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Walter Beck – Ein Leben zwischen Märchen und Wirklichkeit (3)

Freud und Leid eines Regie-Assistenten

Walter Becks erklärtes Ziel ist der Spielfilm. Doch zunächst beginnt der 21jährige Absolvent im Februar 1951 als Assistent in der Synchronabteilung der DEFA, ist ein wissbegieriger „Lehrling“. Er arbeitet an der deutschen Fassung des polnischen Films „Warschauer Premiere“ von Jan Rybkowski über den Komponisten Stanislaw Moniuszko mit und an einem ungarischen historischen Film. Danach assistierte er dem Regisseur und Drehbuchautoren Johannes Knittel bei der Synchronisation des sowjetischen Dramas Der Ritter des goldenen Sterns“, das die Geschichte eines Kosaken erzählt, der nach dem Krieg als Held in sein Heimatdorf zurückkehrt. Der Spaß am Synchronisieren und ein in ihm steckender Ehrgeiz lässt ihn die Fertigkeit bald selbst beherrschen. Das Synchronisieren wird für ihn zu einem unerlässlichen Arbeitsmittel werden.

Im Sommer 1951 stand der DDR ein großes politisches Ereignis bevor. Die DDR-Hauptstadt war vom 5. bis 19. August Gastgeber der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Unter dem Motto „Für Frieden und Freundschaft“ bekundeten 26.000 Jugendliche aus 104 Ländern und rund zwei Millionen junge Leute aus ganz Deutschland in Berlin ihren Willen, sich für Völkerverständigung und ein friedliches Zusammenleben, gegen Krieg und Atomwaffen einzusetzen. Hunderte von Kultur- und Sportveranstaltungen, Gesprächen und Diskussionen im Großen und Kleinen fanden statt.

Das Filmplakat für den Dokumentarfilm „Freundschaft siegt“ über die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die vom 5. bis 19. August 1951 zum ersten Mal in Berlin stattfanden. Grafik: B. Petersen © DEFA-Stiftung

Die DEFA hatte den Auftrag, dieses Ereignis filmisch festzuhalten. In das Projekt, eine Gemeinschaftsproduktion mit dem sowjetischen Filmstudio Mosfilm, wurden auch die Absolventen der Regieklasse eingebunden. Schon Monate zuvor hatte die DEFA-Dokumentarfilmabteilung mit den konzeptionellen Vorbereitungen begonnen. Der Regiestab war mit elf namhaften Regisseuren besetzt, darunter der bekannte niederländische Dokumentarfilmer Joris Ivens, der sowjetische Filmregisseur Iwan Pyrjew, die DEFA-Dokfilmregisseure Andrew Thorndike und Herbert Ballmann sowie der DEFA-Filmregisseur Konrad Wolf. In den Aufnahmegruppen arbeiteten jeweils 13 Kameraleute von Mosfilm und DEFA. Eine logistische Meisterleistung, hier den Überblick zu behalten. Walter Beck erlebte eine spannende und lehrreiche Zeit. Im Nachhinein betrachtet, durfte er sich privilegiert fühlen. So war er einige Wochen Assistent von Joris Ivens, einem der drei verantwortlichen Regisseure, dessen „stille Arbeitsweise und die betonte Hinwendung aufs Detail“ ihn beeindruckte. Danach arbeitete er im Aufnahmestab von Andrew Thorndike, der die Regie für die deutsche Fassung der Filmreportage innehatte. Wohl kaum ein ehemaliges DDR-Schulkind der 60er und 70er Jahre, das sich nicht an sein zweiteiliges Filmwerk „Das russische Wunder“ erinnert. Mit Bedacht wurde Walter Beck schließlich Iwan Pyrjew zur Seite gestellt.

Die gestandenen Regisseure registrierten bald, dass der 21jährige umsichtig und schnell im Kopf ist, interessiert, sich einzubringen. Es oblag ihm, den temperamentvollen und zugleich streng ordnenden Pyrjew bei der Dokumentation der kulturellen Aufführungen in Theatern und auf den zahlreichen Freilichtbühnen in der Hauptstadt zu unterstützen. Eigens für diesen Zweck wurde auch auf dem DEFA-Gelände in Berlin-Johannisthal eine Freilichtbühne errichtet, auf der die Ensembles ihre Programme vor fünf Kameras präsentierten.„Es ist dies ein Aufwand, den ich bis dahin nicht kenne. Aber auf diese Weise erlebe ich das vielgestaltige internationale Kulturangebot jenes großen Jugendfestes in seiner Totalität, wie das vielleicht nur wenigen anderen möglich ist“, rekapitulierte Walter Beck. Ein ums andere Mal bedauerte er, damals, und auch später, kein Tagebuch geführt zu haben. Für sein Buch musste er alles aus der Erinnerung zurückholen.

