Von Brecht bis C. U. Wiesner – zum Tod von Stefan Lisewski

Es macht traurig. Schauspieler Stefan Lisewski ist tot. Er starb am 26. Februar im Alter von 82 Jahren. Unerwartet für alle. Ich habe ihn weniger auf der Bühne des Berliner Ensembles erlebt, wo er in nahezu allen Brecht-Stücken Hauptrollen spielte, als vielmehr in zahlreichen DEFA- und Fernsehfilmen. Rothaarig, sportliche 1,90 Meter hochgewachsen und mit einer einprägsamen, ausdrucksstarken Stimme, war er ein besonderer Typ. Überzeugend in seinen künstlerischen Darstellungen und von Kollegen, insbesondere Filmpartnerinnen, zudem wegen seiner humorvollen Art, seiner Jungenhaftigkeit besonders gemocht. „Mit ihm zu drehen war stets ein Vergnügen“, erinnerte sich Annekathrin Bürger in einem unserer vielen Interviews. In den Erinnerungen an ihren ersten Film „Verwirrung der Liebe“ (1959) verriet mir Angelica Domröse, dass ihr Stefan Lisewski imponiert habe. „Er hat am BE gespielt!“

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Stefan Lisewski 2009 beim Filmtreff in Quedlinburg c/o Hans-Jürgen Furcht

Da, wo sie hin wollte, gehörte Lisewski von 1957 an zu den wichtigsten Schauspielern. Mit der Übernahme der Intendanz des BE durch Claus Peymann 1999 schied er – inzwischen 65 Jahre – aus dem Ensemble aus. Doch er blieb dem Theater bis zu seinem Tod verbunden. Mehr als 500 Mal hat er als Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ das Publikum im Theater am Schiffbauerdamm und bei Auslandsgastspielen wie in Griechenland und Italien begeistert. Man sah den Charakterdarsteller in „Mutter Courage und ihre Kinder“, „Die Gewehre der Frau Carrar“, in „Das Leben des Galiliei“, „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ oder im „ Kaukasischen Kreidekreis“. Noch am 21. Februar verkörperte er den Dogsborough in Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Weit mehr als 300 Mal stand er in dieser Rolle in der Inszenierung von Heiner Müller seit der Premiere 1995 auf der Bühne.

Ursprünglich war das Theater, die Schauspielerei nicht Lisewskis Lebensziel. Geboren am 6. Juli 1933 im polnischen Tczew (Dirschau), war er, elfjährig, mit seiner Familie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wie viele deutsche Umsiedler aus Pommern in Schwerin gelandet. Als Statist am Theater frönte er schon als Schüler seiner Leidenschaft fürs Schauspielen. Als ernsthaften Beruf für sich sah er das aber nicht. Er wollte Hütteningenieur werden und bewarb sich nach dem Abitur an der Bergakademie Freiberg. Doch die Lust zum Spielen war stärker, und so sprach er an der Berliner Schauspielschule vor – und wurde abgelehnt. Er ging als Praktikant ins Schwermaschinen-Kombinat Magdeburg und arbeitete dort am Schmelzofen.

Die Bühne lockte den damals 20-Jährigen jedoch sehr. Immer wieder übernahm er am Theater der Stadt Komparsenrollen und startete 1955 einen neuen Versuch an der Berliner Schauspielschule. Es klappte. Sein zweieinhalbjähriges Studium schloss er 1957 während der Dreharbeiten zu seinem ersten Film, „Das Lied der Matrosen“, ab und erlangte anschließend ein Engagement am Berliner Brecht-Ensemble. Er hat noch mit Helene Weigel und Ernst Busch zusammen gearbeitet und war sehr dankbar für die großartige Zeit, die ihn über die Grenze der DDR hinaus in die ganze Welt geführt hat, wie er in einem Interview zu seinem 70. Geburtstag sagte.

Ich weiß nicht mehr, in welchem Film ich Stefan Lisewski zum ersten Mal gesehen habe. Es könnte „Das Lied der Matrosen“, der Musikfilm „Eine Hand voll Noten“ oder „Maibowle“ gewesen sein. Mittags, in einer der Halbzwei-Uhr-Testsendungen des DDR-Fernsehens in den 60er Jahren. Vielleicht war es auch „Die Jagd nach dem Stiefel“, ein Kinderfilm von Konrad Petzold, oder „Chronik eines Mordes“.

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Jedenfalls hat er sich mir eingeprägt. Sein Gesicht, seine Stimme, die ich sofort im Ohr habe, wenn ich den Namen höre oder lese. Auch Szenen, wie die mit Hildegard Alex beim Versuch zusammen in eine Badewanne zu steigen. Was praktisch ein Ding der Unmöglichkeit war, denn der Einsneunzig-Mann passte ja allein schon kaum hinein. „Wir hatten viel Spaß beim Probieren, wie das gehen soll“, erzählte mir Hilde Alex, als ich ihr meine Erinnerung einmal schilderte. Ich glaube, die Fernseh-Reihe hieß „Rund um die Uhr“. Das Komödiantische war die andere Seite des Charakterdarstellers, die populäre, die ihn beim Publikum so beliebt machte.

