Guido Seeber wurde schon früh „von dem Zelluloidbazillus infiziert. Stark fiebernd, einsetzende Flimmeritis, eine bekanntlich unheilbare Krankheit“, notierte er 1928 in seinem „Taschenbuch des Kameramanns“ (Quelle: „Wie haben sie’s gemacht“, Verlag Schüren/Stiftung Deutsche Kinemathek).

Dieser über 100 Jahre alte Edison-Phonograph gehört zu den Exponaten, die der DEFA-Toningenieur und Geräte-Entwickler Ulrich Illing in seinem „Kleinen Tonfilmmuseum“ zusammengetragen hat. Nach seinem Tod 2018 erwarb das Filmmuseum Potsdam die einzigartige Sammlung ©Filmmuseum Potsdam

Mit 18 Jahren begann er sich intensiv mit der Weiterentwicklung kinematographischer Apparate von der Aufnahme über Laborgeräte bis zum Projektor zu beschäftigen. Er konstruierte Maschinen zum Kopieren und stellte mit einer Messter-Kamera kleine „Films“ her, die er im eigenen Labor entwickelte und kopierte. Zusammen mit Oskar Messter kontruiertre er einen handlichen Reisekinematographen, den sie unter der Bezeichnung Seeberograph 1903 als geschütztes Warenzeichen beim Kaiserlichen Patentamt eintragen ließen. Eine besondere Leistung war seine Erfindung des „Seeberophons“ 1904. Zum ersten Mal konnten damit Ton und „laufende“ Bilder „synchronisiert“ werden. Dazu verkoppelte er eine Messter-Kamera schon bei der Aufnahme mechanisch mit einem Grammophon, das eine zuvor aufgenommene Schallplatte abspielte. Ein perforiertes Endlos-Filmband hielt den Projektor und den im Saal befindlichen Grammophon-Antrieb bei der Vorführung im Gleichlauf. Mit seinem „Seeberophon“ wurde Seeber praktisch zum Erfinder der ersten Bild-Ton-Synchron-Verkopplung.

Kinoträume aus dem Dachatelier

In Berlin griff eine Kino-Sucht um sich. Die Menschen waren begeistert von der neuen Unterhaltungsmöglichkeit. Nun muss man bedenken, die Programme des frühen Kinos bestanden nicht aus einem abendfüllenden Spielfilm, wie wir es kennen. Anfangs liefen an so einem Kinoabend mehrere Kurzfilme mit maximal vier Minuten langen, unspektakulären Spielszenen aus dem alltäglichen Leben. Haben sie zunächst durch ihre schiere technische Machbarkeit fasziniert, waren es bald kleine, inszenierte Handlungen. Die Kinobetreiber merkten sehr bald, was die Leute in ihre Vorführungen zog: Die Flohjagd im Damenzimmer, der erste Kuss – schlüpfrige Sachen für damalige Verhältnisse. Oder Flucht und Verfolgung eines Verbrechers über die Dächer von Berlin. Komik, Sex, Verbrechen – damit ließ sich gut Geld verdienen. Und, wie wir wissen, lässt es sich noch immer. Man muss nicht lange überlegen, was der Kinobazillus auslöste. Der Bedarf wuchs. Filmfirmen – in ihrer Art wie Handwerksbetriebe – schossen wie Pilze aus dem Boden. Mag sein, dass ich ein wenig zu weit aushole. Doch das alles gehört zur Vorgeschichte von Babelsberg als Filmstadt.

Eine dieser Filmfirmen war die 1902 von dem Berliner Filmproduzenten Jules Greenbaum in Berlin gegründete Deutsche Bioscope Gesellschaft“, die er 1908 in Bioscope-Theater GmbH umbenannte und bis 1914 betrieb. Neben anderen Unternehmen gründete im Februar 1908 die „Deutsche Bioscop GmbH“, die man getrost als „Mutter“ der Babelsberger Filmstudios ansehen kann.

Der Pfeil zeigt auf das Dachatelier der Deutschen Bioscop GmbH in der Berliner Chausseestr. 123 c/o FMP/Ullrich Illing, KTSB