Die Jugend der Welt zu Gast in der DDR-Hauptstadt. Kundgebung im Berliner Stadion der Weltjugend im August 1951 Filmfoto aus Dokumentarfilm „Freundschaft siegt“ © DEFA-Stiftung/Mongolowskaja/Sokolnikow/Browin

Über die letzten Tage des Festes, erinnerte sich Walter Beck, legte sich der Schatten eines brutalen Polizeieinsatzes in Westberlin am 15. August 1951. Die Festivalteilnehmer aus der DDR waren vom damaligen Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter eingeladen worden. Der Senat lockte mit Bananenständen, spendierte Kinobesuche und Zigaretten, in der Hoffnung, dass eine propagandistisch ausschlachtbare Anzahl junger Leute der DDR den Rücken kehren würde. Man hatte nicht mit der machtvollen Friedensdemonstration von rund 10.000 FDJlern gerechnet. Als die jungen Leute in ihren Blauhemden mit Fahnen und Transparenten über die Grenze zogen, zeigten die „Fronstadt“-Politiker aller Welt wie die Einladung wirklich gemeint war. Mit Schlagstöcken gingen massive Polizeiaufgebote auf die jungen Leute los. Es kam zu regelrechten Straßenschlachten, bei denen 976 Jugendliche zum Teil schwer verletzt wurden. Unter ihnen war auch Walter Becks spätere Ehefrau. Ein traumatisches Erlebnis, das schwer zu verwinden war, sagte er. Nach weltweiten Protesten versuchte der Senat, sein Vorgehen zu rechtfertigen und die Prügelorgien der Polizei herunterzuspielen. Die Farbfilmreportage startete am 30. April 1952 in den Kinos.

Die Handlung beruht auf Tatsachen, die sich 1932 auf den Faröer Inseln ereigneten. Alljährlich im Sommer erkranken die Bewohner an einer tödlichen Krankheit. Amtsarzt Dr. Sten Horn (Erwin Geschonneck, mit Kriemhild Falke als Mette) vermutet als Überträger die Seevögel, die von den Fischern gefangen werden © DEFA-Stiftung/Gerhard Kowalewski

An der Fertigstellung des Films war Walter Beck nicht mehr beteiligt. Albert Wilkening, damals Produktionschef der Spielfilmabteilung, hatte ihn dem Drehstab von Regisseur Otto Meyer zugeteilt. Beide hatten eine ähnliche Ausgangsposition. Meyer war Regie-Assistent bei der DEFA, bevor er mit „Schatten über den Inseln“ 1951 seinen ersten Spielfilm realisieren durfte. Walter Beck hatte ihn als unsicher in Erinnerung, für einen Anfänger kaum ein Lehrmeister. Er hielt sich an Kameramann Eugen Klagemann, Szenenbildner Erich Zander, Schnittmeisterin Hildegard Tegener und Kostümbildner Hans Kieselbach, souveräne Könner ihres Fachs. Als wesentlichen Gewinn seiner Mitarbeit verbuchte er für sich, in den Mechanismus des Produktions- und Drehablauf eines Films eingebunden gewesen zu sein und seine Erfahrung gemacht zu haben.

Seine zweite Assistenz bei der Produktion des Films „Anna Susanna“, in dem es um den Versicherungsbetrug eines Reeders geht, stand unter keinem guten Stern. Regisseur Richard Nicolas, ein alter „Filmhase“, der sich vor allem als Autor gewisse Dienste erworben hatte, bewies hier kein Gespür. Der Film war fast abgedreht, als die DEFA-Direktion Anstoß an der Besetzung einiger Rollen nahm. Die betreffenden Szenenkomplexe wurden mit neuer Besetzung ein zweites Mal gedreht. Ein ungeheurer Aufwand an Zeit und Kraft war nötig.

