„Der Golem“ – Mystik, Magie und Horror
Ewers und Rye verfilmten 1913 /14 mehr als zehn gemeinsame oder eigene Stoffe, oft mit Guido Seeber an der Kamera, aber auch mit Karl Hasselmann („Die Eisbraut“, „Gendarm Möbius“, „Flug in die Sonne“) der eine eigene künstlerische Ausdrucksfähigkeit entwickelte. Paul Wegener, der als Charakterdarsteller große Schauspielkunst zeigte, frönte mit seinem Erstlingswerk „Der Golem“ als Autor und Regisseur seinem Faible für das Wundersame in Märchen und Sagen. Eine jüdische Legende erzählt von der sagenhaften Gestalt des Golems, von dem man sagt, er gehe alle dreiunddreißig Jahre in Prag um. Rabbi Löw soll ihn 1580 am Ufer der Moldau nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala aus Lehm geschaffen haben, weil er sich einen Gehilfen wünschte, der die Juden beschützen sollte. Gemeinsam mit dem österreichischen Drehbuchtor und Regisseur Henrik Galeen inszenierte Wegener Ende Dezember 1913 die Geschichte. Beide übernahmen die Hauptrollen. Galeen spielte den Trödler, Wegener agierte als Golem.

Die Filmhandlung: Beim Ausheben eines Brunnens entdecken Arbeiter eine aus Lehm geformte Statue. Ein jüdischer Trödler erkennt in ihr den Golem, und mittels eines magischen Amuletts gelingt es ihm, der Statue Leben einzuhauchen. Der Golem verliebt sich in die Tochter des Trödlers, doch diese fühlt sich zu einem Grafen hingezogen. Der hühnenhafte Golem jagt ihr Angst ein. Bei einem Sommerfest, zu dem der Golem seiner Angebeteten folgt, kommt es zum Kampf auf Leben und Tod.
Die Dreharbeiten fanden an Originalschauplätzen in Prag statt. Das Studierzimmer stand auf dem Freigelände der Bioscop in Babelsberg. Einige Außenaufnahmen wurden in Hildesheim gedreht. Die bemerkenswerten Filmbauten und das Gros der Kostüme stammen von Bühnenbildner Rochus Gliese. Die Magie des Films aber geht von der Golem-Figur aus, deren Erschaffung dem expressionistischen Bildhauer Rudolf Belling oblag. Er verlieh Paul Wegener mit der starren, helmartigen Prinz-Eisenherz-Perücke, der breitschultrigen wie aus Lehm gemachten Tunika etwas Monsterhaftes, Schrecken Verbreitendes. Mich erinnert die Figur an die steinernen Rolandstatuen, wie sie im Mittelalter als Zeichen bürgerlicher Freiheit in vielen Städten, so auch in meiner Heimatstadt Quedlinburg, aufgestellt wurden.

Bei der Suche nach Fotos für meinen Beitrag stieß ich auf dieses Zwillingsbild rechts. Ich konnte es zuerst nicht deuten. Dann las ich, dass Rudolf Belling noch ein Double hergestellt hat, das den Schauspieler in gefährlichen Szenen ersetzte. Beide scheinen bei flüchtigem Hinblicken identisch. Doch während Paul Wegener als lebender Golem das magische Amulett, einen Davidstern, um den Hals trägt, fehlt es bei der „Puppe“. Was dahinter steckt, vermag ich nicht zu sagen. Ein Scherz, ein Suchspiel für die Zuschauer?

