Babelsberg – Exkursion in die Geheimnisse des Films Teil I

Kleine Einleitung

Blick auf den Sammlungsneubau des Filmmuseums Potsdam auf dem Babelsberger Studiogelände. Das Foto zeigt den Bau im Dezember 2020. Die Straßen auf dem Studiokomplex tragen die Namen berühmter Stars wie Emil Jannings und Marlene Dietrich, die das Gesicht der Filmstadt mitgeprägt haben. Jannings und Dietrich spielten zusammen in dem Kultfilm Der blaue Engel“ (1929/30) ©Filmmuseum Potsdam

Rund 4000 Filme entstanden in den vergangenen 110 Jahren in den Babelsberger Studios. Das Publikum bekam Heiteres, Tragisches, Frivoles, Schlechtes und Gutes zu sehen. Hinter den Kulissen spielten sich Klatsch und Tratsch ab. Ich habe versucht, das Interessanteste herauszufinden. Als ich dem Mythos Babelsberg schon einmal vor zehn Jahren für eine fünfteilige Serie in der SUPEillu nachgegangen bin, faszinierte mich besonders, mit welchem Erfindergeist, welcher kreativen Neugier, mit welchem handwerklichen Können Fotografen, Kameramänner, Filmtechniker und Filmarchitekten gesegnet waren. Welcher Forscherdrang sie beseelte, Bilder zum Laufen und zum Sprechen zu bringen. Vor der Zeit der Digitalisierung war alles „handgemacht“. Tricks und optische Täuschungen, Szenenbilder entstanden analog mithilfe technischer Erfindungen, der Ausnutzung optischer und physikalischer Gesetze und oft ganz einfach auch durch Tüfteln und Experimentieren. Die Babelsberger Filmemacher – die Leute hinter den Kulissen – zeigten sich in der 110-jährigen Geschichten von Anfang an als besonders innovativ, wenn es darum ging, die Illusion auf der Kinoleinwand zu perfektionieren, die Zuschauer mitzunehmen in die Welt der Filmhelden. Wer meinen Blog liest, hat mein Faible für Filmtricks sicher in den Beiträgen zu DEFA-Kinderfilmen wie „Das Schulgespenst“ oder den Märchenverfilmungen entdeckt.

Szene aus dem 1986 gedrehten DEFA-Kinderfilm „Das Schulgespenst“, Regie Rolf Losansky. Die Herausforderung für Kamera und Szenenbild war die Kombination zwischen Realfilm und Zeichentrick ©DEFA-Stiftung/Siegfried Skoluda

Erstaunt hat mich, dass alle wichtigen Tricks bereits in den 1920er Jahren erfunden worden waren und seitdem von den Animateuren und Trickspezialisten nur noch modifiziert ausgeführt werden. Heute ist es dank moderner Filmtechnik zum Beispiel ein Leichtes, einen Schauspieler mit sich selbst als Zwilling oder gar Drilling agieren zu lassen. Für uns im Grunde also nichts Ungewöhnliches. Dennoch hat dieser Trick von seiner überraschenden Wirkung auf den Betrachter seit seiner Erfindung 1912/13 durch den Kameramann Guido Seeber nichts eingebüßt. Nach vielen praktischen Versuchen gelang es ihm, mittels Zweifachbelichtung ein und derselben Aufnahme im fertigen Film einen Doppelgänger entstehen zu lassen. Er praktizierte seine „Erfindung“ erstmals 1913 in dem Stummfilm „Der Student von Prag“. Eine Sensation, die Publikum wie Fachleute gleichermaßen in Erstaunen versetzte. Für die Filmtechnik war es ein Meilenstein. So genau man auch hinschaute, es war kein „Bruch“ in den Doppelgängerszenen zu entdecken.

