In unserem Dorf gab es zwar ein Kino, aber zu weit weg von uns Zuhause, als dass ich dem langen weg allein gehen durfte. So wusste ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr nichts vom „Singenden, klingenden Bäumchen“. So sah ich den legendären DEFA-Märchenfilm zum ersten Mal im Fernsehen, in der Kindersendung „Zu Besuch bei Prof. Flimmrich“. Wie Millionen andere Mädchen umfing auch mich die Schönheit der Prinzessin. Einmal so ein Kleid tragen… ein Traum.

Im Laufe der Zeit und meines Erwachsenwerdens kamen andere Filme mit Christel Bodenstein dazu: „Revue um Mittenacht“, „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“, „Was ihr wollt“ oder „Beschreibung eines Sommers“. Eine breite Palette an Rollen. Doch die „Prinzessin“ haftet ihr bis heute an. Ich hatte das Glück – dank meines Berufes – der Schauspielerin und dem Menschen Christel Bodenstein nahezukommen. Aus der Sympathie, die mit unserem ersten Interview 1996 begonnen hat, ist Freundschaft geworden. Am 13. Oktober 2018 feierte Christel Bodenstein ihren 80. Geburtstag. Wir hatten uns vorab zu einer kleinen Zeitreise durch ihr Leben verabredet. Ich besuchte sie und ihren Mann Hasso von Lenski in Borgsdorf, wo sie auf der schmalen Insel zwischen Oranienburger und Oder-Havel-Kanal seit 20 Jahren die Zeit von Mai bis Oktober verbringen.

Die Septembersonne gibt noch einmal ordentlich Feuer. Der Herbst verkleidet sich als Sommer. In einem weißen Leinenanzug steht Christel Bodenstein wartend auf dem grünen Wiesenhügel, der bestückt ist mit jungen Apfel- und Birnenbäumen. Die Kleingartenanlage ist gut gesichert. Ihr Mann muss das eiserne Tor an der Einfahrt aufschließen, damit wir hineinkommen. Es ist eine Weile her, dass ich hier war. Zehn Jahre! „Ans Wasser können wir heute nicht“, sagt Hasso von Lenski. Die Holztreppe auf dem Deich ist morsch geworden, nicht mehr begehbar. Eine neue müsste gebaut werden. „Vielleicht wird’s im nächsten Jahr“, meint der 76-Jährige leichthin. Er hat für uns einen kleinen Tisch und bequeme Gartenstühle vor eine blühende Hecke aus Eibisch und Hibiskus gerückt. „Gibst du mir eine Zigarette“, bittet Christel. Ihr Mann lächelt. Er hat sie parat, ebenso den Aschenbecher. Ich kann mich an kein Gespräch erinnern, bei dem sie nicht geraucht hätte. „Ohne Zigarette geht gar nichts.“ Rau und dunkel ist der Klang ihrer Stimme. Der klare Ton der „Prinzessin“ ist lange Vergangenheit.

Achtzig – ist das der Zeitpunkt, wo einen die Angst ergreift vor dem, was kommen kann? Was macht die Zahl, die einem sagt, dass man alt ist, mit einem? Ich schaue in Christels Gesicht. Es ist kein altes Gesicht. Ich sehe die Runzeln um den Mund, wenn sie spricht und die verschwinden, wenn sie lacht. An den Augenwinkeln bilden sich sanfte Lachfalten, die Nase kräuselt sich lustig. Und ich sehe ihr Strahlen, die leichte Verschmitztheit in ihrem Blick. Und, frage ich sie, wie fühlt es sich an, die letzten Dekaden des Lebens anzutreten? „Es ist furchtbar!“ Sie nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. „Die 65 und die 70 konnte ich gut aushalten. Aber jetzt begreife ich, dass ich 80 bin, an dem, was ich nicht mehr machen kann. Zwei Harkenstriche im Garten und mein Rücken schreit: Biste verrückt! Wenn ich Unkraut zupfe, bräuchte ich eigentlich rechts und links eine Stütze, damit ich wieder hochkomme. Es wird nicht besser, und davor fürchte ich mich.“
Sie meint das ernst, und dennoch lacht sie dabei. Sie verweigert der Furcht, sie zu beherrschen. Und sollte so ein Moment kommen, denkt sie an ihr Motto: Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. Das half ihr, ihren Weg zu finden und ihn zu gehen, auf den holprigen Pflastersteinen seelischer Tiefs und auf glatter Bahn, wenn sie glücklich war. „Ich denke ganz viel über mein Leben nach, das immer ein bisserl hektisch war. Und Ärger musste auch verkraftet werden“, beginnt sie zu erzählen. „Am Ende komme ich immer zu dem Schluss: Ich bin ein Glückskind, meine Kindheit in München ausgenommen. Ab dem Punkt, als meine Mutter mit mir im September 1949 nach Leipzig zog, haben sich meine Träume, die ich so hatte, erfüllt.“ Eine lebenswichtige Entscheidung für sie, was sie als Elfjährige nicht ahnte

