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Christel Bodenstein: Sie war der kleine Prinz und Prinzessin Tausendschön

„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!“, sagte der kleine Prinz und lachte wieder. „Und wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer)“, fuhr er fort, „wirst du froh sein, mich gekannt zu haben. … Du wirst immer mein Freund sein. Du wirst Lust haben, mit mir zu lachen … Diese Nacht… weißt du… komm nicht! Es wird so aussehen, als wäre ich krank… ein bißchen, als stürbe ich. Das ist so. Komm nicht das anschauen…“

Christel Bodenstein war wie geschaffen für die Rolle des kleinen Prinzen. DEFA-Regisseur Konrad Wolf realisierte die Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry 1966 mit namhaften DDR-Schauspielern wie Eberhard Esche als Pilot, Inge Keller als Schlange, Fred Düren als Lampenanzünder, Wolfgang Heinz als König © Rudolf Meister, DEFA-Stiftung/DDR-TV Archiv

Es ist der traurigste Moment in Antoine de Saint-Exupérys Geschichte „Der kleine Prinz“. Das zauberhafte kleine Wesen und der gestrandete Pilot sitzen in dunkler Nacht im Wüstensand und nehmen Abschied voneinander. Mir trieb es Tränen in die Augen beim Lesen, und wie erst, als ich die Szene in Konrad Wolfs Verfilmung sah, mit Christel Bodenstein in der Titelrolle. Am 5. Dezember nun hat sich die Schauspielerin ins Universum verabschiedet. Ein Ort, an den sie geglaubt hat, an den sie seit Kindertagen ihre Träume und Wünsche schickte. Fast alle haben sich erfüllt. Nicht immer gleich, nicht immer auf glatten Wegen. Sie ist leise gegangen wie der kleine Prinz in Saint-Exupérys Erzählung.

Für Christel Bodenstein erfüllte sich mit der Besetzung als kleiner Prinz ein Herzenswunsch © Rudolf Meister, DEFA-Stftung/DDR-TV Archiv

Diese Rolle gehörte zu ihren geheimen Wünschen. Sie liebte die Erzählung über alles. „Ich bekam das Buch als junges Mädchen geschenkt. Ich war 17 und fühlte mich so eins mit dem kleinen Prinzen. Es wurde meine Bibel.“ Dass sie sie bekam, war der Unaufmerksamkeit ihres damaligen Mannes, des Regisseurs Konrad Wolf, geschuldet. Er hatte über der Arbeit ihren Geburtstag vergessen. Zu spät fiel es ihm ein. Aber weil damals sonntags – und der 13. Oktober 1965 war ein Sonntag – alle Geschäfte geschlossen hatten, war er sehr in der Bredouille. Zusammen mit dem Drehbuchautor Angel Wagenstein saß er an jenem Wochenende an dem Filmprojekt, und sie sannen über die Besetzung für die Figur des kleinen Prinzen nach. An seine Frau dachte Konrad Wolf nicht. Aus Prinzip. Der Regisseur hasste es nämlich, wenn Kollegen ihre Frauen mit Hauptrollen in ihren Filmen besetzten. Deshalb hat sich Christel Bodenstein auch tunlichst verkniffen, ihn darum zu bitten.

Der kleine Prinz auf der Erde einem König, gespielt von dem großartigen Theatermimen Wolfgang Heinz ©Rudolf Meister, DEFA-Stiftung/DDR-TV Archiv

Dabei hätte es ihm ins Auge springen müssen, dass die zierliche, kindlich wirkende Schauspielerin wie geschaffen war für die Rolle. In seiner Not, und mit dem Rat seines Freundes Angel Wagenstein im Rücken, ließ er Prinzipien Prinzipien sein. Christel Bodenstein mochte es nicht glauben, als ihr Mann am Morgen ihres 27. Geburtagstages sagte: „Ich weiß, dass du dir die Rolle gewünscht hast. Sie ist mein Geburtstagsgeschenk für dich.“ Es war das einzige Mal, dass das Ehepaar für einen Film zusammen gearbeitet hat. Über all die Jahrzehnte behielt Christel Bodenstein die Dreharbeiten als einen besonderen Höhepunkt in ihrem Herzen. „Es war eine sehr schöne Arbeit mit großartigen DDR-Schauspielern“, erinnerte sie sich in unserem Gespräch.

Die bekannte Theaterschauspielerin Inge Keller war die Schlange©Rudolf Meister, DEFA-Stiftung/DDR-TV
Die DVD „Der kleine Prinz“ ist bei Icestorm zu bekommen

Bedauerlicherweise schlummerte der Film dann 50 Jahre im Archiv. Das DDR-Fernsehen wollte ihn ursprünglich zur Eröffnung seines Farbprogramms am 3. Oktober 1969 ausstrahlen, doch es war versäumt worden, sich bei Antione de Saint-Exépurys Buchverlag Éditions Gallimard die Verfilmungsrechte zu sichern. Die Uraufführung erfolgte am Pfingstsonntag 1972, ohne größere Vorankündigung im 2. Programm des DFF. Es war eine einmalige, illegale Ausstrahlung. Die DDR gab es nicht mehr, das Adlershofer Fernsehen war längst abgewickelt, als der zauberhafte DEFA-Streifen ab 2014 ganz legal gezeigt werden durfte. Nach 70 Jahren waren die Autorenrechte erloschen. Die englischsprachige Erstausgabe des Kunstmärchens war im April 1943 in New York erschienen, wo Saint-Exupéry im Exil lebte, und zeitgleich auf französisch im Verlag Éditions Gallimard. Der DEFA-Film wurde aufwendig digital restauriert und erlebte seine große Premiere auf dem 1. Internationalen Märchenfilmfestival 2017 in Annaberg-Buchholz. Für Christel Bodenstein war das einer der glücklichsten Momente in ihrem Leben.

Die Schauspielerin dachte viel über ihr Leben nach. Über das Altern zum Beispiel. Als ich sie 2018 fragte, wie sich das anfühlt, mit 80 die letzten Dekaden seines Daseins anzutreten, nahm sie einen tiefen Zug aus der Zigarette – sie rauchte viel und gern – blinzelte in die Septembersonne und sagte: „Es ist furchtbar! Die 65 und die 70 konnte ich gut aushalten. Aber jetzt begreife ich, was alt werden bedeutet. Es wird nichts mehr besser. Und davor fürchte ich mich.“ Rau und dunkel war der Klang ihrer Stimme. Die Lieblichkeit der Prinzessin aus dem Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“, der sie 1957 berühmt und wohl für alle Zeiten unvergessen gemacht hat, ist lange Vergangenheit. Auch Prinzessinnen bleiben nicht ewig jung und schön, pflegte sie zu antworten, wenn kleine Mädchen ihre Mütter ungläubig fragten: „Ist das wirklich die Prinzessin?“ Sie haderte nicht damit. Und auch nicht damit, dass sie seit der Kinopremiere stets und ständig über diese Rolle identifiziert wurde. „Es ist doch schön, wenn die Kinder diese Erinnerung mit in ihr Erwachsenenleben nehmen und die Freude an dem Märchen weitergeben. Warum sollte mich das traurig machen? Im Gegenteil.“

Ich werde unsere Gespräche wie dieses im September 2018 vermissen © Nikola

Es war unser letztes großes Interview, eine kleine Retropsektive ihres Lebens. Sie trug einen weißen Leinenanzug, den sie extra für die Fotoaufnahmen an gezogen hatte, und hatte ihr einnehmendes Lächeln im Gesicht. Wir saßen wieder einmal in ihrem Garten auf der kleinen Insel zwischen der Gabelung des Oranienburger und Oder-Havel-Kanals bei Borgsdorf. Es fiel ihr damals schon etwas schwer, aufzustehen. Sie nahm starke Tabletten, wenn die Schmerzen zu heftig wurden. Die Wirbelsäule war kaputt vom Tanzen in ihren jungen Jahren. „Wann immer ich über mein Leben nachdenke, komme ich am Ende zu dem Schluss, ich bin ein Glückskind“, resümierte sie damals. Nur an ihre Kindheit in Müchen, wo sie 1938 zur Welt gekommen war, hatte sie keine guten Erinnerungen.

Christel Bodenstein und ihre Schwester Eva 1940 in Waldtrudering. Die Schwestern verloren sich aus den Augen © privat/ Christel Bodenstein

Mitte der 30er Jahre waren ihre Eltern von Erfurt in die bayerische Metropole gezogen. Wilhelm Bodenstein hatte als Kaufmann eine Anstellung in einer großen Sämerei bekommen. „Wir lebten in Waldtrudering in einem kleinen Holzhaus mit einem Rundumbalkon, einem Garten und einem Waschhaus, in dem meine Mutter für andere Leute wusch“, erinnerte sich Christel Bodenstein. Dann brach der Krieg aus und Wilhelm Bodenstein musste an die Front. Eine Zeit, die sich mit Hunger und Sirenengeheul bei Fliegeralarm in ihr kindliches Bewusstsein eingeprägt hatte. Sie war sieben, als der Vater aus der Gefangenschaft zurückkehrte. Ein Mann, der hart und streng war und gern watschte. Christel Bodenstein konnte sich nicht erinnern, dass er sie oder ihre Schwester Eva mal liebevoll in den Arm genommen hätte. Der Krieg hatte das Ehepaar entfremdet. Nach der Scheidung zog die Mutter im September 1949, kurz vor der Gründung der DDR, mit ihrer Tochter Christel zu ihrem Bruder nach Leipzig. Die ältere, Eva, blieb beim Vater. Die Mädchen verloren sich aus den Augen. „Meine Mutter hatte sich gerade noch rechtzeitig entschieden. Ich weiß nicht, was im Westen aus mir geworden wäre. Mit Sicherheit keine Märchenprinzessin“, rekapitulierte die Schauspielerin.

Mit 14 Jahren begann Christel Bodenstein an der Leipziger Ballettschule ihre Ausbildung zur Tänzerin © privat/Christel Bodenstein

In Leipzig begann ein vollkommen anderes Leben für die Elfjährige. Sächsisch war für sie eine Fremdsprache, Bayerisch für die anderen. Die Eingewöhnung gelang mit Mühen. In der Schule sprachen zum Glück alle Hochdeutsch. Zeitlebens verbanden sich mit ihrer Leipziger Schulzeit die großen Pausen. Sie waren das Schönste für das Kriegskind, das so oft Hunger gelitten hatte. „Da gab es für alle ein Brötchen und einen halben Liter Milch“, schwärmte sie. Noch nach Jahrzehnten war es so, dass sie essen musste, sobald ein Hungergefühl aufkam. Egal, ob es mitten in der Nacht war oder ob gerade gedreht wurde. Der Regisseur musste unterbrechen, bis zu etwas gegessen hatte. Eine Phobie, gegen die sie nicht ankam.
In Leipzig begann sich auch ihre Zukunft abzuzeichnen. Eines Tages sah die Elfjährige das Plakat von einer jungen französischen Ballerina, das in ihr den Wunsch weckte, selbst so tanzen zu können. Private Ballettstunden konnte Erna Bodenstein nicht lange finanzieren. Christel bewarb sich beim Tanz- und Gesangsensemble der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ und wurde aufgenommen. Sie hatte von ihrem Vater die innere Stärke mitbekommen, aus der Erde zu stemmen, was sie vorgenommen hatte. Nichts konnte sie abhalten, ihrem Ziel nachzugehen.

Christel Bodenstein mit zwei Schulfreundinnen in Leipzig 1950 © privat/mdr „Lebensläufe

Nach ihrem Schulabschluss begann die 14jährige eine Ausbildung an der Leipziger Ballettschule und bekam 1955 ihr erstes – und letztes – Engagement am Landestheater Halle. Denn in jenem Sommer lenkte die Begegnung mit dem DEFA-Regisseur und Direktor der Filmhochschule Babelsberg Kurt Maetzig ihren Weg vor die Kamera. Er sah sie am Strand von Ahlbeck und lud sie spontan zu Probeaufnahmen nach Babelsberg ein. Er suchte eine Darstellerin für die Rolle der Annegret in seiner zeitgenössische Filmerzählung „Schlösser und Katen“. Splitternackt musste die 17jährige eine Liebesszene spielen. Es war schon gewagt, was Prof. Maetzig ihr zugemutet habe, fand sie Jahrzehnte später. Doch mit ihrer kindlich-mädchenhaften Erscheinung war sie zu jung für die Figur, die am Ende des Films 70 ist. Zu sehen in der Rolle ist die Schauspielerin Karla Runkehl.

Viel Freude hatte die 17jährige Christel Bodenstein an den Dreharbeiten für den Märchenfilm „Das tapfere Schneiderlein“ mit Kurt Schmidtchen in der Titelrolle. Sie spielte die Magd Traute, die Tochter des Schlossgärtners, und Freundin des Schneiders © Waltraut Pathenheimer/DEFA-Stiftung

Die Probeaufnahmen brachten ihr noch 1956 zwei andere schöne Rollen ein. Regisseur Slatan Dudow ließ sie in seiner Filmkomödie Der Hauptmann von Köln“ an der Seite von Rolf Ludwig und Erwin Geschonneck agieren. Parallel drehte sie unter der Regie von Helmut Spieß als Tochter des Schlossgärtners den Märchenfilm Das tapfere Schneiderlein“. Es wurde ihr Debütfilm. Zwischendurch tanzte noch einige kleine Rollen am Theater in Halle. „Ich schwebte wie auf Wolken. Es war so aufregend. Nach der Vorstellung brachte mich ein DEFA-Auto von Halle ins Studio nach Babelsberg. Ich drehte und wurde wieder nach Halle zurückgefahren. Der zauberhafte Fahrer hatte mir auf dem Rücksitz ein Bett gebaut und versorgte mich mit Obst und Brötchen“, erinnerte sie sich an diese Zeit. Am Ende der Saison verabschiedete sich Christel Bodenstein von ihrem Traum, eine große Ballerina zu werden, und begann ihr Schauspielstudium an der Babelsberger Filmhochschule. Sie hielt sich an Kurt Maetzigs Rat, dass selbst ein Naturtalent Handwerkszeug braucht.

Bei der DEFA-Filmwoche 1960 in Helsinki verliebte sich die Schauspielerin in den damals schon bekannten DEFA-Regisseur Konrad Wolf. Sie waren von 1962 bis 1978 verheiratet © privat/mdr „Lebensläufe“

Ihre DEFA-Zeit empfand die Schauspielerin als ihre allerglücklichste. „Ich hatte ein schönes Alter, habe mit 22 Jahren mein Kind geboren. Das DEFA-Studio war mein eigentliches Zuhause.“ Gleich nach Ende ihres Studiums 1959 hatte sie einen Vertrag als Mitglied des Schauspieler-Ensembles der DEFA bekommen. Was an sich schon ein Traum war, fest in die europaweit bedeutendste Filmfabrik eingebunden zu sein.

Andreas (Armin Müller-Stahl), der Stiefsohn der Familie, hat sich in das Kindermädchen verliebt. Dann entdeckt er Doris‘ Vergangenheit Quelle: mdr „Lebensläufe“

Sie spielte im selben Jahr in dem Fernsehspiel „Wenn die Nacht kein Ende nimmt“ eine 17jährige Waise, die in Westdeutschland lebt und in einer Bar an einen Zuhälter gerät. Doris träumt von einem besseren Leben und macht Karriere als Prostituierte. Das ist aber nicht ihr Lebensplan. Es gelingt ihr, dem Rotlichtmilieu zu entfliehen. In Österreich findet sie eine Anstellung als Kindermädchen, doch ihre Vergangenheit holt sie ein… Der Film wurde als nicht jugendfrei eingestuft. Nach seiner Erstaustrahlung am 21. Februar 1959 im 2. Programm des DFF wurde er auf vielfachen Zuschauerwunsch im August 1959 erneut gesendet.

Für die DEFA stand sie in vielen unterschiedlichen Filmen vor der Kamera. Den Märchen folgten Kriminalfilme wie „Tatort Berlin“ ( Regie Hans-Joachim Kunert) oder der Fernsehfünfteiler „Die Spur führt in den 7. Himmel“ (Regie Rudi Kurz). Sie wirkte in Komödien und Unterhaltungsfilmen mit wie „Maibowle“ (1959) und die Fortsetzung „Silvesterpunsch (1960), beide von Regisseur Günter Reisch gedreht, oder „Revue um Mitternacht“. Ein Musikfilm von Regisseur Gottfried Kolditz, in dem sie mit Manfred Krug sang und tanzte. 1961 spielte sie in einer Art Possenfilm des Italieners Glaucco Pellegrini über Carlo Goldoni die Tochter des italienischen Komödiendichters und Liberettisten. „Italienisches Capriccio“ wurde auf dem Westfilmmaterial Agfa-Color gedreht und war einer der teuersten und aufwendigsten Kostümfilme der DEFA. Mit mehr als 1000 Mitwirkenden entstand er ausschließlich auf dem Geländes des Filmstudios Babelsberg.

Christel Bodenstein mit Albert Hetterle im Dezember 1960 in der Inszenierung „Und das am Heiligabend!“ am Maxim-Gorki-Theater Quelle: Steffi Line/Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Unter der Regie von Hans-Dieter Mäde, dem späteren DEFA-Generaldirektor, gastierte sie 1960/61 am Maxim-Gorki-Theater in der Komödie „Und das am Heiligabend!“. Ein heiteres, gesellschaftskritisches Stück des tschechischen Autors Vratislav Blažek. Hanka – Christel Bodenstein – bringt am Heiligabend ihren Freund Thomas mit, von dem sie ein Kind erwartet. Ihr Vater, Betriebsdirektor Nowak, fällt aus allen Wolken, zumal dieser junge Mann eine negative Einstellung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung offenbart. Ihre Auseinandersetzung wird so heftig, dass Hankas Vater – Albert Hetterle – wutentbrannt die Wohnung verlässt. Des Pudels Kern ist, dass Thomas die hohen Wertmaßstäbe, die ihm sein Vater beibrachte, im Leben nicht bestätigt findet. Trotzig kehrt er sich ab, statt aktiv an der Verbesserung der Gesellschaft mitzuwirken. Das Ende mit Augenzwinkern: Thomas wird in die Familie aufgenommen, denn Vater Nowak wird ihn schon „hinkriegen“.

Verschwörung. Herwart Grosse als Wirt, Christel Bodenstein als Kammerjungfer Franziska und Marita Böhme als Minna in der DEFA-Verfilmung von Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ © DEFA-Stiftung/Karin Blasig

Die 60er Jahre waren die arbeitsreichsten und erfolgreichsten der jungen Schauspielerin, die in vielen Hauptrollen besetzt war. In ihrer Vita finden sich Literaturverfilmungen wie Gotthold Ephraim Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ (1962) und William Shakespeares Stück „Viel Lärm um nichts“(1964), beide von Regisseur Martin Hellberg. Als Kammerjungfer der vermögenden Minna von Barnhelm – eine wunderbare Marita Böhme – zeigt Christel Bodenstein neben Manfred Krug und den großartigen Charakterdarstellern Herwart Grosse und Otto Mellies ihr Talent im komödiantischen Fach. Die Filme gehörten zum Repertoire der Testsendungen, die das DDR-Fernsehen seinerzeit zwischen halb zwei und drei Uhr ausstrahlte. In meiner Schulzeit mein privates „Pflichtfach“. Wenn Christel Bodenstein über ihre Karriere sprach, bedauerte sie, im Fach der Unterhaltungsfilme als „jugendlichen Liebhaberin, in wenig anspruchsvollen Frauenrollen und fröhlichen Mägdelein“ festgesessen zu haben. Es sei ihr nicht gelungen, nach vielen heiteren Filmen ins ernste Fach einzusteigen.

Christel Bodenstein und Manfred Krug als Grit und Tom 1962 in dem DEFA-Film „Beschreibung eines Sommers“. Dass Regisseur Ralf Kirsten ihr die Rolle gab, hat sie Manfred Krug mit zu verdanken. Beide verband eine lange Freundschaft © DEFA-Stiftung/Max Teschner

Eine Ausnahme gab es allerdings. Das war die Rolle der Grit in dem Gegenwartsfilm „Beschreibung eines Sommers“, der nach der Romanvorlage von Karl-Heinz Jacobs entstand. Christel Bodenstein hatte sich sofort nach Erscheinen das Buch besorgt und die Figur der Grit sofort für sich vereinnahmt. Es ist eine Liebesgeschichte auf einer Großbaustelle, eingebettet in die Probleme, die es Anfang der 60er Jahre beim Aufbau der DDR gab. Zwischen der hübschen, aber verheirateten FDJ-Sekretärin Grit und dem Bauingenieur Tom entspinnt sich eine Liebesaffäre. Er ist ein Frauenheld, arrogant gegenüber den ungelernten Bauarbeitern, die als Freiwillige an der Realisierung des Großprojektes mithelfen. Grit will ihn bekehren. Auf Dauer können die beiden ihr Verhältnis nicht geheimhalten, und sie gerät in Konflikt mit der Partei.

Manfred Krug (l.) als Bauleiter Tom ist nicht erbaut von den ungelernten jungen Bauarbeitern. Für die Dreharbeiten bekam die DEFA-Produktion ein Waldstück auf der Großbaustelle des PCK Schwedt zugewiesen © DEFA-Stiftung/Max Teschner

Im Sommer 1962 begannen die Dreharbeiten auf dem Geländer des Erdölverabeitungswerkes Schwedt, das sich im Aufbau befand. Christel Bodenstein schaffte es, nicht zuletzt mit Hilfe von Manfred Krug, Ralf Kirsten zu überzeugen, dass nur sie diese Rolle spielen kann. Der Preis dafür: Sie musste sich ihre langen Haare abschneiden lassen. Grit sollte kurze Haare haben. Und dabei beließ es die Schauspielerin dann auch privat. Über die Dreharbeiten schwärmte sie: „Wir lebten genauso romantisch wie es auf der Baustelle war. Während der Dreharbeiten wohnten wir in einem Bahnhofshotel in Eberswalde, das zum Abriss freigegeben war. Unsere Bettenn standen auf Ziegelsteinen, die Nachttische wackelten. Unser Leben spielte sich in der Gemeinschaft ab. So etwas habe ich danach nicht mehr erlebt.“ Der Film wurde am 15. Januar 1963 als Beitrag zu VI. Parteitag der SED im Berliner Colosseum uraufgeführt. Der Roman erlebte von 1961 bis 2008 17 Auflagen mit 550.000 verkauften Exemplaren.