Avantgardisten der Kinematographie

Die Geschichte des weltältesten und bedeutendsten deutschen Filmstandortes ist gleichsam auch ein Stück Geschichte der Kinematographie und des frühen Kinos, in der sich Namen wie Auguste und Louis Lumière, Ottomar Anschütz, Max und Emil Skladanowsky und Charles Francis Jenkins vereinen. 1894 gelang Anschütz die Projektion von bewegten Bildern auf eine 6 × 8 Meter große Leinwand. Weil es an dieser Stelle zu weit führen würde, auf die Leistungen dieser Wegbereiter des Kinos einzugehen, habe ich sie mit auskunftsfähigen Webseiten verlinkt. Näher eingehen muss ich aber auf den Berliner Optiker Oskar Messter und den Chemnitzer Fototechniker und Kameramann Guido Seeber. Genau genommen beginnt die Babelsberger Filmgeschichte mit diesen beiden Männern und ihren Erfindungen.

Oskar Messter mit seinem Malteserkreuz-Projektor-Schaltwerk c/o FMP/Ulrich Illing „Oskar Messters Erbe“, KTSB

1896 tüftelte der Berliner Optik-Fabrikant Oskar Messter an kinematographischen Geräten und entwickelte als eine der größten Pionierleistungen das Malteserkreuz-Getriebe. Eine Technik, die sich noch heute in Filmprojektoren befindet. Auf der Grundlage dieser Technik konstruierte er eigene Kinoprojektoren und Kameras. In Frankreich hatten die Brüder Lumière ein Jahr zuvor den Cinematographen entwickelt, der Aufnahme-, Kopier- und Abspielgerät in einem war. Der Film wurde mittels Perforation über Greifzähne vor dem Objektiv entlanggeführt. Die erste öffentliche Präsentation veranstalteten sie mit zehn ihrer Kurzfilme am 28. Dezember 1895 im Pariser „Grand Café“. Die Lumière-Brüder hatten damit quasi das Kino erfunden.

Messters Filmkamera mit Malteserkreuzschaltwerk c/o FMP/Ulrich Illing „Oskar Messters Erbe“,KTSB

Am 21. September 1896, so lässt sich in Ulrich Illings Aufsatz „100 Jahre Tonfilm aus Babelsberg“ (in „Moderne in Brandenburg: LICHT-SPIEL-HAUS“ , Koehler & Amelang“) nachlesen, eröffnete Oskar Messter „Unter den Linden“ sein Theater für „kinematographisch-phonographische Vorführungen“. Mit seinem „Thaumatographen“, einem selbstgebauten Filmprojektor, führte er kurze Spielszenen vor und ließ dazu von einem Walzenphonographen (1877 von Edison erfunden) passende Musik abspielen.

Oskar Messter um 1941 c/o Wkipedia, Bundesarchiv

Ab Oktober 1896 bietet Messter auch von ihm entworfene Kameras mit Malteserkreuzschaltung an und beginnt, selbst Filme herzustellen, um die Käufer seiner Apparate mit Programmen beliefern zu können. Anfang November 1896 gründete er die Produktionsfirma Oskar Messters Projektions GmbH Berlin und nahm in der Friedrichstraße sein „Filmatelier für Kunstlichtaufnahmen“ in Betrieb. Er drehte mit seiner selbst entwickelten 35mm-Filmkamera „Biophon-Tonbilder“, zunächst vom Berliner Stadtleben. Im Jahre 1900 gliederte Oskar Messter das Filmgeschäft aus der Stammfirma Ed. Messter aus, die als Fachgeschäft für Optik und Fotoartikel weitergeführt wurde und gründete drei separate Gesellschaften. Er beginnt 1906 kurze Spielszenen wie „Meißner Porzellan“ oderApachen“ mit dem späteren Stummfilmstar Henny Porten zu produzieren. 1909 schränkte Messter, der bis dahin bereits 450 Tonbilder hergestellt hatte, diese Produktion drastisch ein und wandte sich dem lohnenderen Geschäft der Herstellung von stummen Spielfilmen zu. Messters avancierte zu einem der einflussreichsten deutschen Filmproduzenten. 1917 verkaufte er sein Unternehmen an die sich damals gerade gründende Ufa.