Das Filmplakat entwarf Kurt Geffers Der Film kam am 27. Februar 1953 in die Kinos © DEFA-Stiftung/Kurt Geffers

Die Filmdekorationen waren bereits abgerissen und mussten neu aufgebaut werden. Walter Beck hat sich nicht vorstellen können, dass die DEFA eine Filmdekoration von solchen Ausmaßen bloß für einen Film herstellte. So hatte man das Segelschiff im Maßstab 1:1 nachgebaut und auf ein bewegliches Fundament gesetzt, um einen Wellengang imitieren zu können. Auf einem haushohen Gerüst parallel daneben stand ein Zug mit Loren, aus denen Wasser über eine Gleitbahn gekippt wurde. Dieser Trick simulierte einen Hochsee-Brecher, der über das Schiff schwappt. Allein die Vorbereitungen für eine solche Aufnahme waren so zeitaufwendig, dass nur eine Einstellung am Tage gedreht werden konnte.

Um die V ersicherungssumme zu kassieren und damit dem Konkurs zu entgehen, lässt der Reeder das Segelschiff „Anna Susanna“ versenken. Skrupellos setzt er das Leben der Matrosen (Peter Marx, Werner Peters Harry Hindemith, Günter Simon) aufs Spiel © DEFA-Stiftung/Heinz Wenzel

Es waren Wochen zermürbender Pusselarbeiten, weil Nicolas sich auf das Rekonstruieren der alten Szenen beschränkte, unbefriedigend für die neu besetzten Schauspieler wie für den Drehstab. Als der Film nun ein zweites Mal fertiggestellt war, nahm die Direktion Anstoß am Ausgang der Geschichte. Es fehlte der soziale Aspekt. Es wurden neue Schluss-Szenen geschrieben, was den Film nicht besser machte. Das „Neue Deutschland“ schrieb am 26. März 1953: „Das Nebeneinander von Seichtem und politisch Gewichtigem vermischt sich im Schlussbild zu einer politisch-künstlerischen Geschmacklosigkeit: Matrosen und Werftarbeiter singen bei einer Protestdemonstration den sentimental-einfallslosen Schlager des Films!“

Die Stimmung im Atelier unterschritt den Nullpunkt. Noch nie zuvor war Walter Beck so unzufrieden mit seiner Arbeit und dem ganzen Drumherum gewesen. Er wollte weg. In dieser Situation bot ihm der junge Regisseur Herbert Ballmann an, ihm im Sommer 1952 bei seinem ersten großen Dokumentarfilm „Blaue Wimpel im Sommerwindzu assistieren. (siehe Teil 1) So musste Walter Beck das „Trauerspiel“ um den Untergang der „Anna Susanna“ nicht bis zum bitteren Ende auskosten. Seine Mitarbeit war für ihn trotz allem eine gute Lehrzeit. Richard Nicolas, durch und durch ein Pragmatiker des Ateliers, hatte nicht so sehr Filmkunst im Blick als vielmehr gediegenes Handwerk. Walter Beck absorbierte das für seine spätere Arbeitsweise als Grundlage. Als seine wohl wichtigste Lehrmeisterin schätzte er Rita Arendt, Erste Regie-Assistentin bei dieser Produktion. Sie hatte die Fäden in der Hand. Von ihr lernte er in der Praxis das Handwerkliche, was ein versierter Regie-Assistent und auch Regisseur im Alltag des Filmemachens wissen und können muss.

Lehrreiches Intermezzo

Nach Beendigung des Films Blaue Wimpel im Sommerwind“ im Dezember 1952 wechselte Herbert Ballmann ins Spielfilmstudio. Hier war gerade die Produktionsgruppe für Kinder- und Jugendfilm“ gegründet worden, um eigens für diese Zielgruppe Spielfilme zu machen. Filme, die sich in ihrem Erlebniskreis bewegen und ihnen darüber hinaus unterhaltsam und spannend Erkenntnisgewinn bringen. Der Bedarf war da – seit dem 27. November 1952 gehörten in den nunmehr volkseigenen Lichtspielbetrieben regelmäßig Kindervorstellungen zum Programm, für die nicht genug Filme zur Verfügung standen.

