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Annekathrin Bürger über „Die Anfängerin“, Kindheit und Familiebande

Ein kleiner Kinofilm macht gerade von sich reden. „Die Anfängerin“ – das Spielfilmdebüt der Fotografin Alexandra Sell als Regisseurin. Fasziniert vom Eiskunstlauf und inspiriert durch Interviews mit der ehemaligen DDR-Eiskunstläuferin Christine Stüber-Errath, schrieb die Hamburgerin eine berührende Dreiecks-Geschichte.

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Von ihrer unbarmherzigen Mutter Irene – mit feiner Ironie verkörpert von Annekathrin Bürger – ihres Kindheitstraumes beraubt, ist die Ärztin Annebärbel (Ulrike Krumbiegel) in ihrem Leben erstarrt. Ohne Mitgefühl für Ihre Patienten, ohne Liebe für ihren Mann, nicht einmal für sich selbst. Als ihr Mann sie verlässt, bricht ihr sorgsam errichtetes Kartenhaus zusammen. Sie begreift, dass sie sich vom Einfluss ihrer Mutter befreien muss, um endlich ein eigenes Leben führen zu können. Beim nächtlichen Bereitschaftsdienst an der Eishalle des Olympiastützpunkts erinnert sich Annebärbel ihrer Kindheit, wie sie als Achtjährige Eistanz übte. Nicht gut genug für ihre perfektionistische Mutter. Deren Bewunderung gehört der kleinen Eisläuferin Christine Errath. Annebärbel ist 58, als sie die Schlittschuhe wieder anzieht, um sich ihren Kindertraum zu erfüllen. Dabei kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Christine Stüber-Errath.

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Szenenfoto: Weltmeisterin Christine Stüber-Errath ging für den Film „Die Anfängerin“ zum ersten Mal wieder aufs Eis

Der Film bringt zwei DDR-Legenden ins Rampenlicht zurück. Eiskunstlauf-Weltmeisterin Christine Stüber-Errath drehte für Die Anfängerin“ nach 40 Jahren zum ersten Mal wieder ihre berühmten Pirouetten auf dem Eis. Schauspielerin Annekathrin Bürger ist seit ihrer letzten Kinohauptrolle im DEFA-Film „Hostess“ wieder in einer großen Rolle auf der Leinwand zu sehen. Seit drei Wochen sind die beiden Protagonisten auf Kinotour durch Städte in Ost und West.

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Szenenfoto: DEFA-Star Annekathirin Bürger als Dr. Irene Hanschke in Alexandra Sells Kinofilm „Die Anfängerin“

Die Anstrengung nimmt die 80-jährige Annekathrin Bürger gern auf sich. Wo immer „Die Anfängerin gezeigt wird, ist das Publikum begeistert. „Die Kinos im Osten sind immer ausverkauft. Im Westen sind Schauspieler aus dem Osten, sprich der ehemaligen DDR, auch 27 Jahre nach der Vereinigung der beiden Staaten weitgehend unbekannt. Aber es gab auch in Essen, Düsseldorf, Köln Eiskunstlauf-Fans, die Weltmeisterin Christine Stüber-Errath zwar nicht kannten, aber neugierig waren“, erzählt mir Annekathrin Bürger von unterwegs am Telefon.

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1976 im DEFA-Film „Hostess“. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung/Dieter Jaeger

Sie sagte immer, sie hätte kein Recht zu jammern, wenn sich keine großen Kinorollen mehr böten. Sie habe ihre Karriere gehabt mit 20 Hauptrollen in DEFA-Spielfilmen und vielen anspruchsvollen Figuren in DDR-Fernsehfilmen. Doch sie hatte das gewisse Quäntchen Glück, das einem manchmal widerfährt, wenn es aussichtslos scheint. Regisseur Hans-Werner Honert, mit dem sie bereits beim DDR-Fernsehen gearbeitet hatte, schrieb ihr für seinen Tatort „Der Fluch des Bernsteinzimmers“ die Rolle der Frederike. „Von da an war ich auf dem Bildschirm vorhanden, mit Nebenrollen in Serien wie ,Die Stein’ oder als Kräuterhexe in ,Mord mit Aussicht’. Eine Rolle, die mir sehr viel Spaß gemacht hat“, erinnert sich Annekathrin Bürger, deren Charisma ihre Figuren prägt.

