Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil V

Die Fusion – eine kurzzeitige Rettung

1919 schloss sich Erich Pommer mit dem Filmproduzenten Rudolf Meinert zusammen, und sie entwickelten Decla-Film zu einer der führenden deutschen Filmgesellschaften der frühen Weimarer Zeit. Ihre Produktionen sind ehrgeizig auf Qualitätsfilme ausgerichtet.

Abenteurer und Weltenbummler Kay Hoog (Carl de Vogt) jagt dem sagenhaften Goldschatz der Inkas hinterher. Er verliebt sich in die Inka-Sonnenpriesterin Naëla (Lil Dagover). Doch sie wird von der Anführerin der Verbrecherorganisation „Die Spinnen“ ermordet. Hoog schwört Rache… c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Auch, um sich gegen die UfaKonkurrenz mit ihrem umfangreichen Produktionsprogramm aller Genres behaupten zu können. Es erscheinen Superlative wie Decla-Abenteuerklasse“ und „Decla-Weltklasse“. Im Sommer 1919 dreht Regisseur Fritz Lang in Hamburg und Berlin den zweiteiligen Abenteuerfilm „Die Spinnen“. Aufgrund des kommerziellen Erfolgs des ersten Teil musste er den zweiten Teil eher als vorgesehen beenden und die ihm zugedachte Regie für das mystisch-düstere Werk Das Cabinet des Dr. Caligari“ an Robert Wiene abgeben. Ich habe den Film irgendwann während meiner Studienzeit Anfang der 70er Jahre im Leipziger Filmkunsttheater Casino gesehen, das heut nicht mehr existiert.

Szene mit Conrad Veidt als der „Somnambule“ Cesare und Lil Dagover als das Mädchen Jane c/o filmportal/Murnau-Stiftung/DIF

Hier wurden Filme gezeigt, die im üblichen Programm der DDR-Kinos nicht aufgeführt wurden. Eben auch Filmklassiker wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, den man als Journalistik-Student „unbedingt gesehen haben sollte“. Meine Kommilitonen von der „Kulturjournalisten“-Fraktion redeten sich heiß. Es ging weniger um die grauenerregende Geschichte des zwielichtigen Dr. Caligari, der einen Schlafwandler als Jahrmarktsattraktion herumzeigt und ihn nachts Morde begehen lässt. Vielmehr wurde über die 1919 neuartige Umsetzung, den künstlerischen Stil des Films, diskutiert.

Szene mit Hans Heinrich von Twardowski und Friedrich Fehér (v.l.n.r.) Der ungewöhnliche, damals neuartige Stil bei Gestaltung der Szenen machte „Das Cabinet des Dr. Caligari“ weltberühmt Screenshot/©Willy Hameister

Ich konnte mir – dank Internet – jetzt noch einmal eine Fassung ansehen. Mit seinen grotesk verzerrten Kulissen in kontrastreicher Beleuchtung, gemaltem Licht und Schatten, hatte er schon etwas Erschauerndes. Zartbesaiteten konnte er das Fürchten lehren. Und kann es heute noch. Wer ihn nicht kennt, sollte sich diesen außergewöhnliche Stummfilmklassiker bei Youtube zu Gemüte führen. „Das Cabinett des Dr. Caligari“ gilt aus filmgeschichtlicher Sicht als der künstlerische Höhepunkt der expressionistischen Filmkunst in den 1919er und 20er Jahren. Die Bauten mit den verwinkelten und verzerrten Räumen wurden von den drei Filmarchitekten und Szenenbildnern Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann entworfen und gestaltet. Er war nicht nur ein Meilenstein für die kommende Generation der phantastischen Horrorfilme. Er führte auch zu einer wichtigen Entscheidung, was die Zukunft der Babelsberger Filmproduktion betraf.