Guido Seeber 1912 mit einer Handkurbelkamera. Er fand 1911 das Fabrikgelände in Neubabelsberg, auf dem sich die Medienstadt entwickelte c/o Filmmuseum Potsdam

Den Boden für die Traumfabrik bereitete Friedrich Konrad Guido Seeber, eigentlicher Gründungsvater der Filmstadt Babelsberg. Am 22. Juni 1879 in Chemnitz geboren, absolvierte er nach dem Schulabschluss im väterlichen „Photografischen Geschäft“ eine Fotografen-Lehre, die damals wie heute eine fototechnische Ausbildung einschloss. Die erste Berührung mit dem Medium Film machten die Seebers 1896, als sie erstmals die Filme der Gebrüder Lumière sahen. Sie kauften daraufhin in Berlin bei Oskar Messter kinematographische Apparate und Filme und veranstalteten öffentliche Vorführungen von „Seebers lebenden Riesenphotographien“. So bezeichnete man damals die neu entstehende Technik der Kinematographie. Gemeinsam reisten Vater und Sohn von 1897 bis 1905 damit von Stadt zu Stadt. Nach dem Tod von Clemens Seeber verkaufte sein Sohn Guido 1907 die „Photographischen Ateliers“ und verließ seine Heimatstadt Chemnitz. Mit einem Wanderkino zog er über Paris nach Valencia und führte seine Tonbilder auf. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Filmprüfer in der Deutsche Rollfilm Gesellschaft Frankfurt/.M., bis er 1908 das Angebot bekam, als Erster Kameramann zur „Deutsche Bioscop GmbH“ nach Berlin zu gehen.

Guido Seeber wurde schon früh „von dem Zelluloidbazillus infiziert. Stark fiebernd, einsetzende Flimmeritis, eine bekanntlich unheilbare Krankheit“, notierte er 1928 in seinem „Taschenbuch des Kameramanns“ (Quelle: „Wie haben sie’s gemacht“, Verlag Schüren/Stiftung Deutsche Kinemathek).

Dieser über 100 Jahre alte Edison-Phonograph gehört zu den Exponaten, die der DEFA-Toningenieur und Geräte-Entwickler Ulrich Illing in seinem „Kleinen Tonfilmmuseum“ zusammengetragen hat. Nach seinem Tod 2018 erwarb das Filmmuseum Potsdam die einzigartige Sammlung ©Filmmuseum Potsdam

Mit 18 Jahren begann er sich intensiv mit der Weiterentwicklung kinematographischer Apparate von der Aufnahme über Laborgeräte bis zum Projektor zu beschäftigen. Er konstruierte Maschinen zum Kopieren und stellte mit einer Messter-Kamera kleine „Films“ her, die er im eigenen Labor entwickelte und kopierte. Zusammen mit Oskar Messter kontruiertre er einen handlichen Reisekinematographen, den sie unter der Bezeichnung Seeberograph 1903 als geschütztes Warenzeichen beim Kaiserlichen Patentamt eintragen ließen. Eine besondere Leistung war seine Erfindung des „Seeberophons“ 1904. Zum ersten Mal konnten damit Ton und „laufende“ Bilder „synchronisiert“ werden. Dazu verkoppelte er eine Messter-Kamera schon bei der Aufnahme mechanisch mit einem Grammophon, das eine zuvor aufgenommene Schallplatte abspielte. Ein perforiertes Endlos-Filmband hielt den Projektor und den im Saal befindlichen Grammophon-Antrieb bei der Vorführung im Gleichlauf. Mit seinem „Seeberophon“ wurde Seeber praktisch zum Erfinder der ersten Bild-Ton-Synchron-Verkopplung.