Ein knappes Jahr vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges kam Christel Bodenstein in der bayerischen Metropole zur Welt. Die Eltern hatten nach ihrer Hochzeit Mitte der 30er Jahre ihre Heimatstadt Erfurt verlassen. Wilhelm Bodenstein bekam als Kaufmann eine Anstellung in einem großen bayerischen Sämereigeschäft. Ein großes Glück in der Zeit der allgemeinen Weltwirtschaftskrise, die von Massenarbeitslosigkeit geprägt war. „Wir lebten in Waldtrudering, in einem kleinen bayerischen Holzhaus mit Rundumlaufbalkon, einem Garten und einem Waschhaus, in dem meine Mutter für andere Leute wusch. Erna Bodenstein hatte den Traum, Pianistin zu werden. Aber die damaligen Zeiten ließen das nicht zu. Vor mir bekam sie meine Schwester Eva und musste uns allein versorgen, als unser Vater an die Front berufen wurde. Ich stand unter der Fuchtel meiner gerade mal ein Jahr älteren Schwester, und das war nicht schön“, erinnert sich die 80jährige. Sie war sieben, als der grauenvolle Krieg mit dem Sieg Alliierten 1945 beendet wurde. „Ich habe noch das Geheul der Sirenen im Ohr, wenn Bomber über München flogen. Meine Mutter rannte dann mit uns Kindern ins Nachbarhaus, das gemauert war und einen Keller hatte, in dem sie Schutz suchten.“

Tief eingeprägt hat sich in das Bewusstsein des Kindes der Hunger, den es aushalten musste. „Als mein Vater aus der Gefangenschaft kam, ist er mit dem Rad über die Dörfer gefahren und tauschte, was wir entbehren konnten, gegen Brot, Milch, Eier und Butter ein. Oder er kolorierte für ihre Familien Fotos gefallener Soldaten. Manchmal kam er auch mit leeren Taschen zurück, und es gab nichts zu Essen.“ Sie hatte immer Hunger. Dieses Gefühl verfolgt sie heute noch, treibt sie manchmal zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett. Dann muss sie essen. Sonst schläft sie nicht wieder ein. Eine Zeit hatten Amerikaner Quartier im Haus bezogen. Sie mochten die aufgeweckte Christel, und sie durfte mit der Milchkanne übriggebliebenes Essen vom Versorgungsstandort holen. „Ich war ganz stolz, meine Familie versorgen zu können.“
Wie so viele Ehen hatte der Krieg auch ihre Eltern entzweit. Sie ließen sich scheiden. Das Gericht sprach dem Vater die Mädchen zu. Die Mutter, ohne Beruf und Arbeit, hatte dem nichts entgegenzusetzen. Ihr Bruder in Leipzig bot ihr an, zu ihm zu kommen. Es gäbe eine freie Stelle bei der Post. Um nichts in der Welt wollte die damals elfjährige Christel bei Vater und Schwester bleiben, die Mutter allein ziehen lassen. „Mein Herz hing so sehr an ihr, dass ich ein so schauderhaftes Theater machte, bis mein Vater zustimmte und ich mit ihr nach Leipzig durfte.“ Die Erinnerung an ihn verbindet sich mit Strenge und Härte. „Er watschte gern. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich mal liebevoll in den Arm genommen hätte. Was ich von ihm Gutes habe, ist die innere Stärke, Sachen aus dem Boden zu stemmen, zu erreichen, was ich will. Er war auch künstlerisch begabt, malte und bastelte.“