„Das geheimnisvolle Wrack“ wurde 1953/54 im DEFA-Studio und an der Ostseeküste auf Rügen gedreht. ©DEFA-Stiftung, Ruth

Den ersten DEFA-Kinderfilm, den die Produktionsgruppe produzierte, drehte Herbert Ballmann 1953/54. Der Abenteuerfilm „Das geheimnisvolle Wrack“ hatte am 4. Juni 1954 Kinopremiere und gehört mit vier Millionen Kinobesuchern zu den erfolgreichsten Filmen in der DEFA-Geschichte.

Walter Beck blieb beim Dokumentarfilm und übernahem Anfang 1953 Herbert Ballmanns Monatsmagazin „Pionierschau“, den „Augenzeugen“ für die Kinder. Es war sein erstes eigenes Filmprodukt nach dem Abschluss seines Regiestudiums. „Hier werde ich nun ernsthaft und unmittelbar mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer künstlerischen Arbeit mit und für Kinder ergeben. Die erzieherische Rolle der Kunst gerät erstmals für mich unübersehbar ins Blickfeld“, schreibt er in seinem „Arbeitsbiografischen Kaleidoskop“. Er brachte das damals jedoch noch nicht in Zusammenhang mit seiner späteren, lebenslangen Profession als Kinderfilmregisseur.

Traktoristin Ursula von der LPG „7. Oktober“ zerreißt die Feldraine zwischen den Handtuchfeldern Quelle: Youtube „Herren der Felder“ 1953, Regie Walter Beck © BA/DEFA-Stiftung/ Wolfgang Randel

Im Februar 1953 offerierte ihm Regisseur Karl Gass, eigenständig einen längeren Dokumentarfilm über die Entwicklung auf dem Land zu inszenieren. Konkret ging es um Arbeit und Leben in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Eine reizvolle Aufgabe, die Zeit konnte er aufbringen. Das Monatsmagazin überforderte ihn nicht gerade. Er suchte sich als Mitstreiter für Text und Musik ehemalige Kommilitonen seiner Theater-AG an der Universität.

Hintergrund für den Film war das Bestreben der DDR, auch die Einzelbauern in den Dörfern für den sozialistischen Aufbau zu gewinnen, sie zu überzeugen, gemeinsam zu arbeiten, Land und Tierbestand zusammenzulegen und Genossenschaften zu bilden. Das würde ihnen und der gesamten Bevölkerung mehr Wohlstand bringen, jedem Bauern bessere Arbeits- und Lebensbedingungen schaffen.

Screenshot Quelle: Youtube „Herren der Felder“ 1953, Regie Walter Beck @ BA/DEFA-Stiftung/ Wolfgang Randel

Die LPG „7. Oktober“ in Schenkenberg bei Delitzsch war eine der ersten und bot sich an, um den neuen Kurs in der Landwirtschaft zu propagieren. Das Filmteam begleitete den Alltag der Bauern von der Vorbereitung der Frühjahrsbestellung im Februar bis zur Ernte im Sommer, erzählt von den staatlichen Hilfen, dem neuen Lebensgefühl der Bauern, von denen sich die meisten als Neubauern eine bescheidene Existenz aufgebaut hatten.

Die Realität, die der Drehstab vorfand, sah nicht nur rosig und fröhlich aus. Die Genossenschaften hatten mit Widerständen zu kämpfen. Sie waren Anfeindungen und Sabotageakten ausgesetzt. Felder wurden verwüstet, Scheunen und Getreidespeicher angesteckt. Maschinen in den MTS zerstört. Walter Beck und Kameramann Wolfgang Randel drehten und änderten gleichzeitig das Drehbuch.

Die 8 Meter breite Kopplung der Drillmaschine haben die Bauern selbst zusammengeschmiedet. Sie ersparte ihnen Zeit und Mühe. Quelle: Youtube „Herren der Felder“ 1953, Regie Walter Beck © BA/DEFA-Stiftung/Wolfgang Randel

Wir dokumentierten, wie der Pastor von Schenkenberg die LPG »7. Oktober« in seiner Predigt mit einem göttlichen Fluch belegte. Wir filmten die brüllenden Milchkühe auf dem verlassenen Gehöft einer geflüchteten Großbauernfamilie aus dem benachbarten Storkwitz, wie sich die erschöpften Genossenschaftsbauern der Tiere annahmen, damit schier überfordert waren, es aber trotzdem schafften“ erinnerte sich Walter Beck. Bilder, die sie für ihren Film nicht verwenden durften. Er sollte Optimismus verbreiten, Erfolge, Lebensfreude zeigen.