Kinoträume aus dem Dachatelier

In Berlin griff eine Kino-Sucht um sich. Die Menschen waren begeistert von der neuen Unterhaltungsmöglichkeit. Nun muss man bedenken, die Programme des frühen Kinos bestanden nicht aus einem abendfüllenden Spielfilm, wie wir es kennen. Anfangs liefen an so einem Kinoabend mehrere Kurzfilme mit maximal vier Minuten langen, unspektakulären Spielszenen aus dem alltäglichen Leben. Haben sie zunächst durch ihre schiere technische Machbarkeit fasziniert, waren es bald kleine, inszenierte Handlungen. Die Kinobetreiber merkten sehr bald, was die Leute in ihre Vorführungen zog: Die Flohjagd im Damenzimmer, der erste Kuss – schlüpfrige Sachen für damalige Verhältnisse. Oder Flucht und Verfolgung eines Verbrechers über die Dächer von Berlin. Komik, Sex, Verbrechen – damit ließ sich gut Geld verdienen. Und, wie wir wissen, lässt es sich noch immer. Man muss nicht lange überlegen, was der Kinobazillus auslöste. Der Bedarf wuchs. Filmfirmen – in ihrer Art wie Handwerksbetriebe – schossen wie Pilze aus dem Boden. Mag sein, dass ich ein wenig zu weit aushole. Doch das alles gehört zur Vorgeschichte von Babelsberg als Filmstadt.

Eine dieser Filmfirmen war die 1902 von dem Berliner Filmproduzenten Jules Greenbaum in Berlin gegründete Deutsche Bioscope Gesellschaft“, die er 1908 in Bioscope-Theater GmbH umbenannte und bis 1914 betrieb. Neben anderen Unternehmen gründete im Februar 1908 die „Deutsche Bioscop GmbH“, die man getrost als „Mutter“ der Babelsberger Filmstudios ansehen kann.

Der Pfeil zeigt auf das Dachatelier der Deutschen Bioscop GmbH in der Berliner Chausseestr. 123 c/o FMP/Ullrich Illing, KTSB

Ihr erstes Domzil hatte die „Deutsche Bioscop“ in der Friedrichstraße 236. In der angrenzenden Chausseestraße 123 betrieb sie in einem ehemaligen Fotostudio ein vollverglastes Dachatelier. So konnte man für die Aufnahmen von früh bis spät das kostenlose Sonnenlicht nutzen. Künstliche Lichtquellen wurden ungern und wenn, dann nur zur Ergänzung des Naturlichts eingesetzt. Die damals gebräuchlichen Westminster- und Quecksilberdampflampen erzeugten große Hitze. Das machte das Arbeiten in den ca. 6 x 9 Meter großen Aufnahmeräumen wenig angenehm. Warm ist es in den Filmstudios auch heute noch. Doch es besteht nicht die Gefahr, dass sich plötzlich das Filmmaterial entzündet. Der Bildschichtträger war seinerzeit Zellulosenitrat, daher auch der Begriff Nitro-Film, den ich noch aus meiner Volontariatszeit beim DDR-Fernsehen kenne. Ein hochbrennbares Gemenge, hergestellt aus Schwefel- und Salpetersäure und Baumwollresten. Ich will zur Erklärung einfügen, dass ich neben dem Abitur eine Berufsausbildung zur Chemielaborantin gemacht habe. Unsere Ausbilderin demonstrierte uns im Laborversuch, wie ein Wattebausch, mit Salpeter- und Schwefelsäure beträufelt, explosionsartig in Flammen aufgeht. Es bestand bei den Nitrofilmen nun nicht gerade Explosionsgefahr, dennoch kam es oft vor, dass ein Film bei Dreharbeiten in den überhitzten Ateliers entflammte. So hatten die Filmleute seinerzeit ständig Ärger mit den strengen Brandschutzauflagen der Berliner Polizei. Im übrigen hat man noch bis in die 50er Jahre Filme auf „Nitro“ gedreht. Und manchmal brannte es im Vorführraum eines Kinos, weil der Projektor heißlief.

Als Guido Seeber 1907/08 das Angebot der Deutschen Bioscop annahm, in Berlin Filme zu drehen, ahnte keiner, dass er mal die Geschicke des Filmbetriebes lenken würde. Er ging nach Berlin, weil hier in Sachen Kinematographie inzwischen die „Post abging“. Er filmte zunächst wieder Aktualitäten und Tonbilder.