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 28. Juli 1914 fertiggestellt, kam „Der Golem“ am 14. Januar 1915 ins Kino. Reclams Filmführer schreibt: „Der Film lebt vor allem von der Schauspielkunst Wegeners und von der düsteren Atmosphäre enger Gassen und verwinkelter Häuser, eines alptraumhaften Milieus, in dem das Unheimliche einleuchtend Gestalt gewann.“ Filmhistorisch wird „Der Golem“ als Geburtsstunde des Horrorfilms gesehen.
Filme im Sog des Ersten Weltkrieges
Die Bioscop erlebte mit den Autorenfilmen eine Blütezeit. Doch ihre aufwendigen Produktionen waren auch mit hohen Kosten verbunden. Im Sommer 1914 stand die Bioscop und damit die Produktionsstätte Nowawes kurz vor der Pleite. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges noch problematischer. Fast jeder dort beschäftigte Mann wurde zum Kriegsdienst verpflichet oder meldete sich freiwillig. So gut es ging hielten die Frauen bis 1918 den Betrieb aufrecht. Als Filmproduzent war die Bioscop praktisch stillgelegt, wie sich Guido Seeber später in seinen Veröffentlichungen erinnert. Er wurde im August 1914 eingezogen und diente zunächst an der Westfront. 1915 wurde er nach Warnemünde versetzt. Dort baute er die Bildabteilung des Segelflugzeug-Versuchskommandos auf und untersuchte mit Film- und Röntgen-Aufnahmen die Absturzursache von Flugzeugen. Der in Dänemark militärisch ausgebildete Stellan Rye kämpfte freiwillig auf deutscher Seite. In der ersten Flandernschlacht bei Ypern schwer verwundet, starb er am 14. November 1914 in einem französischen Lazarett. Ryes letzter Film, das Pychodrama „Haus ohne Tür“ nach einem Manuskript von Henrik Galeen, blieb unvollendet. Bis heute wurde keine Kopie gefunden.


Auch Paul Wegener hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet, wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen 1915 nach Berlin zurückgeschickt. Er inszenierte von da an nicht mehr in Babelsberg für die Bioscop, sondern für deren Berliner Konkurrenz, die „Projektions-AG Union“, kurz PAGU, des Filmproduzenten Paul Davidson. Wegener folgt seiner Ambition für künstlerisch hochwertige Filme sowie seiner Leidenschaft für Märchen und den Fernen Osten. Inspiriert vom Erfolg seiner Doppelrolle als „Der Student von Prag“ wandte er sich 1916 erneut in einer Doppelrolle mit der mystischen Geschichte „Der Yogi“ dem Publikum des phastastischen Kinos zu. 1917 griff er sein Golem-Motiv mit dem Film „Der Golem und die Tänzerin“ auf. Er persifliert darin seinen ersten Film. In den Kritiken heißt es: „Es gibt viel zu lachen in der reizenden, vieraktigen Capriccio“ (Breslauer Zeitung) . Die „Hamburger Nachrichten“ konstatieren: „Auch in diesem Film feiert das bedeutende Wegenersche Geschick, das die Möglichkeiten der Filmtechnik bis aufs äußerste erschöpft, einen wahren Triumph. Ob in Ernst und Grauen, ob in Scherz und Ulk – Paul Wegener bleibt sich immer treu.“

1920 folgt „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Wegener schuf damit einen der „künstlerisch wie geschäftlich größten Erfolge der deutschen Stummfilmproduktion, dessen außergewöhnliche, von Jugendstil und Expressionismus bestimmte Bild- und Dekorgestaltung bis heute nichts von ihrer suggestiven Wirkung eingebüßt hat“, schreibt das Lexikon des internationalen Films. Die Kamera führte Karl Freund, der stilbildend für die Kinokunst der 20er Jahren werden sollte. Er ist der Erfinder der „entfesselten Kamera“ und prägte den Stummfilm-Expressionismus. Ich gehe darauf ein, wenn ich über die Zeit ab 1922 schreibe. Die Golem- Filme von 1917 und 1920 jetzt hier auszusparen, weil sie nicht in Babelsberg entstanden sind, würde heißen, Stummfilmklassiker von hohem künstlerischen Rang zu unterschlagen. Zumal sie ihren Anfang in Babelsberg nahmen. Ich habe auf Youtube Filmfassungen gefunden und zum Anschauen verlinkt.
„Lebende Buddhas“ – ein missglücktes Experiment
Es bietet sich an dieser Stelle an, der Zeit etwas vorzugreifen und einen Abstecher in den weiteren Lebensweg von Paul Wegener zu machen. Der Erfolg der Golem-Filme, insbesondere des ersten und dritten, versetzte Wegener in die wirtschaftliche Lage, 1923 eine eigene Filmfirma zu gründen, die „Paul Wegener Film AG“. Mit ihr produzierte er allerdings nur einen einzigen Film – das mystische Orient-Abenteuer „Lebende Buddhas“. Für das kostspielige Mammutprojekt engagierte er Guido Seeber als verantwortlichen Kameramann und Trickspezialisten, Asta Nielsen als weibliche Hauptdarstellerin, die damit nach zehn Jahren erstmals wieder vor Guido Seebers Kamera stand. Wegener selbst übernahm die Titelrolle, einen tibetanischen Groß Lama, der sich als Inkarnation Buddhas sieht. Unter riesigem Aufwand fanden die mehrmonatigen Dreharbeiten 1923/1924 in der Zeppelinhalle Staaken statt. Die phantasievollen Filmbauten entwarf der berühmte Berliner Architekt Hans Poelzig, der Szenenbildner Botho Höfer führte sie aus. Trickkameramann Walter Ruttmann animierte die Spezialsequenzen.

