Thomas Natschinski – deutscher Beat und 501er Jeans

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Thomas Natschinski 1964

Als die Beatles anfingen, die Hitparaden zu stürmen, klappte ein 16-jähriger Berliner sein Klavier zu und kaufte sich eine Gitarre. Die Londoner Garagenjungs gaben die Initialzündung. Das war nach dem Deutschlandtreffen der Jugend Pfingsten 1964. „In Ost-Berlin brannte die Luft. Drei Tage lang. Das war eine Sensation. Da der Alltag in der DDR nicht so aufregend war, versammelten sich alle jungen Leute, die nicht eingemottet leben wollten, im Zentrum der Stadt“, erinnert sich Thomas Natschinski über 50 Jahre später. „Meine Freunde John, Gerrit und ich fanden durch Zufall zu einer Bühne, auf der eine tschechische Band spielte. Sie hatten kein Susaphon, keine Trompete und auch keine Schellen oder Posaunen. Was sie spielten, dran10-team4g wie ein scharfer Wind in unsere Ohren. Sie spielten Beatmusik! Und das Live und Open Air und im Osten!“

Im Spätsommer 1964 gründete er mit John Knepler, Gerrit Gräfe und Hartmut König seine Beatband. Im Oktober hatte Team4 in der Sendung »Basar« des DDR-Jugendfernsehens mit ihrem »Lied von den Träumen« den ersten TV-Auftritt, und die ersten Fans scharrten sich um die Band der Humboldt-Schule in Berlin-Köpenick. 1964 begann auch meine Beatzeit. Ich stand wie wohl die meisten jungen Leute unserer Generation auf Beatles, Stones, CCR, Ekseption oder Lovin’ Spoonful, von denen sich LPs in meiner bunten Plattensammlung befinden.Team4 Die Strasse

Team4 war die erste deutsche Rockband, die die deutsche Sprache mit eigenen Songs in der Beatmusik salonfähig machte. Thomas Natschinski, heute 68, kann getrost Vorreiter für die Entwicklung einer eigenständigen, deutschsprachigen Beat- und Rockmusik in der DDR genannt werden. Er komponierte den Kult-Hit „ Mokka-Milch-Eisbar“, den noch heute fast jeder, der in der DDR gelebt hat, mitsingen kann.

Team4-„Geschichten“, die zweite LP der ersten deutschen BeatgruppeEtwas verstaubt vom langen Unbenutztsein fand ich in meiner Plattensammlung die 1970er-LP von Team4 „Geschichten“, die 68-er Platte „Die Straße“, ihre erste LP, ist mir abhanden gekommen. Besonders ärgerlich, weil sie signiert war. Ganz stolz hatte ich sie 2007 zu meinem ersten Interview mit Thomas Natschinski mitgenommen, dessen Anlass sein 60. Geburtstag war.

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Mit Sängerin Gaby Rückert

Thomas Natschinski wurde Songschreiber vieler Hits, die eine ganze Generation in ihrem musikalischen Verständnis geprägt haben. Als Komponist steht er für die Karrieren von Sängerin Gaby Rückert („Berührung“) und Chansonier Jürgen Walter („Clown sein“). Vier Jahre lang war er Keyboarder bei „Karat“, einer der besten Bands der DDR. Er hat 150 Filmmusiken geschrieben, unter anderem für „Spuk unterm Riesenrad“, Revuen für den Berliner Friedrichstadtpalast.

Mit dem 60. Geburtstag brach für Thomas Natschinski privat wie beruflich eine neue und sehr kreative Zeit mit seiner Partnerin Christine Dähn an, dazumal Reporterin und Moderatorin bei „DT 64“ und dem DDR-Fernsehen. Mit ihr zusammen schrieb er den Rückblick auf sein Leben, „Verdammt, wer hat das Klavier erfunden“, und sie ist die Texterin für sein erstes Soloalbum „Weit, weit und wild“, mit dem sich der Musiker und Komponist 2007 als Sänger auf der Bühne zurückmeldete. „Die Musik strömte aus mir heraus. Es ist nicht mehr der nette Natschinski, der da singt, sondern ein kräftiger, manchmal leiser Kerl, der sich was traut. Ich singe von Liebe, Lust, Lesben, Wirrnissen und Wagnissen“.

