Diesen Besuch wollte ich schon lange machen – seit fast zwei Jahren. Die Zeit fehlte – oder die Traute, diesen wunderbaren, vor Geschichten übersprühenden Menschen auf einmal sprachlos zu sehen: den Kinderfilmregisseur Rolf Losansky

Als ich nun vor ein paar Tagen beim Sortieren meiner Recherchen über den Ordner Rolf Losansky „stolperte“, schob ich den Besuch nicht wieder hinaus. Das war ich ihm einfach schuldig. Er hatte immer Zeit, wenn ich ihn bat, mir für einen Artikel über einen seiner einzigartigen Kinderfilme etwas zu erzählen. Meistens trafen wir uns mit seinen Hauptdarstellern, und ich erfuhr, was aus den Filmkindern von damals geworden ist. Rolf blieb mit allen in Kontakt. Die heute Erwachsenen schwärmten von den Dreharbeiten mit „Rolfi“. Es waren für sie die schönsten Zeiten ihrer Kindheit, denn sie erlebten unerwartete Abenteuer.
Im Juli 2013 erlitt der beliebte Kinderfilmregisseur einen Schlaganfall, der ihn rechtsseitig gelähmt und sein Sprachzentrum schwer beschädigt hat (globale Aphasie). „Er ist seiner Wohnung zusammengebrochen und konnte sich nicht bemerkbar machen. Seine Bekannte fand ihn“, erzählte mir seine Tochter Danka. Das war Glück im Unglück. Viele Wochen verbrachte der damals 82-Jährige in Krankenhaus und Reha-Klinik. Danka bangte um das Leben ihres Vaters. „Nicht, weil er nicht mehr wollte. Es ging ihm dort nicht gut. Er wollte nach Hause, in seine gewohnte Umgebung.“

Doch dazu musste seine kleine Wohnung im Hochparterre eines Mehrfamilienhauses Rollstuhl gerecht umgebaut und ein mobiler Treppensteiger angeschafft werden, um mit dem Rollstuhl die fünf Stufen im Hausflur zu überwinden. Die Hürden der Bürokratie in Rolfs Heimatstadt Potsdam waren schier unüberwindlich. Doch Freunde und ehemalige DEFA-Kollegen wie die Schauspieler Gojko Mitic und Jaecki Schwarz ließen ihn nicht im Stich und unterstützten seine Tochter Danka. Im Januar 2014 war es geschafft. Rolf war wieder zu Hause. Es war seine Lebensrettung. Auch wenn rund um die Uhr jemand da sein muss, der ihn betreut, fühlt er sich hier wieder als Mensch. Das bewahrte ihn vor Depressionen, die sich oft als Begleiterscheinung bei diesem Krankheitsbild einstellen.
Als ich zur verabredeten Zeit klingele, war er mit seiner Pflegerin Sissy gerade von der täglichen „Ausfahrt“ zurück. „O ja, er wartet schon, wollte schnell nach Hause“, sagt sie mit ungarischem Akzent beim Blick aus dem Fenster. Rolf hat noch den Mantel an, als ich eintrete. Er sitzt im Rollstuhl, sein gebräuntes Gesicht überzieht eine gesunde Frische. Sissy zieht ihm den Mantel aus. Ich helfe ihr und spüre, es ist ihm in meiner Gegenwart unangenehm, sich nicht selbst behelfen zu können. Aber es ist nur ein winziger Moment. Er drückt mit seiner Linken meine Hand, umarmt mich. Es ist gut, dass ich gekommen war.
Wir zwei sind über die Arbeit Freunde geworden. Ich habe ein kleines Album mit Fotos zusammengestellt, die bei unseren Interviews entstanden sind. Er legt es auf sein Knie und blättert. Seinen leuchtenden Augen sehe ich an, wie sehr er sich darüber freut. Er versucht etwas zu sagen, wird traurig, weil ich ihn nicht verstehe. Also übernehme ich das Reden und erzähle erst einmal, was ich so mache. Im Juni 2013 hatten wir uns das letzte Mal getroffen. Drei Wochen später passierte das Unglück.