Diese Seite des Vaters schlägt sich in ihrem Hobby nieder, dass sie 1984 für sich entdeckte, als ihr Sohn Mirko einmal Modelliermasse aus dem Trickfilmstudio mit nach Hause brachte, um eine Arbeit zu erledigen. „Ich nahm ein Stück in Hand und dachte: Wie gut sich das anfühlt. Dann begann ich zu kneten und zu formen, noch ungelenk. Aber ich hatte soviel Freude daran, dass es meine liebste Beschäftigung geworden ist.“ Sie vertieft sich dann so sehr in diese Arbeit, dass sie über Stunden alles um sich herum vergisst. Manchmal beschwert sich ihr Mann Hasso: „Kommst du auch mal wieder zurück?“ Aber er weiß, sie braucht dieses Abtauchen. „Es ist Christels Ausgleichgymnastik für ihre Seele“, sagt er.

Das war auch der Titel ihrer ersten Ausstellung 1990. Sehr bald hat die Hobbykünstlerin eine große Fertigkeit im Modellieren ihrer Miniaturen entwickelt. Es sind witzige, berührende und fantasievolle Figuren, die sie ihrem Leben entlehnt. Die kleinen Kunstwerke setzt sie in Bilderrahmen. Die Idee entstand aus Mangel an Platz in ihrer Berliner Zwei-Zimmer-Wohnung, die einer Galerie gleicht. Die Künstlerin gibt so gut wie keines ihrer Schöpfungen weg. Verkaufen? Undenkbar. Es würde ihr das Herz zerreißen. „Einige habe ich an besondere Freunde verschenkt. Mit Schmerzen und Freude zugleich“, erzählt sie.
Die Verbindung zu Vater und Schwester ist ein paar Jahre nach dem Umzug abgebrochen. Zweimal verbrachte Christel die Sommerferien aufgrund eines Gerichtsbeschlusses, den Wilhelm Bodenstein erwirkt hatte, in München. „Er holte mich nicht zu sich, weil er mich liebte. Er strafte mich damit, weil ich mit meiner Mutter weggegangen bin. Ich musste die ganzen Ferien bei ihm in der Wäscherei arbeiten. Da habe ich mich dann geweigert, zu ihm zu fahren.“ Christels späterer Versuch, sich mit dem Vater zu versöhnen, scheiterte. „Ich hatte ihm nach so vielen Jahren verziehen und wollte ihm nach Mirkos Geburt mein Baby zeigen. Er lehnte es ab, uns zu sehen. Zu meiner Schwester fand ich nie mehr Kontakt. Um sie tut es mir leid.“

In Leipzig begann für die Elfjährige ein neues, vor allem anderes Leben. Die Stadt gefiel ihr sofort. „Wir kamen spät in der Nacht an. Ich war fasziniert von den vielen Laternen, die wie Sterne leuchteten“, hat Christel noch ihre erste Begegnung mit ihrer neuen Heimat vor Augen. „Kurz vor Gründung der DDR, gerade noch rechtzeitig, hatte sich meine Mutter entschieden, das Angebot ihres Bruders anzunehmen. Ich weiß nicht, was aus mir im Westen geworden wäre. Bestimmt keine Märchenprinzessin“, ist sie sich sicher. Leicht fiel ihr die Eingewöhnung damals nicht. Es gab Verständigungsschwierigkeiten. „Sächsisch war für mich eine Fremdsprache und mein Dialekt für die anderen.“ Vergebens bemühte sich die Tante, ihrer Nichte Sächsisch beizubringen. Im Unterricht wurde zum Glück hochdeutsch gesprochen. Die Schauspielerin erinnert sich gern an ihre Schulzeit. „Das Schönste war für mich, dass es in der großen Pause für jedes Kind ein Brötchen und einen halben Liter Milch gab.“ Mit Begeisterung war sie „Junger Pionier“, trug stolz ihr blaues Halstuch. Die Mutter belächelte das und schlug ihr vor, das Tuch auch zum Nachthemd umzubinden.

