Irgendwann wird ein neuer Alltag Normalität. Es hat sich alles gerüttelt und geschüttelt. Ich habe neben dem Schreiben mein altes Hobby aufgenommen: Ich fotografiere wieder. Zumindest versuche ich das. Knipsen will ich nicht sagen, weil es ein bisschen mehr ist.

Meine ersten Fotoversuche habe ich im Volontariat 1968 gemacht. Zusammen mit den Kamera-Volontären – wir haben unser Volontariat vor dem Studium beim Fernsehen gemacht – hockte ich stundenlang in der Dunkelkammer, entwickelte meine schwarzweiß Negativfilme und lernte, wie man Abzüge bzw. Vergrößerungen macht. Später habe ich dann meine Kinder abgelichtet und hunderte Fotos im Badezimmer entwickelt.


Hat man einmal damit angefangen, ist es wie eine Sucht. Es machte unglaublich viel Spaß, und der Ehrgeiz war groß. Da gibt es ja jede Menge Tricks. Man konnte unheimlich viel bei der Vergrößerung durch Ausschnitte und bei der Belichtung herausholen, zum Beispiel durch sogenanntes Abwedeln während der Belichtung. Ich habe viel herumexperimentiert. Die Schwarzweißfotografie auf Negativfilm verlangt Fingerspitzengefühl beim Aufnehmen und Kreativität, wenn man etwas Besonderes erreichen will. Ich war weit entfernt von dem, was die Kamerastudenten konnten. Heute verhilft die digitale Technik Laien wie mir zu schönen Fotos.

Meine Objekte finde ich rund ums Haus und auf Spaziergängen. Die ersten „Opfer“ sind Vögel. Wenn ich das Fenster öffne, dann zwitschert, pfeift, tiriliert und jubiliert es. Jeden Morgen ist ein emsiges Treiben zu beobachten. Da picken Amseln im Gras, wetzen über die Wiese. Jagen sich. Ohne Scheu vor den Zweibeinern, die aus dem Haus zu ihren Autos streben.

Es ist amüsant, und die Muße des Beobachtens gönne ich mir. Weil ich schon einige witzige Momente verpasst habe, liegt die Kamera mit dem großen Objektiv jetzt griffbereit.
Als Laie auch in der Vogelkunde habe ich gelernt, dass die Amselweibchen scheuer sind als die Männchen und auch ein anders gefärbtes Federkleid haben. Bräunlich mit kleinen weißen Flecken.

Gestern bin ich auf „Vogeljagd“ gegangen. Man hört sie, spitzt die Ohren, aber man findet sie nur ganz schwer in dem zunehmend dichter werdenden Grün der Lärchen, Birken und Jasminsträucher, die unsere Siedlung einem Park gleich machen.

Es war ein wunderschöner warmer Tag, und ich habe mir eine Liege genommen und mich in die Sonne gelegt. Natürlich nicht ohne meine Kamera neben mir zu haben. Vielleicht würde es mir gelingen, von den vielen Piepmätzen einige fotografisch einzufangen. Und das Glück war mir hold.

Ich erwischte eine Finken-Gruppe und einen Stieglitz. Neugierig schaute er von oben auf mich herab und ließ sich auch durch das Klacken des Auslösers nicht stören. Dann flog er auf, aber nicht weg. Er setzte sich vor mir ins Gras und posierte.

Drehte den Kopf, sah mir zu und schien zu warten, bis ich ihn scharf im Objektiv hatte. Ein Glücksschauer durchfuhr mich. Denn es war das erste Mal, dass ich einen Stieglitz so dicht vor mir hatte. Eine wunderschöne „Beute“ hatte ich gemacht.
Rar gemacht haben sich die Buntspechte in unserer Siedlung. Ich erinnere mich noch gut, wie sie in den vergangenen Jahren auf dem Metall der Laternen herumhämmerten, dass einem die Ohren klangen. Unbelehrbar, dass es nur Krach macht, aber kein Würmchen dabei in den Schnabel kommt. Die Häuserwände ähnelten einem Schweizer Käse. Immer wieder mussten sie verstopft werden. Doch die Buntspechte klopften den Putz wieder heraus. In den Zwischenräumen der Dämmung ließ es sich vorzüglich nisten. Warm und trocken. Und „Leckderlis“ gibt es wohl auch reichlich.