Screenshot aus Guido Seebers Animationsfilm Die geheimnisvolle Streichholzdose“ Das selbständige Bewegen der Streichölzer zu Figuren erreichte er mittels Einzelbildaufnahme. Für eine Sekunde Laufbild hielt er die Kamera 24mal an und bewegte jedes einzelne Streichholz um ein Vierundzwanzigstel weiter c/o wikimedia.org.webm

1909/10 stellte er seine ersten Trickfilme her. Ich habe seinen vier Minuten langen Animationsfilm „Die geheimnisvolle Streichholzdose“ gefunden. Für diesen Trickfilm wandte er die Einzelbildaufnahme an, die bis heute den Zauber vieler Märchen- und Puppentrickfilme ausmacht. Seeber musste die Streichhölzer Stück um Stück mit der Hand legen und jeden Schritt einzeln aufnehmen. 24mal für eine Sekunde. So entstanden die „Sandmännchen“-Vorspänne des Abendgrußes, und auf diese Weise fliegen auch Nadel und Schere in dem DEFA-Märchenfilm „Hans Röckle und der Teufel“ wie von Geisterhand geführt über den Stoff. Guido Seeber war 1909 bereits Chefkameramann und von Bioscop-Direktor Erich Zeiske zudem mit der technischen Leitung des Unternehmens betraut worden.

Es gab damals die erste Krise im Filmgeschäft. Die Besucherzahlen gingen zurück, denn die häufig wenig phantasievollen und kurzen Produktionen hatten an Attraktivität verloren. Die Bioscop nahm die 1910 nach Berlin gekommene Schauspielerin Asta Nielsen und den dänischen Regisseur Urban Gad unter Vertrag.

Szene aus „Der fremde Vogel“. Sir Arthur Wolton (Hans Mierendorff l. )macht mit seiner Tochter May,(Asta Nielsen 2.v.r.), eine Spreewaldtour. Sie fühlt sich von dem jungen Bootsführer Max (Carl Clewing, M.) angezogen. Da die Verbindung von allen Seiten abgelehnt wird, entschließen sich Max und May zur Flucht, doch May stürzt unterwegs ins Wasser und ertrinkt. Ihre Leiche wird inmitten von Seerosen gefunden c/o Filmmuseum Potsdam

Im Dachatelier der Bioscop in der Berliner Chauseestraße entstanden die ersten Asta-Nielsen-Filme mit Gudio Seeber an der Kurbel. Die dramatischen Dreiakter „Heißes Blut“ und Nachtfalter“ waren die ersten Spielfilme der Asta-Nielsen-Serie. Die Leute stürmten die Kinos. 1911 entstand als fünfter Nielsen Film das Melodram „Der fremde Vogel“. Rückblickend muss hier Guido Seebers „sensationelle Kameraführung“ hervorgehoben werden, heißt es in Reclams Lexikon des deutschen Films. Mit rauschenden Bäumen und auf dem Wasser tanzenden Lichtreflexen zeigt der Streifen eine der ersten realen Kulissenlandschaften der deutschen Filmgeschichte. Seebers für damalige Verhältnisse sensationeller Umgang mit Landschaftsaufnahmen und Bildern der ländlichen Welt sind ein kinematographischer Kunstgenuss. Aber es ist auch die gesellschaftliche Komponente, die dem Film Bedeutung verleiht. Zum ersten Mal wird hier eine kausale Verknüpfung zwischen dem Tod der Heldin und den hierarchischen Konventionen gezeigt.

Umzug in die Kunstblumenfabrik

Die Bioscop hatte mit den Dänen das große Los gezogen. Ihre Filme füllten die Kassen, und der Filmverleiher Christoph Müller verpflichete das „lukrative“ Paar für weitere acht Filme. Den Auftrag über 1.400.000 Mark erhielt die Bisocop. Trotz einer Vergrößerung war das Atelier in der Chausseestraße inzwischen an seine Grenzen gekommen. Ein größeres Studio auf einer Freifläche machte sich für die weitere Arbeit unumgänglich.