Im Leben der Schauspielerin steht Leipzig vor allem aber für die Geburt ihres Traums, Tänzerin zu werden, den sie sich mit großer Zielstrebigkeit erfüllte. Das Plakat von einer jungen französischen Ballerina weckte in ihr den Wunsch, selbst so tanzen zu können. Weil das Geld für privaten Ballettunterricht fehlte, bewarb sich die Zwölfjährige beim Tanz- und Gesangsensemble der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“ und wurde genommen. Nach dem Schulabschluss – sie war 14 – machte sie eine dreijährige Ausbildung an der Leipziger Ballettschule, die sie an der Staatlichen Ballettschule in Berlin abschloss. Ihr erstes Engagement bekam sie am Landestheater Halle. In der Operette „Frau Luna“ übernahm sie die Rolle des Mondkrümel.

Schmunzelnd erinnert sich Christel an den Tag, an dem eine Begegnung am FKK von Ahlbeck ihren Lebensweg ins DEFA-Studio lenkte. Sie ahnte nicht die Schicksalhaftigkeit dieser kuriosen Episode. „Ich hatte vor Beginn meines Engagements in Halle Ferien und wurde von ein paar jungen Schauspielern eingeladen, mit an die Ostsee zu fahren.“ Die 17-Jährige, die noch nie Urlaub gemacht hatte, sagte freudig zu. Vor allem auch, weil ihr Schwarm, der Kapellmeister Olaf Koch mit dabei war. „Mit ihm stolperte ich damals in meine erste Ehe“, flicht sie ein. Mit Einwilligung der Mutter heiratete sie den gutaussehenden, um vieles älteren Kapellmeister aus Leipzig, der sich endlos geschmeichelt gefühlt hat, von so einen hübschen jungen Ding begehrt zu werden. Die Ehe war 1957 vorbei. Sie konnte seine Eifersucht und Gängelei nicht ertragen.
„Eines Vormittags“, kommt sie auf die Episode zurück, „kam ein Mann mit zwei Windhunden den Strand entlang. Die anderen rannten auf ihn zu, zogen mich mit. Stürmisch begrüßten sie ihn und stellten mich vor. Es war der berühmte DEFA-Regisseur und Direktor der Filmhochschule Prof. Kurt Maetzig. Ein freundlicher Mann, der mich wohlwollend betrachtete und nach einem längeren Gespräch zu Probeaufnahmen nach Babelsberg einlud. Das ist mir nur ein einziges Mal passiert, dass ich splitternackt eine Rolle angeboten bekam.“ Sie musste eine Liebesszene spielen. „Es war schon gewagt, was Prof. Maetzig mir zumutete. Aber ich hatte noch nie Angst vor einer Kamera. Und damals waren die Filmkameras noch Ungetüme!“ Doch mit ihren 17 Jahren und der kindlich-mädchenhaften Erscheinung war sie zu jung für die Figur, die am Ende des Films 70 ist. Die Rolle in Maetzigs Romanverfilmung „Schlösser und Katen“ spielt Karla Runkehl, die mit ihren damals 26 Jahren bereits Anerkennung als Charakterdarstellerin gefunden hatte.

Für die 17jährige Christel Bodenstein interessierten sich zwei andere bekannte DEFA-Regisseure, die ihre Probeaufnahmen gesehen hatten. Bei Slatan Dudow spielte sie eine angehende Kosmetikerin in der Filmkomödie „Der Hauptmann von Köln“, mit dem großartigen Schauspielers Rolf Ludwig in der Hauptrolle. Parallel agierte sie unter der Regie von Helmut Spieß als Magd Traute in dem Märchenfilm „Das tapfere Schneiderlein“ und tanzte dazwischen kleine Rollen am Theater. „In diesem Jahr zwischen 1956 und 1957 spielte sich mein privates Leben hauptsächlich im DEFA-Auto ab, das mich von Halle nach Babelsberg und wieder zurück brachte. Der zauberhafte Kraftfahrer hatte er mir auf dem Rücksitz ein Bett gebaut, damit ich schlafen konnte, und verwöhnte mich mit Obst und belegten Brötchen.“

