Sein Erbe sind „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Das Mädchen auf dem Besenstiel“ und „Die Märchenbraut“

Ich hatte gerade den Nachruf für die Schauspielerin Ursula Karusseit in meinen Blog gestellt, als im Radio die Nachricht kam, dass Václav Vorlíček tot ist. Vor diesem Moment habe ich mich schon eine Weile gefürchtet. Ganz gegen seine Art hatte er auf meine Mails zu Weihnachten nicht geantwortet, auch nicht auf die Neujahrswünsche. Ich wusste, dass er nicht gesund war. Aber er tat das immer ab. Im Juni 2017 antwortete er auf meine Geburtstagsglückwünsche zu seinem 87: „Danke vielmals und ich grüsse Dich herzlich so viel, wie möglich! Dein treuer und noch lebender Freund V.V. “ Im Oktober des Jahres zuvor hatten wir uns noch einmal getroffen, als ich mit meinem Mann zu einem Kurzbesuch in Prag war. Schon damals machte ich mir Sorgen, denn der sonst so Humorvolle und Gesprächige war sehr still. Es gehe ihm nicht so gut, gestand er da. Am 5. Februar hat der Krebs das Leben des wunderbaren Menschen und großartigen Regisseurs Václav Vorlíček ausglöscht.

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Václav Vorlíček bei der Arbeit im Filmstudio Barrandov  Foto: Boris Trenkel

Meine Freundschaft mit Václav Vorlíček begann im November 2007, als ich mit ihm für die SUPERillu über seinen Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ sprach. Seit 48 Jahren ist sein romantisches und  humorvolles Märchen die weltweit erfolgreichste Verfilmung des Aschenbrödel-Stoffes. Es war Ende November 2007, ein scheußliches Wetter. Der Wind fegte über die Karlsbrücke und uns stürmischen Schneeregen ins Gesicht, als ich mich mit Václav Vorlíček traf. So ungefähr war es auch, als er im November 1972 mit den Dreharbeiten für »Aschenbrödel« begann. Gespannt wartete ich mit dem Fotografen Boris Trenklel nahe der Karlsbrücke. Wir kannten uns nicht, und doch erkannten wir uns sofort, als er vor dem Café Savoy an der Vítězná aus der Straßenbahn stieg. Ein eleganter älterer Herr, hochgewachsen, mit kariertem Hut und Lederjacke. Eine große Brille betonte die freundlichen blauen Augen.

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Der Regisseur mit einer Darstellerin seines Films „Saxanas Reise ins Märchenland“ Foto: Boris Trenkel

Siebenundsiebzig war er damals, wirkte weit jünger. Eine wunderbare Freundschaft entstand zwischen uns, der ich aufregende Begegnungen mit den Märchenhelden meiner Kindheit und hier nun zu lesende Geschichten verdanke. Ich lernte Marie Kyselková und Josef Zíma kennen, Prinzessin Lada und Prinz Radovan aus meinem Lieblingsmärchenfilm „Die Prinzessin mit dem goldenen Stern“. Für einen Beitrag zu seinem Film „Die Prinzessin und der Abendstern“ trommelte Václav Vorlíček für mich die Hauptdarsteller Zlata Adamovská, Julie Jurístová, Ivana Andrlová und Juraj Durdiak  zusammen. Der „Prinz“ reiste extra aus dem 300 km entfernten Bratislava an.

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Ivana Andrlová und Juraj Durdiak mit ihrem „Vacek“ im Mai 2010 vor Schloss Ploskovice, das die Kulisse für das Märchen „Der Prinz und der Abendstern“ war. Foto: Jürgen Weyrich

Wenn „ihr Vacek“ sie brauchte, waren seine Schauspieler zur Stelle. Verschoben sogar Theaterproben oder nahmen sich von Großmutterpflichten ein paar Stunden frei, wie Marie Kyselková. Sie hat in der Nacht zum 21. Januar ihre freundlichen, liebevollen Augen geschlossen.

Václav Vorlíček war immer auf der Suche nach Stoffen für neue, phantasievolle Geschichten. Neben seinem Bett stapelten sich links und rechts Bücherberge, hatte er mir mal augenzwingernd verraten, Quellen seiner schier unerschöpflichen Kreativität.  „Irgendwoher muss ich meine Ideen ja nehmen“, hat er damals lachend gestanden. Fast hundert Filme, Fernsehserien, Drehbüchern und Dokumentationen hat er in seine mehr als 60 Arbeitsjahren geschaffen. Angefangen hat es 1953 mit dem Kurzfilm „Politická karikatura“ , den er als Student drehte. Gleich nach dem Studium drehte er seinen ersten Kinderfilm, die Abenteuergeschichte „Der Fall Lupinek“. Viele seiner Arbeiten gewannen Preise, wurden ins Ausland verkauft wie die Parodie „Wer will Jessie umbringen?“, das utopische  Comedy-Abenteuer á la 007 „Das Ende des Geheimagenten W4C“ oder die Komödie „Sir, Sie sind eine Witwe!“, die dem damals 36-jährigen Regisseur internationales Ansehen bis in die USA einbrachten. Für sein Lebenswerk wurde Václav Vorlíček 2017 mit dem Kristallglobus des Internationalen Filmfestivals in Karlovy Vary ausgezeichnet.