Dann kam es am 17. Juni 1953 in Berlin und anderswo zu sogenannten Volksaufständen. „Unser Film blieb davon nicht unberührt. Die Studioleitung war sich uneins, ob das Projekt weitergeführt werden soll“. schilderte Walter Beck die Situation. Schließlich entschied das Ministerium für Landwirtschaft, den Film fertigzustellen. Allerdings ohne für die Genossenschaften zu werben. Aber: „Wie unterlässt man Werbung für etwas, dessen Vorzüge man zeigt?“, fragte der Regisseur 70 Jahre später rhetorisch.

Im Juli 1953 setzten sie die Dreharbeiten fort. Walter Beck schreibt: „Wir versuchen, den Film unter den neuen Gegebenheiten fertigzustellen, vervollständigen angefangene Komplexe. Wir erzählen, abweichend vom ursprünglichen Konzept, auch vom Einzelbauern Kimmel in Benndorf, der der Genossenschaft abwartend gegenübersteht. Wir erzählen von der staatlichen Hilfe, die nun auch die Einzelbauern erhalten.“

Bäuerinnen kommen mit frischer Wäsche aus der Wäscherei von Schenkenberg Quelle: Youtube „Herren der Felder“ 1953, Regie Walter Beck © BKA/DEFA-Stiftung/ Wolfgang Randel

Die Reportage Herren der Felder“ hatte am 7. Oktober1953, dem Tag der Republik, in Schenkenberg Premiere. Der Film zeigt optimistische Bilder vom veränderten Leben auf dem Dorf. In der ehemaligen Schnapsbrennerei des Junkers wurde für die Bäuerinnen eine Wäscherei eingerichtet, für die Kinder gibt es Kindergärten. „Unser Film zeigt optimistische Bilder, Lebensfreude, die den Blick in die Zukunft weist. Mit keinem Wort durften wir auf die Schwierigkeiten und Probleme eingehen, die der Prozess der Kollektivierung mit sich brachte“, bemängelte Walter Beck.

Er fragte sich damals: „Was soll Dokumentarfilm?“ Dem Satz von Herbert Ballmann: „Dokumentarfilm muss die Wirklichkeit organisieren!“, stellte er die Überlegung nach: „Ist organisieren hier ein Synonym für manipulieren?“, und gab sich die Antwort darauf selbst: „…wir haben damals nicht vorsätzlich verfälschen wollen, und schon gar nicht haben wir die gezeigte Wirklichkeit verändert. Aus seiner Tätigkeit beim Dokumentarfilm zieht er als Fazit, „daß jeder Dokumentarist seine Sicht auf die Dinge in seinen Film einbringt. Und jede Sicht gewinnt der Wirklichkeit nur das ab, was aus eben dieser wahrgenommen werden kann oder soll… Weglassen gehört in allen Zeiten zu jedem Gestaltenwobei allerdings individuelle Böswilligkeit das Problem arg verschärfen und Gutwilligkeit es allenfalls nur mildern kann. Vorhanden ist es immer, auch wenn angebliche Objektivität reklamiert wird.“ Filme über die DDR sind davon doppelt betroffen: In den damals gedrehten werden die Niederlagen weggelassen, in den heute gedrehten fehlen die Erfolge.

Bei allem Stolz, den ersten eigenen Film unter so besonderen Verhältnissen fertiggebracht zu haben, ist Walter Beck zugleich unzufrieden mit sich, mit dem Film mit dem Dokumentarfilm überhaupt. Er manifestiert für sich, dass dies nicht sein Metier ist. Als ihm der namhafte Dokumentarfilm-Regisseur Andrew Thorndike eine Assistentenstelle anbot, lehnte er ab. Damit war ein entscheidender Punkt in seiner Entwicklung erreicht: Er brauche als Regisseur die Freiheit zum künstlerischen Gestalten, wie sie nur die „Darstellende Kunst“, der Spielfilm, ihm bieten konnte.