cd_tn_weit-weitDie CD bedeutete für ihn ein Aufbruch, nachdem er 1980 seinen letzten Titel als Sänger aufgenommen hatte. Danach war er als Keyboarder für Ed Swillms bei Karat eingestiegen. Als er 1984 vor der Entscheidung stand, bei der Band zu bleiben oder als freier Komponist zu arbeiten, entschied er sich für Letzteres. Das hatte auch mit seiner Frau Maria zu tun. Er hatte sie 1967 kennengelernt, in einem Sowjetunion-Reise mit Freunden. Er war 19, sie 22, ein Mädchen, das seinem Schönheitsideal entsprach, wie er in seinem Buch „Verdammt, wer hat das Klavier erfunden“ erzählt.

buch-tnatschinsk2Am 20. Dezember 1969 heirateten sie, wurden Eltern einer Tochter. Maria starb 2004 an Leukämie, an der sie Mitte der 70-er Jahre erkrankt war. „Erst da erfuhr ich, wie stark meine Frau war. All die Jahre lebte sie mit dem Sterben, ohne zu klagen, ohne Lebenshast“, erinnerte sich Thomas Natschinski in unserem Interview. Er hat diese Liebe und die Zeit mit seiner Frau in seinem Herzen verschlossen. Bis er Christine Dähn traf und mit ihr zu arbeiten begann. Sie holte ihn 2007 auf die Bühne zurück.

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Jazzsommer 2007 in Berlin Köpenick

Seither sind beide landauf landab mit ihren Konzertlesungen unterwegs. 2014, zu seinem 50-jährigen Bühnenjubiläum, überraschte der stille Musiker, der 500 Songs und jede Menge Hits für andere geschrieben hat, mit einem ganz besonderen Album. „501“ steht auf dem Cover. Es sind zwölf wunderbare poetische und zugleich gegenwärtige Lieder – Blues, Rock, Balladen – zu denen Christine Dähn die Texte schrieb. Das jüngste Projekt des Paares ist das Hörbuch „Der Pianist und eine Autorin“.

Ein Interview mit Thomas Natschinski

CD Cover TN 501501 ist die älteste Jeansmarke, vor 124 Jahren hat Levi Strauss damit den Siegeszug um die Welt angetreten. Was hat sie mit Ihrem aktuellen Album zu tun?
Der Titel entstand als Hommage an ein Stückchen Stoff, das der Stoff für Generationen wurde. Er steht für Liebe, Toleranz, Ehrlichkeit, Kummer und für die Farbe blau, wie in guten Stunden der Himmel ist. Das spiegelt sich auch in den Liedern des Albums. 501 ist ein Lebensgefühl, mein Lebensgefühl… Die wunderbaren Texte sind von Christine Dähn. Sie kam auch auf die Idee, das Album 501 zu nennen. Die 501 begleitet lebenslang die meisten Musiker, Rocker, Jazzer und Popsänger. Die 501 legt man nur zum schlafen ab oder weg. Das wünsche ich mir auch von meiner CD.

In der DDR hieß es: „Jeans sind eine Einstellung, keine Hosen“. Sie galt bis Mitte der 70-er als Symbol westlicher, dekadenter Lebensart. Wer Jeans trug, dem wurde gern mal unterstellt, er opponiere gegen den Sozialismus. Wie haben Sie darauf reagiert?
Jeans sind ursprünglich Arbeitshosen für die amerikanischen Arbeiter. Und der Arbeiterklasse war die DDR ja sehr nahe. Dagegen konnte man nichts sagen, aber DDR-Politiker dachten meist sehr eng. Sie störten sich auch an langen Haaren und Parka, sogenannten Nato-Kutten. Sie haben die Welt nicht beschädigt. Die Aufgeregtheit der alten Männer legte sich ein wenig unter Honecker. Da hieß es dann, Hose ist Hose. 1978 wurden eine Millionen „Levis“ importiert und später produzierte die DDR eigene Jeans der Marke „Boxer“ und Wisent“. Wenn man sie auch noch hätte tragen können, wäre es schön gewesen. Dann hätte meine Oma sie nicht mehr aus dem Westen mitbringen müssen.01-fotosession-cd-weit_weit

Vor 25 Jahren öffnete sich die deutsch-deutsche Grenze. Was für ein Tag war der 9. November 1989 für Sie?
Es war ein sehr guter Tag. Vieles wurde beendet, was schlecht auszuhalten war. Über politische, familiäre oder sonstige Veränderungen dachte ich nicht nach und über mögliche Verluste schon gar nicht. Ich bin ein beherzter, aber nicht todesmutiger Mensch. Mich beschlich beim Übertreten der Grenze das Gefühl: was passiert, wenn ein Idiot dazwischen ballert?