In den 70er und 80er Jahren hat der Schauspieler das Filmen zugunsten des Theaters zurückgefahren und sich mehr oder weniger auf Rollen in Kinderfilmen beschränkt. Diese Arbeit machte dem zweifachen Vater und Großvater sehr viel Freude. Regisseur Günter Meyer fand in dem Hünen die ideale Besetzung für den Riesen Otto in seiner Fernsehserie „Spuk unterm Riesenrad“, Drehbuch „Eulenspiegel“-Autor C. U. Wiesner.

Spuk unterm Riesenrad
Die Autorin mit Stefan Lisewski (M) im August 2013 im Treptower Park sowie mit Regisseur Günter Meyer (r.) und den Filmkindern Katrin Raukopf (2.v.r.) und Henning Lehmbäcker. c/o Boris Trenkel

Ihr verdanke ich, dass ich Stefan Lisewski im August 2013 persönlich kennenlernen durfte. Natürlich im Treptower Park unterm Riesenrad. Sein voller roter Haarschopf war ergraut, und es ging dem Schauspieler auch nicht gut. Er kämpfte mit Atemnot, aber seinen Humor hatte er nicht verloren. An den Film hatte er glänzende Erinnerungen. „Der ist losgegangen wie eine Rakete. Und geht es noch. Als ich jetzt längere Zeit im Krankenhaus war, haben mich die Schwestern kurz vor der OP gefragt: „Sind Sie nicht der Riese?“ – Erwachsene Leute, die damals Kinder waren. Es war ja auch eine tolle Geschichte dadurch, dass die uralten Märchenfiguren mit dem prallen Leben der DDR konfrontiert wurden. Daraus ergab sich wundervoll Satirisches. Wenn man älter wird und mal Revue passieren lässt, was man so gemacht hat, gehört das mit zu den schönsten Arbeits- und Urlaubserlebnissen, die ich hatte. Wir haben im Harz gedreht, auf der Burg Falkenstein. Wir haben an der Rappbodetalsperre gewohnt. Das war toll. Und wenn wir nachts gedreht haben, sind wir früh zu einem Bauern gefahren und haben warme Milch getrunken.“

Es war so einiges passiert bei den Dreharbeiten, das ihm im Nachhinein ein Schmunzeln ins Gesicht zauberte. „Auf dem Hexentanzplatz sollte ich auf ein fahrendes Auto springen. Das hat meinen sportlichen Ehrgeiz angestachelt. Aber es real zu versuchen, wäre dann doch zu gefährlich gewesen. Deshalb wurde es am Schneidetisch geschickt zusammenmontiert.“ Für die Anfangsszenen, in denen der Riese groß ist, hatte Stefan Lisewski bei einem Artisten Stelzen laufen gelernt. „Günter Meyer fand mich mit meinen 1,88 noch zu klein als Riese. Ich musste auf einen Stuhl steigen, damit er sehen konnte, wie das mit Stelzen sein würde.“

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Die Geister in der Spree. Szene aus der Serie „Spuk unterm Riesenrad“

Dass er bei der Flucht der Geister mit Boot auf der Spree einen Moment Todesangst hatte, ist auch so eine Geschichte. In der Hektik, die Szene noch vor Sonnenuntergang „in den Kasten“ zu kriegen, hatte niemand an die Eisengewichte in dem Ruderboot gedacht, die als Lastenausgleich für die Schauspieler, insbesondere den schweren Stefan Lisewski, in den Bug gelegt worden waren. Als das im Film nicht zu sehende Motorboot den Geisterkahn am Schlepptau in Bewegung setzte, neigte sich plötzlich der Bug des Ruderboots gen Wasser, immer tiefer, bis es schließlich versank – und mit ihm die Geister. „Ich hatte einen schweren Schafspelz an, der sich voll Wasser sog. Katja Paryla, die Hexe, und Siegfried Seibt, Rumpi, konnten ja schwimmen in ihren Sachen, ich nicht. Da war mir schon komisch, bis ich merkte, ich habe Boden unter den Füßen. Wir standen auf einer Sandbank mitten in der Spree.“ Mit seinem trockenen Witz würzte er als Hausmeister den „Spuk im Hochhaus“ und wirkte als Graf Bärenfels auch in der Serie „Spuk von draußen“ mit.

Für das Berliner Ensemble werden die Inszenierungen mit Stefan Lisewski wichtige Abschnitte in der Geschichte des Theaters sein. In seinen großen wie kleinen Filmrollen wird er lebendig bleiben, sich den vielleicht auch nachfolgenden Generationen einprägen.

 

Ein Gedanke zu „Von Brecht bis C. U. Wiesner – zum Tod von Stefan Lisewski“

  1. Hat dies auf prominentimostblog rebloggt und kommentierte:

    Heute, am 6. Juli, wäre Stefan Lisewski 83 Jahr alt geworden. Er starb vor vier Monaten, am 26. Februar 2016. Ich hatte das Vergnüngen, ihn persönlich kennen zu lernen. Seine Filme haben mich in meiner Jugend begleitet: Der DEFA-Film „Das Lied der Matrosen“, seine erste Filmrolle 1958, „Verwirrung der Liebe“, „eine Handvoll Noten“ oder der Kinderfilm „Die Jagd nach dem Stiefel“ gehören zu meinen Erinnerungen an ihn.

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