Herzlichen Glückwunsch dem Helden meiner Kindheit.
Was für ein Strahlen! So kennt man Gustav-Adolf Schur, die Radsport-Legende der DDR. So haben Millionen Täve, den erfolgreichsten Sieger der Internationalen Friedensfahrt, in Erinnerung. Im Gemeindesaal Biederitz gab es für den Jubilar einen Empfang. Ich hatte ihn ungefähr zwei Stunden vorher am Telefon, um ihm zu gratulieren, und erntete als Dank sogleich sein ansteckendes Lachen, das ihn so sympathisch macht, so nahbar, weil es einen selbst gleich fröhlich stimmt. Die Gratulanten gaben sich den ganzen Vormittag die Klinke in die Hand, das Telefon läutete unentwegt. „Ich musste mich erst mal ausruhen, ich war ganz platt“, sagte er. „Und die vielen Briefe, ich wusste gar nicht, dass so viele Menschen an mich denken. Das muss ich alles in Ruhe lesen und mir die Gesichter wieder ins Gedächtnis rufen. Manch einen habe ich ja lange nicht gesehen.“ Aber er vergisst kein Gesicht, keinen Namen. Ich erzählte ihm eine kleine Episode, die mich auf platonische Weise mit ihm verbindet. Seit 60 Jahren! Er hat gestaunt.

Sport hat mich nie interessiert, mit einer Ausnahme – der Internationale Friedensfahrt. Die habe ich mitverfolgt, saß mit meinem Vater vorm Radio und fieberte mit. Vor allem mit einem: Gustav-Adolf Schur. „Unserem Täve“ wie alle sagten, seit er 1955 bei dem bedeutendsten internationalen Amateur-Etappenrennen durch drei Länder als erster DDR-Fahrer das GelbeTrikot für den Sieg in der Gesamteinzelwertung gewonnen hatte.
Ein Jahr später stand auch ich an der Strecke, um ihn anzufeuern, 1956 bei der Tour Warschau – Berlin – Prag. Die 7. Etappe, von Berlin nach Leipzig, führte durch unser Dorf, Eiche bei Potsdam. Es war ein warmer Maitag. Aufregt stand ich vor meinem Vater und guckte mir die Augen aus dem Kopf. Das Kinderherz schlug bis zum Hals. Und dann rollte die Spitzengruppe heran – und war vorbei – mit Täve. Zu schnell für mich, um ihn zu erkennen. Ich hörte nur die Leute rufen: „Täve, Täve…“
Er lachte am anderen Ende der Telefonleitung und sagte dann mitfühlend. „Ach, das war ja eine Enttäuschung. Wir sind ja auch gerast. Da konnte man schwer jemanden erkennen.“
Auf Zeichenkarton habe ich mithilfe meines Vater, ich war ja erst sechs, die Friedensfahrt-Strecke aufgezeichnet und jeden Tag den Etappensieger mit Bild aus der Zeitung ausgeschnitten und aufgeklebt. Wenn Täve nicht gewann, war ich traurig. Unvergessene Erlebnisse. „Ja, das war unsere Zeit“, konstatierte er fröhlich.
Täve fuhr bis 1964 zwölf Mal den „Course de la Paix“. Er erkämpfte zwei Gesamt- und neun Etappensiege. Für mich verlor die Friedensfahrt ihren Reiz, als er nicht mehr dabei war, denn sie war in meinem Empfinden mit ihm verbunden.

Viele Jahrzehnte später lernte ich ihn dann persönlich kennen, bei der Gala der SUPERillu, der Goldenen Henne. Es fällt nicht schwer, diesen humorvollen, bescheidenen Menschen zu mögen. Mir umso weniger, da er meinen Heimatdialekt – sachsenanhaltinisch – spricht. Täve war in der DDR – und ist es auf dem Territorium immer noch – der populärste und beliebteste Sportler. Neunmal in Folge wurde er bis 1960 zum Sportler des Jahres gewählt und nahm auch in einer Umfrage nach den besten und populärsten DDR-Sportlern aller Zeiten 1979 den ersten Platz ein.
Ein denkwürdiges Ereignis war das Amateurrennen der UCI-Straßen-Weltmeisterschaften am 13. August 1960 auf dem Sachsenring. Täve verzichtete auf seine Siegchance und damit auf den WM-Hattrick nach seinen WM-Titeln 1958 und 1959 zugunsten seines Mannschaftskameraden Bernhard Eckstein. Damit wurde der Maschinenmechaniker aus Heyrothsberge endgültig zur Sportler-Legende.
Wenn „unser Täve“ auf sein Leben zurückblickt, er kam am 23.Februar 1931 in Heyrothsberge zur Welt, darf er stolz sein. Er hat sich nie als Star gesehen, sondern immer als Teil der Mannschaft, des Kollektivs. Er ist sich treu geblieben in seinem Denken und Handeln – was ihn nach dem Untergang der DDR in der Bundesrepublik 2011 die Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports kostete.