Sie schwebte wie auf Wolke. Es war der Anfang ihrer DEFA-Zeit, die sie die allerglücklichste in ihrem Leben nennt. Am Ende der Theatersaison verabschiedete sie sich von ihrem Ziel, eine große Ballerina zu werden, und folgte dem Rat ihres Entdeckers Prof. Kurt Maetzig. Sie ging an die Filmhochschule nach Babelsberg, um die Schauspielkunst richtig zu erlernen. Denn auch ein Naturtalent braucht Handwerkszeug, hat sie bei den Dreharbeiten für ihre beiden Filmdebüts erkannt. Doch auch während des Studiums stand sie unentwegt vor der Kamera. Gleich im ersten Studienjahr bekam sie die Rolle, für die sie seither geliebt wird: die stolze Prinzessin Tausendschön im Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“. Am 13. Dezember 1957 kam der Film in der DDR in die Kinos, am 14. September begeisterte er auch die Kinder im Westen Deutschlands. In den ersten beiden Erscheinungsjahren hatte er bereits sechs Millionen Zuschauer.
Mit ihrem zweiten Mann, dem Regisseur Konrad Wolf wohnte sie in Babelsberg gegenüber einer Schule. Wenn sie aus der Tür trat, riefen die Kinder „Guten Tag, Prinzessin!“ Mit der plötzlichen Popularität umzugehen, war für die junge Schauspielerin nicht einfach. „Ich musste lernen, zu akzeptieren, dass nicht ich, sondern die Figur gemeint ist.“ Inzwischen ist sie dankbar, für die lange Treue ihrer Fans. Und wenn ein Kind sagt: „Du siehst aber nicht aus wie die Prinzessin“, antwortet sie lachend: „Auch Prinzessinnen werden alt.“

1960 kürten die Leser des Jugendmagazins „Neues Leben“ sie zur beliebtesten Schauspielerin der DDR. Ein Schicksalsjahr, denn auf der DEFA-Filmwoche in Helsinki traf sie Konrad Wolf, Sohn des Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf. Dessen Stück „Professor Mamlock“ verfilmte er gerade, als er Christel Bodenstein kennenlernte und sie sich verliebten. „Koni war ein kräftiger Riese, fast zwei Meter groß, und dabei sehr scheu, eigentlich schüchtern“, beschreibt sie ihn. Finnische Filmleute hatten die DEFA-Kollegen zum Krebsessen eingeladen. Anschließend wurde getanzt.

„Koni nahm mich in den Arm und versuchte, nicht aus dem Takt zu kommen. So begann unsere Beziehung.“ Im September 1961 kam ihr Sohn Mirko zur Welt und ein Jahr später, einen Tag vor Weihnachten 1962, heirateten sie. Eigentlich wollte Christel das nicht. Es waren äußere Zwänge, die sie umstimmten. Unverheiratete bekamen in Hotels kein Doppelzimmer und – das wog schwer – wollte man von offizieller Seite, dass der bekannte Regisseur, der zudem noch Vorsitzender der Gewerkschaft Kunst und Präsident der Akademie der Künste war, kein uneheliches Lotterleben führt. In diesem Punkt war die Partei ganz konservativ, beinahe spießbürgerlich.
Ein leichter Wind streicht über die Blütensträucher. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Wird es regnen? „Ich denke nicht“, sagt Christels Mann Hasso von Lenski. Er holt eine neue Flasche Wasser. Christel hat die dritte oder vierte Zigarette beim Wickel, als wir auf ihre 19 Jahre an der Seite von Konrad Wolf zurückblicken. Mit ihrem Mann hat sie nur einen einzigen Film gedreht, weil er es hasste, wenn Regisseure ihre Frauen in die Hauptrollen ihrer Filme holten.