Für diese technisch überaus aufwendige Produktion wandte der Gudio Seeber einmal mehr verblüffende Tricks an wie diesen: In einer Tempelszene treten mehrere Personen in ein Bild hinein, das zuvor von der Wand fällt, und verschwinden darin. Die optische Umsetzung war ein mühevolles Verfahren, das ich hier nicht in Einzelheiten schildern kann. Vielleicht vermittelt die obige Skizze über die Arbeitsschritte zur filmischen Umsetzung dieser Szenen einen Eindruck.

Nicht weniger beeindruckend sind die Bilder, in denen sich der riesenhafte Kopf eines Buddhas hinter dem Horizont über dem Meer erhebt und den Hochseedampfer der Forschungsreisenden mit den Augen dirigiert. Seeber benutzte hierfür ein Verfahren, das bereits 1912 in der französischen Literatur beschrieben wurde. Ich habe die Erklärung in dem schon oben erwähnten Buch „Wie habens sie’s gemacht“ von dem ehemaligen DEFA-Trickchef Uwe Fleischer und Filmregisseur Helge Trimpert gefunden, verzichte aber hier auf die umfangreiche technische Beschreibung. Der Film galt als verschollen, erst jetzt wurden Fragmente gefunden, die auf Youtube eingestellt worden sind. Ich habe einen Link gesetzt, denn das Anschauen gibt einen Eindruck des mystischen Geschehens.
Paul Wegener hatte sein ganzes Vermögen in die Herstellung des Films gesteckt. Sein innersten Anliegen, wieder ein phantastisches Kunstwerk zu schaffen, vermochte er nicht umzusetzen. „Den Künstler Wegener reizte es, die Geheimnisse der Religionen Indiens in einem Märchen zu gestalten, und es wäre ihm vielleicht restlos gelungen, wenn nicht der Ethnologe Wegener ihm das Konzept verdorben hätte“, resümierte der Film-Kurier nach der Premiere 1925.

Der Kritik in der „Lichtbild-Bühne“ nach hinterließ der Film „Lebende Buddhas“ einen zwiespältigen Eindruck, wurde aber als „literarisch und filmisch hochinteressantes Experiment“ anerkannt. Es war seine letzte Arbeit als Regisseur, denn die enormen Kosten und die schwache Resonanz des Publikums führten für die Paul-Wegener-Film AG in ein finanzielles Desaster. Er beschränkte sich nunmehr auf die Schauspielerei. Erst in den 30er Jahren begann er wieder zu inszenieren. Paul Wegener, Asta Nielsen und insbesondere Guido Seeber als Gründungsvater der Filmstadt ihre Spuren in der Babelsberger Studiogeschichte hinterlassen haben.

Teil IV wird am 25. Dezember 2021 veröffentlicht. Der Erste Weltkrieg hat die Babelsberger Filmproduktion nahezu zum Erliegen gebracht. Die angschlagene Bioscop versuchte, mit einem hohen „Ausstoß“ an Liebesfilmen, Komödien, vor allem auch Propagandfilmen mit der eben gegründeten Ufa mitzuhalten.