Welche Brüche gab es für Sie nach der Wende?
Wir DDR-Bürger kippten aus unserer Normalität. Nie hatte ich mir wirklich existenzielle Sorgen gemacht. Ich habe Musik studiert, klassisches Klavier und Komposition und kann mein Handwerk. Plötzlich standen Fragen wie Miete, bezahlbare Versicherungen im Raum. Ich begann, bewusster das Geld zusammenzuhalten. Der Gang zum Arbeitsamt blieb mir zum Glück erspart. Ich musste nicht das Tief durchlaufen, das viele erlitten haben. Ich schrieb Musik für Film und Fernsehen und für den Friedrichstadtpalast meine erste eigene Show „Wunderbar – die 2002. Nacht“.

09-liverpool-cavernclub-mit_papp-maccaWelches Resümee können Sie heute ziehen?
Für mich kam die Wende sicherlich zur richtigen Zeit. Ich war jung genug, um weiter durchzustarten und alt genug, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin ein Technikfreak und wusste, die Zukunft liegt in der Personalunion, Amiga würde es nicht mehr geben. Ich baute mir ein Studio auf und musste kein Instrument mehr wie ein Kleinverbrecher durch den Zoll schmuggeln, wie in meiner Zeit als Keyboarder von Karat. Ich konnte Konzerte erleben, von denen ich als DDR-Musiker nur geträumt hatte. Ich war in Liverpool, habe vor ein paar Jahren die internationale Beatles Week miterlebt. Das größte Glück für mich ist, als Komponist weiter gefragt zu sein. Man kann es auch Privileg nennen, das tun zu dürfen und davon leben zu können, was Beruf, Berufung und Hobby ist: Musik!

Auf Ihrem Album 501 gibt es das Liebeslied „OstenWesten“. Der Refrain enthält eine wunderbare Zeile, die die Zukunftshoffnung der Menschen ausdrückt. „Wenn endlich Osten Westen Norden Süden Himmelsrichtungen sind und nicht mehr…“
Junge Leute haben sich meist schon auf Himmelsrichtungen geeinigt. Schaffen wir anderen Generationen das nicht?thn_plakat-fot_mm-eisbar

Sie reflektieren auch Befindlichkeiten in dieser Gesellschaft. Bei „Bruno“ geht es um die internationale Solidarität mit Menschen, die weit weg in Armut leben und „Klaus“ ist das Pendant dazu in diesem Land.
Ich gucke nicht nur auf meine Klaviertasten, sondern auch darauf, was in der Welt und um mich herum passiert. Ich finde, jeder hat eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Und das regelt man nicht nur mit der Bezahlung seiner Steuern. Die Positionierung, die ich mit meinen Liedern einnehme, schafft Christine Dähn mit ihren Texten, weil sie mich kennt. Für das neue Album ist ihr eine eine ausgewogene Mixtur aus Liebesliedern, witzigen Songs und Weltliedern gelungen.

Natsch-Daehn PressefotoMit Ihrer Texterin verbindet Sie mehr als nur Arbeitsfreundschaft. Sie Zwei sind eine Symbiose.
Ja. Wir kennen uns seit Mitte der Siebziger, als Christine Dähn bei Jugendradio DT 64 als Moderatorin und Journalistin arbeitete und die Chart-Sendung „Metronom“ moderierte. Nach der Wende hatten wir uns total aus den Augen verloren. Vor einigen Jahren sind wir uns in Spanien zufällig wieder begegnet. Sie bat mich, die Musik für ein Theaterstück zu schreiben. Dann haben wir ein Hörbuch gemacht und so ging es los. Christine wieder zu treffen, war ein Glücksfall für mich. Sie hat mich bewegt, wieder auf die Bühne zu gehen. Zu meinem 60. Geburtstag 2007 bin ich das erste Mal wieder aufgetreten, nachdem ich fast 20 Jahre ausschließlich komponiert habe. Und es macht mir einen Riesenspaß. Wir sind ein echtes Kreativ-Team, wie ich sage. Und ein bisschen mehr… Wir leben inzwischen zusammen.

Der Pianist und eine Autorin CoverIhr jüngstes gemeinsames Projekt ist das Hörbuch „Der Pianist und eine Autorin“, mit dem Sie jetzt unterwegs sind. Worum geht es?
Christine erzählt ihre wunderschönen Geschichten, die sie als Journalistin beobachtet hat. Ich begleite sie dabei auf dem Klavier.

Bücher, CDs und Konzerttermine

http://www.thomasnatschinski.de

http://www.christinedaehn.de