Prägende Erfahrungen

Im Januar 1954 kehrte Walter Beck in die Spielfilmabteilung zurück, die nach einer Umstrukturierung des Filmbetriebes 1953 als eigenständiges „DEFA-Studio für Spielfilme“ arbeitete. Es war für ihn wie nach Hause kommen. Direktor Albert Wilkening, zuvor schon sein Chef, hob den Rückkehrer in die Position eines Ersten Regie-Assistenten. Walter Beck assistierte die nächsten Jahre namhaften Regisseuren: Slatan Dudow, Arthur Pohl, Richard Groschopp, Kurt Jung-Ahlsen und schließlich seinem „Wunschregisseur“ Martin Hellberg. Ihre außerordentlich unterschiedliche Arbeitsweise bot ihm vielfältige Erfahrungen, die er annahm oder verwarf, in jedem Fall aber damals für sich nutzte, um seinen eigenen Weg zu finden.

„Stärker als die Nacht“ wurde 1954 von Regisseur Slatan Dudow gedreht. Walter Beck fungiert dabei als Erster Regie-Assistent. Wilhelm Koch-Hooge (M) verkörpert den Kommunisten Hans Löning. Er wird nach der Machtergreifung der Nazis 1933 verhaftet und kommt für sieben Jahre ins KZ. Seine Frau Gerda bleibt ihm und ihren Idealen treu. Nach seiner Entlassung organisiert Hans erneut eine Widerstandsgruppe, die mit Rüstungs-Sabotage gegen den Krieg kämpft. Hans wird verraten und stirbt im KZ. © DEFA-Stiftung/Manfred Klawikowski, Gerhard Kowalewski

Mit Slatan Dudow drehte Walter Beck „Stärker als Nacht“. Dem Bulgaren eilte der Ruf akribischer Detail-Versessenheit voraus. „Es kommt vor, daß eine über Stunden eingerichtete Szene grundlegend geändert wird, so daß alle zuvor investierte Arbeit umsonst war, und alles von vorn beginnen muß.“ Seine Filme entstanden mit vielen Überstunden nach den Dreharbeiten. Diese besondere Art zu arbeiten, forderte alle, insbesondere die Schauspieler, extrem heraus. Von ihnen erwartete Dudow, dass sie auch nach der 50. Probe die gleiche Kraft in ihre Rolle hineingeben wie beim ersten Mal. Hinter den Kulissen wurde zwar gemurrt, aber schließlich auch das eigentlich nicht Hinnehmbare angenommen. Dudow umgab so eine Art unsichtbarer Heiligenschein. Wie fast alle war auch Walter Beck vom Eindruck dieser Aura in gewisser Weise berührt.

Im Anschluss daran assistierte er Hans Müller bei der Produktion des Films „Carola Lamberti – eine vom Zirkus“. Eine anspruchslose, heitere Zirkusgeschichte mit der Westberliner Schauspielerin Henny Porten in der Titelrolle. Es war damals nicht ungewöhnlich, dass Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren von der DEFA engagiert wurde bzw. dort angestellt waren. Zu diesen Grenzgänger gehörten Regisseur Hans Müller, Drehbuchautor Arthur Kuhnert, Dramaturgin Marie-Luise Steinhauer und Szenenbildner Arthur Günther. Das politische Auseinanderdriften der beiden deutschen Staaten spielte bei der Zusammenstellungen der Filmstäbe und der Besetzungen zu der Zeit noch keine Rolle. Allerdings war es auch für die in der DDR arbeitenden Westberliner nicht problemlos. Sie wurden bedrängt, sollten ihre Verträge mit dem „kommunistischen“ Filmbetrieb kündigen. Man versuchte, sie abzuwerben, setzte sie mit Drohungen und Diffamierungen unter Druck.

