Zum Tod von Rolf Losansky: Sein Herz schlug für die Kinder

Wer ihn kannte und mochte, wünschte, er wäre nach seinem schweren Schlaganfall im Juli 2013 wieder auf die Beine gekommen und hätte das tun können, was ihm immer das Liebste gewesen war: Mit seinen wunderbaren Filmen zu Kindern reisen, sich ihren Fragen stellen und hören, was sie denken – über die Knirpse aus dem Kinderheim, die sich auf die Suche nach dem Dieb des „Wunderbunten Vögelchens“ machen, über „Moritz in der Litfaßsäule“ oder über Alex, der sich in seiner Phantasie jeden Tag als Indianer auf den „Langen Weg zur Schule“ begibt.

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Mai 2015. Regisseur Rolf Losansky (l.) mit seinen Darstellern Gojko Mitic und Frank Träger aus dem Film „Der lange Ritt zur Schule“

Die Aussicht war gering. Sein Sprachzentrum war schwer geschädigt, eine rechtsseitige Lähmung zwang den unermüdlich rotierenden Kinderfilm-Regisseur in den Rollstuhl. Doch er hat gekämpft, wollte es zwingen. Das verrieten mir seine Augen, als ich ihn vor ein paar Monaten besucht habe. Dieser Tage wollte ich wieder zu ihm nach Potsdam fahren. Zu spät. Gestern früh, am 15. September, hat Rolf Losansky aufgehört zu kämpfen. Vor drei Wochen war eine Gesichtsrose bei dem 85-Jährigen ausgebrochen. „Sie war sehr schmerzhaft, ich musste Papa ins Krankenhaus bringen. Zum Schluss wollte er nicht mehr“, erfahre ich von seiner Tochter Danka. „Drei Tage saß ich an seinem Bett, hielt seine Hand, als er ging“, sagt sie und: „Es tut sehr weh, aber es ist jetzt gut so.“

„Er war ein Kämpfer, warmherzig, immer fröhlich, manchmal auch mufflig, aber nie böse. Er ging freundlich mit den Menschen um, sogar mit seinen Neidern“, beschreibt sie ihren Vater, den seine DEFA-Kollegen, Schauspieler, Filmkinder und Freunde genau so in Erinnerung behalten werden. Wenn er mir von seinen Dreharbeiten erzählte, schwang darin immer eine Verschmitztheit und Komik mit, die – neben der großen Nachdenklichkeit – auch in seinen Filmen zu spüren ist. Rolf Losansky hat sich den Träumen, Sehnsüchten und Sorgen der Kinder angenommen, ihren Alltag in seinen Geschichten trickreich mit phantastischen Elementen verwoben, sodass Lehrreiches nie mit dem erhobenen Zeigefinger daherkam.

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Szene aus dem Film „Das Schulgespenst“ 1986

Seine Filme sind Gegenwartsmärchen, die mit einer komödiantischen, ironischen Erzählweise begeistern. „Das Schulgespenst“ (1986), „Ein Schneemann für Afrika“ (1977) oder „Moritz in der Litfaßsäule“ (1983) haben in ihrer Thematik nichts an Aktualität verloren. „Ich habe 23 Spielfilme für Kinder gemacht“, erzählte er mir einmal. „Wenn ich sie heute zeige und die Kinder Zugabe rufen, weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe. Kinder sind sehr kritisch. Sie sind ehrlich. Sie heucheln keine Begeisterung.“ Nie waren ihm ihre Fragen zuviel.

Nach der Wende hat er noch drei Filme gedreht, 1992 „Zirri – das Wolkenschaf“, 1993 „Friedrich und der verzauberte Einbrecher“ (gespielt von Rufus Beck) und 1998 die Märchenverfilmung „Hans im Glück“.

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Im Juni 2013 mit Andreas Bieber und Marlene Marlow, Hauptdarsteller in Losanskys Märchenfilm „Hans im Glück“

Persönliche Schicksalsschläge nahmen ihm die Kraft. Der ungeklärte Tod seines Sohnes, der Kapitän eines Containerschiffes war und im Bermuda Dreieck ums Leben kam, brach ihm das Herz. Posttraumatische Erinnerungen aus seiner Kindheit machten ihm zu schaffen. „Ich komme aus Frankfurt/Oder von der polnischen Seite, habe sowohl Panzerangriffe erlebt als auch schwere russische und amerikanische Bombenangriffe in Augsburg, wohin wir geflohen waren. Ich kann heute noch in keinen kleinen Keller gehen. Mit der Kraft der Jugend konnte ich die Bilder von Leichen, an denen ich vorbei gerannt bin, verdrängen. Je älter ich werde, desto häufiger suchen sie mich heim“, erzählte er in unserem ersten Interview. Als Berater und Mentor arbeitete er dann mit jungen Regisseuren. Er wollte in ihnen das Feuer wecken, das noch immer in ihm loderte. So wie die Altmeister der Regie Martin Hellberg, Kurt Maetzig und Andrew Thorndike in den 50er und 60er Jahren dieses Feuer in ihm entfacht hatten.