2013 gehörte sie zu der ausgesuchten Besetzung der Bewohner eines Seniorenheims in der Kinokomödie „Sein letztes Rennen“. Der Erfolg des Films zog für die Schauspielerin ein Angebot nach, an das sie kaum mehr geglaubt hatte. Auf der Premierenfeier bot ihr Alexandra Sell an, ihr eine Rolle zu schreiben. Beide Frauen kannten sich bis dahin nicht. Annekathrin Bürger: „Ich war skeptisch.“ Doch 2016 hatte sie das Drehbuch für „Die Anfängerin“ auf dem Tisch, mit einer Charakterrolle, wie sie sie sich lange gewünscht hatte. „Es war mir ein großes Vergnügen, diese beherrschende Frau Mutter zu spielen, in deren Leben es keinen Platz für Abweichungen oder Gefühle gab. Die nicht über ihren Schatten springen konnte. Das nicht willkommene Kind musste funktionieren.“

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Privatfotos aus der Kindheit der Schauspielerin

In gewisser Weise musste das Annekathrin Bürger in ihrer Kindheit auch. Die Mutter war Solotänzerin an der Berliner Volksoper. Ihr Vater Heinz Rammelt verdiente als freischaffender Tiermaler und Illustrator sein Geld, manchmal auch abends als Schnellzeichner im „Cabarett der Komiker“. Doch die Bedürfnisse seiner kleinen Tochter lagen ihm immer am Herzen.  Mit großer Fürsorge und Liebe kümmerte er sich um das Kind. Als seine Kati erwachsen war, ihre Biografie schrieb, erzählte er ihr, wie sie ihm beim Wickeln einmal vom Tisch gerollt ist, er sie aber noch an einem Bein erwischte. Sie lebten damals am Ku’damm in Berlin-Charlottenburg. In der Wohnung des Kommunisten Heinz Rammelt trafen sich Schauspieler, Maler, Intellektuelle und diskutierten die Nächte durch. Auch über das, was in Deutschland vor sich ging, seit die dunklen Wolken des Nationalsozialismus aufgezogen waren und Krieg in der Luft lag. Manchmal, wenn sie in ihrem Kinderbettchen wach wurde und auf nackten Füßen zum Wohnzimmer tapste, nahm der Vater sie auf den Arm, und sie durfte dabei sein. „Ich habe ganz früh das Wort Nonkonformisten gelernt“, erinnert sich Annekathrin Bürger.

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Die Schauspielerin und ihr Bruder Olaf Rammelt im Atelier des Malers, der das Zeichentalent seines Vater Heinz Rammelt geerbt hat. Foto © Michael Handelmann

Sie hat mich nach Dessau eingeladen, wohin es Heinz Rammelt und seine Familie nach vielen Umzügen 1950 verschlagen hatte. Der passende Ort, um über Kindheit und Familie zu reden. „Meine Mutter Gerda hat meinen Vater wegen eines anderen Mannes verlassen. Nach der Scheidung erkämpfte er sich das Sorgerecht für mich“, erklärt das älteste Rammelt-Kind. 1944 heiratete der Vater wieder. Seine Frau Anneliese wurde ihre neue Mutter, die sie sehr mochte.

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Annekathrin Bürger mit ihrer Büste als Gräfin Dopf. Foto © Michael Handelmann

Annekathrin Bürger, die sich für ihren ersten Film einen anderen Namen zulegen musste und den der Großmutter annahm, steht auf der Treppe, die zu den Ateliers führt, in denen ihr Bruder Olaf Rammelt den Spuren seines Vaters Heinz Rammelt folgt. Im Rücken Olafs Bild „Traum eines Harlekins“, vor ihr eine Büste, die sie als Gräfin Dopf in der Grandguignolade „Nord“ zeigt. Eine Arbeit ihrer Schwägerin, der Bildhauerin Christine Rammelt-Hadelich. Die gewählte Optik ein Ausdruck ihrer kreativen Familienbande. Rammelt und Hadelich sind im Sächsischen und Anhaltinischen bekannte Künstlerdynastien.