Heliane Bei (Lisa) und Heinz Höpner als Paul Paulsen. Auf seiner Wanderschaft begegnet der norddeutsche Handwerksgeselle Paul seiner Freundin aus Kindertagen wieder, der Puppenspieler-Tochter Lisei. Die beiden lieben sich, heiraten, und Paul kehrt mit ihr und ihrem alten Vater in seine Heimatstadt zurück © DEFA-Stiftung, Eduard Neufeld

Betroffen davon war auch Arthur Pohl. Der Westberliner Regisseur galt als Spezialist für literarische Sujets. Er hatte für die DEFA Fontanes Roman „Jenny Treibel“ unter dem Titel „Corinna Schmidt“ adaptiert und Fritz Reuters Kein Hüsung“ verfilmt. Trotz des allgemeinen westlichen Drucks und aller Versuche, ihn abzuwerben, trennte er sich nicht von der Babelsberger Filmfirma, die ihm große künstlerische Möglichkeiten bot, wie er sie nirgends anders erwarten konnte. Walter Beck sollte ihm nun bei der Verfilmung von Theodor Storms Novelle „Pole Poppenspäler“ assistieren. Der 26jährige, dessen bisheriger Lebensweg maßgeblich von der Literatur beeinflusst worden war, stand dem äußerst neugierig und erwartungsvoll gegenüber. Bei seinem Vorstellungsgespräch erklärte ihm Arthur Pohl kategorisch – ohne ihn angehört zu haben – er sei zu jung, um bei seiner Literaturverfilmung mitzuarbeiten. Das Argument erschloss sich Walter Beck nicht.

Wilhelm Koch-Hooge als Vater Paulsen und Willi Kleinoschegg als Pole Poppenspäler, Vater von Lisei DEFA-Stiftung, Eduard Neufeld

Ein paar Tage später schien Pohl seine Meinung geändert zu haben. Walter Beck erhielt ein Telegramm: „Anreise dringend erforderlich“. Hätte er auch nur im mindesten geahnt, was ihn erwartete, wäre er zu Hause geblieben. Mit einem Gefühl der Genugtuung reiste er also zum Drehort nach Quedlinburg. Die Regieassistentin Gertraude Acker-Thies wies ihn kurz angebunden ein. Woher diese Reserviertheit rührte, wurde ihm schnell klar. Sie vermutete in ihm einen Rivalen. Genau das sollte er nach Pohls Willen auch sein. Es war dessen Vergeltung dafür, dass sie sich ihm privat verweigert hatte. Sein „Werkzeug“ machte da nicht mit. Walter Beck übte Solidarität mit der gemobbten Kollegin, statt sie auszustechen.

Die Dreharbeiten fanden in keinem guten Klima statt. Zumal der Regisseur auch im künstlerischen Bereich seinem Ruf nicht gerecht wurde. „Pohl ist alles andere, bloß kein Avantgardist. Pohl ist nicht einmal ein Experimentator. Er ist ein Bühnenbildner, der versucht, Schauspieler zu arrangieren“, konstatierte Walter Beck im Verlauf der Produktion. Dass die Dreharbeiten für ihn dennoch Gewinn brachten, verdankte er dem Kameramann Joachim Hasler, der die Bildgestaltung besorgte. Von ihm lernte Walter Beck in den Arbeitsprozessen praktisch, was ihm im Regiestudium theoretisch vermittelt worden war. Im Abspann erscheint erstmals Walter Becks Name als Regie-Assistent.

Eigentlich sollte es nach „Pole Poppenspäler“ für ihn mit Richard Groschopps Film „52 Wochen sind ein Jahr“ weitergehen. Doch die Dreharbeiten wurden für einige Wochen verschoben. Was sich für Walter Beck als Glücksumstand erweisen sollte. Die Studio-Leitung offerierte ihm, dass der namhafte Regisseur Kurt Jung-Ahlsen gerade die Produktion eines Kurzspielfilms für die Satire-Reihe „Das Stacheltier“ übernommen hatte und noch einen Assistenten brauchte. Er war Walter Beck als Theaterregisseur und Schauspieler nicht unbekannt. Die kurze Drehzeit schien ihm passend, um die Lücke zu füllen. Er konnte von jeher schwer untätig sein. Zudem versprach er sich, von der Zusammenarbeit mit dem schauspielererfahrenen Regisseur für die eigene Arbeitsweise profitieren zu können.

Friedrich Gnaß als Nachtwächter Körnchen und Rudolf Wessely als Buchhalter Knauker 1954 in der DEFA-Satire „Letztes Fach unten rechts“ © DEFA-Stiftung/Götz Neumann

Der kleine Film „Letztes Fach unten rechts“ handelt von einem Nachtwächter, der einen Hund anschaffen möchte, um Diebe abzuschrecken. Buchhalter Knauker, der den Kauf genehmigen muss, weiß jedoch nicht, wie und als was er diese „Anschaffung“ verbuchen soll. So verstaut er den Antrag des Nachwächters im „letzten Fach unten rechts“ seiner Schubladen und hofft, dass nie wieder danach gefragt wird.