Der DEFA-Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“ mit Christel Bodenstein und Eckart Dux wurde seit seiner Premiere 1957 zum Filmklassiker, der noch immer präsent ist. In einer Neuverfilmung der ARD 2016 stand die einsitge Prinzessin als Kräuterweib vor der Kamera © DEFA-Stiftung/Kurt Schütt

Das Jugendmagazin „Neues Leben“ kürte die Schauspielerin 1960 zur beliebtesten Schauspielerin der DDR. Ein Schicksaljahr, denn auf der DEFA-Filmwoche in Helsinki lernte sie den Regisseur Konrad Wolf kennen. Beim gemütlichen Zusammensein mit den finnischen Kollegen, sie hatten zum Krebsessen mit anschließendem Tanz eingeladen, verliebten sie sich ineinander. Im September 1961 kam ihr Sohn Mirko zur Welt. Einen Tag vor Weihnachten 1962 heirateten sie. Christel Bodensteins Traum von einem engen Familienleben ging am Ende aber nicht auf. Konrad Wolf hatte zu wenig Zeit für sie und den Sohn. „Ich habe gedreht, mich um den Alltag und unseren Sohn gekümmert. Ohne die Hilfe meiner Mutter wäre mein Beruf auf der Strecke geblieben.“ 1978 wurde die Ehe geschieden.

Christel Bodenstein bei einem Auftritt 1977 in der Kleinen musikalisch-literarischen Bühne, dem späteren „Ei“ im Friedrichstadtpalast Quelle: mdr „Lebensläufe“

In ihrer beruflichen Karriere hat Christel Bodenstein 1973 einen Schnitt gemacht. Sie verließ das DEFA-Ensemble. Rollenangebote wie in dem künstlerisch unbeholfenen Kostümfilm „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und dem Filmmusical Nicht schummeln, Lielbing!“ befriedigten sie nicht mehr. Sie kaufte sich eine Gitarre und nahm ein Jahr intensiv Unterricht. 1974 erwarb sie den Berufsausweis für Bühnenkünstler. Mit dem bekannten Feuilletonisten Hans-Georg Stengel tourte sie zwei Jahre durch Land. Da ihr Sohn erst 14 Jahre alt war, entstand ein Problem, aus dem heraus sich 1976 die Gründung der Kleinen literarisch-musikalischen Bühne ( ab 1978 „Das Ei“) im Friedrichstadtpalast ergab.

47 Jahre waren Christel Bodenstein und der Schauspieler, Dramaturg und Regisseur Hasso von Lenski unzertrennlich. Dieses Foto zeigt sie im September 2018. Sechs Jahre danach fehlte der gesundheitlich seit langem angeschlagenen Christel Bodenstein die Kraft zum Weiterleben. Sie ist am 5. Dezember 2024 gestorben © Nikola

In jenem Jahr 1976 begegneten sich Christel Bodenstein und Hasso von Lenski bei einer Probe an der Berliner Volksbühne, ohne zu ahnen, dass sich ihre Wege ein Jahr später wieder kreuzen würden und von da gemeinsam verlaufen sollten. Für beide gab dieses neuerliche Zusammentreffen 1977 den Anstoß, die lange fällig Trennung von ihren Ehepartnern anzugehen. Beide wurde 1979 geschieden und fingen ihr gemeinsames Leben im wahrsten Sinne des Wortes mit Nichts an. Freunde nahmen sie auf, bis sie ihre kleine Wohnung im Plänterwald bekamen. Ein Trauring war den beiden nicht wichtig, nur das Beieinandersein. Geheiratet haben sie erst im Juli 1992, als die bundesdeutschen Gesetze, die nun galten, für viele Belange den Trauschein verlangten. Der Untergang der DDR tat ihnen weh. Sie lebten am selben Ort, doch wohl fühlten sie sich in der neuen, wenig menschenfreundlichen Gesellschaftsordnung nicht.

Christel Bodenstein vor einem Jahr © Hasso von Lenski

Mit dem Schauspieler und Dramaturgen hatte nicht nur Christel Bodensteins neues privates Glück begonnen. 1976 fing für sie auch eine neue Karriere an. Mit Hasso von Lenski veranstaltete sie gut besuchte musikalisch-literarische Abende im „Das Ei“. Er inszenierte, sie sang und spielte. Die Ideen plumpsten nur so aus ihr heraus. In dem Stück „Was soll das Theater?“ stand sie das erste Mal als Clown auf der Bühne, was sie sich sehr oft gewünscht hatte. 1989 verlor sie nach einem Zerwürfnis mit dem neuen Theaterleiter ihr Engagement, der Friedrichstadtpalast bot ihre eine Regieassistenz in der „Kleinen Revue“ an. Aus Liebe und Solidarität kündigte Hasso von Lenski seinen Dramaturgenvertrag bei der Kleinen Bühne und wurde Marketing-Chef im Friedrichstadtpalast.

Es fühlte sich schmerzvoll für Christel Bodenstein an, von unten auf die Bühne zu schauen. Doch bald konnte sie ihre eigenen Idenn umsetzen. Sie entwickelte den musikalisch-literarischen Abend „Claire“ und inszenierte mit großem Erfolg die Revue „Sommernachtstäume“. Vor der Kamera stand sie in den 80er und 90er Jahren wenig. 1989 hatte sie eine Nebenrolle in Hermann Zschoches Jugendfilm „Grüne Hochzeit“ und 1990 spielte sie eine Journalistin in dem zweiteiligen Polit-Thriller „Die Kaltenbachpapiere“. Als die Kleine Revue 1997 geschlossen wurde – später zog der Quatsch-Comedy in die Räumlichkeiten ein – gab Christel Bodenstein Sprecherkindern Schauspielunterricht. 1998 übernahm sie einen Teil der Regiearbeit für die Kinderrevue „Hänsel und Gretel“ im Friedrichstadtpalast

Für ihr Märchenspiel „Das singende, klingende Bäumchen“ modellierte Christel Bodenstein die Figuren aus Plastiline © Christel Bodenstein

Mit sechzig fand sie, sei es an der Zeit, nur noch das zu tun, was ihr Spaß macht. Die Gesundheit zu schonen, in die Ausruhphase zu gehen. Ihr kleines Grundstück am Kanal in Borgsdorf mit der Datsche drauf, war genau das Richtige, die schöne Zeit des Jahres von Mai bis Oktober dort zu verbringen. Von 1995 bis 2003 lud sie ehemalige Kollegen und Kolleginnen zu Talkshows ins „Café Nass“ ein. Ein Tanzstudio mit Café in Berlin -Johannisthal, das ihre Freundin Birgitta Nass, ehemals Tänzerin und Choreographin am Friedrichstadtpalast, gegründet hatte. 2006 veröffentlichte Christel Bodenstein ein Bildertagebuch aus ihrem Leben „Einmal Prinzessin, immer Prinzessin“, mit dem sie auf Lesereise ging. Hasso von Lenski lieferte die optische Untermalung. In Christel steckten nicht nur die künstlerischen Gene ihres Großvaters, Musiker und Geiger am Erfurter Stadttheater, auch die ihres Vaters, der wunderbar malen und basteln konnte. Irgendwann entdeckte sie das Modellieren mit Knetmasse für sich als Ausgleichsgymnastik für den Kopf. Ganze Galerien von Figuren und Bilder hat sie geschaffen. „Wenn sie fummelt, ist sie weit weg. Hört und sieht nichts“, erzählte Hasso von Lenski.

2005 fertigte Christel Bodenstein das „Mädchen in Bordeaux“ als Geschenk für ihren Mann Hasso zu dessen 63 Geburtstag © Christel Bodenstein

In ihrem Buch findet sich das Bild des „Mädchens in Bordeaus“. Es entstand aus der Not heraus. Wie einst Konrad Wolf kein Geburtstagsgeschenk für sie hatte, hatte auch sie einmal keins für ihren Mann Hasso. Eine Kunstpostkarte mit einem kleinen Gemälde von Albert Ebert, „Akt vor rotem Hocker“ fiel ihr in die Hände. Es brachte sie auf die Idee für ein Geschenk, dass die Zeit überdauert, da sein wird, wenn sie es nicht mehr ist. So entstand die kleine Plastik „Mädchen in Bordeaux“. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn Mirko Wolf, Trickfilmzeichner und Buchillustrator, hat sie das Memo- und Theaterspiel „Das singende, klingende Bäumchen“ für Kinder und Erwachsene entwickelt, zu dem sie die Figuren schuf.

Abschied für immer. Ihre Fröhlichkeit, ihr Humor wird allen, die sie kannten, fehlen © Nikola

Vor vier Jahren haben sich Christel Bodenstein und Hasso von Lenski von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die Familie und eine Nachbarin kümmerten sich um die beiden. Wir hatten in den vergangen Jahren nur noch übers Handy Kontakt. Kurze Nachrichten, kurze Gespräche. Ein Besuch war für beide zu anstrengend geworden. Anfang August kam die Schauspielerin wegen eines Nierenversagens ins Krankenhaus. In ihre Wohnung im Plänterwald konnte sie danach nicht zurück. Gemeinsam mit ihrem Mann, der auch sehr krank ist, zog sie ins Domicil Baumschulenweg. Christel Bodenstein, die inzwischen unter unerträglichen Schmerzen litt, konnte so ihre letzten Lebensmonate noch in Würde und gemeinsam mit ihrem Mann verbringen. Am Abend des 5. Dezember schlief die Schauspielerin ein. Sie waren bis zum Schluss zusammen, wie sie es sich versprochen hatten. „Ein trauriger Hasso bleibt zurück“, schrieb mir ihr Mann in einer kurzen Nachricht zwei Tage später. Auf dem Friedhof in Grünau, neben ihrer Mutter, wird die Schauspielerin im Februar ihre letzte Ruhestätte finden.

Mit dem Moped nach Tanglewood und warum Bashan nicht sterben durfte

Mein Foto in der DEFA-Besetzungskartei für Kleindarsteller

Da ich nicht verreiste, hatte ich mich in jenem Sommer 1968 im DEFA-Besetzungsbüro für Kleindarsteller gemeldet. So ein bischen hinter die Kulissen schauen, Dreharbeiten zu beobachten, reizte mich, und Geld gab es auch noch. 50 Mark für einen Tag als Komparse war nicht zu verachten. Ein paar Tage später bekam ich ein Telegramm – der übliche Informationsweg damals, E-Mail, SMS oder What’s App gab es ja noch nicht –, ich solle mich um 5.30 Uhr früh am Besetzungsbüro auf dem DEFA-Gelände in Babelsberg einfinden. Wie sollte ich um die Uhrzeit dorthin kommen? Ich wohnte in Kleinmachnow, ein Bus fuhr sonntags so früh nicht. Statt mit dem Fahrrad die 15 Kilometer zu fahren, borgte ich mir von einer Mitschülerin ihre „Schwalbe“. Fahrerlaubnis hatte ich, aber keine Fahrpraxis. Erkenntnis am Abend: Das Fahrrad wäre gesünder gewesen.

Auf halber Strecke, kurz hinter Stahnsdorf, ging der Motor aus und ließ sich auch nicht wieder starten. Ich hatte mal was von Anschieben gehört. Also versuchte ich es. Kupplung ziehen, 1. Gang einlegen, flott anschieben. Der Motor sprang auch tatsächlich an. Nur das Aufspringen klappte nicht, als das Moped anrollte. Es rollte mit mir im Schlepp los. Ich konnte es nicht (auf)halten und kippte damit um und rutschte auf der Seite liegend ein Stück über den Asphalt. Ich habe nie wieder versucht, ein Moped anzuschieben. Es würde wohl auch heute nicht klappen. Dass ich mir heftige Schürfwunden zugezogen hatte, merkte ich nicht. Ich hatte nur Angst, nicht rechtzeitig nach Babelsberg zu kommen und war froh, dass der Motor weiterlief. Ich zog die Kupplung, stellte das Moped auf die Räder und fuhr los. Kurz vor halb sechs bog ich in die August-Bebel-Straße ein. Geschafft! Jetzt sah ich, auch Margots „Schwalbe“ hatte heftige „Schürfwunden“. Sie hatte sich das Moped gerade erst gekauft. Meine Eltern drehen mir den Hals um, ging mir durch den Kopf. Sie wussten nicht, dass ich mir ein Moped geborgt hatte. Um es vorweg zu nehmen: Margot beruhigte mich, als ich es ihr zurückgab. „Das repariert mein Bruder. Ich hätte es dir ja nicht leihen müssen.“ Margot war ein Kumpel, in ihrem ganzen Wesen. Alle in der Klasse mochten sie.

Die Banditen um Bashan haben sich in den Häusern verschanzt und warten im Hinterhalt auf die Indianer und Sheriff Patterson. Die Goldsucherstadt Tanglewood lag in der Nähe von Langerwisch. Eine tolle Leistung der DEFA-Architekten und Kulissenbauer. Es waren Holzhäuser, wie sie im 19. Jahrhundert in den nordamerikanischen Siedlungen gebaut wurden. Screenshot: „Weiße Wölfe“ , © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann
Peter Hille (Fred Delmare, l.), Sheriff Patterson (Holger Mahlich, 2.v.l.) und Shave Head (Gojko Mitić, M.) mit seinen Kriegern reiten in Tanglewood ein. Sie sind auf den Hinterhalt vorbereitet. Es wird der letzte Kampf zwischen Weitspähender Falke und Bashan. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Im Besetzungsbüro bekam ich einen Zettel in die Hand. Rolle: Komparse, Film: „Weiße Wölfe“, Drehort: Tanglewood/Langerwisch. Im Bus saßen mit mir etwa 50 Frauen und Männer verschiedenen Alters. Auf einem großen Flurstück vor einem Kiefernwald hatte die DEFA bei Langerwisch eine komplette Westernstadt aufgebaut mit Saloon, Schmiede, Sheriff-Büro, Wohnhäusern, Gefängnis, Store und dem Büro des Bergwerkaktionärs Harrington, der – wie Filmkenner wissen – sich des Schurken Bashan und seiner Bande bedient, um die Stadt in die Hand zu bekommen. Wir mimten Einwohner der Goldgräberstadt.

Hochzeitsfeier im Saloon. Sheriff Patterson (Holger Mahlich) hat Catherine (Barbara Brylska), die Tochter des Friedensrichters Emerson (Fred Ludwig) geheiratet. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Die Szene, die gedreht wurde, spielt am Anfang des Films. Bashan reitet mit seiner Bande in die Stadt ein und taucht als ungebetener Gast auf der Hochzeitsfeier des Sheriffs auf. Ich stand mit meinem mir zugewiesen Partner, ich glaube, er hieß Gernot Hermersdörfer, an der Straßenseite neben dem Saloon. Im Film ist das eine Totalaufnahme. Zu sehen sind wir nicht.

Bashan (Rolf Hoppe, l.) taucht mit seiner Bande in Tanglewood (hier mit Karl Zugowski als Andy Sleek) auf. Im Auftrag von Minenboss Harrington (Horst Schulze) raubt er die Transporte mit den Lohngeldern für die Minenarbeiter aus. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Egal. Die Erinnerung an diesen schönen Sommersonntag in Tanglewood macht immer noch Freude. Geschminkt, in einem langen Kleid und aufgesteckten Haaren, fühlte ich mich einem Kindertraum nah. Leider konnten wir damals keine Fotos machen.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, dieses Kleid in der Kostümabteilung für die Darsteller im „El Dorado“ Templin anzuprobieren Foto: ©Jürgen Weyrich

Das konnte ich 2007 nachholen, als ich mit Gojko Mitić die Westernstadt El Dorado in Templin besuchte. Doch zurück ins Jahr 1968. Was für Kratzer ich am Bein hatte, bemerkte ich erst, als ich von der Kostümbildnerin eingekleidet wurde. „Was haben Sie denn gemacht“, fragte sie. „Sieht ja schlimm aus, aber wir haben hier leider kein Verbandzeug.“ Das war mein Glück, sagte mir der Notarzt am Abend im Krankenhaus Kleinmachnow. Ein Verband wäre festgeklebt. So konnte die Wunde trocknen. Sprach‘s und sprühte mir flüssiges Pflaster drüber. Die Kratzspuren vom Asphalt blieben mir für Jahrzehnte erhalten.

Nicht einen Gedanken verschwendete ich damals daran, mir vorzustellen, dass ich beruflich mal in die Welt der DEFA-Filme und ihrer Protagonisten eintauchen würde. Geschweige denn, dass ich mit Rolf Hoppe und Gojko Mitić einige meiner intensivsten Begegnungen als Journalistin haben würde. Auch ein Jahr später nicht, als die DEFA „Tödlicher Irrtum“ drehte, und ich wieder als „Einwohnerin“ dabei sein durfte. Tanglewood hatte sich in die Stadt Windriver City verwandelt, Sitz der Wyoming Oil Company, die Ende des 19. Jahrhunderts illegal in einem Indianerreservat nach Öl bohrte.

„Tödlicher Irrtum“ ist Rolf Hoppes (M.) dritter Indianerfilm. Er spielt den abgefeimten Chef der „Wyoming Oil Company“. Und wieder steht ihm Gojko Mitić, diesmal als Häuptlingssohn Shave Head, bei seinen Machenschaften, sich die Ölvorkommen im Reservat der Indianer unter den Nagel zu reißen, im Wege. Screenshot: „Tödlicher Irrtum“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Rolf Hoppe spielt hier seine „schurkischen Fähigkeiten“ als Company-Chef Allison aus. Er lässt die Häuptlinge ermorden, die mit ihm Förderverträge geschlossen hatten, um so ihr Land mit den Ölvorkommen in seinen Besitz zu bekommen. Gojko Mitić als Häuptling Shave Head kommt ihm auf die Schliche. Trotzdem können die Indianer ihr Recht auf die Ölvorkommen in ihrem Reservat nicht durchzusetzen.

Fünf Häuptlinge, die Förderverträge mit der „Wyoming Oil Company“ abgeschlossen haben, werden ermordet. Häuptlingssohn Shave Head (Gojko Mitić) will die Mörder überführen. Screenshot: „Tödlicher Irrtum“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Die Kulissen blieben noch einige Zeit in Langerwisch stehen, mussten aber bewacht werden, damit das wertvolle Mahagoniholz der Innenausstattungen nicht geklaut wird. Später wurden sie nach Babelsberg umgesetzt und sind heute als Westernstadt eine Attraktion im Filmpark. Ein paar Mal diente mir „Tanglewood“ als Kulisse für Interviews mit Gojko Mitić.

Im Mai 2012 traf ich mich mit Gojko Mitić, Frank Träger und Regisseuer Rolf Losansky zu einem Gespräch über den Kinderfilm „Der lange Ritt zur Schule“ in der Westernstadt im Filmpark Babelsberg. © Foto: SUPERillu/Trenkel Boris

In meiner Zeit bei der SUPERillu gab es immer wieder Anlässe und Gelegenheiten für Interviews mit dem „DEFA-Chefindianer“ und seinem schurkischen Widersacher Rolf Hoppe. „Feinde sind wir nur vor der Kamera gewesen“, betonten beide in unseren Gesprächen. In den vielen Wochen, die sie sich 1967 bei den Dreharbeiten für ihren ersten gemeinsamen Film Spur des Falken“ vor der Kamera bekämpften, wuchs hinter den Kulissen eine stille Freundschaft, die nicht danach fragt, wie oft man sich trifft.

Gojko Mitić 1967 bei Drehaufnahmen im Kaukasus als Dakota-Häuptling Weitspähender Falke Foto: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer

Der eine war 27 und drehte seinen dritten Indianerfilm als Häuptling. Der andere war 36 und setzte als Bandit Bashan gerade erst einen Fuß in dieses Genre. Mit der Besetzung des glatzköpfigen Schurken durch den Dresdener Theaterschauspieler Rolf Hoppe war dem Regisseur Dr. Gottfried Kolditz eine spannende Konstellation gelungen. Sie hielt das Kinopublikum noch in vier weiteren Indianerfilmen in Atem – „Weiße Wölfe“,Tödlicher Irrtum“, „Apachen“ und Ulzana“.

Bei unserem Spaziergang durch Dresden erzählt Rolf Hoppe seinem Freund Gojko die Geschichte des „Blauen Wunders“, eines der Wahrzeichen der Stadt. Seit dem Jahr 1893 dient die Stahlkonstruktion als Verbindung der früheren Dörfer und jetzigen Stadtteile Blasewitz und Loschwitz. Foto: © Boris Trenkel/SUPERillu

Im Sommer 2007 gelang es mir, ein gemeinsames Treffen der beiden zu arrangieren. Rolf Hoppe lud seinen liebsten Feind und mich zu sich nach Weißig ein, wo er sich noch mit 62 Jahren den Traum von einem Blockhaus erfüllt hatte. Er hatte gerade einige Tage drehfrei, bevor er wieder nach Triest musste. In der damals neuen ARD-Serie „Commissario Laurenti“ spielte er den Rechtsmediziner Galvano. Und es passte auch gut in den Zeitplan von Gojko Mitić, der viel unterwegs war.

Zwei Wochen nach unserem Treffen in Dresden 2007 besuchte ich Rolf Hoppe in Triest, wo er für die ARD-Krimi-Reihe „Commissario Laurenti“ als Rechtsmediziner Calvano drehte © York Maecke

Weißt du, dass ich in letzter Zeit viel an dich gedacht habe?“, begrüßte Rolf Hoppe seinen Freund, als wir ihn damals besuchten. „Ich habe in Triest gedreht. Die Stadt ist eine bizarre Völkermischung aus Slowenen, Kroaten, Italienern, Österreichern. Ich hatte so viele Fragen, du hättest mir alles erklären können.“ Gojko nickte. „Ja, schade, dass ich nicht auch dort war.“ Dieser gemeinsame Tag, der erste und einzige, an dem beide über ihre Freundschaft und das sprachen, was sie über Jahrzehnte verbindet, wird sowohl für mich wie auch für Gojko unvergessen bleiben. Eine Begegnung die nicht mehr wiederholt werden kann, denn Rolf Hoppe starb am 14. November 2018, kurz vor seinem 88. Geburtstag, der am 6. Dezember gewesen wäre.

Ein halbes Jahrhundert Freunde und manchmal auch erbitterte Feinde

Rolf Hoppe führte uns in seine Datsche, ein kleines Blockhaus im hinteren Teil des Gartens. Sie war sein Refugium, wenn er seine Rollen lernte, wenn er sich bei der Gartenarbeit auspumpte, wenn er neue Kraft sammeln musste. Hier bewahrte er Fotos, Drehbücher und andere Utensilien aus seinen Filmen auf. Ich merkte ihm an, wie glücklich es ihn machte, mit Gojko sich in die gemeinsamen Zeiten zurückzuversetzen.

Staunend hält Gojko Bashans Hut in der Hand. Seit 40 Jahren hütet Rolf Hoppe seine Requisiten wie einen Schatz © Boris Trenkel/SUPERillu

Gojkos Blick fiel sogleich auf einen braunen Hut an der Wand. „Das ist doch Bashans Hut!“ Er lachte, nahm Rolf Hoppes „Allerheiligstes“ vom Haken und piekte mit dem Finger durch das Einschussloch. Ich erinnere mich an die Filmszene auf dem Platz vor dem Sheriff-Büro in Tanglewood. Bashan soll mit seiner Bande verhindern, dass der Friedensrichter, seine Tochter, Goldsucher Patterson und Händler Sam Blake, die die Stadt verlassen. Nicht nur, dass ihm der kleine Fred Delmare in seiner Rolle als Peter Hille den Hut vom Kopf schießt – daher das Loch. Händler Sam Blake holt ihn mit einem gekonnten, ja, kunstvollen Peitschenhieb vom Pferd. Rolf Hoppe legt einen Stunt vom Feinsten hin. So eine Sportlichkeit hatte keiner dem schwergewichtigen Schauspieler zugetraut. Wütend reißt sich Bashan den Hut vom Kopf, wirft ihn auf die Erde und trampelt wie Rumpelstilzchen darauf herum. Die Assoziation war wohl gewollt. Mit dieser Aktion machte er Furore, überall auf der Welt, wo „Spur des Falken“ in den Kinos gelaufen ist.