losanskyRolf Losansky ist auf Umwegen Regisseur geworden. Am 18. Februar 1931 als Sohn eines Schriftsetzers und einer Krankenschwester geboren, lernte er nach der Schule zunächst Buchdrucker. Er absolvierte die Arbeiter- und Bauern-Fakultät, studierte dann drei Semester Medizin, bevor ihn als 24-Jährigen „der Virus Film mit Haut und Haaren fraß“. Seine erste Regie-Assistenz bekam er bei DEFA-Regisseur Frank Beyer bei den Dreharbeiten für den Film „Königskinder“ mit Annekathrin Bürger und Armin Mueller-Stahl in den Hauptrollen. Mit seinem aufmerksamen Blick ersparte er dem Regisseur damals eine große Peinlichkeit und der DEFA hohe Kosten, hätte man den Fehler erst beim Schnitt entdeckt.  Im Atelier wurde eine Flugszene simuliert. Dazu ließ man hinter den Fenstern der Flugzeugattrappe auf einer Leinwand Wolken vorbeiziehen. Frank Beyer konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Schauspieler und übersah, dass die Wolken das Flugzeug überholten. Rolf Losansky, der später dazu kam, erfasste das mit einem Blick und rief: „Kamera aus!“ Man hatte den Film falsch herum eingelegt. „Das war so ein Tag, an dem man als Regie-Assistent abends zufrieden ins Bett geht. Und ich brannte darauf, bald selbst so ein Leben erzählen zu können“, erinnerte er sich beim Erzählen dieser Episode.

img_3885Als Regie-Assistent suchte er für den Film „Nackt unter Wölfen“ die Kinderdarsteller aus und merkte, dass ihm die Arbeit mit Kindern lag und Spaß machte. Seine Frau Annelore, die Liebe seines Lebens, brachte ihn auf die Idee, Filme für Kinder und Jugendliche zu drehen. Sie waren 35 Jahre glücklich verheiratet, als sie 1991 starb. „Sie war Lehrerin und hielt unsere Familie in Schwung“, erzählt Danka.  1963 drehte er dann mit dem Abenteuerfilm „Geheimnis der 17“ seinen ersten eigenen Kinderfilm und noch im selben Jahr dreht er mit der „Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ seinen ersten Erfolgsfilm.
Der Abschied von Rolf Losansky fällt schwer. Ich hoffe sehr, dass seine Filme, die er am Leben erhalten hat, nicht vergessen werden.

4 Kommentare zu „Zum Tod von Rolf Losansky: Sein Herz schlug für die Kinder“

  1. Vielen Dank für diese wunderbaren und einfühlsamen Beschreibungen. Ich bin traurig und vermisse ihn, obwohl unser letztes Gespräch leider schon sehr lange her ist.

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    1. Viele werden diesen wunderbaren Menschen und Kinderfilm-Regisseur vermissen. Für ihn hatte der Zusatz „Kinderfilm“ vor seiner Berufsbezeichnung besonderes Gewicht. Er sagte: „Wir wurden von den Kollegen, die Filme für Erwachsene machten, immer von oben herab betrachtet. Man war als Kinderfilmemacher diskriminiert: Der kann es nicht besser. Aber das ist Quatsch. Kinder gucken viel genauer. Deshalb müssen wir genau sein. Das ist unsere Verantwortung.“ Und er hat die Kinder ernst genommen. Ein fast philosophischer Wurf ist ihm und Autorin Christa Kozik mit dem Film „Moritz in der Litfaßsäule“ gelungen. Er erzählte mir : „Wir drehten die Szene, in der Moritz der Katze erzählt: Wenn die Erwachsenen Kummer haben, kippen sie einen auf die Lampe. Aber was machen wir Kinder, wenn wir Weltschmerz haben? Und dann als Nachsatz: Verdammter Weltschmerz! Und das war der Punkt. Meine Beleuchter im Studio waren stumm, als Dirk das sagte.“ Die Geschichte ist so heutig wie nie. Wichtiger als damals.

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  2. Rolf Losansky hatte zuletzt 2013 für unser Hörspiel „Der Zauberkoch und die Schatten der Traumlosen“ (mit Heinz Hoenig und jede Menge Kindern) Regie geführt und mit am Buch gearbeitet. Frisch, frech, routiniert und voller Fantasie – wie immer, wenn er arbeitete. Für die Verfilmung war er natürlich trotz (oder gerade wegen) seines Alters auch vorgesehen – er hatte als Regie/Produktionsberatung zugesagt. Leider kam der Schlaganfall dazwischen. Nun ist die Verfilmung in Planung und wird – wie sollte es anders sein – ganz in seinem Sinne umgesetzt werden. Nicht, um ihm zu huldigen, sondern weil seine ganz eigene Art, die Welt mit Fantasie filmisch darzustellen, einfach gut ist – für „Erwachsene und auch für Kinder“, wie er immer (unter seinem Bart grinsend) betonte. Ich werde ihn als Freund und Autoren Kollegen niemals vergessen und hoffe, noch vieler seiner und unserer gemeinsamen Ideen umsetzen zu können. Hochachtung an seine Tochter, die so sehr dafür gekämpft hat, trotz seines schwierigen Gesundheitszustands, Rolfs zeitlos kindliche Seele zu erhalten…

    Martin Bolik

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