Walter Beck genoss das spannungsfreie und angenehme Klima am Set. Kurt Jung-Ahlsen vermochte „mit jedem Schauspieler einen bewundernswerten Kontakt herzustellen“, hat er in seinem Kaleidoskop notiert. Er speicherte für seine spätere Regiearbeit ab, wie Jung-Ahlsen die Darsteller stimulierte, behutsam korrigierte, um sie gleich wieder zu eigenen Angeboten anzuregen. „Obwohl die überwiegende Zahl der Einstellungen in kalten Nächten auf dem Rangierbahnhof Pankow-Heinersdorf entsteht, arbeiten alle mit viel Lust und Spaß am übersprudelnden Komödiantentum des jungen Rudolf Wessely“, hält er für sich fest. Das spezifisch Filmische überließ der Regisseur seinem Kameramann Götz Neumann, den Walter Beck von den Dreharbeiten für den Pionierfilm „Blaue Wimpel im Sommerwind“ her gut kannte. Dass ihre Wiederbegegnung Folgen haben würde, die viele seiner Arbeitsjahre beeinflussen, konnte er damals nicht überblicken. Am Ende der Dreharbeiten umfängt ihn das gute Gefühl, an einer frohen schöpferischen Arbeit beteiligt gewesen zu sein.

Nach diesem Intermezzo – ein Wort, das Walter Beck gern benutzte – folgte dann im Frühjahr die Arbeit mit Richard Groschopp. „52 Wochen sind ein Jahr“ ist eine Filmerzählung nach dem Roman des sorbischen Schriftstellers Jurij Brězan. Er schrieb das Drehbuch, an dem sich auch Groschopp einbrachte. Walter Beck lernte ihn als einen Regisseur kennen, der sich vor allem auf das Handwerk und seine traditionellen Regeln stützte. So wie er sich selbst keine Abweichungen gestattete, duldete er es auch bei anderen nicht. Alles ist lange vorhersehbar, was eine überraschungsfreie Ordnung in die Arbeitsabläufe bringt. Beherrschtes Handwerk ist ein verlässliches Fundament, das hatte Walter Beck während seines Studiums gelernt. Aber auch: Es darf nicht zum Selbstzweck werden. Man muss auch darauf bauen wollen, hatte Wolfgang Schleif den Studenten der ersten DEFA-Regieklasse vermittelt.

Der Landarbeiter Krestan Serbin (Hans Wehrl) arbeitet auf einem volkseigenen Gut. Privat besitzt er ein Stück Acker, eine Kuh, ein paar Schweine. Das alles will er seiner Tochter Lena (Irene Korb) vererben. Doch nun soll er in die LPG eintreten. Er ist der neuen Politik nicht abgeneigt, Doch sein Eigentum möchte er nicht hergeben. Trotzdem lässt er sich nicht von den Gegnern der Kollektivierung im Dorf vereinnahmen. Erst als Lena ihm unmissverständlich erklärt, nicht an dem Hof interessiert zu sein, findet er den Weg in die Genossenschaft © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer

Zum nachhaltigen Erlebnis wurde ihm die Begegnung mit dem Jurij Brězan. „In meiner Schulzeit“, führt er in seiner Autobiografie aus, „gab es die Sorben nicht, so schien es. Nun rücken sie ins gesellschaftliche Bewußtsein. Und es ist nicht nur eine Schimäre, die irgendeiner Form von Slawophilie geschuldet wäre. Brežan macht uns vertraut mit der Konkretheit dieser Volksgruppe. Er zeigt uns die Dörfer, in denen sie leben. Er zeigt uns die Kunst, die sie hervorbringt, und die damals besonders gefördert wird, gleichsam zum Ausgleich für die Tilgungsbestrebungen, die zuvor von den Faschisten ausgingen. Brežan ist ein beredter und wendiger Anwalt der Seinen. “ Er schließt dieses Kapitel mit der Feststellung, dass seine Arbeit nie so leicht war wie gerade bei Groschopp.

Teil 4 Mit Martin Hellberg in den Bauernkrieg