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1980 mit Rolf Herricht im DEFA-Film „Der Baulöwe“. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung

Ich lernte Olaf und Christine Rammelt kennen, als ich mich 2008 mit Annekathrin Bürger für einen SUPERillu-Beitrag in Ahrenshoop auf die Spuren des DEFA-Films „Der Baulöwe“ begab. Seit dem Tod ihres Mannes, des Regisseurs Rolf Römer im März 2000, ist die Bindung der Schauspielerin zu ihrer Dessauer Familie enger geworden. Wir beginnen unser Gespräch mit ihrer Rolle als Dr. Irene Hanschke im aktuellen Kinofilm „Die Anfängerin“ und lassen das offizielle Sie, weil wir nunmehr 22 Jahre befreundet sind.

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Szene mit Annekathrin Bürger als Dr. Irene Hanschke und Ernst-Georg Schwill

Du hast dir immer eine Figur gewünscht hast, die knirscht. War das die Irene Hanschke?
Sie kam dem nahe. Meine bisherigen Rollen waren ja immer sympathische Figuren, was diese Mutter nun gar nicht ist. Kinobesucher, die mich kennen, waren geradezu erschüttert: „Wie können Sie nur so eine kaltherzige Frau spielen!“ Aber ich war glücklich darüber, zu zeigen: So kann ich auch. Als die achtjährige Tochter auf dem Eis versagt, wird sie abgeschrieben. Die Mutter nimmt ihr die Schlittschue weg und kritisiert sie ein Leben lang als unzulänglich. Ich kann es mir nicht vorstellen, aber ich glaube, dass es solche Verhältnisse zwischen Müttern und Töchtern gibt.

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Die Autorin im Gespräch mit der Schauspielerin, ihrem Bruder Olaf und seiner Frau Christine. Foto © Michael Handelmann

Wie schwer fiel es dir, dich da hineinzufühlen?
Es fiel mir nicht schwer. Obwohl ich nicht der Typ bin, der von Ehrgeiz besessen die Ellenbogen breit macht. Es gibt die äußerlichen Kämpfer, die viel beiseite treten, und es gibt die stillen Starken. Die sich nicht unterkriegen lassen, aber sich nicht vorn etwas erkämpfen können. Die warten müssen. So ein Mensch bin ich. Nach langer Zeit kam plötzlich das Glück, dass mir eine Figur wie diese geschrieben wird, die den Film mitbestimmt.

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Annekathrin Bürger mit Stefan Lisewski 1958 bei den Dreharbeiten zu „Verwirrung der Liebe“ an der Ostsee. Foto © Icestorm/DEFA-Stiftung/Neufeld

Du selbst hast keine Kinder.
Zu meinem großen Bedauern. Das ist der Tribut, den ich als junge Frau für meinen Traum zahlen musste. Die Hochzeitsszenen für den DEFA-Film „Verwirrung der Liebe“  haben wir im Winter 1958 gedreht. Das dauerte sehr lange, und ich hatte nur das Hochzeitskleid an. Wohnwagen zum Aufwärmen gab es damals nicht. Anschließend lag ich mit Unterleibsproblemen im Krankenhaus. Und das ging so weiter. Rolf und ich hätten gern einen Sohn oder eine Tochter gehabt. Für mich ist es schön, zu erleben, wie innig Olaf, Christine und meine Nichte Henriette miteinander umgehen.

Ich finde, es gibt Parallelen zwischen deinem Leben und der Filmgeschichte. Deiner Mutter war ihre Karriere als Tänzerin wichtiger als du. Wie hast du das als Kind empfunden, und wie siehst du das jetzt?
Meine Mutter Gerda war eine erstklassige Ballett-Tänzerin. Sie kam aus proletarischen Verhältnissen und finanzierte sich ihr Ballett-Studium bei der berühmten Choreografin Mary Wigman in Leipzig mit Gelegenheitsarbeiten. 1933 gewann sie in Warschau auf einem internationalen Tanzkongress eine Bronzemedaille. Sie hat sich hochgearbeitet und wurde 1941 Solotänzerin an der Volksoper Berlin und war viel auf Tournee. Ihr Ehrgeiz bedeutete nicht, dass sie mich nicht mochte. Sie hatte einfach keine Zeit für mich. Aber es gab Lenchen, unser Dienstmädchen, und ich hatte meinen Vater. Im Grunde zog er mich groß. Und wenn es gar nicht anders ging, wurde ich zu meinen sehr lieben Großeltern nach Leipzig gebracht. Käthe Bürger war eine bekannte Landschaftsmalerin.