Bashan will Patterson, den Richter Emmerson, seine Tochter Catherine und den Händler Blake daran hindern, Tanglewood zu verlassen und bedroht sie mit dem Revolver. Sam Blake holt ihn mit seiner Peitsche vom Pferd und schlägt ihm die Waffe aus der Hand. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Mit einem verschmitzten Blick zog Rolf Hoppe dann aus dem Halfter neben dem Hut einen Colt. „Was denn, den hast du auch noch?“staunte der „Häuptling“. Die Männer alberten herum, zeigten, dass sie es noch draufhaben, und ließen das Schießeisen um den Finger wirbeln. Gojko kam der Griff etwas größer vor. Rolf Hoppe nickt und verriet: „Den Colt hat der Radebeuler Indianer-Klub für mich angefertigt. Ich wog zwei Zentner. Meine Finger waren für den Colt aus der Requisite zu dick, um ihn wie ein Cowboy zu handhaben. Mit der Sonderanfertigung klappte es.

Es war eine Sternstunde für den DEFA- Film, als Gottfried Kolditz die beiden so grundverschiedenen Schauspieler für seinen Film Spur des Falken“ zu erbitterten Widersachern machte. „Während der Dreharbeiten änderte er plötzlich meine Rolle“, erinnerte Rolf Hoppe. „Mir wurde in der Maske gerade die Glatze geschoren, da gab mir jemand ein Blatt Papier. Bashan stirbt nicht, stand da. Eigentlich sollte mich Gojko beim Kampf in Tanglewood töten. Doch Kolditz wollte den Indianerhasser auch in seinem nächsten Film dabeihaben. Ich schlug vor, dass mich ein Pfeil am Hals verletzt. Damit bliebe mein Schicksal offen.“

Die Indianer brennen das verhasste Tanglewood nieder. Falke trifft Bashan mit Pfeil am Hals. Screenshot: „Spur des Falken“, © DEFA-Stiftung/Otto Hanisch

Was für ein Spannungsmoment für die Zuschauer! Erstmals drehte die DEFA die Fortsetzung eines Indianerfilms. Sie erleben in „Weiße Wölfe“ ein Jahr später dramatische Begegnungen zwischen Weitspähender Falke und Bashan, der bei den Indianern inzwischen „Schiefhals“ heißt. Wie von Rolf Hoppe vorgeschlagen, wird Bashan in Spur des Falken“ vom Pfeil des Dakota-Häuptlings am Hals getroffen und es blieb in der Schwebe, ob er die Verletztung überlebt. Natürlich ahnten wir als gewiefte Zuschauer, dass da noch mal was kommt. In der Fortsetzung tötet Bashan Falkes Frau Blauhaar. Der Häuptling schwört, Rache an den Mörder zu nehmen. Als er ihn in Bashan erkennt, hat er nur ein Ziel: ihn zu töten.

Weitspähender Falke kann den Mörder seiner Frau Blauhaar töten. Aber er wird danach von dessen Bande erschossen. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann
Bashan stirbt durch das Messer seines ärgsten Feindes, Häuptling Weitspähender Falke. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

In Tanglewood stehen sich die erbitterten Feinde schließlich in der Schlussszene gegenüber. Bevor Bashan schießen kann, trifft ihn Falkes Messer ins Herz, der daraufhin von Bashans Bande erschossen wird. „Meine Mädchen hatten damals in der Schule ganz schön was auszustehen“, erinnerte sich Rolf Hoppe und drohte Gojko scherzhaft mit dem Finger. „Alle Kinder schimpften: Euer Vater hat Gojko umgebracht! Dabei tötest du mich und meine Bande rächt mich dann. Ich musste in die Schule gehen und das richtigstellen!“ Für diesen Film hatte Regisseur Konrad Petzold Bashans Part Rolf Hoppe auf den Leib schreiben lassen.

Der Tod von Häuptling Weitspähender Falke ließ Millionen Zuschauer bedrückt die Kinos verlassen. Doch es starb ja nicht Gojko Mitić. Es folgten noch weitere spannende Filme mit ihm als Häuptling. Ein Jahr später schon folgte „Tödlicher Irrtum“ , 1973 kam „Apachen“ in die Kinos und 1974 die Fortsetzung „Ulzana“. Screenshot: „Weiße Wölfe“, © DEFA-Stiftung/Eberhard Borkmann

Es ist besonders Rolf Hoppe, der sich den Zuschauern neben Gojko Mitić als Akteur in den DEFA-Indianerfilmen eingeprägt hat. „Die Leute wissen noch heute, dass ich im Film Bashan hieß. Das ist für mich ein Wunder“, meinte er. Gojko erinnerte sich an eine Begebenheit in Samarkand. „Wir drehten dort 1972 ,Apachen‘ und waren in die Stadt gefahren. Vor der Moschee spielten Kinder, die sich plötzlich ihre Käppis vom Kopf rissen, auf die Erde warfen und darauf herumtrampelten.“ Ein Lächeln zog über Hoppes Gesicht: „Ich wollte mir das Grab des berühmten Tamerlan ansehen. Die Kinder erkannten mich und spielten mir die Szene aus dem ,Falken‘ vor, in der ich vor Wut meinen Hut in den Staub werfe. Als ich begriff, was sie meinten, war das eine meiner größten Freuden.“

Eine legendäre Szene. Bashan trampelt wütend auf seinem Hut herum, in den Hilfssheriff Peter Hille ein Loch geschossen hat. Screenshot: „Spur des Falken“, © DEFA-Stiftung/Otto Hanisch

Dann sagte er – es klang ein bisschen traurig: „Es waren immer nur kleine Rollen, weil ich während der Drehzeiten auch Vorstellungen am Theater in Dresden hatte. Aber ich habe sie gern gespielt.“ Gojko, der mit Regisseur Gottfried Kolditz die Drehbücher für „Apachen“ und „Ulzana“ schrieb, verriet ihm schmunzelnd: „Kolditz hatte immer Angst, dass für dich nicht genug Platz zum Spielen ist. Du warst unser Juwel, und das musste man richtig verkaufen. Darauf haben wir beim Schreiben geachtet.“

In der Galerie von Rolf Hoppes Hoftheater erinnerten die beiden Freunde an gemeinsame Filmanekdoten © Boris Trenkel/SUPERillu

Dass Rolf Hoppe als Bashan und Captain Burton („Apachen“ und „Ulzana“) im Gedächtnis geblieben ist, wunderte Gojko überhaupt nicht. „Es ist Rolfs Spezialität, das Negative einer Figur dem Zuschauer ganz pointiert zu vermitteln. Ich habe von ihm und anderen guten Schauspielern wie Hannjo Hasse oder Helmut Schreiber gelernt, filigran zu arbeiten, mit dem Körper zu sprechen. Es war für mich damals sehr wichtig, in ein gutes Ensemble eingebettet zu sein, weil ich noch keine Schauspielausbildung hatte.“ Hoppe nickte nachdenklich. „Trotzdem hast du den Film getragen. Ohne dich hätte es die Indianerfilme in der DDR nicht gegeben. Bashan bedient das Klischee des schwärzesten Bösen. Ich habe ihn so gespielt, dass die Menschen das Böse verlachen.“ Das ist ihm gelungen. Im Kino wurde gelacht, wenn Bashans hinterlistige Aktionen fehlschlugen.

Rolf Hoppe 1973 in „Ulzana“ als Captain Burton © DEFA-Stiftung/Eberhard Daßdorf

Gojko und Rolf Hoppe – zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Dennoch verband sie viel. Beide fühlen in der Seele wie Indianer, teilen sie deren Liebe zur Natur, zu Mutter Erde und zu den Pferden. In Hoppes Bücherschrank stehen alle Erzählungen von Karl May und Liselotte Welskopf-Henrich. „Sie waren meine Fachliteratur zur Vorbereitung auf meine Rollen. Von Karl May habe ich gelernt, wie ein Cowboy sein Pferd zäumt.“

In Rolf Hoppes Lieblingsrestaurant auf Schloss Weesenstein beschlossen beide den Tag mit einem deftigen Essen und einem kühlen Bier © Boris Trenkel/SUPERillu

Der Reiz seiner Rolle lag für Hoppe vor allem in den Reitszenen. „Dem Dicken war kein Hindernis zu hoch. Niemand hat ihm so eine Behändigkeit auf einem Pferd zugetraut. Er saß da drauf wie ein Jockey“, erzählte Gojko, der selbst jeden wilden Mustang reiten konnte. Während der Dreharbeiten hat er den Zwei-Zentner-Mann täglich mit zum Joggen genommen und ihn überzeugt, sich bewusst zu ernähren. „Ich habe durch Gojko ein ganz neues Körpergefühl bekommen… Für meine Rolle hat es mir aber zuerst einmal sehr geholfen, dass ich so fett war. Ich kam ungeschickt angewatschelt, jeder glaubte, der fällt vom Pferd. Doch der Klops blieb sitzen…“ Er grinste auf eine Art schelmisch, wie es nur Rolf Hoppe konnte.

Rolf Hoppe als Bashan in „Spur des Falken“. So haben ihn Millionen Kinofans auf der Welt in Erinnerung © DEFA-Stiftung /Waltraut Pathenheimer

Rolf Hoppe – er lebte aus dem Körper heraus

Gespräche mit Rolf Hoppe wird es nicht mehr geben. Es waren viele in den 21 Jahren, die wir uns kannten. Und es war uns gegenseitig immer eine Freude, uns in seinem Refugium, einer kleiner Blockhütte in seinem Garten, gegenüber zu sitzen und zu reden oder am Telefon miteinander zu plaudern. So hielten wir zuletzt Kontakt, nachdem er sich aus dem Schauspielerleben zurückgezogen hatte. Am 14. November ist der wunderbare Mensch und hochverehrte Schauspieler von dieser Welt gegangen. Still und leise im Einklang mit sich und den geliebten Menschen, die er zurückließ. „Ich bin ein Harmonisierer, ich will keine Aggressivität“, beschrieb er mir seine Art zu leben. In drei Wochen hätte er seinen 88. Geburtstag gefeiert. Die Kraft reichte nicht mehr bis dahin und weiter. Wie ich es ihm vor einem Jahr noch gewünscht hatte. Er entgegnete mir mit dem ihm eigenen Realitätssinn: „Ach, weißt du, man darf nicht vergessen, dass es doch ein schönes Alter ist, 87 zu sein. Und so lange es so geht, wie es geht, ist es gut. Da arbeite ich auch noch ein bisschen. Und wenn es nicht mehr weitergeht, werde ich es schon merken.“ Er lachte und sagte mit seiner sanften Stimme „Tschüss, danke für den Anruf“.

Im Sommer 2015 habe ich Rolf Hoppe anlässlich seines 85. Geburtstages interviewt. Wie immer fand das Gespräch in seinem Refugium statt. Im Hintergrund Bilder seiner Rollen. © York Maecke

Zu Ostern telefonierten wir noch einmal. Es klang nicht, als wäre es das letzte Mal. Er freute sich, dass es in seinem Garten wieder zu grünen und zu blühen begann. Jeden Strauch, jeden Apfelbaum, jedes Pflänzchen sind ein Stück von ihm. Er hat sie selbst gepflanzt, im Laufe der Jahre eine Steingartenlandschaft mit seinen Mitbringseln aus aller Herren Länder angelegt. Das Blockhaus mit dem Garten im Schönfelder Hochland bei Dresden war so ein Traum von ihm, den er sich mit 61 Jahren erfüllt hat. „Ein Irrsinn, sich als alter Zausel noch ein solches Haus zu bauen“, erklärte er mir mit einem Schmunzeln und Leuchten in den Augen, als ich ihn 1997 das erste Mal besuchte. Wir wanderten damals durch seine grüne Oase, und er erzählte mir von seiner Kindheit im Harzstädtchen Ellrich, wo er am 6. Dezember 1930 wie ein  Nikolausgeschenk für seine Eltern zur Welt kam.

Am Rande von Dresden schuf Rolf Hoppe für sich und seine Familie eine grüne Oase. © York Maecke

Der Vater besaß eine Bäckerei, die der Sohn übernehmen sollte. So wie der Vater von seinem Vater. Der Gedanke, sein Leben lang Teig zu kneten, war dem Kind aber ein Graus. „In mir steckte schon als kleiner Junge eine große Lust zum Spielen.“ Dennoch lernte er das Handwerk. Rolf Hoppe war acht Jahre als der zweite Weltkrieg in das Leben der Menschen eingriff und es für immer veränderte. „Da, wo ich aufgewachsen bin“, erinnerte er sich. „in Ellrich, war eins der brutalsten Arbeitslager. Dort wurde die V2 hergestellt. Was wirklich passiert ist, wusste ich nicht. Tagtäglich haben die Schornsteine des Krematoriums geraucht. Und nur 500 Meter von meinem Geburtshaus entfernt, im Bürgergarten, war ein KZ. Es ist für mich grauenvoll, wenn ich daran denke.“

Ohne Bart fühlte sich Rolf Hoppe nackt. 2010 musste er ihn für die Rolle eines Stasi-Oberst abnehmen. © Boris Trenkel

Das sind Dinge, die er gern vergessen wollte, es aber nicht konnte. Ellrich war einst eine lebendige Stadt. Der Krieg hatte ihren Menschen das Lachen genommen. Auch ihm selbst. „Ich bin dem Lachen nachgerannt, ich wollte wieder lachen und dass sich die Menschen wieder am Leben erfreuen.“ Darum wollte er Clown werden, aber seine Neigung zum Schauspiel war stärker. „Das Clowneske in mir habe ich behalten. Lachen ist Lebenshilfe, ohne Humor kann der Mensch nicht sein“, sagte er. 

Viele Kämpfe focht er auf in den DEFA-Indianerfilmen mit Gojko Mitic aus. Im Leben waren sie gute Freunde. © Boris Trenkel

Ihn machte es glücklich, wenn die Menschen zu ihm kamen,  ihm zuhörten. Jenseits von Bühne und Kamera liebte er es, in der Erde zu buddeln. Er tat es, solange die Kraft dafür noch da war. „Es ist noch so viel Platz in meinem Garten, ich müsste wieder etwas pflanzen“, sinnierte er, wenn ich ihn bei unseren Telefonaten nach seinem Lieblingsort fragte. Leise, fast ein bisschen traurig, erklärte er dann: „Ich genieße es lieber, in der Sonne zu sitzen, dem leisen Rauschen der Bäume zu lauschen.“ Vor zwei Jahren sprachen wir noch darüber, dass ich im Frühling mit ihm zusammen buddele. Mittlerweile umgibt ein dichter Rasenteppich die zwei Birken vor dem Haus. Er nannte sie Josephine und Christine. Es sind die Lebensbäume seiner beiden Töchter.

Zärtlich drückt Rolf Hoppe seine Friederike an sich. Am 19. August haben sie noch ihren 55. Hochzeitstag gefeiert © York Maecke

Die starke Kiefer ein Stück weiter hinten im Garten taufte er Friederike. „Sie ist stark wie meine Frau, kein Sturm kann sie brechen“, erklärte er mir. Denn ohne seine Frau hätte es sein Leben so, wie es war, nicht gegeben. „Sie war mein Rückhalt, hat unsere Mädels großgezogen, war für ihre Sorgen und Nöte da, während ich durch die Welt schwirrte.“ Wochenlang hat er für die DEFA-Indianerfilme in der Sowjetunion gedreht, in der Mogolei, in Rumänien. Er war in China und Japan, spielte schon zu DDR-Zeiten sieben Jahre in Salzburg den Mammon im „Jedermann“. „Mein Riekchen“, wie er seine Frau liebevoll rief, „hat sich nie beschwert.“ Es war ihm wichtig, dies zu sagen. Rolf Hoppe hat seine Verantwortung für das Glück seiner Familie immer ernst genommen. Dafür hat er viel gearbeitet. Aber das Spielen war ihm auch eine Lust. Wie einem Kind, das sich daran erfreut, wenn es andere mit seinem Spiel begeistert. „Ich will den Menschen, die mir zuschauen, etwas geben, das ihnen hilft, wenigstens eine kurze Zeit den Druck des Alltags zu vergessen, ein bisschen Kraft für sich ziehen.“

Im Juni 2007 besuchte ich Rolf Hoppe bei den Dreharbeiten für die ARD-Serie „Commissario Laurenti“ in Triest, in der er den Pathologen Calvano spielte © York Maecke

Über 400 Rollen füllte Rolf Hoppe Zeit seines Lebens auf der Bühne und vor der Kamera aus. Prall gefüllte Jahre von der Kindheit im Harzstädtchen Ellrich bis zum vielfach geehrten Schauspieler. Zuerst war es das Puppentheater, das er mit zehn Jahren von seinen Eltern geschenkt bekam und das er vor dem Laden des Vaters aufstellte. Mit einem Freund spielte er Grimms Märchen, später wirkte er im Laienzirkel der Antifa-Jugend mit. Zuvor durfte er seiner Leidenschaft für Pferde nachgehen, indem er nach der Befreiung 1945 als Panje-Kutscher für die sowjetische Kommandantur arbeitete. 1951 begann sein Weg auf die Theaterbühnen der DDR und bald zum Film. Nach der Wende erfüllte er sich noch einen dritten großen Traum: Er kaufte einen Dreiseithof und schuf in Weißig das Hoppesche Hoftheater. „Ich wollte ein Theaterchen, ganz klein, wo das Leben nur eine Stufe ist: das gespielte Leben, das geträumte Leben und das wirkliche Leben im Parkett, das ineinander überfließt.“

1983 drehte Rolf Hoppe unter der Regie von Peter Schamoni „Frühlingssinfonie“.  In dem Film geht es um die Liebe zwischen Robert und Clara Schumann. Als ehrgeiziger Vater vereinnahmt er die Tochter (Nastassja Kinski)  @DEFA-Stiftung/Sybille U. Werner

Rolf Hoppe überraschte nicht nur die Zuschauer mit der Vielseitigkeit seines schauspielerischen Talents, das von der diffizilen Darstellung des Generals Göring über Künstler, Professoren und Jidden mit ihrem speziellen Humor bis hin zu gutherzigen Märchenfiguren wie den König in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Hans Röckle und der Teufel“ reicht. Rolf Hoppe verfügte über die Gabe einer schönen Ironie. Süffisanz mischte sich mit Verletzlichkeit. Er verstand es, das Boshafte im Guten zu verstecken. „Jeder Mensch besitzt diese zwei Seiten“, sage er, „die Gefährlichkeit liegt darin, dass sich das Böse mit Menschlichkeit tarnt.“

1974 spielte Rolf Hoppe die Titelfigur in dem DEFA-Märchenfilm „Hans Röckle und der Teufel“ © Icestorm/DEFA-Stiftung/Uwe Fleischer

Man wusste bei ihm nie so genau, was Hoppe und was Rolle ist. Er war in den kleinsten Auftritten authentisch. Ich fragte ihn einmal, ob er es denn wüsste. Da grinste er mich an. „Nee, das ist ja meine Lebensaufgabe, das herauszukriegen. Ich bin ja immer wieder erstaunt und neugierig, wie der Hoppe sich verhält. Ich lebe aus dem Körper heraus, der immer wieder neu ist.“ Nach seinem oscarprämierten Erfolg in István Szabós „Mephisto“ standen dem damals 51-Jährigen die Türen in Amerika offen. Doch es war keine Option für ihn. „Ich kann nur dort leben und spielen, wo ich mit meiner Sprache und meinen Gefühlen zu Hause bin. Ich versuche immer, den Menschen in einer Rolle zu finden. Ich muss in der Sprache auch denken können“, sagte er. Wie ein Hochstapler habe er sich gefühlt, als er mit Volker Schlöndorff 1998 in Florida auf englisch den Psychokrimi „Palmetto“ gedreht hat.

Im Februar 2008 besuchten wir Schloss Wackerbarth bei Radebeul. Im Weinkeller spielte eine Szene des DEFA-Films „Orpheus in der Unterweltmit Rolf Hoppe in der Titelrolle © York Macke

Rolf Hoppe hat den Tod nie aus seinen Gedanken verdrängt. „Ich habe mich in meinem Beruf immer mit der Frage beschäftigt, wo komme ich her, was will ich hier, wo gehe ich hin? Das ist der Kreislauf des Lebens. Der Tod gehört zum Leben. Woher wissen wir, dass er nicht zum Schönsten im Leben gehört? Nur die Frage wie beantworte ich nicht. Vor solchen Gedanken habe ich Angst.“ In den vergangenen beiden Jahren hat er, der immer unermüdlich unterwegs war, ohne Arbeit nicht sein konnte, sich gestattet, sich alle Zeit für sich, für sein Dasein zu nehmen. „Der Beruf war mein Leben, aber mit dem Alter muss man bescheidener werden. Die Zeit wird wertvoller.“  Und dann fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu: „Ich würde sogar mit den Engeln auf Wolke Sieben ein Theater aufziehen. Zu meiner Freude und der der Leute.“

Schauspieler Rolf Hoppe im Porträt von York Maecke

Christel Bodenstein: Aus dem Leben einer Prinzessin

In unserem Dorf gab es zwar ein Kino, aber zu weit weg von uns Zuhause, als dass ich dem langen weg allein gehen durfte. So wusste ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr nichts vom „Singenden, klingenden Bäumchen“. So sah ich den legendären DEFA-Märchenfilm zum ersten Mal im Fernsehen, in der Kindersendung „Zu Besuch bei Prof. Flimmrich“. Wie Millionen andere Mädchen umfing auch mich die Schönheit der Prinzessin. Einmal so ein Kleid tragen… ein Traum.

Minna von Bernhelm Zofe Franziska (Christel Bodenstein) hat an dem Soldaten Werner (Manfred Krug) Gefallen gefunden. Szene aus dem DEFA-Film „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ von 1962 © DEFA-Stiftung/Karin Blasig

Im Laufe der Zeit und meines Erwachsenwerdens kamen andere Filme mit Christel Bodenstein dazu: „Revue um Mittenacht“, „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“, Was ihr wollt“ oder „Beschreibung eines Sommers“. Eine breite Palette an Rollen. Doch die „Prinzessin“ haftet ihr bis heute an. Ich hatte das Glück – dank meines Berufes – der Schauspielerin und dem Menschen Christel Bodenstein nahezukommen. Aus der Sympathie, die mit unserem ersten Interview 1996 begonnen hat, ist Freundschaft geworden. Am 13. Oktober 2018 feierte Christel Bodenstein ihren 80. Geburtstag. Wir hatten uns vorab zu einer kleinen Zeitreise durch ihr Leben verabredet. Ich besuchte sie und ihren Mann Hasso von Lenski in Borgsdorf, wo sie auf der schmalen Insel zwischen Oranienburger und Oder-Havel-Kanal seit 20 Jahren die Zeit von Mai bis Oktober verbringen.