Die Bewohner unserer Siedlung haben ein Herz für die liebe Vogelschar, die auch im Winter tschilpt und pfeift. Futterhäuschen bieten reichlich an. Dank der Futterhäuschen meiner Nachbarn bekam ich im Januar ein hübsches Exemplar vor die Linse.
Eine wirklich witzige Geschichte beobachtete ich vor ein paar Tagen. Ich entdeckte ein Eichhörnchen hinterm Haus. Es kletterte kopfüber von einer Lärche.
Bisher habe ich die tollen Akrobaten immer nur vom Bett aus beobachtet. Wie sie in den Baumwipfeln herumtollen, in rasender Geschwindigkeit über die Äste flitzen, um dann meterweit auf den nächsten Baum zu springen. Das ist wie Kino.

Zuerst habe ich Pinselohr gar nicht gesehen. Es wuselte zwischen Pfingstrosenbüschen im Blumenbeet herum, wo jede Menge leckere Zapfen liegen, die es genüsslich auspulte.

Doch plötzlich bemerkte es, dass es beobachtet wird und machte sich auf und davon. Das Fluchtfoto, finde ich, ist mir gelungen.
Als ich mich in die Küche begab, um zu frühstücken, konnte ich das auch erst mal vergessen. Pinselohr turnte auf der Wiese vor meinem Fenster herum. Also Fenster auf und Kamera in Anschlag. Zunächst passierte nichts weiter als dass das süße Kerlchen saß und an etwas herumknabberte.
Doch dann kam Bewegung in die Geschichte, und ich konnte vor Lachen kaum den Fotoapparat ruhig halten. Wie von der Tarantel gestochen ergriff Pinselohr die Flucht. So etwas hatte ich noch nicht gesehen.
Mein nächstes Fotoabenteuer erlebte ich auf dem Weg zum Gartencenter. Der kürzeste Weg führt über eine Holzbrücke am Flughafensee durch den Wald. In diesem Jahr muss man immer gewiss sein, dort auf eine Rotte Wildschweine zu stoßen. Sie sehen das Waldstück und sämtliche Wege als ihr Revier an. Bachen mit ihren Frischlingen –eine Mutterfamilie mit etwa 15 Tieren.


Ich bin ihnen schon öfter begegnet und habe immer einen Bogen gemacht. Nie im Leben käme ich auf die Idee, mich an eine Suhle zu stellen und der Rotte beim Mittagsschlaf zuzuschauen! Aber manche Menschen scheinen lebensmüde zu sein. Nun ist noch nie etwas passiert und „unsere“ Wildschweine sind wohl friedfertig, da ihnen die Zweibeiner andauernd über den Weg laufen oder mit ihren Rädern vorbei rasen. Darauf ankommen lassen würde ich es dennoch nicht.

Ich hatte meine Fototasche intuitiv in den Fahrradkorb gepackt. Der See ist ein schönes Motiv. Oft sitzen Reiher auf den Weidenzweigen, die überm Wasser hängen. Schwäne, Enten, Blässhühner crusen – eine mannigfache Tierwelt hat sich dort ausgebreitet.

Aber schon an der Brücke bin ich dann dem Harem – so nennt man den Verbund der weiblichen Wildschweine – begegnet. Die Tiere befanden sich auf der anderen Seite des kleinen Regenwasserkanals, über den die Holzbrücke führt. Ich hatte sicheren Abstand und gute Kamerasicht. Es war trotzdem Abenteuer und Aufregung.
Irgendwann musste ich dann aber über die Brücke und brauchte Mut. Eine Bache war den Abhang heraufgekommen. Ein Mann hatte ihr Brot zugeworfen. Mit zuviel Schwung, denn es kullerte ins Wasser. Was für enttäuschter Blick! Aber nur kurz. Madame Schwarzkittel drehte sich um, den Blick auf die „Futterquelle“ gerichtet, stieg sie den Hang hinauf und stand plötzlich vor mir. Ich bin rückwärts zurück gegangen und habe dann das Foto gemacht.