1966 spielte sie in seinem Film „Der kleine Prinz“ die Titelrolle. Er machte diese Ausnahme, weil er wusste, dass sich Christel diese Rolle insgeheim wünschte. Die Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry war ihre „Bibel“, seit sie das Buch als junges Mädchen bekam. Konrad Wolf schenkte ihr die Rolle 1965 zu ihrem 27. Geburtstag. Wie es dazu kam, erfuhr sie erst über 45 Jahre später von Angel Wagenstein, einem bulgarischen Drehbuchautor und gemeinsamen Freund. Die saßen über dem Drehbuch für den „kleinen Prinzen“, als Konrad Wolf feststellte, dass er vergessen hatte, ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau zu besorgen. Aber es war Wochenende. Schenk ihr doch den kleinen Prinzen, schlug Angel Wagenstein vor. Am nächsten Morgen stand Konrad Wolf mit einem Blumenstrauß vor seiner Frau und fragte: „Möchtest du den kleinen Prinzen spielen? Ich schenke dir die Rolle.“ Da war für sie alles gut. Dennoch ging Christel Bodensteins Traum von einem glücklichen Familienleben am Ende nicht in Erfüllung.

„Wir hatten schöne Zeiten, aber der Alltag lag auf meinen Schultern. Ich drehte, sorgte für unseren Sohn. Ohne die Hilfe meiner Mutter hätte ich das nicht bewältigt. Koni arbeitete sehr viel. Als er 1965 Präsident der Akademie der Künste wurde, blieb noch weniger Zeit für Mirko und mich. Er bemerkte nicht einmal mehr, wie sehr es mir fehlte, seine Liebe zu spüren, wie sehr mir die Zweisamkeit mit ihm fehlte. Ich fühlte mich wie ein Möbelstück, dass einfach da war, wenn er nach Hause kam. Heute merke ich, wie wenig ich von ihm weiß, weil wir uns nie richtig kennenlernen konnten. Das ist eine sehr traurige Erkenntnis“, schließt sie. Ihre Ehe wurde 1978 geschieden.

In dieser Zeit lernte sie im Kreis von Kollegen den Schauspieler und Dramturgen Hasso von Lenksi kennen. Begegnet sind sich zum ersten Mal 1976 in der Kantine der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ohne zu ahnen, dass sich ihre Weg ein Jahr später wieder kreuzten und von da an gemeinsam verlaufen sollten. „Hasso machte auf mich so einen fröhlichen, jungenhaften Eindruck. Am meisten gefielen mir seine neugierigen frechen Augen. Wie der einen anschaute!“ erinnert sich Christel Bodenstein lachend. Seit 1977 leben sie zusammen sind seit 1992 verheiratet. Bei ihm spürt sie, was Konrad Wolf ihr nicht geben konnte: Wärme, Liebe, Aufmerksamkeit. „Wir haben zusammen harte Zeiten durchgestanden, unser gemeinsames Leben zusammen bei Null angefangen. Seit wir uns kennen, hatte ich nie das Gefühl von Einsamkeit und Alleinsein“, macht sie ihm mit ganz viel Glück in den Augen eine Liebeserklärung. Ihn macht es etwas verlegen. Seine Ehe wurde wie ihre 1979 geschieden. Dass sich trafen und zueinander fanden, war nicht der Grund. Es gab aber den Anstoß, den lange fälligen Schritt zu gehen.

Sie hat das DEFA-Ensemble, dem sie seit Ende ihres Studiums angehört hatte, 1973 verlassen. „Mich reizten die freundlichen, lustigen Mädchen nicht mehr. Ich wäre gern ins ernste Fach gewechselt, doch solche Rollen bot man mir nicht an.“ Die einzige Ausnahme war die FDJ-Sekretärin Grit in dem Gegenwartsfilm „Beschreibung eines Sommers“ an der Seite von Manfred Krug. „Es war das einzige Mal, dass ich einen Regisseur bat, mich zu besetzen.“ Sie bekam die Rolle, nicht zuletzt auch, weil sich Manfred Krug für sie bei Regisseur Ralf Kirsten stark gemacht hat. Mit dem 2016 verstorbenen Schauspieler verband sie eine lange Freundschaft. Sie kamen zur selben Zeit als Scheidungskinder nach Leipzig.