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Das Autogrammfoto zeigt die Schauspielerin 1956, als sie ihren ersten Film „Eine Berliner Romanze“ gedreht hat. Foto privat/Bürger

Einen Teil deiner Kindheit hast du in Kinderheimen verbracht.
Als mein Vater zum Kriegsdienst musste, wurde ich zwischen Pflegeeltern und Kinderheimen herumgereicht. Meine Mutter Gerda war mit einem österreichischen Komponisten liiert, und ich war nicht willkommen. Als ich sechs war und zur Schule musste, schickte mich meine Mutter in ein N.S.V- Kinderheim nach Brünn. Ihr neuer Mann hatte dafür gesorgt.

Wie fühlte es sich an, immer weitergereicht zu werden?
Sagen wir mal so: Ich bin ein robuster Typ und habe mich in dieser Zeit daran gewöhnt, alles mit mir allein abzumachen. Ich habe gelernt, die Dinge nüchtern zu betrachten und nicht in erster Linie emotional. Ich finde, ich habe nicht unbedingt Recht dazu, meine Mutter dafür zu hassen. Wenn ich im Kinderheim Kochfisch mit Meerrettichsoße nicht leiden konnte, war das so. Trotzdem habe mich wohlgefühlt. Aber ich wusste mich auch durchzusetzen. Zur Not wurde eben geschwindelt, ein Vergehen auf jemand anderen abgewälzt. Und dass wir „Heil, Hilter“ statt „Guten Morgen “ sagen mussten und das „Deutschlandlied“ sangen, habe ich hingenommen. Anfang 1944 wurde das Heim geschlossen und ich kam zurück nach Berlin. Mein Vater erkämpfte sich das Sorgerecht.

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Heinz Rammelt mit seinem Zeichenheft im Berliner Tierpark

Ihr wart euch sehr nahe?
Ja, er war der wichtigste Mensch für mich. Mein Vater sah mir immer an, wenn mich etwas bedrückt hat. Ihm konnte ich nichts vormachen. Ich war kein einfaches Kind und habe meine liebe Stiefmutter Anne, die für mich immer meine Mutti gewesen ist, manchmal ungewollt mit meinem Dickkopf zum Weinen gebracht. Wenn ich etwas angestellt hatte, gab es Strafpredigten, geduldige Belehrungen, aber nie Dresche. Mein Vater hat mich sehr einfühlsam gelenkt. Auch auf meinen Weg zur Schauspielerin. Er meinte, ich müsse erst einmal hinter die Bühne schauen und verschaffte mir eine Stelle im Theater Bernburg. Er kannte den Direktor – das war Hans-Joachim Preil. Ich hatte ja Gebrauchswerberin gelernt und durfte im Malsaal bei der Bühnendekoration mithelfen. Preil hat mich damals auch als Komparsin auf die Bühne gelassen. Manchmal tut es mir leid, dass ich nicht so viel Zeit mit meinem Vater verbracht habe wie meine Brüder Hans-Jörg und Olaf.

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Die Geschwister sehen sich Olafs Skizzen für das neue Ostseebuch an. Foto © Michael Handelmann

Ihr seid Halbgeschwister.
Ja, aber das spielte nie eine Rolle. Die Jungs wussten es lange nicht. Ich fand das nicht wichtig. Wir waren eine Familie. Ich habe mich um sie gekümmert. Als ich nicht mehr zu Hause lebte, habe ich ihnen geschrieben, sie ermahnt, ihre Hausaufgaben zu machen und die Eltern nicht zu ärgern, wie das eine große Schwester eben so macht.