Ihr erstes Domzil hatte die „Deutsche Bioscop“ in der Friedrichstraße 236. In der angrenzenden Chausseestraße 123 betrieb sie in einem ehemaligen Fotostudio ein vollverglastes Dachatelier. So konnte man für die Aufnahmen von früh bis spät das kostenlose Sonnenlicht nutzen. Künstliche Lichtquellen wurden ungern und wenn, dann nur zur Ergänzung des Naturlichts eingesetzt. Die damals gebräuchlichen Westminster- und Quecksilberdampflampen erzeugten große Hitze. Das machte das Arbeiten in den ca. 6 x 9 Meter großen Aufnahmeräumen wenig angenehm. Warm ist es in den Filmstudios auch heute noch. Doch es besteht nicht die Gefahr, dass sich plötzlich das Filmmaterial entzündet. Der Bildschichtträger war seinerzeit Zellulosenitrat, daher auch der Begriff Nitro-Film, den ich noch aus meiner Volontariatszeit beim DDR-Fernsehen kenne. Ein hochbrennbares Gemenge, hergestellt aus Schwefel- und Salpetersäure und Baumwollresten. Ich will zur Erklärung einfügen, dass ich neben dem Abitur eine Berufsausbildung zur Chemielaborantin gemacht habe. Unsere Ausbilderin demonstrierte uns im Laborversuch, wie ein Wattebausch, mit Salpeter- und Schwefelsäure beträufelt, explosionsartig in Flammen aufgeht. Es bestand bei den Nitrofilmen nun nicht gerade Explosionsgefahr, dennoch kam es oft vor, dass ein Film bei Dreharbeiten in den überhitzten Ateliers entflammte. So hatten die Filmleute seinerzeit ständig Ärger mit den strengen Brandschutzauflagen der Berliner Polizei. Im übrigen hat man noch bis in die 50er Jahre Filme auf „Nitro“ gedreht. Und manchmal brannte es im Vorführraum eines Kinos, weil der Projektor heißlief.

Als Guido Seeber 1907/08 das Angebot der Deutschen Bioscop annahm, in Berlin Filme zu drehen, ahnte keiner, dass er mal die Geschicke des Filmbetriebes lenken würde. Er ging nach Berlin, weil hier in Sachen Kinematographie inzwischen die „Post abging“. Er filmte zunächst wieder Aktualitäten und Tonbilder.

Screenshot aus Guido Seebers Animationsfilm Die geheimnisvolle Streichholzdose“ Das selbständige Bewegen der Streichölzer zu Figuren erreichte er mittels Einzelbildaufnahme. Für eine Sekunde Laufbild hielt er die Kamera 24mal an und bewegte jedes einzelne Streichholz um ein Vierundzwanzigstel weiter c/o wikimedia.org.webm

1909/10 stellte er seine ersten Trickfilme her. Ich habe seinen vier Minuten langen Animationsfilm „Die geheimnisvolle Streichholzdose“ gefunden. Für diesen Trickfilm wandte er die Einzelbildaufnahme an, die bis heute den Zauber vieler Märchen- und Puppentrickfilme ausmacht. Seeber musste die Streichhölzer Stück um Stück mit der Hand legen und jeden Schritt einzeln aufnehmen. 24mal für eine Sekunde. So entstanden die „Sandmännchen“-Vorspänne des Abendgrußes, und auf diese Weise fliegen auch Nadel und Schere in dem DEFA-Märchenfilm „Hans Röckle und der Teufel“ wie von Geisterhand geführt über den Stoff. Guido Seeber war 1909 bereits Chefkameramann und von Bioscop-Direktor Erich Zeiske zudem mit der technischen Leitung des Unternehmens betraut worden.

Es gab damals die erste Krise im Filmgeschäft. Die Besucherzahlen gingen zurück, denn die häufig wenig phantasievollen und kurzen Produktionen hatten an Attraktivität verloren. Die Bioscop nahm die 1910 nach Berlin gekommene Schauspielerin Asta Nielsen und den dänischen Regisseur Urban Gad unter Vertrag.

Szene aus „Der fremde Vogel“. Sir Arthur Wolton (Hans Mierendorff l. )macht mit seiner Tochter May,(Asta Nielsen 2.v.r.), eine Spreewaldtour. Sie fühlt sich von dem jungen Bootsführer Max (Carl Clewing, M.) angezogen. Da die Verbindung von allen Seiten abgelehnt wird, entschließen sich Max und May zur Flucht, doch May stürzt unterwegs ins Wasser und ertrinkt. Ihre Leiche wird inmitten von Seerosen gefunden c/o Filmmuseum Potsdam

Im Dachatelier der Bioscop in der Berliner Chauseestraße entstanden die ersten Asta-Nielsen-Filme mit Gudio Seeber an der Kurbel. Die dramatischen Dreiakter „Heißes Blut“ und Nachtfalter“ waren die ersten Spielfilme der Asta-Nielsen-Serie. Die Leute stürmten die Kinos. 1911 entstand als fünfter Nielsen Film das Melodram „Der fremde Vogel“. Rückblickend muss hier Guido Seebers „sensationelle Kameraführung“ hervorgehoben werden, heißt es in Reclams Lexikon des deutschen Films. Mit rauschenden Bäumen und auf dem Wasser tanzenden Lichtreflexen zeigt der Streifen eine der ersten realen Kulissenlandschaften der deutschen Filmgeschichte. Seebers für damalige Verhältnisse sensationeller Umgang mit Landschaftsaufnahmen und Bildern der ländlichen Welt sind ein kinematographischer Kunstgenuss. Aber es ist auch die gesellschaftliche Komponente, die dem Film Bedeutung verleiht. Zum ersten Mal wird hier eine kausale Verknüpfung zwischen dem Tod der Heldin und den hierarchischen Konventionen gezeigt.