Als Prinzessin Tausendschön in dem DEFA-Märchen „Das singende, klingende Bäumchen“ hat sich Christel Bodenstein seit 1957 in die Herzen von Millionen Kindern gespielt © DEFA-Stiftung/Kurt Schütt

Die Septembersonne gibt noch einmal ordentlich Feuer. Der Herbst verkleidet sich als Sommer. In einem weißen Leinenanzug steht Christel Bodenstein wartend auf dem grünen Wiesenhügel, der bestückt ist mit jungen Apfel- und Birnenbäumen. Die Kleingartenanlage ist gut gesichert. Ihr Mann muss das eiserne Tor an der Einfahrt aufschließen, damit wir hineinkommen. Es ist eine Weile her, dass ich hier war. Zehn Jahre! „Ans Wasser können wir heute nicht“, sagt Hasso von Lenski. Die Holztreppe auf dem Deich ist morsch geworden, nicht mehr begehbar. Eine neue müsste gebaut werden. „Vielleicht wird’s im nächsten Jahr“, meint der 76-Jährige leichthin. Er hat für uns einen kleinen Tisch und bequeme Gartenstühle vor eine blühende Hecke aus Eibisch und Hibiskus gerückt. „Gibst du mir eine Zigarette“, bittet Christel. Ihr Mann lächelt. Er hat sie parat, ebenso den Aschenbecher. Ich kann mich an kein Gespräch erinnern, bei dem sie nicht geraucht hätte. „Ohne Zigarette geht gar nichts.“ Rau und dunkel ist der Klang ihrer Stimme. Der klare Ton der „Prinzessin“ ist lange Vergangenheit.

Die Schauspielerin ist eine Raucherin vor dem Herrn. Sie braucht das. „Mein Lebenselixier“, scherzt sie © Nikola

Achtzig – ist das der Zeitpunkt, wo einen die Angst ergreift vor dem, was kommen kann? Was macht die Zahl, die einem sagt, dass man alt ist, mit einem? Ich schaue in Christels Gesicht. Es ist kein altes Gesicht. Ich sehe die Runzeln um den Mund, wenn sie spricht und die verschwinden, wenn sie lacht. An den Augenwinkeln bilden sich sanfte Lachfalten, die Nase kräuselt sich lustig. Und ich sehe ihr Strahlen, die leichte Verschmitztheit in ihrem Blick. Und, frage ich sie, wie fühlt es sich an, die letzten Dekaden des Lebens anzutreten? „Es ist furchtbar!“ Sie nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. „Die 65 und die 70 konnte ich gut aushalten. Aber jetzt begreife ich, dass ich 80 bin, an dem, was ich nicht mehr machen kann. Zwei Harkenstriche im Garten und mein Rücken schreit: Biste verrückt! Wenn ich Unkraut zupfe, bräuchte ich eigentlich rechts und links eine Stütze, damit ich wieder hochkomme. Es wird nicht besser, und davor fürchte ich mich.“

Sie meint das ernst, und dennoch lacht sie dabei. Sie verweigert der Furcht, sie zu beherrschen. Und sollte so ein Moment kommen, denkt sie an ihr Motto: Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. Das half ihr, ihren Weg zu finden und ihn zu gehen, auf den holprigen Pflastersteinen seelischer Tiefs und auf glatter Bahn, wenn sie glücklich war. „Ich denke ganz viel über mein Leben nach, das immer ein bisserl hektisch war. Und Ärger musste auch verkraftet werden“, beginnt sie zu erzählen. „Am Ende komme ich immer zu dem Schluss: Ich bin ein Glückskind, meine Kindheit in München ausgenommen. Ab dem Punkt, als meine Mutter mit mir im September 1949 nach Leipzig zog, haben sich meine Träume, die ich so hatte, erfüllt.“ Eine lebenswichtige Entscheidung für sie, was sie als Elfjährige nicht ahnte

Winter in Waldtrudering 1939/40. Die kleine Christel, ihre erste Bekanntschaft mit Schnee im Garten ihrer Eltern © privat/Christel Bodenstein

Ein knappes Jahr vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges kam Christel Bodenstein in der bayerischen Metropole zur Welt. Die Eltern hatten nach ihrer Hochzeit Mitte der 30er Jahre ihre Heimatstadt Erfurt verlassen. Wilhelm Bodenstein bekam als Kaufmann eine Anstellung in einem großen bayerischen Sämereigeschäft. Ein großes Glück in der Zeit der allgemeinen Weltwirtschaftskrise, die von Massenarbeitslosigkeit geprägt war. „Wir lebten in Waldtrudering, in einem kleinen bayerischen Holzhaus mit Rundumlaufbalkon, einem Garten und einem Waschhaus, in dem meine Mutter für andere Leute wusch. Erna Bodenstein hatte den Traum, Pianistin zu werden. Aber die damaligen Zeiten ließen das nicht zu. Vor mir bekam sie meine Schwester Eva und musste uns allein versorgen, als unser Vater an die Front berufen wurde. Ich stand unter der Fuchtel meiner gerade mal ein Jahr älteren Schwester, und das war nicht schön“, erinnert sich die 80jährige. Sie war sieben, als der grauenvolle Krieg mit dem Sieg Alliierten 1945 beendet wurde. „Ich habe noch das Geheul der Sirenen im Ohr, wenn Bomber über München flogen. Meine Mutter rannte dann mit uns Kindern ins Nachbarhaus, das gemauert war und einen Keller hatte, in dem sie Schutz suchten.“

Die vierjährige Christel und ihre ein Jahr ältere Schwester Eva kamen in München zur Welt. Nach der Scheidung der Eltern 1949 zog Christel mit der Mutter nach Leipzig. Die Schwestern verloren sich aus den Augen © privat/MDR

Tief eingeprägt hat sich in das Bewusstsein des Kindes der Hunger, den es aushalten musste. „Als mein Vater aus der Gefangenschaft kam, ist er mit dem Rad über die Dörfer gefahren und tauschte, was wir entbehren konnten, gegen Brot, Milch, Eier und Butter ein. Oder er kolorierte für ihre Familien Fotos gefallener Soldaten. Manchmal kam er auch mit leeren Taschen zurück, und es gab nichts zu Essen.“ Sie hatte immer Hunger. Dieses Gefühl verfolgt sie heute noch, treibt sie manchmal zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett. Dann muss sie essen. Sonst schläft sie nicht wieder ein. Eine Zeit hatten Amerikaner Quartier im Haus bezogen. Sie mochten die aufgeweckte Christel, und sie durfte mit der Milchkanne übriggebliebenes Essen vom Versorgungsstandort holen. „Ich war ganz stolz, meine Familie versorgen zu können.“

Wie so viele Ehen hatte der Krieg auch ihre Eltern entzweit. Sie ließen sich scheiden. Das Gericht sprach dem Vater die Mädchen zu. Die Mutter, ohne Beruf und Arbeit, hatte dem nichts entgegenzusetzen. Ihr Bruder in Leipzig bot ihr an, zu ihm zu kommen. Es gäbe eine freie Stelle bei der Post. Um nichts in der Welt wollte die damals elfjährige Christel bei Vater und Schwester bleiben, die Mutter allein ziehen lassen. „Mein Herz hing so sehr an ihr, dass ich ein so schauderhaftes Theater machte, bis mein Vater zustimmte und ich mit ihr nach Leipzig durfte.“ Die Erinnerung an ihn verbindet sich mit Strenge und Härte. „Er watschte gern. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich mal liebevoll in den Arm genommen hätte. Was ich von ihm Gutes habe, ist die innere Stärke, Sachen aus dem Boden zu stemmen, zu erreichen, was ich will. Er war auch künstlerisch begabt, malte und bastelte.“

Bild mit ihrem Kater Mikesch © Christel Bodenstein

Diese Seite des Vaters schlägt sich in ihrem Hobby nieder, dass sie 1984 für sich entdeckte, als ihr Sohn Mirko einmal Modelliermasse aus dem Trickfilmstudio mit nach Hause brachte, um eine Arbeit zu erledigen. „Ich nahm ein Stück in Hand und dachte: Wie gut sich das anfühlt. Dann begann ich zu kneten und zu formen, noch ungelenk. Aber ich hatte soviel Freude daran, dass es meine liebste Beschäftigung geworden ist.“ Sie vertieft sich dann so sehr in diese Arbeit, dass sie über Stunden alles um sich herum vergisst. Manchmal beschwert sich ihr Mann Hasso: „Kommst du auch mal wieder zurück?“ Aber er weiß, sie braucht dieses Abtauchen. „Es ist Christels Ausgleichgymnastik für ihre Seele“, sagt er.

Erna und Wilhelm Bodenstein en minature von ihrer Tocher mit Knete modelliert ©Christel Bodenstein

Das war auch der Titel ihrer ersten Ausstellung 1990. Sehr bald hat die Hobbykünstlerin eine große Fertigkeit im Modellieren ihrer Miniaturen entwickelt. Es sind witzige, berührende und fantasievolle Figuren, die sie ihrem Leben entlehnt. Die kleinen Kunstwerke setzt sie in Bilderrahmen. Die Idee entstand aus Mangel an Platz in ihrer Berliner Zwei-Zimmer-Wohnung, die einer Galerie gleicht. Die Künstlerin gibt so gut wie keines ihrer Schöpfungen weg. Verkaufen? Undenkbar. Es würde ihr das Herz zerreißen. „Einige habe ich an besondere Freunde verschenkt. Mit Schmerzen und Freude zugleich“, erzählt sie.

Die Verbindung zu Vater und Schwester ist ein paar Jahre nach dem Umzug abgebrochen. Zweimal verbrachte Christel die Sommerferien aufgrund eines Gerichtsbeschlusses, den Wilhelm Bodenstein erwirkt hatte, in München. „Er holte mich nicht zu sich, weil er mich liebte. Er strafte mich damit, weil ich mit meiner Mutter weggegangen bin. Ich musste die ganzen Ferien bei ihm in der Wäscherei arbeiten. Da habe ich mich dann geweigert, zu ihm zu fahren.“ Christels späterer Versuch, sich mit dem Vater zu versöhnen, scheiterte. „Ich hatte ihm nach so vielen Jahren verziehen und wollte ihm nach Mirkos Geburt mein Baby zeigen. Er lehnte es ab, uns zu sehen. Zu meiner Schwester fand ich nie mehr Kontakt. Um sie tut es mir leid.“

1950 mit Schulfreundinnen in Leipzig © privat/Christel Bodenstein

In Leipzig begann für die Elfjährige ein neues, vor allem anderes Leben. Die Stadt gefiel ihr sofort. „Wir kamen spät in der Nacht an. Ich war fasziniert von den vielen Laternen, die wie Sterne leuchteten“, hat Christel noch ihre erste Begegnung mit ihrer neuen Heimat vor Augen. „Kurz vor Gründung der DDR, gerade noch rechtzeitig, hatte sich meine Mutter entschieden, das Angebot ihres Bruders anzunehmen. Ich weiß nicht, was aus mir im Westen geworden wäre. Bestimmt keine Märchenprinzessin“, ist sie sich sicher. Leicht fiel ihr die Eingewöhnung damals nicht. Es gab Verständigungsschwierigkeiten. „Sächsisch war für mich eine Fremdsprache und mein Dialekt für die anderen.“ Vergebens bemühte sich die Tante, ihrer Nichte Sächsisch beizubringen. Im Unterricht wurde zum Glück hochdeutsch gesprochen. Die Schauspielerin erinnert sich gern an ihre Schulzeit. „Das Schönste war für mich, dass es in der großen Pause für jedes Kind ein Brötchen und einen halben Liter Milch gab.“ Mit Begeisterung war sie „Junger Pionier“, trug stolz ihr blaues Halstuch. Die Mutter belächelte das und schlug ihr vor, das Tuch auch zum Nachthemd umzubinden.

Christel Bodenstein schloss ihre Ballettausbildung der Staatlichen Ballettschule 1955 in Berlin ab © privat

Im Leben der Schauspielerin steht Leipzig vor allem aber für die Geburt ihres Traums, Tänzerin zu werden, den sie sich mit großer Zielstrebigkeit erfüllte. Das Plakat von einer jungen französischen Ballerina weckte in ihr den Wunsch, selbst so tanzen zu können. Weil das Geld für privaten Ballettunterricht fehlte, bewarb sich die Zwölfjährige beim Tanz- und Gesangsensemble der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“ und wurde genommen. Nach dem Schulabschluss – sie war 14 – machte sie eine dreijährige Ausbildung an der Leipziger Ballettschule, die sie an der Staatlichen Ballettschule in Berlin abschloss. Ihr erstes Engagement bekam sie am Landestheater Halle. In der Operette „Frau Luna“ übernahm sie die Rolle des Mondkrümel.

Christel Bodenstein in ihrer ersten Rolle am Theater Halle. Sie sang und tanzte in der Operette „Frau Luna“ den Mondkrümel Quelle: Screenshot „Lebensläufe“, mdr

Schmunzelnd erinnert sich Christel an den Tag, an dem eine Begegnung am FKK von Ahlbeck ihren Lebensweg ins DEFA-Studio lenkte. Sie ahnte nicht die Schicksalhaftigkeit dieser kuriosen Episode. „Ich hatte vor Beginn meines Engagements in Halle Ferien und wurde von ein paar jungen Schauspielern eingeladen, mit an die Ostsee zu fahren.“ Die 17-Jährige, die noch nie Urlaub gemacht hatte, sagte freudig zu. Vor allem auch, weil ihr Schwarm, der Kapellmeister Olaf Koch mit dabei war. „Mit ihm stolperte ich damals in meine erste Ehe“, flicht sie ein. Mit Einwilligung der Mutter heiratete sie den gutaussehenden, um vieles älteren Kapellmeister aus Leipzig, der sich endlos geschmeichelt gefühlt hat, von so einen hübschen jungen Ding begehrt zu werden. Die Ehe war 1957 vorbei. Sie konnte seine Eifersucht und Gängelei nicht ertragen.

„Eines Vormittags“, kommt sie auf die Episode zurück, „kam ein Mann mit zwei Windhunden den Strand entlang. Die anderen rannten auf ihn zu, zogen mich mit. Stürmisch begrüßten sie ihn und stellten mich vor. Es war der berühmte DEFA-Regisseur und Direktor der Filmhochschule Prof. Kurt Maetzig. Ein freundlicher Mann, der mich wohlwollend betrachtete und nach einem längeren Gespräch zu Probeaufnahmen nach Babelsberg einlud. Das ist mir nur ein einziges Mal passiert, dass ich splitternackt eine Rolle angeboten bekam.“ Sie musste eine Liebesszene spielen. „Es war schon gewagt, was Prof. Maetzig mir zumutete. Aber ich hatte noch nie Angst vor einer Kamera. Und damals waren die Filmkameras noch Ungetüme!“ Doch mit ihren 17 Jahren und der kindlich-mädchenhaften Erscheinung war sie zu jung für die Figur, die am Ende des Films 70 ist. Die Rolle in Maetzigs Romanverfilmung „Schlösser und Katen“ spielt Karla Runkehl, die mit ihren damals 26 Jahren bereits Anerkennung als Charakterdarstellerin gefunden hatte.

Kurt Schmidtchen und Christel Bodenstein in der DEFA-Verfilmung des Grimmschen Märchens „Das tapfere Schneiderlein“ 1956 © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer

Für die 17jährige Christel Bodenstein interessierten sich zwei andere bekannte DEFA-Regisseure, die ihre Probeaufnahmen gesehen hatten. Bei Slatan Dudow spielte sie eine angehende Kosmetikerin in der Filmkomödie „Der Hauptmann von Köln, mit dem großartigen Schauspielers Rolf Ludwig in der Hauptrolle. Parallel agierte sie unter der Regie von Helmut Spieß als Magd Traute in dem Märchenfilm „Das tapfere Schneiderlein“ und tanzte dazwischen kleine Rollen am Theater. „In diesem Jahr zwischen 1956 und 1957 spielte sich mein privates Leben hauptsächlich im DEFA-Auto ab, das mich von Halle nach Babelsberg und wieder zurück brachte. Der zauberhafte Kraftfahrer hatte er mir auf dem Rücksitz ein Bett gebaut, damit ich schlafen konnte, und verwöhnte mich mit Obst und belegten Brötchen.“

Sie schwebte wie auf Wolke. Es war der Anfang ihrer DEFA-Zeit, die sie die allerglücklichste in ihrem Leben nennt. Am Ende der Theatersaison verabschiedete sie sich von ihrem Ziel, eine große Ballerina zu werden, und folgte dem Rat ihres Entdeckers Prof. Kurt Maetzig. Sie ging an die Filmhochschule nach Babelsberg, um die Schauspielkunst richtig zu erlernen. Denn auch ein Naturtalent braucht Handwerkszeug, hat sie bei den Dreharbeiten für ihre beiden Filmdebüts erkannt. Doch auch während des Studiums stand sie unentwegt vor der Kamera. Gleich im ersten Studienjahr bekam sie die Rolle, für die sie seither geliebt wird: die stolze Prinzessin Tausendschön im Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“. Am 13. Dezember 1957 kam der Film in der DDR in die Kinos, am 14. September begeisterte er auch die Kinder im Westen Deutschlands. In den ersten beiden Erscheinungsjahren hatte er bereits sechs Millionen Zuschauer.

Mit ihrem zweiten Mann, dem Regisseur Konrad Wolf wohnte sie in Babelsberg gegenüber einer Schule. Wenn sie aus der Tür trat, riefen die Kinder „Guten Tag, Prinzessin!“ Mit der plötzlichen Popularität umzugehen, war für die junge Schauspielerin nicht einfach. „Ich musste lernen, zu akzeptieren, dass nicht ich, sondern die Figur gemeint ist.“ Inzwischen ist sie dankbar, für die lange Treue ihrer Fans. Und wenn ein Kind sagt: „Du siehst aber nicht aus wie die Prinzessin“, antwortet sie lachend: „Auch Prinzessinnen werden alt.“

Tanz ins Glück. Christel Bodenstein lernte ihren Mann. den bekannten Regisseur Konrad Wolf aufnder DEFA-Filmwoche 1960 in Helsinki kennen © privat,mdr

1960 kürten die Leser des Jugendmagazins „Neues Leben“ sie zur beliebtesten Schauspielerin der DDR. Ein Schicksalsjahr, denn auf der DEFA-Filmwoche in Helsinki traf sie Konrad Wolf, Sohn des Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf. Dessen Stück „Professor Mamlock“ verfilmte er gerade, als er Christel Bodenstein kennenlernte und sie sich verliebten. „Koni war ein kräftiger Riese, fast zwei Meter groß, und dabei sehr scheu, eigentlich schüchtern“, beschreibt sie ihn. Finnische Filmleute hatten die DEFA-Kollegen zum Krebsessen eingeladen. Anschließend wurde getanzt.

Mit 22 Jahren brachte Christel Bodenstein ihren und Konrad Wolfs Sohn Mirko zur Welt. © privat/Christel Bodenstein

„Koni nahm mich in den Arm und versuchte, nicht aus dem Takt zu kommen. So begann unsere Beziehung.“ Im September 1961 kam ihr Sohn Mirko zur Welt und ein Jahr später, einen Tag vor Weihnachten 1962, heirateten sie. Eigentlich wollte Christel das nicht. Es waren äußere Zwänge, die sie umstimmten. Unverheiratete bekamen in Hotels kein Doppelzimmer und – das wog schwer – wollte man von offizieller Seite, dass der bekannte Regisseur, der zudem noch Vorsitzender der Gewerkschaft Kunst und Präsident der Akademie der Künste war, kein uneheliches Lotterleben führt. In diesem Punkt war die Partei ganz konservativ, beinahe spießbürgerlich.

Ein leichter Wind streicht über die Blütensträucher. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Wird es regnen? „Ich denke nicht“, sagt Christels Mann Hasso von Lenski. Er holt eine neue Flasche Wasser. Christel hat die dritte oder vierte Zigarette beim Wickel, als wir auf ihre 19 Jahre an der Seite von Konrad Wolf zurückblicken. Mit ihrem Mann hat sie nur einen einzigen Film gedreht, weil er es hasste, wenn Regisseure ihre Frauen in die Hauptrollen ihrer Filme holten.

1966 spielte sie in seinem Film „Der kleine Prinz“ die Titelrolle. Er machte diese Ausnahme, weil er wusste, dass sich Christel diese Rolle insgeheim wünschte. Die Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry war ihre „Bibel“, seit sie das Buch als junges Mädchen bekam. Konrad Wolf schenkte ihr die Rolle 1965 zu ihrem 27. Geburtstag. Wie es dazu kam, erfuhr sie erst über 45 Jahre später von Angel Wagenstein, einem bulgarischen Drehbuchautor und gemeinsamen Freund. Die saßen über dem Drehbuch für den „kleinen Prinzen“, als Konrad Wolf feststellte, dass er vergessen hatte, ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau zu besorgen. Aber es war Wochenende. Schenk ihr doch den kleinen Prinzen, schlug Angel Wagenstein vor. Am nächsten Morgen stand Konrad Wolf mit einem Blumenstrauß vor seiner Frau und fragte: „Möchtest du den kleinen Prinzen spielen? Ich schenke dir die Rolle.“ Da war für sie alles gut. Dennoch ging Christel Bodensteins Traum von einem glücklichen Familienleben am Ende nicht in Erfüllung.

Christel Bodenstein und Konrad Wolf ließen sich 1978 scheiden. Sie hatten sich auseinandergelebt ©privat/Christel Bodenstein

„Wir hatten schöne Zeiten, aber der Alltag lag auf meinen Schultern. Ich drehte, sorgte für unseren Sohn. Ohne die Hilfe meiner Mutter hätte ich das nicht bewältigt. Koni arbeitete sehr viel. Als er 1965 Präsident der Akademie der Künste wurde, blieb noch weniger Zeit für Mirko und mich. Er bemerkte nicht einmal mehr, wie sehr es mir fehlte, seine Liebe zu spüren, wie sehr mir die Zweisamkeit mit ihm fehlte. Ich fühlte mich wie ein Möbelstück, dass einfach da war, wenn er nach Hause kam. Heute merke ich, wie wenig ich von ihm weiß, weil wir uns nie richtig kennenlernen konnten. Das ist eine sehr traurige Erkenntnis“, schließt sie. Ihre Ehe wurde 1978 geschieden.