Conradt Veidt als Schlafwandler und Werner Krauß als Dr. Caligari 1919/1920 c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF, SDK

Die Dreharbeiten für „Das Cabinett des Dr. Caligari“ fanden laut filmportal.de von Dezember 1919 bis Januar 1920 noch im Lixie-Atelier der Filmstadt Weißensee statt. Wikipedia meint, die Kulissen hätten in Babelsberg gestanden. Was ich bezweifle.
Der internationale Erfolg des Films bestärkte Erich Pommer in seinem Ansinnen, dass nur künstlerische Großproduktionen die intellektuelle Oberschicht und zugleich den einfachen Zuschauer anziehen und die Kassen füllen. Wenngleich ein filmisches Meisterwerk, war Das Cabinet des Dr. Caligari“ wirtschaftlich kein großer Wurf war. Erich Pommer erkannte: Für seine ehrgeizigen Ziele brauchte er größere Produktionskapazitäten als sie die Weißenseer Ateliers boten. Im Frühjahr 1920 fusionierte die Decla-Film A.G. mit der Deutschen Bisocop zur Decla-Bioscop A.G., nunmehr zweitgrößte deutsche Filmgesellschaft nach der Ufa. Als Gründungstermin steht der 29. April 1920. Erich Pommer verfügte damit über eine großzügige, von Guido Seeber nach Kriegsende sanierte und mit neuer Technik ausgestatteten Atelieranlage auf einem ausdehnbaren Freigelände, die in ihrem Potenzial noch viel Luft nach oben hatte.

Ganz verschwand die Produktionsfirma „Deutsche Bioscop“ jedoch nicht. Sie arbeitete – wie ich der Filmographie entnahm – bis zur Übernahme der Decla-Bioscop durch die Ufa als eigene Abteilung für Natur- und Kurz-Dokumentarfilme. Da wird Aus dem Mäusereich“ berichtet, von den Verborgenen Wundern unserer Gewässer“ erzählt oder die schöne Insel „Rügen“ vorgestellt. Aber auch einige jugendfreie Kurz-Spielfilme wie „Madame Flederwisch“ und Ritter Hans Brausewind“ kommen als Deutsche Bioscop-Produktion ins Kino.

Szene aus „Genuine“ mit Fern Andra als Vampyr und Hans Heinrich von Twardowski als ekstatischer Friseurlehrling Florian c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Die noch unter den Folgen des Krieges leidende Bevölkerung sehnte sich nach Filmen, die sie für eine Weile dem Alltag entrissen, der für die meisten ein Kampf ums Überleben war. Das Geld verlor immer mehr Wert (seit 1914 nahm die Inflation zu), Arbeitslosigkeit und Hunger herrschten. Es klingt paradox, aber die Kultur boomte mit Beginn der 20er Jahre. Sensationsfilme und exotische Abenteuer erfüllten die Sehnsüchte der Menschen. Als eine der ersten Babelsberger Produktionen der Decla-Bioscop drehte Regisseur Robert Wiene das expressionistische Schauermärchen „Genuine. Die Tragödie eines seltsamen Hauses“, für das wiederum Carl Mayer das Drehbuch verfasste. Doch die Geschichte der grausamen Priesterin einer esotherischen Sekte, mit blutrünstigen Ritualen, erreichte nicht die

Genuine fordert von dem in ekstatischer Liebe entbrannten Florian das Blutopfer c/o filmportal, Murnau-Stiftung, DIF

erwartete Qualität. Die allzu bizarren Arabesken der Kulissen des Malers César Klein schufen zuviel Unruhe und übertönten die schauspielerische Leistung. Auch wurde nicht wie erhofft intellektuelles Publikum angesprochen. Dennoch bleiben für Erich Pommer Autorenfilme und literarische Verfilmungen das Wichtigste in seinem Spielfilmprogramm. Nach der Novelle von Heinrich Zschokke ließ er im Barockschloss Glatz und in den Babelsberger Studios den „Roman der Christine von Herre“ drehen. Die Dreharbeiten dauerten von Mai bis August 1921. Am 29. September fand die Uraufführung statt.

Nach dem Märchen „Gevatter Tod“ produzierte Decla-Bioscop 1921 in Babelsberg „Der müde Tod“ mit Lil Dagover als Braut, die ihren Geliebten retten will. Karl Platen mimt den Tod. c/o Stiftung Deutsche Kinemathek

Zu einer der erfolgreichsten Produktionen, die Erich Pommer in der Decla-Bioscop-Zeit verantwortet, wurde „Der müde Tod“. Die expressionistisch-romantische Adaption des Grimmschen Märchens „Gevatter Tod“ realisierte Regisseur Fritz Lang nach einem Drehbuch seiner Frau, der erfolgreichen Autorin Thea Harbour. Ein Volkslied in sechs Versen nannte Lang seinen Film. Zusammen mit den Architekten Walter Röhrig (deutscher Teil), Hermann Warm (orientalischer und venezianischer Teil) und Robert Herlth (chinesischer Teil) schuf er auf dem Babelsberger Ateliergelände eine Szenerie, die den poetisch-romantischen Charakter der Handlung voll zur Geltung bringt, egal, ob sie in einer verträumten deutschen Kleinstadt oder in der orientalischen Pracht eines Kalifenpalastes stattfindet.