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Mit Václav auf der Brücke an der Insel Kampa Foto: Boris Trenkel

„Ich habe das Glück, Filme machen zu können, die international verständlich sind“, erzählte er mir. Der amerikanische Produzent William Snyder lud ihn und Autor Miloš Macourek 1969 nach New York ein. Zwei Monate waren sie dort und arbeiteten an einem Remake von „Wer will Jessie töten“ in Farbe mit. Das Original war schwarzweiß. Dieser Reise erwuchs die verrückte Komödie „Sir, Sie sind eine Witwe!“, die wiederum ein Publikumserfolg auch im Ausland wurde. Danach kam die Märchenkomödie „Das Mädchen auf dem Besenstiel“ mit der populären Sängerin Petra Černocká. In Tschechien bewegte sich Václav Vorlíček damit nach ganz oben auf der Liste der Film- und Fernsehregisseure. Sein Meisterstück wurde 1972 „Tři oříšky pro Popelku“„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. In Amerika zu bleiben kam ihm nicht in den Sinn. „Ich hatte meine Frau und zwei Töchter in Prag, und es ist nicht das Land für tschechische Patrioten.“ Von Letzterem ist er bis heute überzeugt, auch wenn der Sozialismus in der damaligen ČSSR nicht das Non-plus-Ultra seiner Lebensvorstellung war.

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Mit Václav Vorlíček und Maria Horaková  2012 in Prag im Gespräch über den FilmWie man Prinzessinnen weckt“ Foto:Jürgen Weyrich

Der 1930 geborene Prager hatte ein ausgeprochenes Gespür für filmische Wirkungen und immer Ideen, wie man sie erzielt. Poesie, Witz und Humor waren die Basis, Kulisse, Kostüme, die Auswahl der Darsteller und die Filmmusik machten sein Erfolgsrezept komplett. Schon in seinen Studentenfilmen favorisierte er Parodie und Komödie als sein Genre. Er wagte sich das auch bei politischen Themen. In seinem Diplomfilm „Die Richtlinie“ (1955) nahm er das Reiseverbot ins Ausland aufs Korn. „Wir durften nicht mal nach Warschau fahren“, erklärte er.

Mit seinem Konzept schaffte er es, Top-Schauspieler wie Vlastimil Brodský (bekannt aus dem DEFA-Film „Jakob der Lügner“) und Miloš Kopecký zu bekommen. Sie drehten ohne Honorar. Diesen Film entdeckte Vorlíčeks Enkel Tomas, heute Drehbuchautor, während seines Studiums im Archiv der Filmhochschule und hat ihn für den Großvater digital kopiert. Es wurde sein Geburtsgeschenk zu dessen 80. Die Überraschung war gelungen. „Ich wusste nicht, dass der Film noch existiert“, erzählte mir Václav bei meinem Besuch 2011.

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Im Juli 2013 trafen wir uns auf der Kampa mit Jaromír Hanzlík, der die Titelrolle in der Märchenkomödie „Wie ertränkt man Dr. Mraček…“ spielte. Foto: Jürgen Weyrich

Als ich Vacláv einmal fragte, ob er manchmal ans Aufhören denke, schüttelte er nur den Kopf. Seit dem Tod seiner Frau Sofíe 2009 sorgten die Töchter Katja und Suzanna dafür, dass sein Kühlschrank immer voll war, seine Enkelin kümmerte sich um den Haushalt des Großvaters. „Ich bin gut versorgt, mach dir keine Sorgen“, beruhigte er mich nach seinem schweren Unfall 2013, als ich ihn ein paar Monate später wieder einmal zum Interview traf. Ein Auto hatte ihn am Fußgängerüberweg überfahren. „An mir war kein Knochen heil. Aber der liebe Gott“, er lachte und zeigte mit dem Stock nach oben, „hat noch keinen Platz für mich.“

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Mit Václav Vorlíček beim Interview in den Prager Barrandov-Filmstudios 2007 Foto: Boris Trenkel

Wir saßen bei unseren Gesprächen oft auf der Prager Insel Kampa. Sein Lieblingsplatz. „Als Jungs sind wir hier in der Moldau getaucht, obwohl die Erwachsenen uns das verboten haben. Uns würden die Wassermänner holen, warnten sie. Ganz tief unten auf dem Grund sollten sie hausen, die letzten Herrscher der  böhmischen Gewässer. Wir hatten  Angst, aber wir waren auch neugierig und sind von einem Felsen in die Moldau gesprungen.  Wir versuchten, auf den Grund zu tauchen. Aber wir haben nie einen Wassermann zu Gesicht bekommen.“ Also ließ er als Erwachsener seine Fantasie spielen und holte sie in seinem Film „ Wie soll man Dr. Mráček ertränken? oder Das Ende der Wassermänner in Böhmen“ ans Licht. Unter seinen vielen Filmen sind die beliebtesten seine acht Märchen. Deren Zauber liegt in ihrer Poesie, die Václav Vorlíček so wunderbar filmisch umzusetzen vermochte. Sie werden noch von Generationen geliebt werden.

 

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