Die Begegnung mit Hasso von Lenski war nicht nur Beginn eines neuen privaten Glücks. Nach drei Jahren, in denen sie als freischaffende Künstlerin zunächst mit kleinen eigenen Liedern auftrat, dann mit dem Feuilletonisten Hans-Georg Stengel unterhaltsame Abende veranstaltete, bekam sie in der vom Friedrichstadtpalast 1976 neu gegründeten Kleinen musikalisch-literarischen Bühne ein festes Engagement. Hasso von Lenski stieß als Regisseur und Dramaturg dazu.

Christel Bodenstein war dankbar für das Engagement, weil sie sich um ihren damals 14jährigen Sohn Mirko kümmern musste. Er brauchte jetzt die Mutter, die Oma packte es nicht mehr. „Hasso und ich haben wunderschöne Abende veranstaltet. Die Ideen für Neues plumpsten nur so aus uns heraus.“ 1989 verlor die Künstlerin nach einem Zerwürfnis mit dem neuen Leiter des Theaters ihr Engagement, und der Dramaturg kündigte. „Es sollte wehtun“, sagt er. Er konnte und wollte die Art und Weise, wie die Leitung mit den Schauspielern umging, nicht hinnehmen. „Ich hätte nicht erwartet, dass er für mich seine Arbeit dort aufgibt“, sagt Christel. Der Friedrichstadtpalast bot ihr an, als Regieassistentin für die „Kleine Revue“ zu arbeiten. Hasso wurde Marketing-Chef im Friedrichstadtpalast. Sie weiß noch gut, wie schmerzvoll es sich anfühlte, als sie das erste Mal von unten auf die Bühne schaute. Aber: Christel schafft alles, was sie will. Es liegt in ihren Genen. Sie fuchste sich ein und verspürte bald das Bedürfnis, eigene Ideen umzusetzen. Als erste eigene Regiearbeit brachte sie den musikalisch-literarischen Abend „Claire“ auf die Bühne, ein Jahr später inszenierte sie mit großem Erfolg die Revue „Sommernachtsnachtsträume“. Als die Kleine Revue 1997 geschlossen wurde, gab Christel Bodenstein den Sprecherkindern Schauspielunterricht und übernahm 1998 einen Teil der Regiearbeit für die Märchenrevue „Hänsel und Gretel“.

Als sie 60 geworden war, fand sie, es sei an der Zeit, in die Ausruhphase des Lebens zu gehen. Das gestaltete sich jedoch nur als Rahmen, um ausschließlich das zu tun, was ihr Spaß macht. Acht Jahre lud sie danach zu Talkshows mit ehemaligen Kollegen ins „Café Nass“ in Berlin-Johannisthal ein. 2006 veröffentlichte sie ein Bildertagbuch aus ihrem Leben „Einmal Prinzessin, immer Prinzessin“, mit dem sie seither auf Lesereise geht. Begleitet von ihrem Mann Hasso, der die passenden Bilder auf eine Leinwand projizierte. Für Christel war immer das Schönste, mit ihm zusammenzuarbeiten. Gemeinsam entwickelten sie mit ihrem Sohn Mirko das Märchenspiel „Das singende, klingende Bäumchen“.

Sie schuf die Figuren, nach denen der Trickfilmzeichner und Illustrator die Bilder zeichnete. Natürlich hat Christel Bodenstein auch noch Träume. Einer erfüllte sich, als der Film „Der kleine Prinz“ nach 50 Jahre aus dem Archiv endlich in die Kinos kam. Er war nicht unter die politischen Räder gekommen. Er durfte nicht gezeigt werden, weil das DDR-Fernsehen vor der Produktion 1966 vergessen hatte, sich bei Saint-Exépurys Buchverlag Éditions Gallimard die Verfilmungsrechte zu sichern.

Übers Erzählen ist es später Nachmittag geworden. Das Spiel der dunklen Wolken hat die Sonne verdeckt. Der Himmel hat etwas Mystisches. Christel und Hasso begleiten uns zum Auto. Er muss das Tor wieder aufschließen. Noch ein paar letzte Fotos an der Schaukel, die sich im Wind bewegt. Ich entdecke noch Blüten an den Apfelbäumchen. Das passiert, wenn der Sommer lang und warm ist.