Es ist nicht immer so, dass sich Geschwister noch als Erwachsene verstehen. Zwischen euch liegen 17 Jahre Altersunterschied.
Ich denke, bei uns geht das so gut, weil wir durch unseren Vater verbunden sind. Olaf verbrachte seine Sommerferien oft bei uns in Berlin oder besuchte uns an der Ostsee. Er hat das Talent und die Leidenschaft zum Malen unseres Vaters geerbt. Mir hat es nie Spaß gemacht, wenn ich zum Zeichnen mit meinem Vater in den Tierpark musste. Im Nachhinein beneide ich meinen kleinen Bruder, der durch seine Malerei viel enger mit ihm verbunden war. Und auch dadurch, dass Olaf und Christine mit den Eltern zusammen gewohnt haben, war er ihm näher als ich es sein konnte.

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Der  63-Jährige bei der Arbeit. Foto © Michael Handelman

Olaf wirft ein: Es war für uns alle immer etwas Besonderes, wenn Kathrin nach Hause kam. Sie konnte uns ja nur selten besuchen, weil sie so viel gedreht hat. Ich war ein bisschen verschüchtert als Kind und froh, eine große Schwester zu haben. Als meine Jugendweihe 1968 anstand, war sie schon eine bekannte Schauspielerin und wohnte in Berlin. Sie ist mit mir in die Jugendmode in die Brüderstraße gefahren, ich bekam einen braunen Cordanzug und Jeans. Was ich nie vergessen werde, ist eine Begegnung mit Armin Mueller-Stahl. Kathrin hatte mich mit in die Volksbühne genommen, wo sie mit ihm für „Orpheus und Eurydike“ probte. Ich saß im Zuschauerraum und habe ihn gezeichnet.  Das Bild hat ihm gefallen. Er holte mich auf die Bühne, setzte mich in einen Sessel und spielte nur für mich Geige. Ich war damals Sechzehn. Als wir uns im vergangenen Sommer auf seiner Vernissage hier in Berlin wiedersahen, wusste er das noch ganz genau.

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Ein kreatives Team: Annekathrin Bürger, ihr Bruder Olaf und ihre Schwägerin Christine. Foto © Michael Handelmann

Annekathrin, ist der Zusammenhalt mit Olaf nach dem Tod von Rolf Römer enger geworden?
Manches lässt sich allein schwer bewältigen. Rolf fehlt mir sehr. Fürs Herz, für den Kopf und mit seinen handwerklichen Fähigkeiten für Haus und Garten. Ich habe das Glück, eine Familie zu haben, auf die ich mich verlassen kann, die frisch im Kopf ist, klug im Geist, politisch diskutiert und da ist, wenn ich sie brauche. Olaf war immer ein kluger Gesprächspartner, schon als Junge.

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Hochzeit von Annekathrin Bürger und Rolf Römer 1966 in Moritzburg

Bist du jetzt ein Familienmensch geworden? Du hast immer gesagt, dass du das eigentlich nie so warst wie dein Mann.
Ja,  Rolf war derjenige, der immer darauf gedrungen hat, dass wir so oft es ging zu unseren Eltern fuhren. Es war ihm wichtig, den persönlichen Kontakt eng zu halten. Mehr als mir. Ich habe meinen Eltern sehr viele Briefe geschrieben. Es ist bei mir auch heute noch so, dass ich nicht alle Nase lang bei Olaf und Tine aufschlage. Ich würde mich nie bei ihnen einquartieren. Es ist gut, wenn wir alle zwei Tage telefonieren, um zu wissen, was los ist, und ich ab und zu – so wie jetzt – zu ihnen nach Dessau fahre.

Nach einem Familienweihnachten bei Rolfs Eltern 1964 in Moritzburg musstest du für eine Abendvorstellung von „Schloß Gripsholm“ nach Berlin. Obwohl Rolf dir abgeraten hatte, weil es angefangen hatte zu schneien, hast du dich nach der Vorstellung ins Auto gesetzt, um zu deinen Eltern nach Dessau zu fahren. Dort bist du aber nicht  angekommen.
Ich geriet auf der Autobahn bei Belzig ins Schlingern und bin gegen die Leitplanke geknallt. Damals fuhr man noch ohne Gurt. Ich wurde aus dem Wagen geschleudert. Doppelter Schulterblattbruch und angeknackste Wirbel … Ein Autobahnmeister, der mir auf der anderen Seite der Autobahn entgegengekommen war, wunderte sich, dass die Lichter meines Auto plötzlich verschwunden waren. Er hielt an und fand mich bewusstlos auf einem Acker zwischen abgehackten Baumstümpfen. Der Mann hat mir das Leben gerettet.