Wir schauen auf ein Foto, das uns damals zusammen mit Marlene Marlow und Andreas Bieber bei diesem Treffen an der alten Paltrockmühle in Langerwisch bei Potsdam zeigt. Ich wollte eine Geschichte über seinen Film „Hans im Glück“ schreiben, den er 1998 hier gedreht hatte. Andreas Bieber spielte den lustigen Müllerburschen und Marlene den verkleideten Gänsejungen. Rolf zupft wie gewohnt an seinem Schnauzer und blickt mich an. Ich ahne, was er mir jetzt mit wahrer Begeisterung von den Dreharbeiten und den Tücken des Objekts erzählen würde. Dass die Kuh nicht wollte wie sie sollte, dass Andreas wie ein Torero um sie herum gesprungen ist und sie doch nicht animieren konnte den Stier zu geben. Auch, dass ihm nur 1,5 Mio. Mark und 16 Drehtage zur Verfügung standen. Was selbst für einen alten Regiehasen wie ihn knapp war. Aber keiner seiner Schauspieler – und es waren Mimen wie Rolf Hoppe, Karl Dall, Walfriede Schmitt und Fred Delmare – gab ihm einen Korb, weil das Honorar so gering war. Sie alle spielten mit großem Spaß ihre Episodenrollen – Freundschaftsdienste für einen, den sie schätzten. Auch wir hatten viel Spaß an diesem Sommertag.

Wie viel ihm die Freundschaft bedeutet, erkenne ich, als wir uns Bilder mit Schauspieler Gojko Mitic, Filmkind Frank Träger und Autorin Christa Kozik ansehen. Er tippt auf sich und zeichnet einen Kreis in der Luft und meint damit den Freundeskreis, der um ihn gebildet hat. Seine Augen werden feucht.


Ich gebe ihm mein Handy und lass das Video laufen, das ich gemacht habe, als wir uns mit Gojko Mitic und Frank Träger im Filmpark Babelsberg getroffen hatten. Rolf hatte 1981 den ersten Kinderwestern in Deutschland gedreht. Den Funktionären der DDR-Volksbildung war der Film ein Dorn im Auge. „Nur wer Spaß am Spaß hat, staunen und spinnen kann, sollte ihn sich ansehen“, stand im Programmheft. Der Sportlehrer, gespielt von Gojko Mitic, reitet in der Fantasie des Jungen Alex als Indianerhäuptling durch die Stadt, verfolgt von Trappern, der Schuldirektor erscheint als Sheriff und trägt einen Cowboyhut. Das ging alles gar nicht. DDR-Kinder träumen nicht von Cowboys, hieß es. Darüber konnte der Kinderversteher Rolf Losansky nur lachen. Der Film wurde so schnell ins Ausland verkauft wie kein anderer.
„Hans im Glück“ war der letzte Film, den er gedreht hat. Aber losgekommen ist er nicht davon, wurde Berater und Mentor für junge Regisseure. „Ich will in ihnen das Feuer wecken, das noch immer in mir lodert“, hat er mir in unserem ersten Interview 2011 erklärt.

Sein Herz gehört den Kindern. Man muss sich um sie kümmern. 2012 erfüllte er hundert Kindern aus Erkner bei Berlin einen Riesenwunsch. Er drehte mit ihnen das Märchen „Wer küsst Dornröschen“. Keiner der begeisterten kleinen Rollenanwärter musste traurig wieder nach Hause gehen, weil er nicht geeignet war. Für alle hatte Rolf Losansky eine Rolle. Und so kam es, dass es eben nicht einen, sondern zehn Prinzen gab, die Dornröschen aufwecken wollten. Die Idee hatte Ralf Schlösser von der Schauspielschule Drehbühne. Er war 1974 Hauptdarsteller in Rolf Losanskys Jugendfilm „… verdammt, ich bin erwachsen“. Und prominente Schauspieler Gojko Mitic, Karin Düwel und Bruno F. Apitz mimten den Koch, die böse Fee und den Hauptmann der Wache – aus Spaß an der Freude und ihrem hoch geschätzten Rolfi zuliebe.