Im November 1911 begann die Montage des „Kleinen Glashaus“-Ateliers, das am 12. Februar 1912 mit dem Drehbeginn für den Asta-Nielsen-Film „Der Totentanz“ eingeweiht wurde c/o Studio Babelsberg/Deutsche Kinemathek

Im Herbst 1911 erhielt Guido Seeber den Auftrag, sich nach einer ausbaufähigen Freifläche im Umland umzuschauen. Es fand sich zunächst kein geeigneter Platz. Bei einem Besuch seiner zukünftigen Schwiegereltern im Villenviertel von Neubabelsberg (Nowawes) erregte ein verwaistes Betriebsgelände, an dem er sonst vorübergeilt war, seine Aufmerksamkeit. Vom Vater seiner späteren Frau Martha Thomas erfuhr er, dass hier einst Kunstblumen und Futtermittel produziert wurden. Seeber erkannte sofort die gute Eignung des „wüsten Geländes“. Es gab keine Wohnhäuser im Umfeld, die durch einen etwaigen Brand gefährdet würden, ein E-Werk war in der Nähe, und es hatte durch die Staatsbahn eine gute Anbindung an Berlin. Zudem bot sich das Gebäude mit dem Giebel nach Süden geradezu an für den Anbau eines geräumigen gläsernen Studios.

In seiner Planung für die neue Produktionsstätte der Bioscop hatte Seeber an alles gedacht. In der alten Fabrik wurde untergebracht, was für die Produktion eines Films nötig war – Büros, Labore für die Filmentwicklung, Trockenräume, Kleberei, in der die Filme geschnitten und montiert wurden, Werkstätten zur Herstellung der Dekorationen und Kulissen wie Malerei, Tischlerei, ein Fundus für Requisiten, Ausstattung und Kostüme, Räume, in denen die Zwischentitel angefertigt wurden sowie eine Kantine für die Mitarbeiter. Die Bioscop verfügte damit über ein vollständig integriertes Filmstudio, das sämtliche Arbeitsschritte für die Filmproduktion vor Ort ermöglichte. Es war die Geburtsstunde des ältesten Großfilmstudios der Welt.

Asta Nielsen und ihr Mann, der Regisseur Urban Gad, während der Dreharbeiten für den Film „Der Totentanz“ im Glashaus -Atelier der Bioscop am neuen Standort Neubabelsberg im Februar 1912. Im Hintergrund werden die Kulissen für eine Szene aufgebaut c/o Filmmuseum Potsdam

Am 12. Februar 1912 gingen am neuen Standort der Bioscop erstmals die Jupiter-Leuchten an. Wintersonne funkelt durch die Scheiben des gläsernen Studios. Regisseur Urban Gad beobachtet das erotische Spiel von Asta Nielsen vor der Kamera. An der Kurbel sitzt Guido Seeber. Gedreht wird innerhalb weniger Tage das Liebesdrama „Der Totentanz“. Am 7. September 1912 kam die erste Babelsberger Produktion in die Kinos. Wegen der erotischen Bilder, die heute jedes Kind ansehen dürfte, wurde der Film vor seiner Uraufführung mit einem Jugendverbot belegt. Was der Zensur frivol erschien, schnitt man kurzerhand heraus – den Bauchtanz und die Liebesszenen im 2. Akt sowie den Mord am Schluss. So fehlten dem 60-minütigen Streifen bei der Premiere vier Minuten. Dabei blieb es nicht. Der Film lief als erster Babelsberger Exportschlager in Schweden, Dänemark, Russland, Amerika – und alle schnippelten weg, was nicht zur Moral passte. Die fragmentarisch erhaltene Kopie von ca. 23 Minuten konnte durch das Auffinden von 40 unveröffentlichten Standfotos in Zusammenarbeit der Filmmuseen Potsdam und München rekonstruiert und restauriert werden. Die nun 26minütige Fassung hatte zum 100. Jahrestag des Drehbeginns auf der Berlinale am 12. Februar 2012 Premiere.

Im Teil II meiner Exkursion in die Geheimnisse des Films geht es um die Visionäre den Schauspieler Paul Wegener, den Regisseur Stellan Rye, den Autor Hanns Heinz Ewers und Kameramann Gudio Seeber, die mit dem Stummfilm „Der Student von Prag“ einen Meilenstein setzten.

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