1977 fand Christel Bodenstein in Hasso von Lenski die Liebe ihres Lebens. Sie wurden unzertrennlich

In dieser Zeit lernte sie im Kreis von Kollegen den Schauspieler und Dramturgen Hasso von Lenksi kennen. Begegnet sind sich zum ersten Mal 1976 in der Kantine der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ohne zu ahnen, dass sich ihre Weg ein Jahr später wieder kreuzten und von da an gemeinsam verlaufen sollten. „Hasso machte auf mich so einen fröhlichen, jungenhaften Eindruck. Am meisten gefielen mir seine neugierigen frechen Augen. Wie der einen anschaute!“ erinnert sich Christel Bodenstein lachend. Seit 1977 leben sie zusammen sind seit 1992 verheiratet. Bei ihm spürt sie, was Konrad Wolf ihr nicht geben konnte: Wärme, Liebe, Aufmerksamkeit. „Wir haben zusammen harte Zeiten durchgestanden, unser gemeinsames Leben zusammen bei Null angefangen. Seit wir uns kennen, hatte ich nie das Gefühl von Einsamkeit und Alleinsein“, macht sie ihm mit ganz viel Glück in den Augen eine Liebeserklärung. Ihn macht es etwas verlegen. Seine Ehe wurde wie ihre 1979 geschieden. Dass sich trafen und zueinander fanden, war nicht der Grund. Es gab aber den Anstoß, den lange fälligen Schritt zu gehen.

Manfred Krug als Tom und Christel Bodenstein 1962 in der Romanverfimung „Beschreibung eines Sommers“. ©DEFA-Stiftung/Max Teschner

Sie hat das DEFA-Ensemble, dem sie seit Ende ihres Studiums angehört hatte, 1973 verlassen. „Mich reizten die freundlichen, lustigen Mädchen nicht mehr. Ich wäre gern ins ernste Fach gewechselt, doch solche Rollen bot man mir nicht an.“ Die einzige Ausnahme war die FDJ-Sekretärin Grit in dem Gegenwartsfilm „Beschreibung eines Sommers“ an der Seite von Manfred Krug. „Es war das einzige Mal, dass ich einen Regisseur bat, mich zu besetzen.“ Sie bekam die Rolle, nicht zuletzt auch, weil sich Manfred Krug für sie bei Regisseur Ralf Kirsten stark gemacht hat. Mit dem 2016 verstorbenen Schauspieler verband sie eine lange Freundschaft. Sie kamen zur selben Zeit als Scheidungskinder nach Leipzig.

1976/77 lernte Christal Bodenstein Gitarre und tourte mit dem Feuilletonisten Hans-Georg Stengel drei Jahre durch die Republik Screenshot© privat/mdr/Lebensläufe

Die Begegnung mit Hasso von Lenski war nicht nur Beginn eines neuen privaten Glücks. Nach drei Jahren, in denen sie als freischaffende Künstlerin zunächst mit kleinen eigenen Liedern auftrat, dann mit dem Feuilletonisten Hans-Georg Stengel unterhaltsame Abende veranstaltete, bekam sie in der vom Friedrichstadtpalast 1976 neu gegründeten Kleinen musikalisch-literarischen Bühne ein festes Engagement. Hasso von Lenski stieß als Regisseur und Dramaturg dazu.

Christel Bodenstein 2005 und ihre Prinzessin, die sie für das Märchenspiel als Vorlage aus Plastiline geknetet © Boris Trenkeln

Christel Bodenstein war dankbar für das Engagement, weil sie sich um ihren damals 14jährigen Sohn Mirko kümmern musste. Er brauchte jetzt die Mutter, die Oma packte es nicht mehr. „Hasso und ich haben wunderschöne Abende veranstaltet. Die Ideen für Neues plumpsten nur so aus uns heraus.“ 1989 verlor die Künstlerin nach einem Zerwürfnis mit dem neuen Leiter des Theaters ihr Engagement, und der Dramaturg kündigte. „Es sollte wehtun“, sagt er. Er konnte und wollte die Art und Weise, wie die Leitung mit den Schauspielern umging, nicht hinnehmen. „Ich hätte nicht erwartet, dass er für mich seine Arbeit dort aufgibt“, sagt Christel. Der Friedrichstadtpalast bot ihr an, als Regieassistentin für die „Kleine Revue“ zu arbeiten. Hasso wurde Marketing-Chef im Friedrichstadtpalast. Sie weiß noch gut, wie schmerzvoll es sich anfühlte, als sie das erste Mal von unten auf die Bühne schaute. Aber: Christel schafft alles, was sie will. Es liegt in ihren Genen. Sie fuchste sich ein und verspürte bald das Bedürfnis, eigene Ideen umzusetzen. Als erste eigene Regiearbeit brachte sie den musikalisch-literarischen Abend „Claire“ auf die Bühne, ein Jahr später inszenierte sie mit großem Erfolg die Revue „Sommernachtsnachtsträume“. Als die Kleine Revue 1997 geschlossen wurde, gab Christel Bodenstein den Sprecherkindern Schauspielunterricht und übernahm 1998 einen Teil der Regiearbeit für die Märchenrevue „Hänsel und Gretel“.

Das Märchenspiel „Das singende, klingende Bäumchen“ ist ihre ureigene Idee © DEFA-Stiftung

Als sie 60 geworden war, fand sie, es sei an der Zeit, in die Ausruhphase des Lebens zu gehen. Das gestaltete sich jedoch nur als Rahmen, um ausschließlich das zu tun, was ihr Spaß macht. Acht Jahre lud sie danach zu Talkshows mit ehemaligen Kollegen ins „Café Nass“ in Berlin-Johannisthal ein. 2006 veröffentlichte sie ein Bildertagbuch aus ihrem Leben „Einmal Prinzessin, immer Prinzessin“, mit dem sie seither auf Lesereise geht. Begleitet von ihrem Mann Hasso, der die passenden Bilder auf eine Leinwand projizierte. Für Christel war immer das Schönste, mit ihm zusammenzuarbeiten. Gemeinsam entwickelten sie mit ihrem Sohn Mirko das Märchenspiel „Das singende, klingende Bäumchen“.

Christel Bodenstein als kleiner Prinz und Eberhard Esche 1965/1966 als Pilot in Konrad Wolfs Verfilmung „Der kleine Prinz“ © DEFA-Stiftung/Waltraut Patheheimer

Sie schuf die Figuren, nach denen der Trickfilmzeichner und Illustrator die Bilder zeichnete. Natürlich hat Christel Bodenstein auch noch Träume. Einer erfüllte sich, als der Film „Der kleine Prinz“ nach 50 Jahre aus dem Archiv endlich in die Kinos kam. Er war nicht unter die politischen Räder gekommen. Er durfte nicht gezeigt werden, weil das DDR-Fernsehen vor der Produktion 1966 vergessen hatte, sich bei Saint-Exépurys Buchverlag Éditions Gallimard die Verfilmungsrechte zu sichern.

Es war ein schöner Tag mit „Prinzessin“ Christel Bodenstein @Nikola

Übers Erzählen ist es später Nachmittag geworden. Das Spiel der dunklen Wolken hat die Sonne verdeckt. Der Himmel hat etwas Mystisches. Christel und Hasso begleiten uns zum Auto. Er muss das Tor wieder aufschließen. Noch ein paar letzte Fotos an der Schaukel, die sich im Wind bewegt. Ich entdecke noch Blüten an den Apfelbäumchen. Das passiert, wenn der Sommer lang und warm ist.











Angelica Domröse: Mit Petticoat, engem Pulli und Pferdeschwanz zum Film

Seit dem Tod ihres Mannes Hilmar Thate vor zwei Jahren ist es still um Angelica Domröse geworden. Am 4. April feierte die Schauspielerin ihren 77. Geburtstag. Die „Berliner Pflanze“ gehört zu den auserwählten Größen des deutschsprachigen Films der letzten hundert Jahre, die einen Stern auf dem „Boulevard der Stars“ am Potsdamer Platz bekommen haben. Ihre Karriere begann vor 60 Jahren mit der DEFA-Liebeskomödie „Verwirrung der Liebe“.

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Im April 2011 wurde Angelica Domröse mit einem Stern auf dem Berliner „Bolulevard der Stars“ geehrt. Ihr Mann Hilmar Thate starb im September 2016. Quelle: SUPERillu ©Adolph Press/Welscher

Mancher mag für sie  für divenhaft, kapriziös halten, was Ausdruck ihres Anspruchs ist, den sie sich im Laufe ihres Lebens erarbeitet hat. Hartnäckig, unbeirrbar. „Ich bin in der Banalität groß geworden, aber ich hatte immer eine tiefe Abscheu dagegen.“ Sie wollte weg aus diesem Milieu. Studieren, Filme machen. Mit 14 Jahren schon hatte sie diese ganz feste Lebensvorstellung. Heute kann jeder sehen, dass sie sich ihre Träume erfüllt hat. Auf dem Berliner „Boulevard der Stars“ glänzt ein goldener Stern mit ihrem Namen, neben anderen Filmgrößen wie Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Romy Schneider, Hanna Schygulla, Billy Wilder, Rainer Werner Fassbinder. Nicht zuletzt wegen solcher Filme wie dem DEFA-Kultstreifen „Die Legende von Paul und Paula“ oder „Die zweite Haut“ und „Hanna von acht bis acht“  sowie ihrer herausragenden Theaterleistungen. Sie spielte am Berliner Ensemble die Hure Betty in der „Dreigroschenoper“ und die Näherin Babette in Brechts Parabelstück Die Tage der Pariser Commune“. 1966 wurde Angelica Domröse in der DDR zur „Besten Schauspielerin des Jahres“ gewählt. Im selben Jahr wechselte die damals 25-Jährige zu Benno Besson an die Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz und wurde als Cleopatra“ und Die schöne Helena“ gefeiert. In einer Inszenierung von George Tabori brillierte sie 1987 als „Stalin“ und 2001 mit ihrem Mann Hilmar Thate im Theater am Kurfürstendamm in „Josef und Maria“.

Sie war gerade mal 17 Jahre, als sie bei Slatan Dudow in ihrer ersten Filmrolle vor der Kamera stand und noch heute bezaubert sie als Siegi in der DEFA-Liebeskomödie „Verwirrung der Liebe“ mit einer Mischung aus unschuldiger Naivität und verführerischem Sexappeal. In einem Interview mit mir blickte Angelica Domröse noch einmal hinter die Kulissen von damals.

Angelica Domröse
 Schauspielerin Angelica Domröse im Spetember 2010 ©Jürgen Weyrich

Welche Erinnerungen haben Sie  noch an jenen Mai 1958?
Er war aufregend. Ich hatte in der „Berliner Zeitung“ eine Annonce entdeckt, mit der die DEFA für eine Hauptrolle in einem heiteren Spielfilm eine natürliche, fröhliche 16- bis 20-Jährige suchte, Größe ca. 1,60.  Für mich war klar: Die meinen mich!

Wie Sie dachten 1500 Mädchen…
Natürlich, solche Annoncen erschienen ja nicht jeden Tag. Das war etwas Besonderes. Am Tag der Vorstellungsgespräche saßen Hunderte Mädchen in der S-Bahn zum Griebnitzsee. Wie eine Schar Gänse sind wir den Weg zum DEFA-Studio geflattert.

Und wie hat diese Schar versucht, den Regisseur zu beeindrucken?
Wir haben alle unsere Vorzüge hervorgehoben (lacht). Hatten die Taille ganz eng geschnürt, Petticoats unterm Rock, enge Pullis, die langen Haare offen oder als Pferdeschwanz. Ja, und dann saßen wir da und warteten. Regisseur Slatan Dudow hat mit jedem Mädchen gesprochen.

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Regisseur Slatan Dudow mit Angelica Domröse und Stefan Lisewski bei den Dreharbeiten für die Hochzeitsszene in „Verwirrung der Liebe“ 1958 ©DEFA-Stiftung/Icestorm/E. Neufeld

Wie war Ihr erster Eindruck vom Studio?
Das war alles gigantisch für mich und neu. Respekteinflößend. Und es hat mich angezogen. Aber es ist alles mehr über den Bauch gegangen als über den Intellekt. Ich war ein Kinofreak, sah auch gern Theaterstücke. Aber es hatte mich eigentlich nie interessiert, wie das zustande kommt. Schmerzliche Erfahrung habe ich erst beim Drehen gemacht.

Was ist passiert?
Szenen, die wir oft geprobt haben, sind mir beim Drehen dann sehr schwer gefallen. Da gab es einen Tag, an dem ich anfing zu weinen. Mich hat plötzlich die Stille im Atelier gestört, als es hieß: Kamera läuft, Ton ab. Ich hörte mich selbst. Alles war auf mich fokussiert. Das hat mir Angst eingejagt. Dudow hat dann alle aus dem Atelier geschickt und mich ausheulen lassen. Es war für mich mit einem Mal ganz schwer, auf die Rolle zu kommen. Später habe ich das beim Theater öfter erlebt, dass ich nach der xten Vorstellung vollkommen neben der Rolle lag. Und das ist die Schwierigkeit in unserem Beruf: die Abrufbarkeit des Handwerklichen, die Genauigkeit beim Spiel und gleichzeitig muss es wie gerade geboren wirken.

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Für die Zeitungen waren Sie die Favoritin. „Junge Welt“ und „Filmspiegel“ schrieben über Sie. Warum hat sich Slatan Dudow für Sie entschieden?
Er hat es mir später mal gesagt.  Ich hatte die unschuldige Naivität und Natürlichkeit, die er sich für die Rolle der Siegi vorgestellt hatte. Es ist eben etwas anderes, wenn eine 17-Jährige vor der Kamera steht, die noch nie gedreht hat, als wenn es eine 25-jährige Schauspielerin ist. Und dass ich die Rolle bekam, verdanke ich auch Annekathrin Bürger. Sie spielte die Kunststudentin Sonja, deren Freund sie beim Fasching mit Siegi  verwechselt. Das ist ja der Ausgangpunkt der Geschichte. Und ich hatte die gleiche Statur wie sie.

Wurde Slatan Dudow nicht ungeduldig, wenn Sie beim Drehen nicht auf die Rolle kamen?
Nein, überhaupt nicht. Er hat auf mich geachtet wie auf ein rohes Ei. Ich habe ihm wirklich viel zu verdanken. Wenn er sich nicht bei der Filmhochschule für mich verwendet hätte, wer weiß, ob sie mich überhaupt genommen hätten.

Sie standen mit renommierten DDR-Schauspielern – außer Annekathrin Bürger waren das Ulrich Thein, Stefan Lisewski, Willi Schrade und Marianne Wünscher – vor der Kamera. Hatten Sie keine Hemmungen?
Meine Idole waren Weltstars aus  französischen und amerikanischen Filmen. Die Schauspieler, mit denen ich in dem Film spielte, kannte ich gar nicht. Ich sage das ohne Arroganz. Mich hat bis dahin künstlerisch niemand geleitet. Dudow war der Erste, dann  war es die Schauspielschule. Danach lernte ich am Berliner Ensemble und bei Benno Besson in seiner großen Zeit an der Berliner Volksbühne was Qualität und was Mist ist.

Wie reagierte Ihre Mutter darauf, dass Sie ausgewählt wurden?
Sie hat Sekt gekauft und mit mir und dem Produzenten angestoßen. Sie musste ja den Vertrag unterschreiben, da ich minderjährig war. Ich weiß noch, wie ihre Hand gezittert hat…

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Mit der Verwechselung der Produktionsarbeiterin Siegi auf dem Fasching der Kunsthochschule beginnt die „Verwirrung der Liebe“ ©DEFA-Stiftung/Icestorm/E. Neufeld

Warum wollten Sie eigentlich Schauspielerin werden?
Das Kino spielte in meiner Kindheit und Jugend eine enorme Rolle. Ich bin fast jeden Tag ins Kino gerannt, habe mir auch Filme zehnmal angesehen. Das war meine Lebensschule, so wie die Straße. Ich war eine Asphaltassel, bin in den Berliner Trümmern großgeworden. Als ich klein war, habe ich bei einem traurigen Filmende immer gedacht: Wenn du morgen ins Kino gehst, ist der Schluss besser. Und ich war ganz traurig, dass es wieder wie vorher ausging. Mit vierzehn, fünfzehn hatte ich dann schon eine feste Vorstellung von meinem Leben. Ich wollte raus aus dem Milieu, in dem ich lebte, studieren.  In den 50ern war das etwas Besonderes, Student zu sein.

Wie haben Sie denn gelebt?
Meine Mutter verkaufte Fahrkarten am S-Bahnhof Nordbahnhof, mein Stiefvater war Eisenbahner. Es war für mich nicht schön zu Hause. Ich wollte auf Leute mit anderen Interessen treffen. So kam es auch.

Sie waren Sachbearbeiterin beim Deutschen Innen- und Außenhandel. Und plötzlich standen Sie – gerade mal 17 – vor einer Filmkamera. Wie war das, als Sie für „Verwirrung der Liebe“ an der Ostsee die Nacktszene gedreht haben?
Ich hatte da keine Hemmungen. Die Kamera war weit weg. Damit hatte Dudow mir die Scheu genommen. Ihm schwebte bei der Szene, als ich aus dem Wasser steige,  Botticellis „Geburt der Venus“ vor.  Nun hatte ich damals keine Ahnung, wie die aussah noch wer Botticelli war.

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Angelica Dömrose und Willi Schrade als Liebespaar, dessen Herzen eigentlich anderen gehören ©DEFA-Stiftung/Icestorm/E. Neufeld

Wo wurde gedreht?
An einem FKK-Strand an der Ostsee. Wir waren angezogen, die Urlauber nackt. Das ging natürlich nicht. Wenn wir drehen wollen, hat der Produktionsassistent durchs Megaphon gerufen: Alles anziehen! Die Statisten, die meisten waren Urlauber,  stöhnten. Nach dem Dreh hieß es dann: Sie dürfen sich wieder ausziehen! Das war absurd. Wie surrealistische Malerei. Einige Szenen wurden im Studio gedreht, weil am Strand nicht das richtige Licht war. Dafür wurde tonnenweise Ostseesand ins Studio nach Babelsberg gebracht.

Nach diesem Film ging es für Sie Schlag auf Schlag weiter?
Ich bin in eine Zeit geraten, in der das Fernsehen explodiert ist. Mit Filmen wie „Papas neue Freundin“ und „Vielgeliebtes Sternchen“ entstand auch eine große Popularität.

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Filmszene mit Erwin Geschonneck 1966 in der DEFA-Komödie „Ein Lord am Alexanderplatz“ © DEFA-Stiftung/E. Schweda, H. Wenzel

Mit Erwin Geschonneck drehten Sie 1966 „Ein Lord am Alexanderplatz“.
Ich habe den Film wegen des Geldes gemacht. Am Theater, ich war damals am Berliner Enselmble, verdiente man nicht viel. Obwohl es die Weigel nicht gern sah – Film war für sie Afterkunst – wollte ich drehen. Das war mein Spielbein. Mein Standbein war das Theater. Immer. Mit Geschonneck zu spielen war ein großes Vergnügen. Ich hatte gehört, was für tolle Rollen er am BE gehabt hatte. Man bekommt  – auch wenn man so jung ist schon mit – wer Gewicht hat. Privat war er sehr lustig. Geschonneck hatte stets Stullenpakete mit, Kaffee in einer Thermosflasche  – und einen Klappstuhl. Darüber habe ich immer lachen müssen. Heute verstehe ich ihn. Eh‘ du fragst: Wo kann ich mich mal hinsetzen, sorgst du besser selbst für dich.

Sie wurden bejubelt und hoch geehrt. Was letztlich auch an Ihre Substanz ging.
Ja, kein Erfolg ohne Misserfog. Keine Lust ohne Schmerz. Ich weiß, dass mir der Beruf sehr viel gegeben hat. Durch ihn habe ich zur Literatur, zur Malerei, zur Architektur gefunden. Ich habe Menschen getroffen, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Habe Länder gesehen, in die ich vielleicht nie gekommen wäre. Es ist ein ganz wunderbarer Beruf, und ich bin dem außergewöhnlichen Dudow dankbar, dass er mir das Tor dahin aufgemacht hat. Aber man muss auch mal loslassen können und mit der Biologie gehen. Mit über 70 ist doch klar, dass der größte Teil der Lebenszeit, in dem man gearbeitet und geliebt hat, mal oben, mal unten war, hinter einem liegt. Der Rest ist sehr kostbar. Ich nutze ihn nur noch für mich.

Annekathrin Bürger über „Die Anfängerin“, Kindheit und Familiebande

Ein kleiner Kinofilm macht gerade von sich reden. „Die Anfängerin“ – das Spielfilmdebüt der Fotografin Alexandra Sell als Regisseurin. Fasziniert vom Eiskunstlauf und inspiriert durch Interviews mit der ehemaligen DDR-Eiskunstläuferin Christine Stüber-Errath, schrieb die Hamburgerin eine berührende Dreiecks-Geschichte.

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Von ihrer unbarmherzigen Mutter Irene – mit feiner Ironie verkörpert von Annekathrin Bürger – ihres Kindheitstraumes beraubt, ist die Ärztin Annebärbel (Ulrike Krumbiegel) in ihrem Leben erstarrt. Ohne Mitgefühl für Ihre Patienten, ohne Liebe für ihren Mann, nicht einmal für sich selbst. Als ihr Mann sie verlässt, bricht ihr sorgsam errichtetes Kartenhaus zusammen. Sie begreift, dass sie sich vom Einfluss ihrer Mutter befreien muss, um endlich ein eigenes Leben führen zu können. Beim nächtlichen Bereitschaftsdienst an der Eishalle des Olympiastützpunkts erinnert sich Annebärbel ihrer Kindheit, wie sie als Achtjährige Eistanz übte. Nicht gut genug für ihre perfektionistische Mutter. Deren Bewunderung gehört der kleinen Eisläuferin Christine Errath. Annebärbel ist 58, als sie die Schlittschuhe wieder anzieht, um sich ihren Kindertraum zu erfüllen. Dabei kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Christine Stüber-Errath.

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Szenenfoto: Weltmeisterin Christine Stüber-Errath ging für den Film „Die Anfängerin“ zum ersten Mal wieder aufs Eis

Der Film bringt zwei DDR-Legenden ins Rampenlicht zurück. Eiskunstlauf-Weltmeisterin Christine Stüber-Errath drehte für Die Anfängerin“ nach 40 Jahren zum ersten Mal wieder ihre berühmten Pirouetten auf dem Eis. Schauspielerin Annekathrin Bürger ist seit ihrer letzten Kinohauptrolle im DEFA-Film „Hostess“ wieder in einer großen Rolle auf der Leinwand zu sehen. Seit drei Wochen sind die beiden Protagonisten auf Kinotour durch Städte in Ost und West.

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Szenenfoto: DEFA-Star Annekathirin Bürger als Dr. Irene Hanschke in Alexandra Sells Kinofilm „Die Anfängerin“

Die Anstrengung nimmt die 80-jährige Annekathrin Bürger gern auf sich. Wo immer „Die Anfängerin gezeigt wird, ist das Publikum begeistert. „Die Kinos im Osten sind immer ausverkauft. Im Westen sind Schauspieler aus dem Osten, sprich der ehemaligen DDR, auch 27 Jahre nach der Vereinigung der beiden Staaten weitgehend unbekannt. Aber es gab auch in Essen, Düsseldorf, Köln Eiskunstlauf-Fans, die Weltmeisterin Christine Stüber-Errath zwar nicht kannten, aber neugierig waren“, erzählt mir Annekathrin Bürger von unterwegs am Telefon.