Lil Dagover in der Kulisse einer deutschen Kleinstadt, wie sie von Architekt Walter Röhrig auf dem Freigelände des Neubabelsberger Studios aufgebaut wurde c/o filmportal/SDK

Zauberhafte Bilder erschienen auf der Leinwand. Wahre Begeisterung riefen die Filmtricks hervor. Lang verwendete in der „chinesischen Episode“ einen für die damalige Zeit sehr aufwendigen Trick mit einem Riesenmodell der Stiefel des Zauberers, durch die eine Armee winziger Menschen aufmarschiert. Langs Kinotricks nahm Hollywood-Regisseur Raoul Welsh 1924 als Vorbild für seinen Film „Der Dieb von Bagdad“.

Das Mädchen (Lil Dagover) sucht auch im Land des Kalifen (Eduard von Winterstein) nach einem Menschen, der sein Leben für das ihres Geliebten gibt. Doch jeder, auch wenn er alt und gebrechlich ist, hängt an seinem Leben c/o filmportal, SDK

Fritz Langs 1921 gedrehte volksliedhafte, thematisch einfache Parabel von der Liebe, die stärker ist als der Tod, in außergewöhnlich ausdrucksstarken Bildern von großer Schönheit sollten alle Filmfreunde gesehen haben“, schrieb der Evangelische Filmbeobachter in seiner Kritik 280/1969. Die Uraufführung wurde am 6. Oktober 1921 mit einem großem Aufwand im Berliner Mozartsaal gefeiert.

Ein neues Filmimperium wird geboren

Nur ein paar Tage später, am 11. Oktober 1921, beschloss die Decla-Bioscop A.G. ihre Fusion mit der Ufa, die damit nicht nur ihren größten Konkurrenten ausschaltete. Mit der Übernahme der Neubabelsberger Ateliers und Produktionsanlagen sowie des Decla-Gründers und ambitionierten Filmproduzenten Erich Pommer verschaffte sich die Ufa ein kreatives Potenzial, das in den kommenden Jahren ihr Gesicht entscheidend prägen würde. Das Studio entwickelte sich unter der Ägide von Erich Pommer zum lebendigsten und innovativsten in Deutschland.

Lyda Salmonova und Paul Wegener bei Dreharbeiten zu „Das Weib des Pharao“ 1921 c/o filmportal, DIF

Regisseure wie Ernst Lubitsch („Das Weib des Pharao“, 1922) Friedrich Wilhelm Murnau („Der letzte Mann“, 1924), vor allem aber Fritz Lang („Die Nibelungen“, 1922/24), schufen mit ihren Filmen in den kommenden Jahren die Grundsteine für den Mythos Babelsberg. Filmschaffende aus Hollywood und europäischen Ländern pilgerten hierher, um sich über Szenenbild, Filmtechnik und Filmarchitektur auf den neusten Stand bringen zu lassen. Fast täglich berichtete die Presse über Dreharbeiten und Starauftritte, spektakuläre Filmtricks und atemberaubende Kulissenbauten. In diese Zeit von 1921 führen die nächsten Teile meiner Exkursion in Babelsbergs Geheimnisse des Films.

Guido Seebers Abschied von Babelsberg

Was wäre Babelsberg ohne seinen Gründungsvater, den Chefkameramann und Technische Leiter der Bioscop. Gudio Seeber hatte bereits am 31. März 1920, im Vorfeld der Übereignung der Bioscop an Erich Pommer, schweren Herzens den Betrieb verlassen, in den er sich mit viel Liebe und Hingabe, seinem Wissen und Können eingebracht hatte, um den deutschen Film voranzubringen. Als freier Kameramann wirkte er für verschiedene Filmproduktionen, ehe er 1935 nach Babelsberg zurückkehrte.