Umzug in die Kunstblumenfabrik

Die Bioscop hatte mit den Dänen das große Los gezogen. Ihre Filme füllten die Kassen, und der Filmverleiher Christoph Müller verpflichete das „lukrative“ Paar für weitere acht Filme. Den Auftrag über 1.400.000 Mark erhielt die Bisocop. Trotz einer Vergrößerung war das Atelier in der Chausseestraße inzwischen an seine Grenzen gekommen. Ein größeres Studio auf einer Freifläche machte sich für die weitere Arbeit unumgänglich.

Im November 1911 begann die Montage des „Kleinen Glashaus“-Ateliers, das am 12. Februar 1912 mit dem Drehbeginn für den Asta-Nielsen-Film „Der Totentanz“ eingeweiht wurde c/o Studio Babelsberg/Deutsche Kinemathek

Im Herbst 1911 erhielt Guido Seeber den Auftrag, sich nach einer ausbaufähigen Freifläche im Umland umzuschauen. Es fand sich zunächst kein geeigneter Platz. Bei einem Besuch seiner zukünftigen Schwiegereltern im Villenviertel von Neubabelsberg (Nowawes) erregte ein verwaistes Betriebsgelände, an dem er sonst vorübergeilt war, seine Aufmerksamkeit. Vom Vater seiner späteren Frau Martha Thomas erfuhr er, dass hier einst Kunstblumen und Futtermittel produziert wurden. Seeber erkannte sofort die gute Eignung des „wüsten Geländes“. Es gab keine Wohnhäuser im Umfeld, die durch einen etwaigen Brand gefährdet würden, ein E-Werk war in der Nähe, und es hatte durch die Staatsbahn eine gute Anbindung an Berlin. Zudem bot sich das Gebäude mit dem Giebel nach Süden geradezu an für den Anbau eines geräumigen gläsernen Studios.

In seiner Planung für die neue Produktionsstätte der Bioscop hatte Seeber an alles gedacht. In der alten Fabrik wurde untergebracht, was für die Produktion eines Films nötig war – Büros, Labore für die Filmentwicklung, Trockenräume, Kleberei, in der die Filme geschnitten und montiert wurden, Werkstätten zur Herstellung der Dekorationen und Kulissen wie Malerei, Tischlerei, ein Fundus für Requisiten, Ausstattung und Kostüme, Räume, in denen die Zwischentitel angefertigt wurden sowie eine Kantine für die Mitarbeiter. Die Bioscop verfügte damit über ein vollständig integriertes Filmstudio, das sämtliche Arbeitsschritte für die Filmproduktion vor Ort ermöglichte. Es war die Geburtsstunde des ältesten Großfilmstudios der Welt.

Asta Nielsen und ihr Mann, der Regisseur Urban Gad, während der Dreharbeiten für den Film „Der Totentanz“ im Glashaus -Atelier der Bioscop am neuen Standort Neubabelsberg im Februar 1912. Im Hintergrund werden die Kulissen für eine Szene aufgebaut c/o Filmmuseum Potsdam

Am 12. Februar 1912 gingen am neuen Standort der Bioscop erstmals die Jupiter-Leuchten an. Wintersonne funkelt durch die Scheiben des gläsernen Studios. Regisseur Urban Gad beobachtet das erotische Spiel von Asta Nielsen vor der Kamera. An der Kurbel sitzt Guido Seeber. Gedreht wird innerhalb weniger Tage das Liebesdrama „Der Totentanz“. Am 7. September 1912 kam die erste Babelsberger Produktion in die Kinos. Wegen der erotischen Bilder, die heute jedes Kind ansehen dürfte, wurde der Film vor seiner Uraufführung mit einem Jugendverbot belegt. Was der Zensur frivol erschien, schnitt man kurzerhand heraus – den Bauchtanz und die Liebesszenen im 2. Akt sowie den Mord am Schluss. So fehlten dem 60-minütigen Streifen bei der Premiere vier Minuten. Dabei blieb es nicht. Der Film lief als erster Babelsberger Exportschlager in Schweden, Dänemark, Russland, Amerika – und alle schnippelten weg, was nicht zur Moral passte. Die fragmentarisch erhaltene Kopie von ca. 23 Minuten konnte durch das Auffinden von 40 unveröffentlichten Standfotos in Zusammenarbeit der Filmmuseen Potsdam und München rekonstruiert und restauriert werden. Die nun 26minütige Fassung hatte zum 100. Jahrestag des Drehbeginns auf der Berlinale am 12. Februar 2012 Premiere.

Ich habe mich entschlossen, den sehr langen Beitrag in mehrere Teile zu gliedern. Ihr findet sie in der oben angezeigten Menüleiste unter dem Punkt „Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films“.

Teil II am 18, Dezember 2021

Teil III am 22. Dezember 2021

Teil IV am 25. Dezember 2021

Teil V am 27. Dezember 2921