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1976 im DEFA-Film „Hostess“. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung/Dieter Jaeger

Sie sagte immer, sie hätte kein Recht zu jammern, wenn sich keine großen Kinorollen mehr böten. Sie habe ihre Karriere gehabt mit 20 Hauptrollen in DEFA-Spielfilmen und vielen anspruchsvollen Figuren in DDR-Fernsehfilmen. Doch sie hatte das gewisse Quäntchen Glück, das einem manchmal widerfährt, wenn es aussichtslos scheint. Regisseur Hans-Werner Honert, mit dem sie bereits beim DDR-Fernsehen gearbeitet hatte, schrieb ihr für seinen Tatort „Der Fluch des Bernsteinzimmers“ die Rolle der Frederike. „Von da an war ich auf dem Bildschirm vorhanden, mit Nebenrollen in Serien wie ,Die Stein’ oder als Kräuterhexe in ,Mord mit Aussicht’. Eine Rolle, die mir sehr viel Spaß gemacht hat“, erinnert sich Annekathrin Bürger, deren Charisma ihre Figuren prägt.

2013 gehörte sie zu der ausgesuchten Besetzung der Bewohner eines Seniorenheims in der Kinokomödie „Sein letztes Rennen“. Der Erfolg des Films zog für die Schauspielerin ein Angebot nach, an das sie kaum mehr geglaubt hatte. Auf der Premierenfeier bot ihr Alexandra Sell an, ihr eine Rolle zu schreiben. Beide Frauen kannten sich bis dahin nicht. Annekathrin Bürger: „Ich war skeptisch.“ Doch 2016 hatte sie das Drehbuch für „Die Anfängerin“ auf dem Tisch, mit einer Charakterrolle, wie sie sie sich lange gewünscht hatte. „Es war mir ein großes Vergnügen, diese beherrschende Frau Mutter zu spielen, in deren Leben es keinen Platz für Abweichungen oder Gefühle gab. Die nicht über ihren Schatten springen konnte. Das nicht willkommene Kind musste funktionieren.“

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Privatfotos aus der Kindheit der Schauspielerin

In gewisser Weise musste das Annekathrin Bürger in ihrer Kindheit auch. Die Mutter war Solotänzerin an der Berliner Volksoper. Ihr Vater Heinz Rammelt verdiente als freischaffender Tiermaler und Illustrator sein Geld, manchmal auch abends als Schnellzeichner im „Cabarett der Komiker“. Doch die Bedürfnisse seiner kleinen Tochter lagen ihm immer am Herzen.  Mit großer Fürsorge und Liebe kümmerte er sich um das Kind. Als seine Kati erwachsen war, ihre Biografie schrieb, erzählte er ihr, wie sie ihm beim Wickeln einmal vom Tisch gerollt ist, er sie aber noch an einem Bein erwischte. Sie lebten damals am Ku’damm in Berlin-Charlottenburg. In der Wohnung des Kommunisten Heinz Rammelt trafen sich Schauspieler, Maler, Intellektuelle und diskutierten die Nächte durch. Auch über das, was in Deutschland vor sich ging, seit die dunklen Wolken des Nationalsozialismus aufgezogen waren und Krieg in der Luft lag. Manchmal, wenn sie in ihrem Kinderbettchen wach wurde und auf nackten Füßen zum Wohnzimmer tapste, nahm der Vater sie auf den Arm, und sie durfte dabei sein. „Ich habe ganz früh das Wort Nonkonformisten gelernt“, erinnert sich Annekathrin Bürger.

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Die Schauspielerin und ihr Bruder Olaf Rammelt im Atelier des Malers, der das Zeichentalent seines Vater Heinz Rammelt geerbt hat. Foto © Michael Handelmann

Sie hat mich nach Dessau eingeladen, wohin es Heinz Rammelt und seine Familie nach vielen Umzügen 1950 verschlagen hatte. Der passende Ort, um über Kindheit und Familie zu reden. „Meine Mutter Gerda hat meinen Vater wegen eines anderen Mannes verlassen. Nach der Scheidung erkämpfte er sich das Sorgerecht für mich“, erklärt das älteste Rammelt-Kind. 1944 heiratete der Vater wieder. Seine Frau Anneliese wurde ihre neue Mutter, die sie sehr mochte.

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Annekathrin Bürger mit ihrer Büste als Gräfin Dopf. Foto © Michael Handelmann

Annekathrin Bürger, die sich für ihren ersten Film einen anderen Namen zulegen musste und den der Großmutter annahm, steht auf der Treppe, die zu den Ateliers führt, in denen ihr Bruder Olaf Rammelt den Spuren seines Vaters Heinz Rammelt folgt. Im Rücken Olafs Bild „Traum eines Harlekins“, vor ihr eine Büste, die sie als Gräfin Dopf in der Grandguignolade „Nord“ zeigt. Eine Arbeit ihrer Schwägerin, der Bildhauerin Christine Rammelt-Hadelich. Die gewählte Optik ein Ausdruck ihrer kreativen Familienbande. Rammelt und Hadelich sind im Sächsischen und Anhaltinischen bekannte Künstlerdynastien.

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1980 mit Rolf Herricht im DEFA-Film „Der Baulöwe“. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung

Ich lernte Olaf und Christine Rammelt kennen, als ich mich 2008 mit Annekathrin Bürger für einen SUPERillu-Beitrag in Ahrenshoop auf die Spuren des DEFA-Films „Der Baulöwe“ begab. Seit dem Tod ihres Mannes, des Regisseurs Rolf Römer im März 2000, ist die Bindung der Schauspielerin zu ihrer Dessauer Familie enger geworden. Wir beginnen unser Gespräch mit ihrer Rolle als Dr. Irene Hanschke im aktuellen Kinofilm „Die Anfängerin“ und lassen das offizielle Sie, weil wir nunmehr 22 Jahre befreundet sind.

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Szene mit Annekathrin Bürger als Dr. Irene Hanschke und Ernst-Georg Schwill

Du hast dir immer eine Figur gewünscht hast, die knirscht. War das die Irene Hanschke?
Sie kam dem nahe. Meine bisherigen Rollen waren ja immer sympathische Figuren, was diese Mutter nun gar nicht ist. Kinobesucher, die mich kennen, waren geradezu erschüttert: „Wie können Sie nur so eine kaltherzige Frau spielen!“ Aber ich war glücklich darüber, zu zeigen: So kann ich auch. Als die achtjährige Tochter auf dem Eis versagt, wird sie abgeschrieben. Die Mutter nimmt ihr die Schlittschue weg und kritisiert sie ein Leben lang als unzulänglich. Ich kann es mir nicht vorstellen, aber ich glaube, dass es solche Verhältnisse zwischen Müttern und Töchtern gibt.

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Die Autorin im Gespräch mit der Schauspielerin, ihrem Bruder Olaf und seiner Frau Christine. Foto © Michael Handelmann

Wie schwer fiel es dir, dich da hineinzufühlen?
Es fiel mir nicht schwer. Obwohl ich nicht der Typ bin, der von Ehrgeiz besessen die Ellenbogen breit macht. Es gibt die äußerlichen Kämpfer, die viel beiseite treten, und es gibt die stillen Starken. Die sich nicht unterkriegen lassen, aber sich nicht vorn etwas erkämpfen können. Die warten müssen. So ein Mensch bin ich. Nach langer Zeit kam plötzlich das Glück, dass mir eine Figur wie diese geschrieben wird, die den Film mitbestimmt.

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Annekathrin Bürger mit Stefan Lisewski 1958 bei den Dreharbeiten zu „Verwirrung der Liebe“ an der Ostsee. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung/Neufeld

Du selbst hast keine Kinder.
Zu meinem großen Bedauern. Das ist der Tribut, den ich als junge Frau für meinen Traum zahlen musste. Die Hochzeitsszenen für den DEFA-Film „Verwirrung der Liebe“  haben wir im Winter 1958 gedreht. Das dauerte sehr lange, und ich hatte nur das Hochzeitskleid an. Wohnwagen zum Aufwärmen gab es damals nicht. Anschließend lag ich mit Unterleibsproblemen im Krankenhaus. Und das ging so weiter. Rolf und ich hätten gern einen Sohn oder eine Tochter gehabt. Für mich ist es schön, zu erleben, wie innig Olaf, Christine und meine Nichte Henriette miteinander umgehen.

Ich finde, es gibt Parallelen zwischen deinem Leben und der Filmgeschichte. Deiner Mutter war ihre Karriere als Tänzerin wichtiger als du. Wie hast du das als Kind empfunden, und wie siehst du das jetzt?
Meine Mutter Gerda war eine erstklassige Ballett-Tänzerin. Sie kam aus proletarischen Verhältnissen und finanzierte sich ihr Ballett-Studium bei der berühmten Choreografin Mary Wigman in Leipzig mit Gelegenheitsarbeiten. 1933 gewann sie in Warschau auf einem internationalen Tanzkongress eine Bronzemedaille. Sie hat sich hochgearbeitet und wurde 1941 Solotänzerin an der Volksoper Berlin und war viel auf Tournee. Ihr Ehrgeiz bedeutete nicht, dass sie mich nicht mochte. Sie hatte einfach keine Zeit für mich. Aber es gab Lenchen, unser Dienstmädchen, und ich hatte meinen Vater. Im Grunde zog er mich groß. Und wenn es gar nicht anders ging, wurde ich zu meinen sehr lieben Großeltern nach Leipzig gebracht. Käthe Bürger war eine bekannte Landschaftsmalerin.

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Das Autogrammfoto zeigt die Schauspielerin 1956, als sie ihren ersten Film „Eine Berliner Romanze“ gedreht hat. Foto privat/Bürger

Einen Teil deiner Kindheit hast du in Kinderheimen verbracht.
Als mein Vater zum Kriegsdienst musste, wurde ich zwischen Pflegeeltern und Kinderheimen herumgereicht. Meine Mutter Gerda war mit einem österreichischen Komponisten liiert, und ich war nicht willkommen. Als ich sechs war und zur Schule musste, schickte mich meine Mutter in ein N.S.V- Kinderheim nach Brünn. Ihr neuer Mann hatte dafür gesorgt.

Wie fühlte es sich an, immer weitergereicht zu werden?
Sagen wir mal so: Ich bin ein robuster Typ und habe mich in dieser Zeit daran gewöhnt, alles mit mir allein abzumachen. Ich habe gelernt, die Dinge nüchtern zu betrachten und nicht in erster Linie emotional. Ich finde, ich habe nicht unbedingt Recht dazu, meine Mutter dafür zu hassen. Wenn ich im Kinderheim Kochfisch mit Meerrettichsoße nicht leiden konnte, war das so. Trotzdem habe mich wohlgefühlt. Aber ich wusste mich auch durchzusetzen. Zur Not wurde eben geschwindelt, ein Vergehen auf jemand anderen abgewälzt. Und dass wir „Heil, Hilter“ statt „Guten Morgen “ sagen mussten und das „Deutschlandlied“ sangen, habe ich hingenommen. Anfang 1944 wurde das Heim geschlossen und ich kam zurück nach Berlin. Mein Vater erkämpfte sich das Sorgerecht.

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Heinz Rammelt mit seinem Zeichenheft im Berliner Tierpark

Ihr wart euch sehr nahe?
Ja, er war der wichtigste Mensch für mich. Mein Vater sah mir immer an, wenn mich etwas bedrückt hat. Ihm konnte ich nichts vormachen. Ich war kein einfaches Kind und habe meine liebe Stiefmutter Anne, die für mich immer meine Mutti gewesen ist, manchmal ungewollt mit meinem Dickkopf zum Weinen gebracht. Wenn ich etwas angestellt hatte, gab es Strafpredigten, geduldige Belehrungen, aber nie Dresche. Mein Vater hat mich sehr einfühlsam gelenkt. Auch auf meinen Weg zur Schauspielerin. Er meinte, ich müsse erst einmal hinter die Bühne schauen und verschaffte mir eine Stelle im Theater Bernburg. Er kannte den Direktor – das war Hans-Joachim Preil. Ich hatte ja Gebrauchswerberin gelernt und durfte im Malsaal bei der Bühnendekoration mithelfen. Preil hat mich damals auch als Komparsin auf die Bühne gelassen. Manchmal tut es mir leid, dass ich nicht so viel Zeit mit meinem Vater verbracht habe wie meine Brüder Hans-Jörg und Olaf.

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Die Geschwister sehen sich Olafs Skizzen für das neue Ostseebuch an. Foto © Michael Handelmann

Ihr seid Halbgeschwister.
Ja, aber das spielte nie eine Rolle. Die Jungs wussten es lange nicht. Ich fand das nicht wichtig. Wir waren eine Familie. Ich habe mich um sie gekümmert. Als ich nicht mehr zu Hause lebte, habe ich ihnen geschrieben, sie ermahnt, ihre Hausaufgaben zu machen und die Eltern nicht zu ärgern, wie das eine große Schwester eben so macht.

Es ist nicht immer so, dass sich Geschwister noch als Erwachsene verstehen. Zwischen euch liegen 17 Jahre Altersunterschied.
Ich denke, bei uns geht das so gut, weil wir durch unseren Vater verbunden sind. Olaf verbrachte seine Sommerferien oft bei uns in Berlin oder besuchte uns an der Ostsee. Er hat das Talent und die Leidenschaft zum Malen unseres Vaters geerbt. Mir hat es nie Spaß gemacht, wenn ich zum Zeichnen mit meinem Vater in den Tierpark musste. Im Nachhinein beneide ich meinen kleinen Bruder, der durch seine Malerei viel enger mit ihm verbunden war. Und auch dadurch, dass Olaf und Christine mit den Eltern zusammen gewohnt haben, war er ihm näher als ich es sein konnte.

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Der  63-Jährige bei der Arbeit. Foto © Michael Handelman

Olaf wirft ein: Es war für uns alle immer etwas Besonderes, wenn Kathrin nach Hause kam. Sie konnte uns ja nur selten besuchen, weil sie so viel gedreht hat. Ich war ein bisschen verschüchtert als Kind und froh, eine große Schwester zu haben. Als meine Jugendweihe 1968 anstand, war sie schon eine bekannte Schauspielerin und wohnte in Berlin. Sie ist mit mir in die Jugendmode in die Brüderstraße gefahren, ich bekam einen braunen Cordanzug und Jeans. Was ich nie vergessen werde, ist eine Begegnung mit Armin Mueller-Stahl. Kathrin hatte mich mit in die Volksbühne genommen, wo sie mit ihm für „Orpheus und Eurydike“ probte. Ich saß im Zuschauerraum und habe ihn gezeichnet.  Das Bild hat ihm gefallen. Er holte mich auf die Bühne, setzte mich in einen Sessel und spielte nur für mich Geige. Ich war damals Sechzehn. Als wir uns im vergangenen Sommer auf seiner Vernissage hier in Berlin wiedersahen, wusste er das noch ganz genau.

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Ein kreatives Team: Annekathrin Bürger, ihr Bruder Olaf und ihre Schwägerin Christine. Foto © Michael Handelmann

Annekathrin, ist der Zusammenhalt mit Olaf nach dem Tod von Rolf Römer enger geworden?
Manches lässt sich allein schwer bewältigen. Rolf fehlt mir sehr. Fürs Herz, für den Kopf und mit seinen handwerklichen Fähigkeiten für Haus und Garten. Ich habe das Glück, eine Familie zu haben, auf die ich mich verlassen kann, die frisch im Kopf ist, klug im Geist, politisch diskutiert und da ist, wenn ich sie brauche. Olaf war immer ein kluger Gesprächspartner, schon als Junge.

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Hochzeit von Annekathrin Bürger und Rolf Römer 1966 in Moritzburg

Bist du jetzt ein Familienmensch geworden? Du hast immer gesagt, dass du das eigentlich nie so warst wie dein Mann.
Ja,  Rolf war derjenige, der immer darauf gedrungen hat, dass wir so oft es ging zu unseren Eltern fuhren. Es war ihm wichtig, den persönlichen Kontakt eng zu halten. Mehr als mir. Ich habe meinen Eltern sehr viele Briefe geschrieben. Es ist bei mir auch heute noch so, dass ich nicht alle Nase lang bei Olaf und Tine aufschlage. Ich würde mich nie bei ihnen einquartieren. Es ist gut, wenn wir alle zwei Tage telefonieren, um zu wissen, was los ist, und ich ab und zu – so wie jetzt – zu ihnen nach Dessau fahre.

Nach einem Familienweihnachten bei Rolfs Eltern 1964 in Moritzburg musstest du für eine Abendvorstellung von „Schloß Gripsholm“ nach Berlin. Obwohl Rolf dir abgeraten hatte, weil es angefangen hatte zu schneien, hast du dich nach der Vorstellung ins Auto gesetzt, um zu deinen Eltern nach Dessau zu fahren. Dort bist du aber nicht  angekommen.
Ich geriet auf der Autobahn bei Belzig ins Schlingern und bin gegen die Leitplanke geknallt. Damals fuhr man noch ohne Gurt. Ich wurde aus dem Wagen geschleudert. Doppelter Schulterblattbruch und angeknackste Wirbel … Ein Autobahnmeister, der mir auf der anderen Seite der Autobahn entgegengekommen war, wunderte sich, dass die Lichter meines Auto plötzlich verschwunden waren. Er hielt an und fand mich bewusstlos auf einem Acker zwischen abgehackten Baumstümpfen. Der Mann hat mir das Leben gerettet.

 Worüber denkst du nach, wenn du dich einam fühlst?
Solche Momente gibt es hin und wieder. Dann überlege ich, was sein würde, wenn ich eines Tages mein Haus verkaufen muss. Wohin dann? Wie gesagt, würde ich mich nicht in das Universum von Olaf und Tine drängen. Ich wünsche mir einen guten Freund, den man einfach an die Hand nimmt und sagt: Lass uns drei Wochen verreisen. Es geht nicht  um Sex. Ich möchte nur nicht mehr allein an einem Zweiertisch sitzen und alle gucken dich mitleidig an. So wie jetzt bei der Kur.

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Das Buch, wie alle anderen auch, kann in Olafs und Christines Verlag „FederEdition“ erworben werden

Eure familiäre Einheit hat schöne kreative Auswirkungen. Von eurem gemeinsamen Buch „Geliebte Ostsee“ gibt es bereits die fünfte Auflage. Wie bist du eigentlich zum Schreiben gekommen?
Angefangen hat es mit meiner Biografie „Der Rest, der bleibt“, die leider vergriffen ist. Da habe ich das, was ich konnte, selbst geschrieben. Vor ein paar Jahren hatten Olaf und Tine die Idee für ein Ostsee-Buch. Erst wollte ich nicht mitmachen. Aber die beiden haben mich praktisch gezwungen, etwas aufzuschreiben. Auf dem Fischland und dem Darß haben wir als Kinder mit unseren Eltern in den die sogenannten Künstlerkolonien die Ferien verlebt. Dort trafen sich Maler, Schauspieler, Schriftsteller und Intellektuelle. Das war eine tolle Zeit. Die Ostsee blieb auch später immer unserer Urlaubsziel. Für Rolf und mich war eine alte Holländer-Windmühle in Wustrow viele Jahre unser Domizil. Ein befreundeter Chirurg aus Rostock hatte sie uns überlassen. Ein Mekka für meinen liebend gern handwerkernden Mann. Wir haben nur Aktiv-Urlaube gemacht, weil Rolf die ganze Mühle saniert hat.
Olaf: Dass Kati wunderbar erzählen kann, war klar, als sie für einen Katalog, cen wir unserem Vater schenken wollten, eine Hommage an ihn geschrieben hat. Der Lektor war ganz begeistert.
Annekathrin: Als Tine und Olaf mit dem Ostsee-Buch anfingen, saß ich mit einem Gipsbein zu Hause und hatte Langeweile. Ich dachte: Na gut, probier ich’s. Die ersten Seiten gingen stockend, dann lief es wie geschmiert.

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2015 erschienen die „Weisheiten der Liebe“

Der Gedichtband „Weisheiten der Liebe“ war euer zweites Projekt. Bis dahin hast du Verse nur für dich geschrieben. Hat dich auch wieder deine Familie überredet?
Annekathrin: Im gewissen Sinne ja.
Christine: Es war so, dass wir festgestellten, dass wir beide in unseren Gedichten die Liebe aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Das fand ich faszinierend.
Olaf: Ich habe ihre Gedichte gegeneinandergestellt und herauskam eine spannende Lyrik.
Annekathrin: Die du mit frechen Bildern illustriert hast. Es ist ein zauberhaftes unterhaltsames Buch geworden.

Jetzt arbeitet ihr an eurem zweiten Ostsee-Buch „Teilzeitfischköppe“, wieder mit Geschichten von dir, Annekathrin. Verlegst du dich jetzt aufs Schreiben?
Nein, nein. Ich werde keine Schriftstellerin, da würde ich mir die Latte zu hoch legen. Aber Gebrauchsliteratur muss ja auch nicht schlecht sein, nur weil sie emotionaler als die gehobene Literatur ist. Ich ärgere mich heute, dass ich meine Erlebnisse früher nie aufgeschrieben habe. Es gibt nur Briefe und Notizen in Kalendern. Man kommt in ein Alter, in dem man viele Dinge vergisst. Ich war im November an der polnischen Ostsee zur Kur und habe Stoff für eine neue Erzählung mitgebracht. Am Hafen habe ich einen Fuchs auf der Kaimauer gesehen. Das ist etwas Verrücktes, Geheimnisvolles. Was wollte der da?  Ich freue mich schon darauf, die Geschichte zu schreiben.

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Annekathrin und ihre Schwägerin amüsieren sich über ihre Gedichte Foto © Michael Handelmann

Wie weit seid ihr mit dem Buch?
Meine ersten 21 DIN A4-Seiten sind fertig.  Tine hat sie schon abgetippt. Ich schreibe ja alles mit der Hand. Aber manches dauert eben, weil  bei mir auch heute immer noch etwas dazwischen kommt. Das Jahr 2017 war voll mit meinen Chanson-Abenden „Weisheiten der Liebe“,  den konzertanten Lesungen „Erotische Geschichten aus Boccaccios Decamerone“. Dann habe ich das erste Mal an den Weihnachtslesungen teilgenommen, die Schauspielerkollegen seit zehn Jahren veranstalten.  Und für dieses Jahr sind auch schon wieder Veranstaltungen gebongt. Worauf mich sehr freue: Am 9. März lese ich in Olafs Ausstellung „Tiere im Atelier“ im Kulturhaus Berlin-Karlshorst aus der Erzählung zu Camille Saint-Saëns Suite „Karneval der Tiere.