Mir nichts, dir nichts, ohne Vorwarnung warf das Schicksal den Kinderfilmregisseur am 26. Juli 2013 aus dem Leben, das ihm so viel bedeutete. Ein Tag, der eigentlich ein schöner werden sollte. Am 26.Juli 1963 hatte er mit dem Abenteuerfilm „Geheimnis der 17“ sein Debüt als Regisseur bei der DEFA in Potsdam-Babelsberg gegeben. Die Uraufführung – noch vor der Kinopremiere im Oktober – fand in Wittstock statt, wo der Film gedreht worden war. Das Jubiläum sollte nun dort mit einem Fest gefeiert werden. Es fand statt, nur ohne die Hauptperson.

Noch heute lieben die Kinder Rolf Losanskys poetische Filme, in denen sich eine spannende reale Handlung und kindliche Fantasie zu modernen Märchen mischen. Es könnten ihre Erlebnisse sein, die sie auf der Kinoleinwand sehen. Da spielt es keine Rolle, ob sie im Osten oder Westen, Norden oder Süden der Welt zu Hause sind.

Seit über 50 Jahren zieht „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ die Kleinen in Bann. Oder „Ein Schneemann für Afrika“, „Zirri – Das Wolkenschaf“ und „Das Schulgespenst“. Dafür sammelte Rolf Losansky auf internationalen Kinderfilm-Festivals Preise ein, in Kairo, Rio de Janeiro, San Francisco, Gijón. Der kleine, fast zierliche Mann mit dem freundlichen Lächeln hinter dem Schnauzer ist mit seinen Filmen auch nach der Wende gern unterwegs – gewesen, muss man nun sagen. Es machte ihm Freude, mit den Kindern zu sprechen, ihre Frage zu beantworten. Bis nach Indien ist er mit seinem Film „Ein Schneemann für Afrika“ vor vier Jahren noch gereist. Kinder brauchen einen wie ihn.

Ich habe noch seine Antwort im Kopf, die er mir gab als ich ihn fragte, warum er nur Kinderfilme dreht. „Es muss auch Verrückte geben, die sich darum kümmern. Denn wer sich dem Kinderfilm verschreibt, muss verrückt sein. Dem sagt man nach: Der kann nichts anderes. Aber ich bin so ein Verrückter.“ Schon als Student half er Regisseuren bei der Auswahl von Film-Kindern. „Als ich merkte, dass mir das lag und die Kinder mich mochten, dachte ich: Dabei bleibste.“ Eine Entscheidung, die er nie bereut hat – und seine kleinen und großen Zuschauer noch viel weniger. „Ich würde das auch nicht eintauschen, wenn ich noch mal auf die Welt käme. Ich würde wieder Kinderfilme drehen.“ Ein Schleier überzieht nun seine blauen Augen. Der Anruf meiner Tochter bringt ihn zum Lachen. Ich erzähle ihm, dass sie sich nach der Arbeit die Heimfahrt im Auto verkürzt, indem sie mich anruft und drauflos schwatzt. Diesmal ging es nicht.
Sissy bringt uns Kaffee mit viel Milch. So mag es Rolf und ich auch. Ich erfahre von ihr, dass er oft Besuch hat. Ziemlich regelmäßig kommt seine gute Freundin, die Autorin Christa Kozik, mit der er oft zusammengearbeitet hat. Sie schrieb die Geschichte vom „Schneemann für Afrika“ und die Abenteuer von „Moritz in der Litfaßsäule“. 2012 haben sie den Film als Theaterstück auf die Bühne gebracht. Seitdem steht es auf dem Spielplan vieler Kinder- und Jugendtheater. Am 19. November läuft es in Gießen.

Der 84-Jährige hat noch viel vorgehabt. Die Geschichte seines jüdischen Freundes, der als Kind in die Gaskammer abtransportiert wurde, wollte er mit seinen Studenten verfilmen. Das lag ihm am Herzen. Er weiß, dass das ein Traum bleiben wird. Aber er will wenigstens wieder sprechen können. Dazu muss die rechte Hirnhälfte die Arbeit der linken Seite übernehmen, wo das Sprachzentrum sitzt. Rolf Losansky kämpft um seine Sprache. Neben der Therapie liest er viel, sieht fern, um fit im Kopf zu bleiben, beschäftigt sich. Ob die Therapie Erfolg haben wird, ist nicht sicher. Das weiß er, schließlich hat er drei Semester Medizin studiert, bevor er sich dem Film verschrieb. Ich frage ihn, ob er zuversichtlich ist. Er sieht mich an und sagt: Ja.