 Worüber denkst du nach, wenn du dich einam fühlst?
Solche Momente gibt es hin und wieder. Dann überlege ich, was sein würde, wenn ich eines Tages mein Haus verkaufen muss. Wohin dann? Wie gesagt, würde ich mich nicht in das Universum von Olaf und Tine drängen. Ich wünsche mir einen guten Freund, den man einfach an die Hand nimmt und sagt: Lass uns drei Wochen verreisen. Es geht nicht  um Sex. Ich möchte nur nicht mehr allein an einem Zweiertisch sitzen und alle gucken dich mitleidig an. So wie jetzt bei der Kur.

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Das Buch, wie alle anderen auch, kann in Olafs und Christines Verlag „FederEdition“ erworben werden

Eure familiäre Einheit hat schöne kreative Auswirkungen. Von eurem gemeinsamen Buch „Geliebte Ostsee“ gibt es bereits die fünfte Auflage. Wie bist du eigentlich zum Schreiben gekommen?
Angefangen hat es mit meiner Biografie „Der Rest, der bleibt“, die leider vergriffen ist. Da habe ich das, was ich konnte, selbst geschrieben. Vor ein paar Jahren hatten Olaf und Tine die Idee für ein Ostsee-Buch. Erst wollte ich nicht mitmachen. Aber die beiden haben mich praktisch gezwungen, etwas aufzuschreiben. Auf dem Fischland und dem Darß haben wir als Kinder mit unseren Eltern in den die sogenannten Künstlerkolonien die Ferien verlebt. Dort trafen sich Maler, Schauspieler, Schriftsteller und Intellektuelle. Das war eine tolle Zeit. Die Ostsee blieb auch später immer unserer Urlaubsziel. Für Rolf und mich war eine alte Holländer-Windmühle in Wustrow viele Jahre unser Domizil. Ein befreundeter Chirurg aus Rostock hatte sie uns überlassen. Ein Mekka für meinen liebend gern handwerkernden Mann. Wir haben nur Aktiv-Urlaube gemacht, weil Rolf die ganze Mühle saniert hat.
Olaf: Dass Kati wunderbar erzählen kann, war klar, als sie für einen Katalog, cen wir unserem Vater schenken wollten, eine Hommage an ihn geschrieben hat. Der Lektor war ganz begeistert.
Annekathrin: Als Tine und Olaf mit dem Ostsee-Buch anfingen, saß ich mit einem Gipsbein zu Hause und hatte Langeweile. Ich dachte: Na gut, probier ich’s. Die ersten Seiten gingen stockend, dann lief es wie geschmiert.

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2015 erschienen die „Weisheiten der Liebe“

Der Gedichtband „Weisheiten der Liebe“ war euer zweites Projekt. Bis dahin hast du Verse nur für dich geschrieben. Hat dich auch wieder deine Familie überredet?
Annekathrin: Im gewissen Sinne ja.
Christine: Es war so, dass wir festgestellten, dass wir beide in unseren Gedichten die Liebe aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Das fand ich faszinierend.
Olaf: Ich habe ihre Gedichte gegeneinandergestellt und herauskam eine spannende Lyrik.
Annekathrin: Die du mit frechen Bildern illustriert hast. Es ist ein zauberhaftes unterhaltsames Buch geworden.

Jetzt arbeitet ihr an eurem zweiten Ostsee-Buch „Teilzeitfischköppe“, wieder mit Geschichten von dir, Annekathrin. Verlegst du dich jetzt aufs Schreiben?
Nein, nein. Ich werde keine Schriftstellerin, da würde ich mir die Latte zu hoch legen. Aber Gebrauchsliteratur muss ja auch nicht schlecht sein, nur weil sie emotionaler als die gehobene Literatur ist. Ich ärgere mich heute, dass ich meine Erlebnisse früher nie aufgeschrieben habe. Es gibt nur Briefe und Notizen in Kalendern. Man kommt in ein Alter, in dem man viele Dinge vergisst. Ich war im November an der polnischen Ostsee zur Kur und habe Stoff für eine neue Erzählung mitgebracht. Am Hafen habe ich einen Fuchs auf der Kaimauer gesehen. Das ist etwas Verrücktes, Geheimnisvolles. Was wollte der da?  Ich freue mich schon darauf, die Geschichte zu schreiben.