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Ein Blatt aus der Reihe „Gala der Tiere“ von Olaf Rammelt

Olaf und Christine haben die Geschichte zu Camille Saint-Saëns Musikstücken in Wort und Bild neu interpretiert. Ich sehe hier faszinierende Grafiken und Lithografien. Gibt es die auch zu kaufen?
Olaf: In unserem Verlag FederEditon kann man sie als einzelnes Bild oder auch in einem Buch gebunden kaufen. Tine hat dazu sehr vergnügliche Texte geschrieben.

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Künstlerdruck aus „Karneval der Tiere“

Annekathrin,  bist ja wie eh und je unterwegs. Wird dir es nicht zu anstrengend, immer wieder herumzureisen, dir immer wieder neue Programme und Lesungen zu erarbeiten?
Ich mache das nicht mehr mit links und benötige zum Regenerieren etwas länger als früher. Aber ich brauche die geistige Bewegung. Es macht mir Freude, mich auf Neues einzulassen. Für 2019 bereite ich für die Abschlussveranstaltung des Fontane-Literaturfestivals eine musikalische Lesung aus der Kriminal-Novelle „Unterm Birnbaum vor. Auf diese Weise immer noch unter Leute zu kommen und zu spüren, dass es ihnen gefällt, was man macht, finde ich schön. Es ist ja ein Vorteil des Alters, dass man nicht mehr alles machen muss. Ich habe mich bewiesen in meinem Leben, ob das die Leute nun wissen oder nicht.

Da gibt es doch die Geschichte von der Rettung des Pöppelmann-Palais‘ in Dresden. Du hast verhindert, dass es gesprengt wird. Davon spricht kein Stadtführer.
Das Barockgebäude sollte gesprengt werden, weil die Japaner an der Stelle in der Großen Meißener Straße  ein Hotel bauen wollten. Es gab Bürgerinitiativen gegen die erneute Vernichtung von kulturhistorischem Erbe, aber es bewegte sich nichts. Ich wusste von Plänen, nach denen das alte Palais in den Neubau, integriert werden konnte und habe in meiner Eigenschaft als Mitglied des DDR-Kulturrates am 30. Dezember 1981 an Erich Honecker geschrieben. Die Sprengung sollte im Januar 1982 erfolgen. Es ist für mich heute noch wundersam, dass ich, eine Schauspielerin, das letztlich verhindern konnte. Das alte Palais macht heute den prachtvollen barocken Mittelbau des Hotels „Bellevue“ aus. Darauf bin ich stolz.

Kannst du auch sein!

Ein Besuch auf den Webseiten der Künstler lohnt sich.

Annekathrin Bürger – http://www.annekathrin-buerger.de/

Atelier Olaf Rammelt & Christine Rammelt-Hadelich – http://www.atelier-rammelt-hadelich.de/

 

Annekathrin Bürger über den Rest, der bleibt

Was ist der Rest, der bleibt, wenn man 80 ist? Zehn Jahre, fünfzehn, zwanzig oder irgendetwas dazwischen? Annekathrin Bürger will es nicht wissen. „Keiner will hinter diese Tür gucken“, sagt sie. „Ab der Mitte des Lebens, wo immer die auch liegt, wird er weniger, der Rest, der bleibt.“

Wir sitzen im Wintergarten, wie jedes Mal seit 21 Jahren, wenn ich für ein Interview hierherkomme. Ich mag die Gemütlichkeit, die Helligkeit, die Nähe der Natur. Große Fenster mit einer Schiebetür zum Garten geben den Blick auf eine schöne Rotbuche und die Rhododendren frei, die Annekathrins Mann Rolf Römer gepflanzt hat. Haus und Garten – das ist eine Geschichte für sich. Ich erfuhr sie irgendwann beim Übergang vom Sie zum du. Was hier steht und wächst ist das private Lebenswerk von Rolf Römer. Zu Hause schlüpfte der Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur in seinen Blaumann. Er mauerte, putzte, malerte, klempnerte und gärtnerte, um diese Oase zu schaffen. „Rolf liebte den Garten“, sagt Annekathrin Bürger.

Das Ende einer Liebe

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Rolf Römer, der „Gärtner“ erklärt seiner Frau Annekathrin, was er gerade gemacht hat ©privat 

Vor 17 Jahren wurde er ihm zum Verhängnis. Beim Laubverbrennen fing der Overall des Schauspielers Feuer. Rolf Römer starb am 14. März 2000 an den Folgen der schweren Verbrennungen. Am 3. April ist Annekathrin Bürger 80 Jahre alt geworden. 39 Jahre davon hat sie mit Rolf Römer verbracht. Es ist für sie legitim, dass wir über ihn sprechen. Neben ihrem Vater, dem Tierillustrator und Trickfilmzeichner Heinz Rammelt, war Rolf der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Sie waren ein starkes Paar, künstlerisch und im alltäglichen Leben, das sie durch einige Tiefen geführt hat. „Ich habe mich an das Alleinsein gewöhnt, nur manchmal fehlt er mir als Gesprächspartner, mit dem man sich gemeinsam erinnern kann.“
Sie nimmt einen Zug aus der Zigarette und schaut nachdenklich in den Garten. Sie hat das grausige Schauspiel mit ansehen müssen. Verzweifelt hat sie mit einer Decke das Feuer erstickt, den Notruf 112 gewählt. „Das Bild wirst du nicht los. Du musst es an dich heranlassen, damit du damit leben kannst“, sagt sie.

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Die Büste von Rolf Römer modellierte seine Schwägerin Christine Hadelich-Rammelt ©privat

In ihren autobiografischen Erinnerungen „Der Rest, der bleibt“ (2007) hat sie das innerlich alles noch einmal durchgemacht. „Über den Schmerz kommt man hinweg. Es macht mich nur unendlich traurig, wenn ich Filme mit Rolf sehe und wie gut er war. Auf der anderen Seite weiß ich, dass er nie wieder er geworden wäre und so nicht hätte leben wollen.“ Es war ihr Erklärung, Trost, beruhigender Abschluss der Trauer. Sie braucht keinen besonderen Anlass, um an ihn zu denken. Der Garten und seine Büste, die ihre Schwägerin Christine Hadelich-Rammelt modelliert hat, lassen ihn jeden Tag gegenwärtig sein. Annekathrin hat den Kopf ans Fenster gestellt mit Blick in den Garten, den ihr Mann so geliebt hat.

Ihre Gedanken kehren aus der Vergangenheit zurück. „Ja, was ist der Rest, der bleibt, wenn man 80 Jahre gelebt hat? Hört man auf zu rauchen?“ Nein, das wird sie sich nicht mehr abgewöhnen für den Rest, der bleibt. Ganz pragmatisch gesehen, habe sie ja damit doch ein ganz schön langes Stück Leben geschafft. „Hinter den 80 Jahren“, sagt sie, „steht eine schöne Karriere, die ich hatte, 61 Jahre Film, mit dabei 52 Jahre Theater. Jetzt versuche ich, mit dem Rest, der vorhanden ist, umzugehen.“ Sie drückt die halb gerauchte Zigarette aus, holt frischen Kaffee aus der Küche. Im Gehen und Kommen sagt sie: „Einfach etwas tun möchte ich noch. Aber für 80-Jährige gibt es wenige Figuren.“ Da fallen hin und wieder Minirollen ab wie in „Mord mit Aussicht“, „Nele in Berlin“ oder „Soko Stuttgart.“

der_rest_der_bleibtEs gibt Ausnahmen wie „Sein letztes Rennen“ mit Dieter Hallervorden 2012. Gerade fertig geworden ist der Spielfilm „Die Anfängerin“, in dem sie mit Ulrike Krumbiegel als Mutter und Tochter vor der Kamera steht. „Die beiden haben ein schwieriges Verhältnis zu einander, weil die Mutter das Leben ihrer Tochter immer dominiert hat.“ Ein Film mit Anspruch, eine Rolle mit Anspruch. „Ich war sehr glücklich, dass Regisseurin Alexandra Sell mich haben wollte. Schade ist nur, dass sich die Veröffentlichung so hinzieht.“ Eine Premiere um ihren 80. Geburtstag herum, hätte die Schauspielerin gefreut. Da wäre sie zu ihrem Jubiläum mit etwas Neuem in ihrem Metier präsent gewesen. Nun soll der Film im Herbst kommen und zunächst im Kino laufen, danach auf ZDF und Arte ausgestrahlt werden. Es macht sie ein wenig traurig, dennoch kann man zufrieden sein, meint sie. Annekathrin Bürger hat einen klaren Blick auf das Metier, in dem sie so lange erfolgreich war. Es ist nicht mehr verlässlich, schon gar nicht für jemanden, dem die allgemeine Popularität fehlt. Nach der Wende ist der gesamtdeutsche Film an ihr vorbeigegangen. Im Fernsehen hatte sie einige Rollen, die sie mochte. Sieben Jahre hat sie die Waschsalonbesitzerin Frederike im MDR-„Tatort“ mit Peter Sodann als Kommissar Ehrlicher gespielt.

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Annekathrin Bürger mit ihrem ehemaligen DDR-Kollegen Klaus Manchen  in der ZDF-Serie „Die Stein“ ©ZDF

In der Fernsehserie „Die Stein“ agierte sie als Mutter der Titelfigur. 2009 war sie in dem Episodenfilm „Eines Tages…“ als Ehefrau eines Demenzkranken besetzt. „ Ich habe nicht den Depressionsehrgeiz von Leuten, die daran verzweifeln, dass sie nicht mehr gebraucht werden“, erklärt sie. Sich anbieten, Klinken putzen, das hat sie nach der Wende nicht gemacht und dazu hat sie jetzt, mit 80, erst recht keine Lust. Auch wenn sie ihre Autobiografie untertitelt hat „Erinnerungen an ein unvollkommenes Leben“ ist es im Rückblick besehen erfüllt gewesen. „Ich habe kein Recht zu jammern, wenn ich keine Filmrolle mehr bekomme. Ich hatte alles.“

Durchgefallen und doch genommen

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Als Frederike mit Peter Sodann als Kommissar Ehrlicher im „Tatort“ ©mdr/Spitz

Dieses „alles“ begann 1955, als DEFA-Regisseur Gerhard Klein ihr die Rolle der Uschi in seinem Ost-West-Liebesfilm „Eine Berliner Romanze“ gab. Da hatte die 17-jährige Gebrauchswerberin Annekathrin Rammelt – unter dem Namen steht sie im Geburtsregister von Berlin-Charlottenburg – ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden, bereits begraben. Sie war bei der Bewerbung an der Schauspielschule „Ernst Busch“ aufs nächste Jahr vertröstet worden. „Mein lieber Vater wollte mir helfen und gab mir eine Annonce. Die DEFA suchte ein waschechtes Berliner Mädchen, 16 bis 19 Jahre alt.“

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Annekathrin mit 17 als Bühnenbild-Assistentin im Theater Bernburg ©privat

Waschecht war sie, aber mit anhaltinischem Dialekt. Der Wehrmachtsgefreite Heinz Rammelt war im April 1945 von seinem Standort in Rathenow desertiert und mit seiner schwangeren Frau Anne und der kleinen Kathrin vor der heranrückenden Roten Armee in Richtung Elbe geflohen. „Wir sind in Sachsen-Anhalt kleben geblieben, ich bin da zur Schule gegangen, habe dann bei der HO eine Lehre als Gebrauchswerberin gemacht und war ein Jahr Bühnenbild-Assistentin und Requisiteurin im Theater Bernburg.“ Der Dialekt färbte über die Jahre ab. In Berlin hatte sie ohnehin nur ihre ersten vier Lebensjahre verbracht. Der Vater musste an die Front. Annekathrins leibliche Mutter Gerda, eine Tänzerin, gab das Kind in ein Heim in Thüringen. „1943 ließ sie mich dann in ein Jugendheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in Brünn bringen. Mein Vater hätte das nie zugelassen. Meine Mutter war aber inzwischen mit einem nationalsozialistisch gesinnten Komponisten liiert. Sie ließ sich von meinem Vater scheiden“, erzählt die Tochter. Es gab nur noch einmal eine Begegnung zwischen Annekathrin und ihrer Mutter Gerda. „Da war ich 18“, erinnert sich die Tochter. In Rathenow lernte Heinz Rammelt eine neue Frau kennen. Sie heirateten 1944. Heinz Rammelt forderte das Sorgerecht für seine Tochter ein, seine Frau Anne wurde ihre neue Mutter. Annekathrin bekam noch zwei Brüder, Hans-Jörg und Olaf, die in Dessau leben. AK-Schauspielerin-Annekathrin-Buerger-in-Kamera-blickend

Jahre später, 1955, wartete sie in Babelsberg mit hunderten anderen Mädchen auf die Probaufnahmen und wurde aussortiert, ehe sie den Regisseur Gerhard Klein zu Gesicht bekam. Aber es war noch lange nicht aller Tage Abend. Im Sommer mimte Annekathrin auf Rügen für den Naturfilm „Gebirge und Meer“ eine Pionierleiterin. Klein hatte seine Uschi immer noch nicht gefunden und suchte sie nun gerade dort, wo Annekathrin drehte. Es ist das berühmte Quäntchen Glück, das sie hatte. Ihr Kameramann kannte den Regie-Assistenten, der sie in Babelsberg aussortiert hatte. Es war Heiner Carow, der später den Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ gedreht hat. Annekathrin erinnert sich: „Ich entsprach überhaupt nicht Kleins Vorstellung, ich war ihm viel zu dick. Aber irgendwas muss es gewesen sein, dass er mich trotzdem genommen hat.“ Klein war kein Feinfühliger. Jeden Tag beim Essen hat er seiner Hauptdarstellerin jeden Bissen in den Mund gezählt und Stopp gesagt. Dass sie  krank werden könnte, kam ihm nicht in den Sinn, als er die Abschlussszene auf dem Jahrmarkt im Winter drehte. „Ich stand da in meinem dünnen Kleid, barfuß in Sandalen bei Minusgraden und musste Sommergefühle zeigen.“ Die Folgen blieben nicht aus.

Thein – Rammelt – Pape?

a_burgerFür Gerhard Klein war die gebürtige Berlinerin aus Bernburg eine Notbesetzung. Aber wie das manchmal so ist. Er drehte mit ihr einen der gelungensten DEFA-Filme. Mit ihrer Unbekümmertheit, Frische und Natürlichkeit bescherte das Mädchen mit dem Babyspeck dem Film einen Riesenerfolg. Allerdings blieben ihre ersten Fotos in den Zeitungen namenlos. Klein hatte ein Problem mit ihrem Familiennamen: Rammelt. Die Werbeplakate würden zur Lachnummer, wenn über den Fotos der Hauptdarsteller stünde: Thein – Rammelt – Pape. Sie sollte sich einen anderen Namen suchen. „Mir fiel nur Bürger ein, so hieß meine Großmutter Käthe. Und da sie Malerin war, also Künstlerin, passt das, dachte ich mir.“

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Fünf Jahre waren Annekathrin Bürger und Ulrich Thein ein Paar. Hier mit dem Esel Charlie, den er von Dreharbeiten zu „Fünf Patronenhülsen“ aus Bulgarien mitbrachte ©privat

2006 lief „Eine Berliner Romanze“ auf der Berlinale in der Retrospektive „Traumfrauen. Stars der fünfziger Jahre“. Annekathrin Bürger neben Doris Day, Elizabeth Taylor, Marina Vlady… Was für ein Gefühl! Sie lacht: „Ich hatte allen Grund, mich zu freuen. Aber was dachte ich: O Gott, was ziehe ich an? Wie soll ich denn da, 1,55 Meter groß, in keine gängige Konfektionsgröße passend, gegen Designerkleider halten, in denen die Stars und Nichtstars in diesen Zeiten stecken?“ Sie sah’s dann nüchtern: „Es geht um dich, deinen ersten Film, nicht um dein Kleid.“

Mit Gerhard Klein hat sie nie wieder gedreht. „Ich weiß nicht, warum er mich nicht mehr wollte“, sagt sie heute. Die Dreharbeiten hatten sie für ein Schauspielstudium qualifiziert, das sie an der Filmhochschule Babelsberg absolvierte. Die Dreherei lief nebenher weiter. Spur in der Nacht“, „Tilmann Riemenschneider, Verwirrung der Liebe“… Annekathrin Bürger war auf dem Weg zum Filmstar, der aber auch die Mühen der Ebenen zu bewältigen hatte. Sie büffelte, um Studium, Examen und Dreharbeiten mit  ihrem Privatleben unter einen Hut zu kriegen. Denn der Junge aus der „Romanze“ und das Mädchen haben die gespielte Filmliebe mit ins Leben genommen. Ulrich Thein und Annekathrin Bürger waren ein verlobtes Paar, bis er sie im Februar 1961 für die tschechische Schauspielerin Jana Brechová verließ. Einen Tag, bevor Annekathrin zur Premiere ihres Films „Fünf Tage – fünf Nächte“, der ersten deutsch-sowjetischen Koproduktion, nach Moskau flog.

Die Liebe und der Ananas-Fresser

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Annekathrin Bürger und Rolf Römer 1968 in „Mit mir nicht, Madam!“ ©DEFA-Stiftung

Als sie damals zurückkam, brauchte sie jemanden zum Reden. Ihr fiel sofort Rolf Römer ein, der sie schon an der Filmhochschule mit seiner Klugheit, seinem Durchblick und seiner Lebensweisheit beeindruckt hatte. Er kam ein Studienjahr später und irritierte sie zunächst. Spillerig, hager wie ein Specht – das war übrigens sein Geburtsname – aber mit einem ungeheuren Selbstbewusstsein ausgestattet. „Er fraß eine Büchse Ananas, als ich ihn zum ersten Mal sah“, erzählte sie in einem unserer früheren Interviews. Das hat sich eingeprägt. Aber er hatte etwas, das ihr gefiel. Er war ruppig, zärtlich, verletzlich, ehrlich. „Rolf provozierte mit seiner klaren Sicht auf die Dinge, mit seiner Direktheit. Er verbog sich nicht, was ihn immer politisch anecken ließ. Am Theater in Senftenberg, als er sich weigerte, sich von Heiner Müller Stück ,Die Umsiedlerin‘ zu distanzieren, wurde der Genosse Römer postwendend aus der SED ausgeschlossen“, beschreibt sie ihren Mann. Sie wusste damals, er mag sie. Nein, er liebte sie. Sie mochte ihn. Aus ihrem Mögen wurde Liebe. Sie wollte nur noch ihn. 1966 heirateten sie.  Er schrieb ihr mit „He, Du!“, Mit mir nicht, Madam! und „Hostess“ drei ihrer schönsten Filme.

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Annekathrin Bürger als Magdalena 1962 in „Königskinder“ ©DEFA-Stiftung /Pathenheimer

Das Jahr 1961 ist für das Leben von Annekathrin Bürger von besonderer Bedeutung. Frank Beyer hatte gerade mit ihr und Armin Mueller-Stahl die Dreharbeiten für „Königskinder“ begonnen, als es in Berlin politisch heiß wurde. Am 13.August teilte plötzlich eine Mauer die Stadt. Die DDR machte ihre Grenzen zum Westen dicht. „Das war ein Schock für uns“, erinnert sich Annekathrin Bürger. Das Leben wurde halbiert. Kein Kinobesuch mehr drüben, keine der großen amerikanischen und französischen Filme mehr sehen können. Nich zu reden von der Kosmetik, die sie nun nicht mehr kaufen konnten. Für Schauspielerinnen das A und O. Mit Rolf Römer diskutierte sie das Für und Wider der nun undurchlässigen Grenze. Mit nachhaltiger Wirkung. Der angehende Filmstar sieht über den Tellerrand ihrer Karriere hinaus und setzte sich von da an auch politisch auseinander, mischte sich in die Kulturpolitik ein, arbeitete im Rat für Kultur beim Minister für Kultur.

Erich Honecker sagte: „Bleibt wie ihr seid!“

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Annekathrin Bürger singt am 4. November 1989 auf dem Alex

Der Name Annekathrin Bürger hatte inzwischen Gewicht. Sie rettete 1975 Charlotte von Mahldorfs Gründerzeitmuseum. In einem persönlichen Gespräch wollte sie 1976 den Kulturminister über den ideellen Schaden aufklären, den die Ausbürgerung von Wolf Biermann nach sich zog. „Kaum jemand kannte ihn vorher. Durch diese Aktion bekam er eine unverdiente Popularität. Das war eine politische Dummheit“, sagt sie heute. Erreicht hatte sie damals nichts, der Minister war zum vereinbarten Termin außer Haus. Biermann blieb bis zur Wende draußen und viele andere Kulturschaffende sind auch gegangen. „Die ideologische Gängelei, die Repressalien wurden danach heftiger, bis zur Unerträglichkeit. Film, Literatur, Bildende Kunst litten darunter. Das durfte so nicht bleiben“, erklärt sie. Das Schauspielerehepaar Römer/Bürger schrieb sich in einem seitenlangen Brief von der Seele, was sich seit 1961 angestaut hatte, und trug dies in einem persönlichen Gespräch am 29. April 1977 Erich Honecker vor. Der Generalsekretär des ZK der SED hörte mit zustimmender Freundlichkeit zu. „Als wir nach einer Dreiviertelstunde gingen, sagte er zu uns: ,Bleibt, wie ihr seid!’ Wir haben viele guten Leute verloren.“

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Annekathrin als Klärchen 1963 bei der Probe für „Egmont“ mit Ottmar Richter, Regisseur Klaus Gendries (M) und Rolf Römer in Senftenberg @FMP/Kastler

Für Annekathrin Bürger und Rolf Römer stand die Frage nie, ob sie die DDR verlassen. Es war ihr Land, zu dem sie standen, zu der sozialistischen Idee, deren Umsetzung sich in der Realität als Utopie erwies . „Wir hätten viele Gelegenheiten gehabt, nicht wieder in die DDR zurückzukehren, bei Dreharbeiten im Ausland, bei Theater-Gastspielen, den DDR-Filmwochen in Frankreich oder unserem Urlaub in Italien. Aber das war nicht in unserem Sinne, nicht im Sinne unserer Eltern, die wir ohnehin nie verlassen hätten. Warum auch. Ich habe Fellini kennengelernt, und es wäre leicht gewesen zu sagen: Ich bleibe. Aus heutiger Sicht war man vielleicht blöd, das nicht zu tun. Aber uns erschien es damals unsinnig, ohne Freunde und Familie in ein fremdes Land zu gehen. Wir hatten ja alles.“ 

Ein Land geht verloren und eine gute Idee

Am 4. November 1989 passierte der Umbruch, der Versuch einer Reformation des realen Sozialismus. Auf dem Alexanderplatz in Berlin demonstrierten 500 000 gutwillige DDR-Bürger für eine Veränderung des doktrinären Systems. Annekathrin Bürger sang das Lied eines politischen Häftlings an Stalin und widmete es dem Schriftsteller Walter Janka. Sie war eine der Initiatoren des Begehrens für eine reformierte DDR, das von den Schauspielern, den künstlerischen Mitarbeitern der Volksbühne ausging, dem die anderen Theater folgten. „Wir standen auf dem Alex und wollten etwas anderes als das, was dann mit der Vereinigung passierte.“

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1990 in „Der Rest, der bleibt“ mit Alexander Höchst ©Gudrun Hensling

In dem Jahr, 1989, bekommt Regisseur Bodo Fürneisen endlich die Zusage des DFF, seinen Film „Der Rest, der bleibt“ zu drehen, den er bereits 1983 für Annekathrin Bürger geschrieben hat und realisiert ihn 1990. Sie spielt eine Chansonsängerin Ende Vierzig, die sich mit ihrem Mann nichts mehr zu sagen hat und eine Liaison mit einem 20 Jahre jüngeren Mann beginnt. „Sechsmal wurde das Buch vom DDR-Fernsehen abgelehnt, weil die Beziehung einer älteren Frau zu einem jüngeren Mann unmoralisch sei, die Menschen würden dagegen protestieren. Umgekehrt ginge, das kenne man ja. Was für eine Heuchelei!“, regt sie sich jetzt noch auf. Ihr bedeutet der Film viel, für den auch sie so bei der Fernsehintendanz gekämpft hat. „Er ist zwar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden, aber die Menschen haben ihn leider nicht wirklich wahrgenommen worden“, bedauert sie.