Dreharbeiten 1920 für „Das wandernde Bild“, Regisseur Fritz Lang in der Mitte, Guido Seeber hinter der Kamera c/o filmportal/Murnau-Stiftung, DIF

Guido Seeber „kurbelte“ für bedeutende Regisseure und Filme wie Fritz Langs Das wandernde Bild“, (1920), Georg Wilhelm Pabsts Die freudlose Gasse“ (1925) und „Geheimnisse einer Seele“ (1926). Seine größte Aufgabe war der vierteilige Monumentalfilm Friedericus Rex unter der Regie des Ungarn Arzén von Cserépy. Die Dreharbeiten an historischen Stätten in Potsdam und Berlin-Charlottenburg sowie im Cserépy-Atelier und im Jofa-Filmstudio erstreckten sich von 1920 bis 1921 an historischen Orten in Potsdam. Sie zählten zu den erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Filmen der 1920er Jahre.

Wissend um die Begabung Seebers im Umgang mit der Kamera – er entwickelte mehrere Tricktechniken, wusste die Perspektive des Raums zu nutzen und arbeitete mit Hell-dunkel-Kontrasten – setzte ihn der österreichische Regisseur Lupu Pick für die Außenaufnahmen seines Kammerspielfilms „Sylvester“ ein. Zur Erklärung: Der Kammerspielfilm ist ein Subgenre des Stummfilms und hatte seine Blütezeit zwischen 1921 und 1925. Er steht durch psychologische Ausformung von Figuren und Situationen in realistischer und naturalistischer Weise im Gegensatz zum Expressionistischen Film.

Szene aus dem Stummfilmdrama „Sylvester“ mit Edith Proscva, Eugen Klöpfer und Frida Richard c/o filmportal/DIF

Für diesen Film drehte Guido Seeber November 1923 auf Helgoland vielbeachtete Mondaufnahmen mit einem Teleobjektiv. Das Drehbuch hatte der Schriftsteller und Drehbuchautor Carl Mayer geschrieben. Das ist insofern erwähnenswert, weil Mayer eine Form des Drehbuchschreibens entwickelte, wie sie heute noch gebräuchlich ist. Er gab am linken Rand neben dem Text Hinweise für Kamerabewegungen wie Fahrten, Schwenks bzw. die Größe der jeweiligen Einstellung. Filmische Stilmittel, wie sie Guido Seeber schon angedeutet 1913 in „Der Student von Prag“ einsetzte.

Neben seiner Filmarbeit widmete sich der inzwischen über 40Jährige technischen Experimenten und der Herstellung ungewöhnlicher Trickfilme. 1923 beteiligte er sich an den Tonfilm-Experimenten der Tri-Ergon-Film. 1925 stellte er einen Trick-Werbefilm für die Kino- und Photo-Ausstellung (Kipho) her und schrieb ein Kompendium der optischen Tricktechniken. Große Aufgaben als Kameramnn hatte er in der Tonfilmzeit nicht mehr. Er filmte leichte Unterhaltungsfilme wie Rudolf Walther-Feins Wochenendzauber“, der „prachtvolle Aufnahmen des Thalersees enthält“, oder „Das Heiratsnest“. Beide entstanden 1927.

Kameramann und Trickspezialist Guido Seeber um 1935 c/o filmportal/DIF

Nach einem Schlaganfall 1932 beendete Guido Seeber seine aktive Kameraarbeit, ohne jedoch dem Film ganz den Rücken zu kehren. Er veröffentlichte mehrere Bücher für Amateurfilmer sowie zwei Bände über Kamera- und Tricktechnik, die bis heute auf ihrem Gebiet als Standardwerke gelten. 1935 übernahm Guido Seeber die Leitung der Abteilung Filmtrick der Ufa , wo er u. a. eine Rückpro-Anlage aufbauen ließ. Trotz meiner Hochachtung vor den Leistungen dieses Filmpioniers, will ich nicht verschweigen, dass sich Guido Seeber darauf einließ, nach der Machübernahme der Nazis für einige „Blut- und Boden“-Filme wie „Zwei gute Kameraden“ (1932/33), „Die Saat geht auf“ (1934/35), und „Ein Mädchen mit Porkura“ (1934) sowie den antisemistische Streifen „Nicht weich werden, Susanne!“ (1935) Kamera zu bedienen. Guido Seeber starb 1940 mit 61 Jahren in Berlin.

Lucie Höflich (1.v.l.), Helga Thomas (2.v.l.), Hans Brausewetter (3.v.l.), Mady Christians (rechts) in dem Stummfilm „Ein Glas Wasser“ c/o Filmportal/Murnau-Stiftung. DIF

Über das Filmimperium Ufa und Babelsbergs Wachsen zum größten deutschen Filmstudio in der Zeit von 1922-1933 werde ich im neuen Jahr hier etwas veröffentlichen.

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