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Annekathrin und ihre Schwägerin amüsieren sich über ihre Gedichte Foto © Michael Handelmann

Wie weit seid ihr mit dem Buch?
Meine ersten 21 DIN A4-Seiten sind fertig.  Tine hat sie schon abgetippt. Ich schreibe ja alles mit der Hand. Aber manches dauert eben, weil  bei mir auch heute immer noch etwas dazwischen kommt. Das Jahr 2017 war voll mit meinen Chanson-Abenden „Weisheiten der Liebe“,  den konzertanten Lesungen „Erotische Geschichten aus Boccaccios Decamerone“. Dann habe ich das erste Mal an den Weihnachtslesungen teilgenommen, die Schauspielerkollegen seit zehn Jahren veranstalten.  Und für dieses Jahr sind auch schon wieder Veranstaltungen gebongt. Worauf mich sehr freue: Am 9. März lese ich in Olafs Ausstellung „Tiere im Atelier“ im Kulturhaus Berlin-Karlshorst aus der Erzählung zu Camille Saint-Saëns Suite „Karneval der Tiere.

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Ein Blatt aus der Reihe „Gala der Tiere“ von Olaf Rammelt

Olaf und Christine haben die Geschichte zu Camille Saint-Saëns Musikstücken in Wort und Bild neu interpretiert. Ich sehe hier faszinierende Grafiken und Lithografien. Gibt es die auch zu kaufen?
Olaf: In unserem Verlag FederEditon kann man sie als einzelnes Bild oder auch in einem Buch gebunden kaufen. Tine hat dazu sehr vergnügliche Texte geschrieben.

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Künstlerdruck aus „Karneval der Tiere“

Annekathrin,  bist ja wie eh und je unterwegs. Wird dir es nicht zu anstrengend, immer wieder herumzureisen, dir immer wieder neue Programme und Lesungen zu erarbeiten?
Ich mache das nicht mehr mit links und benötige zum Regenerieren etwas länger als früher. Aber ich brauche die geistige Bewegung. Es macht mir Freude, mich auf Neues einzulassen. Für 2019 bereite ich für die Abschlussveranstaltung des Fontane-Literaturfestivals eine musikalische Lesung aus der Kriminal-Novelle „Unterm Birnbaum vor. Auf diese Weise immer noch unter Leute zu kommen und zu spüren, dass es ihnen gefällt, was man macht, finde ich schön. Es ist ja ein Vorteil des Alters, dass man nicht mehr alles machen muss. Ich habe mich bewiesen in meinem Leben, ob das die Leute nun wissen oder nicht.

Da gibt es doch die Geschichte von der Rettung des Pöppelmann-Palais‘ in Dresden. Du hast verhindert, dass es gesprengt wird. Davon spricht kein Stadtführer.
Das Barockgebäude sollte gesprengt werden, weil die Japaner an der Stelle in der Großen Meißener Straße  ein Hotel bauen wollten. Es gab Bürgerinitiativen gegen die erneute Vernichtung von kulturhistorischem Erbe, aber es bewegte sich nichts. Ich wusste von Plänen, nach denen das alte Palais in den Neubau, integriert werden konnte und habe in meiner Eigenschaft als Mitglied des DDR-Kulturrates am 30. Dezember 1981 an Erich Honecker geschrieben. Die Sprengung sollte im Januar 1982 erfolgen. Es ist für mich heute noch wundersam, dass ich, eine Schauspielerin, das letztlich verhindern konnte. Das alte Palais macht heute den prachtvollen barocken Mittelbau des Hotels „Bellevue“ aus. Darauf bin ich stolz.

Kannst du auch sein!

Ein Besuch auf den Webseiten der Künstler lohnt sich.

Annekathrin Bürger – http://www.annekathrin-buerger.de/

Atelier Olaf Rammelt & Christine Rammelt-Hadelich – http://www.atelier-rammelt-hadelich.de/