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Mit Stefan Lisewski 1958 in „Verwirrung der Liebe“.  Annekathrin Bürger wird immer beliebter beim DDR-Publikum ©DEFA-Stiftung

Die TV-Premiere des Films „Der Rest, der bleibt“ am 12. September 1991 fiel in eine Zeit, als die Menschen im Osten mit anderen Dingen beschäftigt waren. Sie mussten die neue Situation verdauen und sehen, wie sie ihre Existenz als Neubürger der BRD sichern. „Da waren viele schwarze Löcher zu überwinden, erinnert sich die Schauspielerin, die sich wieder nicht herausgehalten hat aus der Politik, als Vorsitzende der Nationalen Bürgerbewegung aktiv war und das Wort Solidarität praktizierte. Mit ihrem Mann Rolf Römer sammelte sie Hilfsgüter für  Waisenkinder in dem russischen Städtchen Rasswjet. Mit Gleichgesinnten gründeten sie 1993 den Verein „Waisenkinder am Don“ e.V.

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Das frisch verheiratete Ehepaar 1966 in Dresden ©privat

„Es war uns ein Bedürfnis, zu helfen, als wir von der Not und dem Engagement des Ehepaares Sorokin für die Kinder erfuhren. Ich habe die Organisation der Spendensammlung, die Koordination der Transporte nach Rolfs Tod noch zwei Jahre weitergeführt, bin nach Rasswjet gefahren. Dann habe ich das nicht mehr geschafft.“ Manchmal hat sie heute ein schlechtes Gewissen, sich nicht im Ehrenamt für die armen Kinder hierzulande zu engagieren. Aber dann fragt sie sich, was tut eigentlich die Regierung unseres reichen Landes für die Rechte der Kinder auf Bildung, soziale Sicherheit? „Das, was sie am besten kann: reden, Blasen schlagen.“

Seit dem Tod ihres Mannes lebt Annekathrin Bürger allein. Manchmal nervt sie das. Aber sie hat ihre Freundin, die Familie. Sie schreibt Gedichte und ist mit ihren musikalischen Lesungen „Weisheiten der Liebe“, „Erotische Geschichten aus Boccaccios Decamerone“ und ihrem Lyrik- und Chansonprogramm Liebe ist das schönste Gift“ unterwegs.

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Mit dem Gedichtbuch „Weisheiten der Liebe“, das sie zusammen mit ihrer Schwägerin Christine Hadelich-Rammelt geschrieben hat ©Michael Handelmann

Ihr Publikum hat sie noch nie vor leeren Sälen auftreten lassen. Ihre Wünsche für den Rest, der bleibt: „Ich hätte gern Figuren gehabt, die aus sich herausgehen, wo es knirscht, wie sie Jutta Hoffmann spielen durfte. Vielleicht kommt ja so eine Altersrolle mit Abgründen oder Konflikten noch.“ Es ist noch nicht aller Tage Abend.

Ehrung für Rolf Hoppe

Weißig. Auszeichnungen sind Rolf Hoppe nicht wichtig. Aber wenn sie denn kommen, steht doch ein Leuchten in seinen Augen. Ein ganz besonderer Moment war für den großartigen und beliebten Schauspieler seine Ernennung zum ordentlichen Ehrenmitglied der Europäischen Kulturwerkstatt Berlin-Wien, der internationalen Gesellschaft zur Förderung von Musik, Theater und Kunst, am 16. September.

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Schauspieler und Prinzipal Rolf Hoppe im Foyer seines Hoftheaters

Bewegt stand er auf der Bühne seines kleinen Hoftheaters in Dresden-Weißig und nahm die Urkunde aus den Händen des EKW-Präsidenten, Kammersänger Heiko Reissig, entgegen. „Getreu seinem Motto: Das Gute im Bösen sichtbar machen und das Böse im Guten, ist Rolf Hoppe ein unverrückbarer Garant für höchste Darstellungskunst im wahrsten Sinne des Wortes, ein Garant für packende Unterhaltung, für sprachliche Nuancen und Raffinessen, für ironisch feinen Witz oder derben Humor“, heißt es in der Laudatio. Ja, für all das liebt und verehrt ihn sein zahlreiches wie treues Publikum. Rolf Hoppe ist in seinem langen und ausgefüllten Künstlerleben zu einem wahrhaftigen Volksschauspieler avanciert. Die Reaktion des Geehrten ist typisch für ihn, den Harzer Jungen, einem Kriegskind, das den Wunsch hatte, den Leuten Freude zu bringen und bis jetzt danach lebt. „Dass Menschen an einen denken, denen man mit seiner Arbeit Freude gebracht hat, ist das eine. Aber dass meine Arbeit so hoch geschätzt wird, macht mich alten Mann glücklich. Man wird ja schnell vergessen, wenn man nicht mehr so dabei ist. Ich habe immer für die Menschen gespielt und möchte immer noch in ihre ernsten Gesichter ein Lächeln zaubern. Darum habe ich mir die Kindheit in die Tasche gestopft und hole sie heraus, wann immer mir danach ist“, sagt er. Und lacht.

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September 2016. Kammersänger Heiko Reissig, ehrenamtlicher Präsident der Europäischen Kulturwerkstatt Berlin-Wien, überreicht Rolf Hoppe (neben ihm Tochter Josephine) die Urkunde für die Ehrenmitgliedschaft. Foto: EKW-Archiv

Für den 85-Jährigen gibt es immer noch etwas zu tun. Nicht nur in seinem Garten, den er hegt und pflegt und sich daran erfreut. Manchmal steht der Prinzipal auf der Bühne seines Hoftheaters, hin und wieder ruft der Film. Vor ein paar Tagen stand für er den neuen „Spreewaldkrimi: Die Rückkehr des Schlangenkönigs“ vor der Kamera. Tochter Christine, eine der wichtigsten Schauspielerinnen Dresdens, hat ihn begleitet. „Wir haben in einem Hotel in Burg gedreht. Es ist die Fortsetzung der ,tödlichen Legende‘, in der ich wieder den verwirrten alten Mann spiele. Es war nur ein Tag, aber ich merke inzwischen die Anstrengungen“, erzählt Rolf Hoppe. Nach über 60 Jahren eines prallen Arbeitslebens, das ihn auch in hohem Alter noch in die weite Welt geführt hat – bis nach Australien – braucht sein Akku mehr Zeit zum Aufladen. „Ich schlafe viel. Doch Kopf und Körper müssen immer noch etwas zu tun haben, sonst ist bald Schluss“, sagt er und hat sein schelmisches Lächeln im Gesicht – wie immer, wenn wir mit einander reden.

 

Rolf Hoppe – Der Mann mit den vielen Gesichtern

Er ist einer der bedeutendsten deutschen Schauspieler und für mich ein ganz besonderer Mensch. In wenigen Tagen, genauer, am 6. Dezember, feiert Rolf Hoppe seinen 85. Geburtstag. Die Geschichten über sein Leben hat er in zwei Büchern erzählt – und einiges davon mir, seit wir uns  1997 für ein Porträt kennengelernt haben. Seitdem telefonieren wir so zwei-, dreimal im Jahr oder auch öfter. Es sind stets vergnügliche Plaudereien, bei denen hin und wieder eine Verabredung herauskommt. Wie im Mai, weil man sich gern wieder sieht.

Mein Hausbesuch bei diesem Mimen – bei ihm ist diese Formulierung nicht zu hoch gegriffen – führte zu einer ganz besonderen Titelgeschichte in der SUPERillu (Heft 23/15). Denn zum ersten Mal war seine Frau Friederike dabei. Zur großen Freude ihres Mannes. Nachdem sie sich aber zunächst wie immer konsequent geweigert hatte, „in einem Artikel zu erscheinen“. Sie habe da nichts verloren. Punkt. Wohl aber doch, so sieht das Rolf Hoppe. Doch dazu später noch mehr.

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Rolf Hoppe war 62, als er sich seinen Traum von einem kanadischen Blockhaus erfüllte© Bärbel Beuchler

Kurz nach meinem Besuch in seinem Domizil in Weißig war Rolf Hoppe mit dem Deutschen Schauspielerpreis geehrt worden. Nicht für eine Rolle, sondern für sein Lebenswerk, für  60 Jahre darstellerisches Schaffen. Weit über 400 Rollen prägte er auf der Bühne, vor der Kamera oder in Hörspielen, jede eine Zäsur.

Schauspieler Rolf Hoppe
Das Porträt von Rolf Hoppe fotografierte York Maecke

Der Deutsche Schauspielerpreis wurde 2012 ins Leben gerufen. Eine Anerkennung von Schauspielern für Schauspieler. Im letzten Jahr wurde Senta Berger mit diesem Preis geehrt, die beiden Jahre zuvor Götz George und Katharina Thalbach. Rolf Hoppe empfindet es als große Ehre, ihn bekommen zu haben. „Du kennst mich ja. Ich bin in solchen Sachen ein Fluchttier, wie meine Frau. Aber da bin ich hingegangen, weil ich mich sehr gefreut habe über diese Anerkennung. Dass Menschen an einen denken, denen man mit seiner Arbeit Freude gebracht hat, ist das eine. Aber dass es Kollegen sind, die meine Arbeit würdigen, macht mich froh. Man wird ja schnell vergessen, wenn man alt und nicht mehr so präsent ist.“ Eine bittere Wahrheit für viele andere, nicht für den Mimen mit dem weißen Bart, der so gern lacht und Späße beim Gespräch macht. Der sich vor fast 70 Jahren die Kindheit  in die Tasche gesteckt hat.

Schauspieler Rolf Hoppe
Interview mit dem Schauspieler in seinem Refugium. Hier bewahrt er Erinnerungen an seine Kindheit als Bäckerlehrling in seinem Heimatort Ellrich und seine Filmrollen auf  ©Yoerk Maecke

Nicht mehr präsent! Davon kann bei ihm  wirklich nicht die Rede sein. Erst im Sommer stand er für den Kinofilm „Die Blumen von gestern“ vor der Kamera. Hoppe spielt einen Historiker, dessen Spezialgebiet der Holocaust ist. Im letzten Jahr hat er in Irland für den ZDF-Zweiteiler „Pfeiler der Macht“  gedreht und davor den Fernsehfilm „Ohne dich“. Es sind inzwischen die Rollen der Alten, Weisen, Intellektuellen, Juden, Familienoberhäupter mit geheimnisvollen Punkten im Leben, die den fast 85-Jährigen noch ein-, zweimal im Jahr vor die Kamera locken. „Es ist alles nicht mehr so ideal. Das ganze Drumherum bis ich vor der Kamera stehe ist anstrengender geworden“, sagt er. „Aber es ist schön, dass man mich Alten noch will.“ Inzwischen begleitet Enkel Oscar seinen Großvater bei den Produktionen. „Dann bin ich nicht so allein und habe jemanden, der weiß, wann ich wo sein muss.“

Frau Hoppe schaut zu, wie York Maecke ihren Mann fotografiert
Frau Hoppe schaut zu, wie York Maecke ihren Mann fotografiert

Schauspieler mit der Gabe eines Rolf Hoppe sind selten. Regisseur István Szabó, in dessen Film „Mephisto“ er als Nazi-General Göring 1981 international berühmt wurde – trotzdem mag er die Rolle nicht besonders – sagte über ihn: „Er ist der Mann fürs Ambivalente. Hoppe kann mächtig und zugleich zerbrechlich wirken. Das Böse verbirgt sich bei ihm hinter verführerischer Leutseligkeit, scheinbar Gutem. Das Heuchlerische und Intrigante, das Doppelbödige hinter Liebenswürdigkeit, scheinbarer Ehrlichkeit.“

Zärtlich drückt Rolf Hoppe seien Frau an sich. Seit 55 Jahren sind sie zusammen
Zärtlich drückt Rolf Hoppe seine Friederike an sich. Seit 55 Jahren sind sie zusammen © York Maecke

Hoppe hat einen klaren Anspruch an den Beruf. Für ihn bedeutet Schauspieler zu sein, Geschichten erzählen, Menschen in ihrem Widerspruch zeigen. „Wenn einer dumm wirkt, muss er einen hellen Geist haben. Wenn einer dick ist, muss er agil sein“. Populärstes Paradebeispiel ist der Indianerhasser Bashan im DEFA-Film „Spur des Falken“, in dem der schwergewichtige Hoppe mit seiner Wendigkeit beim Reiten selbst Gojko Mitic verblüffte. Die hohe Kunst des Schauspielers zeigte sich in seiner Rolle als Präfekt in „Mario und der Zauberer“ unter der Regie von Klaus Maria Brandauer. Dessen Worte: „Dieser  Hoppe ist genial. Er beherrscht die Szene ohne etwas zu sagen. Nur mit seinen Blicken, seinen Gesten.“  Seine Körpersprache, seine Mimik und vor allem seine Stimme mit den unendlich vielen Modulationen sind Hoppes Kapital, in dem das Geheimnis seines Erfolgs liegt.

Rolf Hoppe will mit seinem Spiel aufklären, nicht dogmatisch, sondern auf eine unterhaltende Weise, die zugleich den Ernst erkennen lässt. Er macht das auf so wunderbare Weise, dass selbst die Kinder es verstehen. Für sie hat er besonders gern gedreht. Zu seinen liebsten Rollen gehören für ihn der verschlagene und der gute König in dem Kinderfilm „Lorenz im Land der Lügner“ und der wundersame Schneider „Meister Röckle“.

Die Skulptur ist das Geschenk eines Bildhauers
Die Skulptur ist das Geschenk eines Bildhauers. Irgendwie hat sie Ähnlichkeit mit Hoppe © Bärbel Beuchler

Der Dresdner Filmkritiker Karl Knietzsch fand in einem Gespräch mit Hoppe für die DDR-Kinozeitschrift „Filmspiegel“ ein treffsicheres Bild. „Rolf, wenn du’n Pferd geworden wärst (Hoppe mag Pferde), dann außen ‘n Kaltblüter, aber innen todsicher ‘n Vollblut!“ Diese besondere Fähigkeit ist es, die diesen leisen, fast schüchtern wirkenden Mann so besonders und für Regisseure immer wieder anziehend macht. „Ich suche in einer Figur das, was sie menschlich macht. Frage, wovon versteht sie was, wovor hat sie Angst. Egal, wie groß oder klein eine Rolle ist. Bei den kleinen ist am schwersten, macht aber am meisten Spaß“, erzählt er mir. Das ist sein Credo.

Hoppe ist ein Weltstar, auch wenn er sich als solchen nicht empfindet. Er ist nicht der Typ, der nach vorn prescht ins Rampen- oder Scheinwerferlicht. Keiner, der immer das Sagen haben will. Mit solchen Leuten kommt er schwer zurecht. „Wenn ich merke, da hat einer das Bedürfnis an der Spitze zu sein, bin ich ganz still und lasse ihn. Henry Hübchen ist so einer – über den darf ich das sagen, der weiß es.“ Sie haben zusammen für die Krimi-Reihe „Commissario Laurenti“ in Triest gedreht. Hübchen in der Titelrolle, Hoppe spielte den alten Doktor Galvano. Eine Rolle, wie für ihn gemacht.  Und er genoss es, durch die Straßen der geschichtsträchtigen norditalienischen Hafenstadt an der Grenz zu Slowenien und Österreich zu spazieren.

Triest Italien
Im Juni 2007 besuchte ich Rolf Hoppe bei den Dreharbeiten für die ARD-Reihe „Commissario Laurenti in Triest © York Maecke

Rolf Hoppe, der am Nikolaustag 1930 im Harzstädtchen Ellrich das Licht erblickte, hat nie etwas anderes gewollt, als Schauspieler zu sein. Seit er als Kind ein Puppentheater geschenkt bekam und den Spaß am Spielen, Verwandeln entdeckte. Und – dass man den Menschen damit, wenn auch nur für kurze Zeit, ein Lachen geben kann. Der Krieg hatte es den Menschen genommen. Diesem Traum ist er nachgegangen. So intensiv, dass er 1950 im Märchenstück „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ mit Fieber auftritt und nach mehreren Vorstellungen die Stimme verliert. „ Lähmung der Stimmlippen, weil ich mich überschrien hatte. Ich wusste nicht damit umzugehen. Das war die schlimmste Zeit, die ich erlebt habe.“

Die Bühne war passé, aber er gab nicht auf, arbeitete als Tierpfleger im Zirkus Aeros, und fand in Halle einen Professor für Logopädie. Er lernte wieder sprechen. Statt  Zigaretten zu rauchen, empfahl ihm Prof. Wizzak, es mit der Pfeife zu probieren, die schade der Stimme nicht. „Ich war baff“, sagt Hoppe. Die Pfeife wurde ihm zum unabkömmlichen Requisit.

Wie eine kleine Robbe sieht der schwarze Stein aus.  Von allen Drehorten brachte sich der Schauspieler Steine mit
Wie eine kleine Robbe sieht der schwarze Stein aus. Jeder Stein ist ein Mitbringsel von den Drehorten – Erinnerungen an den Kaukasus, China, Amerika, die Mongolei, Rumänien… er wollte und hat die Welt gesehen ©Bärbel Beuchler

1946 stand er zum ersten Mal auf einer Bühne, in der Titelrolle von  Friedrich Wolfs Stück „Prof. Mamlock“ im Laientheater in Ellrich. Es wurde für ihn ein Riesenerfolg. Sein erster. Von da an stand für ihn fest, dass er die Schauspielerei ernsthaft, als Beruf, betreiben will. Nach zwei Ablehnungen für eine Schauspielausbildung in Weimar und Halle studierte er 1949/50 an der Schauspielschule des Theaters Erfurt. Das ist ein ganz Besessener, der zerrupft sich für eine Rolle – hieß es unter den Studenten. Rolf Hoppe ist ein Perfektionist. Es muss stimmen, was er spielt. So ließ er sich nicht davon abbringen, in der Operette „Feuerwerk“ mit den zur Rolle gehörenden Clownslatschen 2,50 Meter über dem Boden auf einem Drahtseil zu balancieren. Er schaffte das bis zur Generalprobe. Da stürzte er ab und landete mit Prellungen und Platzwunden im Geraer Krankenhaus.

Das war 1960. Ein Aufenthalt mit Folgen. Die drei Jahre jüngere OP-Schwester Friederike fand Gefallen an ihm und er an ihr. Von da an wird sie ihn durchs Leben begleiten, seine Träume mittragen, in denen es auch zwei Kinder gibt. Mit großer Zärtlichkeit erzählt er von seinen Töchtern Josephine und Christine, die in seine Fußstapfen getreten sind. Christine hat die große Präsenz ihres Vaters, wenn sie am Dresdner Staatsschauspiel auf der Bühne steht. „Das Mädel spielt die ganz großen Rollen, mit großer Wirkung.“ In seiner Stimme schwingt unbändiger Stolz mit.

Der Denker hinterm Fenster
Der Denker hinterm Fenster © Bärbel Beuchler

Für Rolf Hoppe waren Träume nie Schäume. Was im Leben nicht ging – und das war wenig, denn sogar der Traum vom eigenen Hof-Theater erfüllte sich 2005 – erspielte er sich. Vor allem in seinen Filmrollen. Da ritt der Pferdenarr in den Indianerfilmen durch den Wilden Westen. Er war Gaukler, Artist, König, Lokführer. Doch das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn ihm seine Frau Friederike nicht den Alltag abgenommen hätte. Dafür hat sie ihren Beruf aufgegeben. „Wir sind seit 55 Jahren zusammen, nie konnte ich sie auch nur zu einem Foto für die Zeitung überreden, dabei gehört sie doch zu meinem Leben. Ohne sie wäre ich manchmal hilflos gewesen“, gesteht er. Es machte ihn traurig.

Frederike Hoppe hat Spaß beim Zugucken
Friederike Hoppe hat Spaß beim Zugucken © Bärbel Beuchler

Dann passierte das große Wunder. Während Fotograf York Maecke nach meinem Gespräch Aufnahmen von Hoppe machte, erzählte mir seine Frau Friederike von ihrem Leben an der Seite des Workaholics. Ja, das war Rolf Hoppe. Um so mehr genoss die Familie die Zeit mit ihm, die Ferien in Ungarn, als Szabó ihn für seinen Film gewinnen wollte. Seine Frau und die beiden Töchter Josephine und Christine begleiteten ihn nach Salzburg, wo er sieben Jahre den Mammon im „Jedermann“ spielte.

Die  kleine, resolute Frau ließ ihn seinen Beruf ausleben, der ihn glücklich macht. „Dass ich Rolf kennenlernte, war die Erfüllung einer unbestimmten Sehnsucht. Ich wollte einen Mann, der einen besonderen Beruf hatte. Aber ich wusste nicht, was für einen.“ Als Rolf wieder gesund war damals, ging sie zu ihm ins Theater und bat ihn, ihr zwei Karten zu besorgen. „Ich war hin und weg von seiner Eleganz und habe mich in ihn verliebt.“ Es war eine glückliche Fügung. Zum Abschied unseres Besuches fragte mich Rolf Hoppe noch: „Wie hast du das nur angestellt, dass sie dir so viel erzählt. Sie weiß doch, dass du Journalistin bist. Und dass sie sich auch noch fotografieren ließ! Ich bin so glücklich darüber.“

Das muss man nicht kommentieren.

PS: Wer Lust auf einen Besuch in Rolf Hoppes Hof-Theater hat, hier findet er Spielplan und Adresse.

http://www.hoftheater-dresden.com

TV Sendetermine:

′ OHNE DICH | Regie Alexandre Powelz
25.11.2015 | 20:15 Uhr |ARTE

ROLF HOPPE
Portrait zum 85. Geburtstag
06.12.2015 | 12:40 Uhr | MDR

DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL | Regie Václav Vorlíček
29.11.2015 | 12:00 Uhr | KiKa
06.12.2015 | 14:20 Uhr | WDR

MEPHISTO | Regie István Szabó
07.12.2015 | 23:40 Uhr | MDR